Synthese neuer Pyridazino[4,5-b]carbazole als potentielle Antitumor-Wirkstoffe
Norbert Haider, Rami Jbara und Forouzandeh Khadami
Institut für Pharmazeutische Chemie, Universität Wien
Althanstraße 14, A-1090 Wien
nhaider@merian.pch.univie.ac.at
Jbara@speedy.pch.univie.ac.at
Einleitung
Seit der Entdeckung der antineoplastischen Eigenschaften des Alkaloids Ellipticin (5,11-Dimethyl-6H-pyrido[4,3-b]carbazol) haben tetracyclische Verbindungen des Pyridocarbazol-Typs beträchtliches Interesse gefunden.1,2 Zwecks Optimierung der Eigenschaften dieses Wirkstofftyps (wie z.B. Verbesserung der Wasserlöslichkeit, Verringerung der kardiovaskulären Nebenwirkungen) wurden bisher von zahlreichen Arbeitsgruppen verschiedenste Analoga hergestellt und getestet. Dabei wurde u.a. gefunden, daß neben der Quaternisierung des Pyridin-Stickstoffatoms wie im Fall von 9-Hydroxy-2-methylellipticiniumacetat (Elliptinium)3 auch die Einführung einer basischen Seitenkette in Position 1 des Tetracyclus zur erwünschten Löslichkeitsverbesserung führen kann sowie die Affinität des Moleküls zum Phosphat-Rückgrat der DNA signifikant erhöht4. Typische Vertreter dieses letzteren Typs von Ellipticin-Analoga sind die Wirkstoffe Retelliptin4 und Pazelliptin5,6.
Neben dem bereits 1979 beschriebenen 6,11-Dimethyl-5H-pyrido[3',4':4,5]pyrrolo[2,3-g]isochinolin ("9-Azaellipticin")7 und seinem hochwirksamen Derivat Pazelliptin5,6 kann auch eine Reihe von Vertretern des Pyridazino[4,5-b]carbazol-Systems, welche von Landelle et al.8 hergestellt worden waren, als aza-analoge Ellipticine betrachtet werden. Jedoch hatten sich letztere 3-Azaellipticine, welche in den Positionen 1 und 4 mit Alkoxygruppen substituiert sind, im in-vivo-Screening als praktisch inaktiv erwiesen, was von den Autoren auf die äußerst geringe Löslichkeit dieser Verbindungen zurückgeführt wurde8. Im Rahmen unserer Untersuchungen zur Synthese und biologischen Aktivität von anellierten Pyridazinen erschien uns nun eine eingehendere Befassung mit dem Pyridazino[4,5-b]carbazol-System als Grundkörper potentieller Antineoplastica als durchaus lohnenswert. In Fortsetzung unserer bereits früher präsentierten ersten Untersuchungen auf diesem Gebiet9 berichten wir hier über die Darstellung einer Reihe neuer 3-Azaellipticine, die verschiedene Strukturmerkmale der oben gezeigten Arzneistoffe in sich vereinen.
Ergebnisse und Diskussion
Zur Darstellung von Verbindungen mit einem 9-Methoxy-Substituenten (ein, wie das Beispiel Retelliptin zeigt, in pharmakologischer Hinsicht durchaus interessantes Strukturmerkmal) orientierten wir uns zunächst an dem bekannten Syntheseweg zu 9-unsubstituierten 1,4-Dichlorpyridazino[4,5-b]carbazolen8-11. Ausgehend von 5-Methoxy-3-indolylessigsäure wird so das Zwischenprodukt 5 in 31% Gesamtausbeute erhalten. Wie zu erwarten, erweist sich dabei die elektronenspendende Methoxygruppe des anellierten Pyrons als vorteilhaft bei der Diels-Alder-Reaktion mit Dimethylacetylendicarboxylat (DMAD). Die Cyclisierung des resultierenden Carbazoldiesters 3 mit Hydrazin gelingt problemlos, ebenso wie die Überführung des Dions 4 in das Dichlorpyridazin 5 mittels Phosphoroxychlorid/N,N-Diethylanilin (die Verwendung von Diethylanilin anstelle von Pyridin als Hilfsbase hat sich bereits früher bewährt9).
Schema 1
Erhitzen von 5 mit überschüssigem N,N-Diethyl-1,3-propandiamin in trockenem Dioxan bis zur vollständigen Umsetzung (DC-Kontrolle) liefert ein Gemisch der beiden isomeren Monosubstitutionsprodukte 6 und 7 im Verhältnis von ca. 2 : 3, die säulenchromatographisch getrennt werden können. Zur reduktiven Entfernung der verbleibenden Chlorfunktion in 6 und 7 erwies sich die katalytische Transferhydrierung in siedendem Methanol unter Verwendung von Ammoniumformiat und Palladium/Kohle als Methode der Wahl. Die Strukturzuordnungen für die solcherart erhaltenen potentiellen Antineoplastica 8 und 9 basieren auf NOE-Differenz-Experimenten, bei denen die Resonanzlinien von H-11, CH3-5 bzw. der Seitenketten-NH-Funktion als Einstrahlpunkte benutzt wurden.
Schema 2
Obwohl Position 1 in einer Verbindung des Typs 5 sterisch weniger gehindert ist als Position 4, findet der Angriff des Amins bevorzugt an letzterem Kohlenstoffatom statt, was wohl auf elektronische Gründe zurückzuführen ist. Dieser Effekt wird noch deutlicher, wenn ein Dichlorpyridazin dieses Typs (hier: Verbindung 108) mit einem sehr kleinen Nucleophil wie Wasser zur Reaktion gebracht wird. So liefert Erhitzen von 10 in DMSO/H2O fast ausschließlich das anellierte 1-Chlor-4(3H)-pyridazinon 11, dessen Struktur durch nachfolgende reduktive Enthalogenierung zum Pyridazinon 12 gesichert wurde: NOE-Experimente an 12 zeigen eindeutig die räumliche Nähe von H-11 und dem Pyridazin-H-Atom in Position 1.
Schema 3
Behandlung des Dichlorpyridazins 10 mit überschüssigem N,N-Diethyl-1,3-propandiamin unter drastischeren Bedingungen (Erhitzen ohne Lösungsmittel auf 150°C), als sie für die Umwandlung 5 -> 6, 7 angewandt wurden, liefert in mäßiger Ausbeute die 1,4-disubstituierte Verbindung 13, welche ebenfalls als potentieller Antitumor-Wirkstoff von Interesse ist. Andererseits schlug zunächst der Versuch fehl, beide Chlorsubstituenten in 10 durch katalytische Transferhydrierung in siedendem Methanol (wie bereits zur Darstellung von 8, 9 und 12 erfolgreich angewandt) reduktiv zu entfernen. Es zeigte sich, daß unter diesen Bedingungen die Hydrolyse bzw. Solvolyse des schwerlöslichen Eduktes 10 wesentlich rascher abläuft als der Reduktionsschritt. Jedoch gelang es schließlich, durch Reaktionsführung der Transferhydrierung in einem aprotischen Lösungsmittel (DMF) sowie unter sorgfältiger Einhaltung einer Reaktionstemperatur von 75°C, Verbindung 10 in 5-Methyl-6H-pyridazino[4,5-b]carbazol (14) überzuführen, welches als "3-Aza-11-norellipticin" ein strukturell mit dem Naturstoff eng verwandtes neues Ellipticin-Analogon darstellt.
In Anbetracht der verbesserten biologischen Aktivität von quaternisierten Ellipticin-Derivaten wie z.B. Elliptinium3 sollte in der Folge auch das Reaktionsverhalten von 14 gegenüber einem Alkylierungsmittel wie Methyliodid untersucht werden. Dabei zeigte sich, daß das bei der Reaktion mit CH3I in DMF als oranger Niederschlag ausfallende Hauptprodukt (ca. 60% Ausbeute) interessanterweise die 3,5-Dimethylverbindung 15 ist, während die isomere 2,5-Dimethylverbindung nur in geringerem Ausmaß gebildet wird (letztere Verbindung konnte nicht in reiner Form isoliert werden). Die Position der N-Methyl-Gruppe in 15 ergibt sich zweifelsfrei aus den nachstehend abgebildeten NOE-Differenzspektren.
Abb. 1: 300 MHz 1H-NMR-Spektrum (oben) und NOE-Differenzspektren von 15 (d6-DMSO, 28°C); Resonanzen von CH3-5 (3.09 ppm; Mitte) und CH3-3 (4.61 ppm; unten) als Einstrahlpunkte.
Ein erstes in-vitro-Screening auf Antitumor-Eigenschaften der Verbindungen 8 und 9 am National Cancer Institute (USA) zeigte eine bemerkenswerte Aktivität des 1-substituierten Pyridazins 8 gegenüber verschiedenen Leukämie-, Melanom- und Brustkrebs-Zellinien, wogegen sich das 4-substituierte Isomer 9 als deutlich weniger aktiv erwies. Genauere Untersuchungen hinsichtlich der antineoplastischen Aktivität der neuen Verbindungen sind geplant.
Literatur
- G. W. Gribble in 'The Alkaloids', Vol. 39, Ed. A. Brossi, Academic Press, New York, 1990, S. 239.
- M. Ohashi und T. Oki, Exp. Opin. Ther. Patents, 1996, 6, 1285.
- P. Juret, A. Tanguy, A. Girard, J. Y. LeTalaer, J. S. Abbatucci, N. Dat-Xuong, J. B. Le Pecq und C. Paoletti, Eur. J. Cancer, 1978, 14, 205.
- C. Ducrocq, F. Wendling, M. Tourbez-Perrin, C. Rivalle, P. Tambourin, F. Pochon, E. Bisagni und J.-C. Chermann, J. Med. Chem., 1980, 23, 1212.
- C. Ducrocq, E. Bisagni, C. Rivalle und J.-M. Lhoste, J. Chem. Soc., Perkin Trans. 1, 1979, 142.
- M. J. Vilarem, J. Y. Charcosset, F. Primaux, M. P. Gras, F. Calvo und C. J. Larsen, Cancer Res., 1985, 45, 3906.
- C. Rivalle, C. Ducrocq und E. Bisagni, J. Chem. Soc., Perkin Trans. 1, 1979, 138.
- H. Landelle, D. LaDuree, M. Cugnon de Sevricourt und M. Robba, Chem. Pharm. Bull., 1989, 37, 2679.
- N. Haider und R. Wanko, 12. Wiss. Tagung der ÖPhG, Innsbruck, Okt. 1995; Abstract: Sci. Pharm., 63, 293 (1995).
- H. Plieninger, W. Müller und K. Weinerth, Chem. Ber., 1964, 97, 667.
- C. J. Moody, J. Chem. Soc., Perkin Trans. 1, 1985, 2505.
ZurückRami Jbara
Lezte Änderung am 08.08.98 16:29:29