Zusammenfassung
Gegenwärtig ist in Nordwestafrika der Versuch der Etablierung eines
sechsten Staates des Maghreb zu beobachten. Träger dieses Versuchs
ist der Großteil der Bevölkerung der ehemaligen Kolonie Spanisch
Sahara. Der Nationalismus der Befreiungsbewegung Frente Polisario avancierte
innerhalb der Sahrauischen Nation zur dominierenden politischen Kraft.
Er trug zu einer weiteren Differenzierung der komplexen Sahrauischen Gesellschaft
bei, die sich inzwischen deutlich von denen der Nachbarstaaten unterscheidet.
Das ursprüngliche Problem einer nicht ordnungsgemäß durchgeführten
Entkolonialisierung änderte seine Dimension und kann inzwischen auch
als das Problem der Konfrontation zweier konkurrierender Nationalismen
angesehen werden. In der vorliegende Arbeit wurde nach einem kurzen historischen
Rückblick und einer kurzen allgemein geographischen Vorstellung der
"Republik
Sahara" eine Analyse der Erscheinung der Sahrauischen Nation unternommen.
Westsahara-Multimedia
"Demokratische Arabische Republik Sahara" der sechste Staat des Maghreb?
Seit dem ersten maghrebinischen Gipfeltreffen, daß im Juni des
Jahres 1988, im Anschluß an die Konferenz der Islamischen Staaten
in Algier stattfand, wird über die Perspektive einer regionalen, wirtschaftlichen
und politischen Integration des Maghreb verstärkt diskutiert.
Durch fallende Weltmarktpreise für Kohlenwasserstoffe, Phosphate
und andere Ausfuhrprodukte, den Verlust traditioneller Märkte durch
die vollzogenen Süderweiterung der EG, sowie durch einen galoppierenden
demographischen Wandel ist die gesamte Region in einem solchen Maße
in ökonomische Bedrängnis geraten, daß eine gemeinsame
Entwicklungsplanung zur Notwendigkeit wird.
Der Idee des "Grand Maghreb" hatten sich entsprechend der panarabischen
Programmatik der Befreiungsbewegungen (FLN, Istiqlal, Destour), im Prinzip
alle betroffenen Staaten seit ihrer Unabhängigkeit verpflichtet, doch
kurzsichtige, nationale Eigeninteressen standen der Integration wiederholt
im Wege. Neben der noch nicht zufriedenstellend geregelten Grenzziehung,
galt der sogenannte Westsaharakonflikt als das Haupthindernis einer Annäherung.
Im Zusammenhang mit der nicht ordnungsgemäß durchgeführten
Entkolonialisierung der ehemaligen "Spanischen Sahara" kam es im Süden
Marokkos zu einem Dauerkonflikt, in dessen Verlauf es zur Proklamation
eines neuen Staates, der "Demokratischen Arabischen Republik Sahara" kam.
Durch die vollwertige Aufnahme dieses Staates in die Organisation für
afrikanische Einheit (OAU) und die Anerkennung durch 72 Staaten 1.) der
Internationalen Gemeinschaft gelang es der DARS, die über keine umfassende
Souveränität in ihrem Territorium verfügt, zum sechsten
Staat des Maghreb zu avancieren. Fragen im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen
Komplexität und des sozio- ökonomischen Entwicklungsstandes,
dieses authentischen Beispiels von "nation building". sind bisher erst
in unzureichendem Maße beantwortet. Ihre Kenntnis erweist sich als
Politikum im noch anhaltenden Konflikt.
1.) Geographische Skizze des Gebiets von Westsahara
Als Gebiet von Westsahara wird im Folgendem das Gebiet der ehemaligen
Kolonie Spanisch Sahara betrachtet. Eine verlässliche geographische
Grundlagenerforschung des Gebiets steht noch aus.
Gliederung:
Das Gebiet von Westsahara umfaßt nach eigenen Berechnungen 264
966 Quadratkilometer 2.). Westsahara unterteilt sich in die zwei historischen
Regionen Saquiet el Hamra und Rio de Oro.
Der Nord- Osten Westsaharas (bei Mahbes) wird durch Teile der Hamada
von Tindouf geprägt, die den Charakter einer tertiärern Hochfläche
aufweist. Diese Hochfläche überlagert den südlich angegliedernden
Bereich der sich steil aufrichtenden, paläozoischen Schichtstufenlandschaft
des Reguibatsattels (bei Smara). Weite Gebiete des Landes werden vom präkambrischen
Reguibat- Sattel selbst eingenommen. Auf ihm haben sich die Sahel- Landschaften
der Hochebenen von Tiris (bei Aussert) und Yetti (bei Tifariti) entwickelt.
Im Südosten des Landes ist dieser Sattel von dem Erg Azefal überdeckt
(bei Ain Ascaf). In diesem Bereich werden bereits die nördlichsten
Schichtstufen des mauretanischen Adrar wirksam. Der westliche Küstenbereich
ist durch marine Transgressionen der Kreidezeit geprägt (bei El Aaiun),
auf denen sich kleinere Hamadas, Ergs, Regs und Sebkhen ausgebildet haben.
Der Küstenverlauf ist durch eine Vielzahl von Einbruchssebkhen geprägt
(bei Dakhla).
Klima:
Westsahara liegt während des gesamten Jahres im Bereich der Tropikluft
des Nord- Ost- Passats. Das Gebiet liegt genau im Übergangsbereich
der subtopischen Wüstenlimate mit sporadischen Winterregenereignissen,
zu den tropischen Wüstenbereichen mit sporadischen Sommerregenereignissen.
Mittleren Jahrestemperaturen Dakhlas von 19,8 Grad C stehen mittlere Jahresniederschläge
von 51 mm gegenüber. (Lieth 1964)
Ressourcen:
Westsahara verfügt in verkehrsgeographisch günstiger Lage
zum europäischen Markt, über bedeutende Mineralvorkommen. Insgesamt
wurden dort bereits 2421 Millionen Tonnen teilweise hochkonzentrierter
Ilmenite, Itaberite, Magnetite und Hämatite (Eisen) prospektiert.
(Theurkauf/Grover 1974, Esquera 1961) Den Eisenverbindungen sind bedeutende
Vanadium- und Titanverbindungen in wirtschaftlich nutzbarer Konzentration
beigelagert. (Vanadium Reserve nach eigenen Berechnungen: ca. 500 000 Tonnen)
Verschiedene Quellen erwähnen weiterhin nutzbare Reserven an Antimon
(Barbier 1982 S. 28), Gold (Klinger 1942, S.4), Kupfer, Uran, Beryl, Nickel,
Wolfram, Chrom, Platin, Korrund und Zinn (Mercer; 1976, S. 192).
Von großer Bedeutung sind die 1,6 Milliarden Tonnen Phosphoritreserven
mit einer Durchschnittskonzentration von etwa 32 Prozent P2O4 (Charbonneaux,
1974, S.470; British Sulphor Comp. 1980, S.133; u.a.)
Verschiedene Unternehmen wie die ESSO Oil Co., die GULF Oil Co., die
Tidewater Oil Co. und andere entdeckten vor der Küste sowie auch innerhalb
des Landes Oilvorkommen unterschiedlicher Qualität. (Hodges 1982,
S.127; Heatzig 1962; S.95; u.a.)
Außerdem sind bedeutende Süßwasservorkommen (Mercer
1976) im Inland sowie bedeutende Fischvorkommen vor der 1062 Kilometer
langen Küste zu nennen. Bournab (1981, S.11) nennt 190 Fisch- Arten
und einen Besatz von 10 Tonnen pro Quadratkilometer.
2.) Geschichtlicher und Sozio- kultureller Rückblick
Die derzeitig bestehende widersprüchliche politische Dimension
wird durch einen Rückblick in die Geschichte des Gebietes verständlich.
2.1.) Frühzeit und Arabisierung
Siedlungen in dem Gebiet der DARS sind bereits seit dem zweiten Jahrhundert
unserer Zeitrechnung bekannt. Ab dem achten Jahrhundert bildete sich in
der Region das Großreich der aus einer Islamischen Geheimlehre hervorgegangenen
Almoraviden, daß vom Senegal bis nach Spanien reichte und nach der
Ablösung durch die Almohaden- Dynastie (die Einheit Gottes verkündend)
bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts fortbestand. Die einzelnen Stämme
der Westsahara nahmen nur in einer mäßigen Weise an der Islamisierung
teil, so daß archaische Glaubensstrukturen in Form von Legenden bis
heute fortbestehen. Das sich im Norden bildende merinidische Reich, aus
dem der scherifische marokkanische Staat hervorging, unterhielt zwar weiterhin
Handelsbeziehungen mit den Stämmen des Südens, doch verwalteten
diese die Region in Form von freien Emiraten selbst (Mercer 1976, Mauretain
Government 1975, u.a.).
Die Stämme der Westsahara (Sanhaja) wurden durch eine im 13. Jahrhundert
einsetzende Einwanderungswelle der Makil- Hassan demographisch überprägt
und die Mischung beider Sprachen bildete den bis heute bestehenden arabische
Dialekt "Hassanya" heraus. Dieser Dialekt wird weder in Marokko (mit Ausnahme
einiger Saharastammesgebiete in Südtarafaya) noch in Algerien gesprochen.
Das Leben war geprägt durch ein einfaches Sozialsystem. Es wurden
Krieger- (ahel mdafa), Marabout- (shorfa) und Vasallen- (znaga) Stämme
unterschieden. Mit Ausnahme der Kriegerstämme gingen die anderen dem
nomadischen Ackerbau (maadir- Kulturen), der nomadischen Viehzucht, der
Oasenwirtschaft und dem Fischfang nach. Die Krieger- Stämme betrieben
den Transsahara Handel. Die Wirtschaftsweise der maadir- Kulturen ist eine
einmalige Erscheinung in der gesamten Region und wird durch physisch- geographische
Gunstfaktoren die gegenüber den Nachbarländern eine höhere
statistische Häufigkeit aufweisen, begünstigt. Tabelle 1.) gibt
Aufschluß über die Stammesstruktur.
Aus vorislamischer Zeit wurde das System der Djeema übernommen.
Ein "Rat der Vierzig" traf sich in unregelmäßigen Abständen
um Vereinbarungen über Weide- und Abgaberechte, Religion, Philosophie
und Kriegsführung zu treffen. In die Djeema wurden verdiente, männliche
Vertreter eines jeden Stammes gesandt. Sie trug den Charakter eines Ältestenrates.
2.2.) Die Kolonisation
Die Kolonisation des Gebietes der DARS begann, als im Jahre 1881 die
"Sociedad de Pesquerias Canaro- Africanas" Handels-, Rast- und Fischereiflottenstützpunkte
entlang der Küste installierte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten
unterzeichnete die Gesellschaft mit Stämmen der "Oulad Delim" Nutzungsverträge.
Durch die Aktivitäten der Gesellschaft aufmerksam geworden, beschloß
im Jahre 1884 die "Sociedad Espanola de Geografia Comercial" sowie die
"Sociedad Espanola de Africanistas y Colonistas" die militärische
Kolonisation des Gebietes zu Gunsten der Errichtung von "estaciones civilizadoras".Im
Jahre 1885 kam es zu ersten schweren militärischen Auseinandersetzungen,
in derem Verlauf die Spanier auf die Kanarischen Inseln wechseln mußten.
Durch geschicktes Taktieren mit einzelnen Stämmen gelang es dann dem
Spanier José Alvarez Perez Verträge mit den Beni ez- Zorgheen,
den Ait Moussa-ou-`ali sowie vorrübergehend mit den Oulad Bu- Sba
und Oulad Deleim abzuschließen, die erstmals die Errichtung kleinerer
Siedlungen ermöglichten (Mauretain Government 1975).
Aufgrund verschiedener Differenzen die Spanien mit der Kolonialmacht
Frankreich im Zusammenhang mit der Aufteilung der Sahara hatte, kam es
erst im Jahre 1900 zur Markierung der Ostgrenze zum "französischen
Algerien". Die Südgrenze war zuvor schon in Höhe von Cabo Blanco
festgelegt worden, da dort Großbritannien einen Handelsstützpunkt
beanspruchte. Die Nordgrenze der Kolonie wurde im Jahre 1904 in Höhe
des Wadi Draa, beim Französisch- Spanischen Abkommen von Paris festgelegt.
Erst im Februar 1958 gelang es den Spaniern in Zusammenarbeit mit der Französischen
Legion, während der sogenannten Ouragan- Offensive, den militärischen
Widerstand gegen die Kolonisation zu brechen. Bis in diese Zeit hatte die
tribalistische Gesellschaftsform unverändert fortbestanden.
2.3.) Der Wandel der Sozialstruktur
Die folgende Zeit wurde durch ein Anwachsen wirtschaftlicher Aktivitäten
bestimmt. Zu Beginn der sechziger Jahre wurden Prospektionsrechte an verschiedene
Erdölkonzerne verkauft. Bei Bu Craa wurden die für damalige Verhältnisse,
größten Phosphatlagerstätten der Welt, und im Norden bei
Bir Lehlou sowie im Süden bei Agracha bedeutende Eisen-, Titan- und
Vanadiumerzlagerstätten entdeckt. Ferner wurden Erdgas-, Uran- und
Kohlelagerstätten erkundet. Im Zusammenhang mit der Prospektion und
der beginnenden Vermarktung dieser Rohstoffe, kam es zu ersten Industrialisierungsimpulsen
in der Kolonie. So wurde im Norden das Bergbauzentrum Bu Craa installiert,
für das ein eigener Verladehafen für Massengutfrachter gebaut
wurde. Ein 110 km langes Förderbandsystem verband Bu Craa mit dem
Hafen. In Dakhla und La Guera entstanden erste Fisch verarbeitende Unternehmen
sowie kleinere Reperaturwerften. Ebenfalls in Dakhla kam es zum Ausbau
der Meersalzgewinnungsanlagen.
Die spanischen Investitionen waren von entscheidenen Einfluß
auf die sahrauische Sozialstruktur. Während die Mehrheit der Sahrauis
ihre nomadische Lebensweise beendete um in den entstehenden Siedlungen
Arbeit zu suchen, kam es gleichzeitig zu einer Zuwanderung von ca. 20 000
Spaniern in die Kolonie. Verstärkt wurde dieser demographische Wandel
durch die Politik der spanischen Kolonialverwaltung, die kein Interesse
an dem Fortbestehen nomadischer Wanderungsbewegungen hatte. Als Anhalt
für die zunehmende Verstädterung der zahlenmäßig kleinen
Bevölkerung von Westsahara mag Tabelle 2 dienen, welche die Bevölkerungsentwicklung
der vier größeren Städte El Aaiun, Smara, Guelta Zemmour
und Dakhla während der Koloniazeit darstellt.
Ermutigt durch verschiedene UNO- Resolutionen die eine EntKolonisation
der Westsahara forderten (Nr. 2428; 1968) wurde im Mai des Jahres 1973
die politische und militärische Befreiungsbewegung Frente Polisario
(Frente para la liberacion de Saquiet el Hamra y Rio de Oro) gegründet.
2.4.) Die Entwicklungen seit 1975
Geschwächt durch die militärischen Erfolge dieser Organisation
und den Tod des Generals Franco zog sich Spanien 1975 aus der Kolonie zurück.
Im "Dreiseitigen Abkommen von Madrid" übergab die spanische Regierung
die Kolonie den Nachbarländern Marokko und Mauretanien zur weiteren
Verwaltung. Dieses Abkommen steht im Widerspruch zur international geltenden
Völkerrechtspraxis und verhindert bis heute die Artikulierung des
Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung von Westsahara (Taeger 1984).
Marokko und Mauretanien gliederten die Westsahara als neue Provinzen
ihrem Staatsgebiet an, erlangten jedoch niemals die volle Souveränität
über das Gebiet. Die Frente Polisario, die seit der Zeit der spanischen
Kolonisation weite Teile des Gebietes kontrolliert setzte den Unabhängigkeitskampf
gegen die neuen Besatzungsmächte fort und proklamierte am 27. Februar
des Jahres 1976, dem Tag des Inkrafttretens des dreiseitigen Abkommens,
die DARS. Aufgrund der Verweigerung des Sahrauischen Nationalismus, sowie
sich verschärfender Kampfhandlungen, kam es zur Flucht von ca. 300
000 Sahrauis. Etwa 200 000 Sahrauis 3.) siedelten sich nahe der algerischen
Grenzstadt Tindouf, in Flüchtlingslagern, sowie in den sogenannten
"zonas libres", die von der ELPS (ejercito del pueblo sahraui) kontrolliert
werden, an. Die anderen, deren Zahl nicht genau bekannt ist, flohen zu
Verwandten nach Mauretanien, auf die Kanarischen Inseln oder nach Europa.
In Algerien wurde den Flüchtlingen von der Regierung in Algier ein
mehrere tausend Quadratkilometer großes Gelände zur autonomen
Vewaltung übergeben. Dort, sowie in den "zonas libres" entstehen derzeit,
ungeachtet der anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen, die
Strukturen des neuen Staates.
Der fortschreitenden Konsolidierung dieses Geburtsprozesses einer sechsten
maghrebinischen Nation, trug im November des Jahres 1984 das 20. OAU- Gipfeltreffen
Rechnung, indem es die DARS in diesen Staatenbund als vollwertigen Partner
aufgenahm. Zuvor hatte die einstige Besatzungsmacht Mauretanien sich aus
der Westsahara zurückgezogen und diese diplomatisch anerkannt. Marokko
kontrolliert derzeit immer noch mit wechselnden Erfolg ca. 60 Prozent der
Landesfläche und versucht durch Investitionen und Umsiedlungsaktionen
eine Marokkanisierung voranzutreiben.
3.) "nation Building" im Maghreb - Die Sahrauische Nation
Über das Auftreten eines Sahrauischen Nationalismus berichtete
erstmals die UNO- Untersuchungskommission die im Mai des Jahres 1975 das
Land bereiste und feststellte, daß der Nationalismus der Frente Polisario
die vorherrschende politische Kraft darstelle. Dieser dokumentierte sich
außerdem durch die Massenflucht der Mehrheit der Sahrauis in die
von der Frente Polisario verwalteten Gebiete.
Die Sahrauis unterscheiden sich in ihrer Kultur in vielerlei Hinsicht
von denen der Nachbarländer.
3.1) Merkmale und Wesen der Sahrauischen Nation
Merkmale und Wesen von Nationen werden durch Elemente wie Sprache, Religion,
Sozialstruktur und -verhalten bestimmt. Im Folgendem wird eine kurze Ansprache
dieser Faktoren erfolgen.
3.1.1.) Art und Verbreitung der Sprachen
Der arabische Dialekt des "hassanja" wird weder in Marokko (mit Ausnahme
einiger Einwohner in Südtarafaya) noch in Algerien gesprochen. Allerdings
wird er aufgrund der gemeinsamen Geschichte auch in den maurischen Gebieten
der Islamischen Republik Mauretanien verstanden.
Aufgrund der spanisch sprechenden Kolonialverwaltung, konnte sich das
Spanische als zweite Amts- und Unterrichtssprache der Westsahara bis heute
behaupten. Zwar vermögen noch einige ältere Marokkaner, aus dem
ehemals spanischen Ifni, diese Sprache zu verstehen, doch gerät sie
dort zunehmend in Vergessenheit. In Mauretanien wird als zweite Amtssprache
dagegen nur Französisch gelehrt.
Das Kriterium Sprache weist somit die Qualität eines Unterscheidungsmerkmals
der Sahrauischen- gegenüber den Nachbar- Nationen auf.
3.1.2.) Die Religion
Die Mehrheit der Sahrauis bekennt sich nach wie vor zum sunnitischen
Islam. Aufgrund der relativen Unabhängigkeit der Stämme im Verlaufe
der Islam- und der Arabisierung der Region, ist jedoch eine besonders freie
Interpretation der religiösen Rechtsordnung zu beobachten, die in
dieser Form in den Nachbarländern undenkbar ist. Bis heute haben archaische,
vorislamische Riten und Handlungen Bestand. So unterscheidet sich die Volksmusik
grundlegend in der Art der Tonfolge von der der typischen "orientalischen
Musik" der anderen arabischen Staaten. Auch die Gruppen- Tänze, bei
denen die Frau dominiert, zeugen vom eigenen Stil.
Von Bedeutung sind eigene islamische Bruderschaften, die zur Herausprägung
von Besonderheiten beitragen. Die westsaharische Stadt Smara war vor der
Entdeckung und Zerstörung durch die französisch- spanischen Truppen
(1913/1934) religiöses und politisches Zentrum der Region und Sitz
einer bedeutenden Islamischen Universität und Bibliothek. Smara gilt
für die Sahrauis als vierte heilige Stadt des Islam. (Interview mit
dem Bezirksrichter für Islamisches Recht des Wilaya Dakhla, Abdelkader
Habelti, 6/1988)
3.1.3.) Die Rolle der Frau
Die besondere sahrauische Auslegung des Koran ermöglicht den Frauen
ein ungewöhnliches Maß an Unabhängigkeit, daß durch
den aufklärerischen Charakter der Polisario- Ideologie noch erweitert
wird.
Im Gegensatz zu den Nachbarvölkern Marokkos und Algeriens, ist
das Tragen eines Schleiers außerhalb der Wohnung unüblich. Polygame
Ehen wurden nicht verboten, jedoch nicht praktiziert.
Derzeit liegt fast die gesamte Zivilverwaltung des Sahrauischen Staates
in der Hand von Frauen. Auch hohe politische Ämter werden von Frauen
wahrgenommen. So wurde eine Frau zur Wali des Wilaya Smara gewählt
(vergleichbar der Funktion eines Ministerpräsidenten eines Bundeslandes).
3.1.4.) Die Sahrauische Sozialstruktur
Die Kenntnis des sozio- ökonomischen Entwicklungsstandes und der
gesellschaftlichen Komplexität stellt einen wichtigen Indikator der
Reifung zur Nation dar. Auf der einen Seite lassen sich hierdurch Abgrenzungen
und Vergleiche zu Nachbarnationen vornehmen, andererseits die Qualität
und die Perspektive konkurrierender Nationalismen zueinander beurteilen.
Der Sahrauische Nationalismus steht ja in dierektem Widerspruch zum marokkanischen
Nationalismus, der von einer "Marokkanität" der Westsahara und auch
Mauretaniens ausgeht4.).
Es bereitet große Schwierigkeiten, fundierte Aussagen über
die Sahrauische Sozialstruktur zu treffen. Hilfreich sind Analysen aus
der spanischen Statistik bis zum Jahre 1974. Auch Informationen von humanitären
Hilfsorganisationen und der FAO welche die Versorgung der Flüchtlingslager
sicherstellen erweisen sich als nützlich. Recherchen vor Ort ermöglicht
eine Abrundung des Bildes.
Entsprechend Abbildung Nr. 3 ergibt sich für 1974 ein Anteil von
45,2 Prozent für Beschäftigte des primären Sektors, von
34 Prozent für die des sekundären Sektors, sowie von 20 Prozent
für die des tertiären Sektor. Der für die Region niedrige
Anteil des primären Sektors unterscheidet Westsahara deutlich von
seinen Nachbarländern, wo der Anteil im primären Sektor 1982,
in Marokko immerhin noch 52 Prozent, in Algerien 51 Prozent und in Mauretanien
gar 83 Prozent beträgt (Statistiken des Auslandes Alg.1982, Mar. 1982,
Mau. 1983)
Gegenüber 1974 hat sich die Situation leicht verändert. Zwar
lassen sich die Verhältnisse nicht mit dere heutigen Situation, die
durch das Leben im Exil beziehungsweise das Leben in Kriegsgebieten geprägt
ist, vergleichen, doch ist aus der Verwaltungsstruktur der Flüchtlingslager
heraus, ein Trend zu erkennen, der einen weiteren Strukturwandel innerhalb
der Sahrauischen Nation erkennen läßt. Entsprechend den besonderen
Bedingungen sind alle Sahrauis in sogenannten Produktionskommitees beschäftigt.
Stichprobenbefragungen die ausschließlich in drei der sieben Flüchtlingslager
des Wilayas Dakhla durchgeführt wurden, ergaben, daß ca. ein
Drittel der Arbeitsfähigen im Produktionskommitee beschäftigt
sind. Dieses ist für die Handwerksproduktion und die Instandsetzung
technischer Geräte, aber auch für den Gartenbau und die Viehproduktion
zuständig. Im landwirtschaftlichen Bereich wird derzeit auf etwa 100
Hektarn Land intensiver Gemüseanbau betrieben. Eine Hühnerfarm
mit derzeit 75000 Hühnern liefert täglich etwa 25 000 Eier.
Ein weiteres Drittel der Beschäftigten war im Gesundheitkommitee
beschäftigt und arbeitet für Aspekte der Lagerhygiene, Wasseraufbereitung
sowie der mobilen wie auch stadtionären Gesundheitsversorgung.
Das letzte Drittel der Beschäftigten ist im sogenannten Bildungs
und Erziehungskommitee beschäftigt und betreut Kindergärten,
Schulen, Berufsschulen und Erwachsenenbildungsstätten. Es ist auch
zuständig für jährlich durchgeführte Alphabetisierungskampagnen.
Etwa 10 Prozent der Einwohner nehmen aufgrund zu hohen Alters und chronischer
Krankheiten nicht am Arbeitsprozess teil (Auskunft des Daira Bürgermeisters
Brahim Mohamed El Harsi des Dairas Ain l'Beidas, 5/1988).
Die einzelnen Flüchtlingslager sind durch ein Verkehrssystem (Busse)
miteinander verbunden, so daß es zu Pendlerbewegungen nach verschiedenen
Produktionsstätten kommt.
Der Sektor der Viehzucht ist innerhalb der Flüchtlingslager vom
Produktionssektor teilweise getrennt, da er auch auf privatwirtschaftlicher
Basis produziert. Die Aufzucht von hauptsächlich Ziegen, aber auch
Schafen und Eseln ist Angelegenheit der einzelnen Familien. Ein Währungssystem
gibt es nicht.
3.2.) Demokratische Arabische Republik Sahara
Verfassung:
Die Verfassung der DARS trat am 28. 2. 1976, einem Tag nach der Proklamation
der Republik in Kraft.
Insgesamt 31 Artikel bestimmen die DARS zum republkanischen, demokratischen
System. Der Islam wird bei gleichzeitiger Verwirklichung des Sozialismus
zur Staatsreligion bestimmt. Ferner werden Rechte und Pflichten der Bürger,
Aufbau und Funktion eines Nationalrates sowie Fragen im Zusammenhang mit
Justiz und Verwaltung bestimmt. Die DARS verfügt über eine eigene
Flagge und über eine eigene Nationalhymne.
Regierung:
Der Staat wird von einem Präsidenten der zusammen mit 13 Ministern
die Regierung bildet, regiert. Ein sogenannter Nationalrat, der aus 41
Mitgliedern besteht, dient als Diskussions- und Meinungsbildungsforum zur
Bestimmung der Politik. 21 Mitglieder der Nationalversammlung werden direkt
als Vertreter der Einzelflüchtlingslager gewählt, 20 Mitglieder
werden vom Politbüro der Frente Polisario bestimmt. Der Staatspräsident
sowie 7 Minister die gleichzeitig ein sogenanntes Exekutivkomitee bilden,
werden alle vier Jahre von einem sogenannten Allgemeinen Volkskongreß
gewählt. Derzeit sind ein Innenministerium, ein Ministerium für
auswärtige Angelegenheiten, ein Verteidigungsministerium, ein Versorgungsministerium,
ein Gesundheitsministerium, ein Bildungsministerium, ein Justizministerium
sowie ein Handelsministerium tätig.
Verwaltungsaufbau:
Verwaltungsmäßig ist die DARS in vier Wilayas unterteilt.
Die Wilayas sind nach den "Landeshauptstädten" El Aaiun, Smara, Dakhla
und Aussert benannt worden. Die Verwaltung der Wilayas beschränkt
sich hauptsächlich auf die Gebiete der Flüchtlingslager bei Tindouf
in Algerien, aber auch auf die etwa 40 Prozent Landesfläche die von
der ELPS kontrolliert werden.
Jedem Wilaya sind sechs, dem Wilaya Dakhla sieben Dairas (Kreise) untergeordnet.
(siehe Abb. 4) Einzelne Dairas sind in je vier Quarter unterteilt, bilden
aber siedlungsmäßig eine Einheit.
Aus allen Flüchtlingslagern konnte in den letzten Jahren insgesamt
ein Bevölkerungsanteil von knapp 12000 Zivilisten (mit militärischer
Grundausbildung) rückwandern. Die in den Flüchtlingslagern verbliebenen
Sahrauis werden auf eine Zahl von etwa 160000 Flüchtlinge geschätzt
(Senator f. Wirtschaft, Technologie und Außenhandel von Bremen)
Judikative:
In jedem Daira gibt es einen örtlichen Richter. Diese Richter
wählen aus ihren Reihen die Mitglieder eines Landesgerichtes auf Wilaya-
Ebene. Auf nationaler Ebene wird ein Justizministerium tätig daß
aus den vier stellvertretenden Landesrichtern und einem Delegierten des
Justizministeriums besteht. Die Charia findet begrenzte Anwendung, doch
wird auf nationaler Ebene klar zwischen Zivil- und Strafrecht unterschieden
und die Verantwortung liegt beim Justizministerium, daß die Gesetze
erläßt. Die Todesstrafe wird nicht praktiziert. (Auskunft des
Wilaya- Richters Abdelkader Habelti; Wilaya Dakhla, Mai 1988)
Die Armee:
Die ELPS (Ejercito del pueblo Sahrauie) hält mindestens 10 000
Personen unter Waffen. Sie operiert einerseits in der Strategie des Guerilliakrieges,
andererseits auch in der Dimension von offenen Feldschlachten (Hempstone
1982,S. 67). (Schlacht von Amgala) Die klare Struktur wird geheim gehalten.
Der Hauptteil operiert in motorisierten Verbänden (Geländewagen).
Kleinere Einheiten operieren als Kamel- Reiter Corps sowie als "Marine"
(bewaffnete Zodiac- Schlauchbooteinheiten) . Die ELPS verfügt über
moderne Waffen. Sie verwendet sowohl Systeme des westlichen, wie auch des
östlichen Machtbereichs. Rechnergestützte Raketensysteme (Milan,
Dragon, Sam 6/7) schränken die marokkanische Luftüberlegenheit
ein. Die ELPS verfügt über eigene Panzer- Verbände (M48,
Kurassier, T54, Ratel u.a.) sowie über schwere Artillerie.
Die ELPS garantiert seit 12 Jahren eine eingeschränkte Souveränität
von mindestens 40 Prozent Landesfläche von Westsahara. Da auch jenseits
eines marokkanischen Verteidigungswalls operiert wird, ist die Infrastruktur
der marokkanisch verwalteten Gebiete, trotz erheblicher Wirtschaftsaktivitäten
durch eine Kriegswirtschaft bestimmt.
3.2.1.) Das Ausbildungswesen
Im Bereich des Bildungswesens wurden in den letzten Jahren große
Anstrengungen unternommen, die erste Erfolge zeigen. In der Region der
Flüchtlingslagern ist es gelungen ein Bildungssystem aufzubauen, daß
es jedem schulpflichtigen Sahraui ermöglicht, eine durchgängige
Ausbildung vom Kindergarten, über die Vor- und Grundschule, über
weiterführende Schulen, bis hin zur Berufsschule zu erhalten. Unterrichtet
wird nach den internationalen Unesco- Richtlinien. Die Möglichkeit
das Abitur abzuschließen, sowie ein Studium aufzunehmen besteht für
die meißten Sahrauis jedoch nicht, da nur eine begrenzte Zahl an
Stipendien für Auslandsstudien zur Verfügung steht. Stipendienangebote
erhalten die Sahrauis vor allem aus Algerien, Kuba, Panama sowie aus der
Bundesrepublik Deutschland und Österreich.
Für die Erwachsenenbildung werden jährliche Alphabetisierungskampagnen
durchgeführt. Nach Angaben der Frente Polisario gelang es die Analphabetenrate
in den Flüchtlingslagern auf etwa 20 Prozent zu senken. Sie bezieht
sich auf die Fähigkeit der Arabischen Sprache in Wort und Schrift
mächtig zu sein. Die Spanische Sprache wurde inzwischen zur zweiten
Amtssprache degradiert und sie wird nur noch in den höheren Klassen
der Sekundarstufe unterrichtet. Tabelle 5. zeigt daß die Sahrauische
Alphabetenrate im Vergleich mit den Nachbarländern deutlich höher
liegt.
Eine Untersuchung über die Struktur des Bildungswesens in den
Monaten Mai/Juni 1988 ergab, das es in jedem Daira- Quarter (ein Daira
besteht aus vier Blocks) eine Koranschule gibt, die von Kindern ab dem
vierten bis sechsten Lebensjahr besucht werden. Die Koranschulen haben
Vorschulcharakter. Dort wird nicht nur Religionsunterricht gelehrt, sondern
auch die Anfänge des Lesens und des Schreibens der arabischen Sprache.
In den Koranschulen werden Kinder außerdem mit Zusatznahrung versorgt.
Insgesamt gibt es genau 100 solcher "Einklassen- Schulen". Die Zahl der
Grundschulen, die teilweise Internatscharakter haben, ist deutlich geringer.
Es gibt vier Grundschulen auf Wilaya- Ebene, sowie eine überregionale
Grundschule die auch von vielen Schülern aus den "zonas libres" (ELPS-
kontrollierte Gebiete) besucht werden. Die Grundschulen werden von ca.
je 2000 Schülern besucht. Die Klassenstärke beträgt etwa
vierzig Schüler. Aufgrund akuten Raummangels wird in Vormittags- und
Nachmittagsschichten unterrichtet. Auch in den Grundschulen wurde eine
Schulspeisung eingeführt.
Von den weiterführenden Schulen gibt es bisher zwei Internatsschulen
die von insgesamt etwa 3000 Schülern pro Jahr besucht werden.
Das bisher einzige Berufsschulzentrum, das mit einer weiterführenden
Schule, einer Behinderten- Schule sowie einem Produktionszentrum kombiniert
ist, nimmt pro Jahr etwa 200 Gesellenprüfungen ab. Zu den Ausbildungsberufen
gehören das Elektrohandwerk, die Textilarbeit, das Maurerhandwerk,
die KFZ- Mechanik, der Verwaltungsbereich und das Schreinerhandwerk. In
diesem Ausbildungszentrum, daß den Namen 12. Oktober trägt,
leben derzeit 2780 Sahrauis. Alle Gebäude sind aus festen Stein gebaut,
es gibt eigene Gartenanlagen in der Größenordnung von etwa vier
Hektar und ein Kanalisationssystem. In verschiedenen Bereichen wird auch
produziert (Textilien, Zelte, Lebensmittel, Kfz- Instandsetzung). Die Elektrizitätsversorgung
erfolgt über ein zentrales Versorgungssystem (Dieselaggregat). Im
gewissen Sinne kann in diesem Zusammenhang, von einer neuen, planmäßig
erstellten, saharischen Stadt gesprochen werden.
3.2.2.) Das Kommunikationswesen
Der Nationalsender, "Radio Sahara Libre" sendet durchgängig den
ganzen Tag in Hassanja und Spanisch auf der Frequenz von 1355 KHZ. Der
Sender ist im gesamten Maghreb klar und deutlich zu empfangen. Zwar verfügt
nach eigenen Beobachtungen, fast jede Familie über ein eigenes Transistorradio,
doch herrscht ein akuter Mangel an Batterien.
Die wichtigste regelmäßig erscheinende Zeitung ist die wöchentlich
erscheinende "Sahara libre" (Auflage unbekannt) die in arabischer, spanischer
und französischer Sprache verlegt wird. Der Jugendverband, die Frauenunion
und der Sahrauische Gewerkschaftsbund geben sporadisch Verbandszeitschriften
heraus, deren Auflage dann bei etwa je 8000 Exemplaren liegt.
3.3.) Schlussfolgerungen
Eine zusammenfassende Bewertung zeigt, daß der sozioökonomische
Entwicklungsgrad der sahrauischen Gesellschaft sich deutlich von dem der
Nachbarländer unterscheidet. Er hat mit Sicherheit jenen Grad an Komplexität
erreicht, der den Begriff der "Sahrauischen Nation" rechtfertigt. Wenngleich
die Dimensionen aufgrund der Kriegsbedingungen derzeit nicht exakt bestimmbar
sind, läßt sich doch schon auf der Grundlage des verfügbaren
Statistikmaterials feststellen, daß die Sahrauische Gesellschaft
von Strukturen geprägt ist, die die Abkehr von einer Agrargesellschaft
implizieren. Die geringe Analphabetenrate und das hohe Ausbildungsniveau
der Bevölkerung zeigen, daß es sich bei der "Sahrauischen Nation"
um eine kleine, aber entwickelte Nation handelt, die bereit und in
der Lage ist, ihre Souveränität zu behaupten.
4.) Die Frage der Konfliktdimension
Das Phänomen des Westsaharakonfliktes, bei dem es sich ja ursprünglich
um ein Problem der Entkolonialisierung handelte, hat sich inzwischen zu
einem Problem der Konfrontation zweier verschiedener Nationalismen gewandelt.
Während es dem Sahrauischen Nationalisten gelungen ist, seit 1976
beachtliche Leistungen im Bereich des Aufbaus eines staatsähnlichen
Verwaltungssystems zu erlangen, ist auf der militärischen Seite ein
eindeutiges Patt eingetreten. Als sich die Schlagkraft der marokkanischen
Armee in dem ungewohnten Terrain von Westsahara gebrochen hatte, begannen
die derzeit etwa 180 000 Soldaten (Bremer Senator f. Wirtschaft, Technologie
u. Außenhandel, 1987) einen etwa 2500 Kilometer langen Verteidigungswall
zu bauen, der sie vor Angriffen der etwa 10000 Mann starken ELPS
schützen soll, die vereinzelt jedoch auch jen-seits des Walls und
in Südmarokko selbst operiert.
Während die OAU bereits, wie zudem 72 Staaten der internationalen
Gemeinschaft, von der Eigenstaatlichkeit der Westsahara ausgehet, wird
die Konfliktdimension seitens der UNO noch als Entkolonialisierungssache
behandelt. Entsprechend der UNO- Resolution 42/78 die jedoch das Selbstbestimmungs-recht
der Sahrauis eindeutig fest-schreibt und Marokko zu direkten Verhand-lungen
mit der Frente Po-lisario auffordert, scheint ein Ende des Konflikts derzeit
allein am Verhandlungstisch stattfinden zu können. Verhandlungsgegenstand
wären dabei Form und Umfang eines, unter UN- Kontrolle durchge-führten
Referendums der Sahrauis, daß zu Gunsten einer Eigenstaatlichkeit
bezw. eines Anschlußes an das marokkanische Königreich entscheiden
würde. An einem Ausgang dieser Abstimmung zu Gunsten des Sahrauischen
Nationalismus kann indessen nicht gezweifelt wer-den. (Bericht der UNO-
Komission 1975; S. 65)
Im Zu-sammenhang mit den Entwicklungen hin zu einer Maghrebinischen
In-tegration eröffnen sich den Konfliktparteien neue Dimensionen zur
Kompromißbildung.
Zwar steht die Souveränität der DARS laut einem Interwiew
(durchgeführt vom Autor bei Tindouf am 4. Juni 1988) mit dem Premierminister
der DARS, Mohamed Lamine Ahmed, nicht zur Diskussion, doch scheint es denkbar
daß in einer zukünftigen freien Republik Westsahara, marokkanische
Kapitalbeteiligungen und abgeschlossene zivile Migrationen toleriert werden.
Somit wird versucht, Marokko entgegen zu kommen um ihm einen Teil seiner
Investitionen zu vergüten.
Nach der Beendigung des Konflikts würde Marokko seine selbstgewählte
Isolation auf dem afrikanischen Kontinent durchbrechen und lange überfällige,
überregionale Wirtschaftsprojekte könnten realisiert werden.
Dazu gehört der Ausbau des Transsaharastraßensystems, die Erweiterung
des Schienennetzes von Zouerate (Mauretanien) nach Agracha (Erzlager der
DARS), der Bau der Gleise von Casablanca (Marokko) nach El Aaiun (DARS)
sowie die Installation des Schienensystems von der algerischen Erzregion
Gara Djebilit zu einem noch zu installierenden Hafen nördlich
von Tan Tan (Marokko).
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ders.: "Versuch einer Bestandsaufnahme der Agrarsituation in der Demokratischen
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© c.m.brenneisen 1991
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