Site hosted by Angelfire.com: Build your free website today!
DIE HARALD-SCHMIDT-SHOW-QUALITÄTSPRÜFUNG

Ein Tusch gegen die Angst



Der Musiker Helmut Zerlett braucht den Beifall bei Harald Schmidt – auch wenn er Herrn Andrack Platz machen musste


So viele Dinge sieht man erst auf den zweiten oder dritten Blick. Da drüben zum Beispiel, der kleine Mann an der Orgel, im roten Cord- Anzug und mit den weißen Turnschuhen, er sieht aus wie ein liebenswerter Clown. Wie er lacht, den Kopf weit zurückgeworfen. Wie er seine Band anzählt. Eins! Zwei! Drei! Wie er spielt, Hound Dog von Elvis, wie er in die Tasten haut. Sehen sie? Was sehen sie? Einen alten Bekannten aus dem Fernsehen. Schütteres blondiertes Haar, schlappe Backen. Aber Mann – ist der gut drauf! So ist Helmut Zerlett. Seit sieben Jahren der Li-La-Late-Night-Laune- Bär der Harald-Schmidt-Show, immer mit dem passenden Tusch in petto, immer grinsend, wenn Schmidt einen Witz reißt. Nie spielt er was Trauriges, nie eine Ballade. 200 Tage im Jahr macht die Helmut-Zerlett-Band „Musik mit Druck“, wie er sagt: Sex Pistols, Jimi Hendrix, Ramones. Immer nur 20 Sekunden, manchmal eine Minute, bis zum nächsten Werbeblock, zum nächsten Witz, zum nächsten Talk-Gast...der füllige Bass, die kräftigen Bläsersätze, das Schlagzeug...dann die Handbewegung von Meister Schmidt, der rechte Arm, schnell nach unten, zur Seite – dann: Zack! Schluss!

Zack! Schluss! Dieser Zerlett, ist der zufrieden? Ja, klar. Er trägt Klamotten von Joop, hat ein schickes Haus, fährt Porsche 911. Was soll sein?

Früher saß Harald Schmidt an seinem Schreibtisch, machte einen Witz und schaute nach rechts. Nach rechts zu Zerlett, der hinter seiner Orgel saß und immer ein bisschen herum stotterte, wenn er was sagen sollte. Heute sitzt Schmidt an seinem Schreibtisch, macht einen Witz und schaut nach links. Da sitzt Manuel Andrack – und der stottert nie.

„Ich war nicht dazu geeignet, der Sidekick von Schmidt zu sein“, erklärt der reduzierte Zerlett: „Ich konnte das nicht. Ich bin Musiker, ich kann problemlos mit Westernhagen vor 70000 Zuschauern spielen. Aber ich war nie ein blümeranter Sprecher vor der Kamera.“

Der Sidekick von Batman heißt Robin. Der Sidekick von Rudi Völler heißt Michael Skibbe. Die Late-Night-Legende David Letterman hat Paul Shaffer, einen kleinen, lustigen Musiker mit wenig Haaren. Jeder Superheld hat halt seinen schlauen Helfer. Nur Harald Schmidt hatte lange Zeit keinen. Jörg Grabosch, sein früherer Produzent, dachte, Helmut Zerlett könnte der Richtige sein. Klar, zu Anfang sah ja in der Harald-Schmidt-Show alles aus wie bei Letterman auf CBS: die Kulisse, die Kaffeetasse, der rote Boden. Also warum nicht auch einen Musiker: klein, lustig, mit wenig Haaren.

Er hat alle Drogen probiert...

Helmut Zerlett weiß bis heute nicht, ob er seinen Job bekommen hat, weil er genauso klein und lustig aussieht wie Paul Shaffer. Eine Requisite, die Klavier spielen kann. Aber Zerlett konnte nicht Schmidts Sidekick sein und jetzt ist Herr Andrack da, den alle gut finden, und Zerlett spielt nur noch die dritte Geige.

Herr Zerlett, wie geht’s?„Ja. Geht gut.“ Neidisch auf Herrn Andrack? „Nee. Der macht ja nur, was ich sowieso nie konnte. Wie soll ich da neidisch sein?“ Man sagt, sie hätten eine Künstlerseele. Empfindlich. Und Sie bräuchten viel Anerkennung und Aufmerksamkeit, um glücklich zu sein. Kriegen Sie, was Sie brauchen? Sind Sie glücklich?

Er überlegt. Er braucht wirklich viel Anerkennung und Aufmerksamkeit. Später erzählt Zerlett von Neurosen, die ihn nie verlassen werden. Von einem Kindheitstrauma, von Erstickungsängsten im Geburtskanal, seiner Klaustrophobie, von mangelndem Selbstwertgefühl, einer Depression. „Solche Sachen wirste nie mehr los.“ Er hat alle Drogen der Welt ausprobiert, um gegen die Eltern zu rebellieren und um lauter und stärker zu sein, als sein Selbstbewusstsein eigentlich zuließ: Zigarillos auf Lunge geraucht, Alkohol, Haschisch, Koks, LSD, einmal auch Heroin. Er erzählt, wie er sich mit 18 im Heroinrausch selbst betrachtete, einen armseligen Haufen Mensch auf Drogen. Wie er so drauf war auf dem Zeug, dass er dachte: „Und wenn jetzt meine Mutter neben mir sterben würde – es wär mir egal.“

Anfang 30 sollte dann Schluss sein mit den Drogen und der Traurigkeit. Er versuchte es mit einer Urschreitherapie, ein Jahr lang, in einem Heilzentrum im Westerwald. Saß in einem rundum gepolsterten Raum, schrie sich den Schmerz aus der Seele. Schlug gegen die Wände, den Boden. „Ich war nicht ungefährlich für den Therapeuten.“

Immer gibt es verschiedene Möglichkeiten, um glücklich zu werden im Leben. Einige brauchen ganz viele Menschen, so viele wie möglich, sonst reicht es nicht fürs Glück. Die müssen zujubeln und klatschen. Zerlett ist so einer. Fünfmal die Woche geht er vor der Sendung in die Maske. Dann zeigt er sich auf Sat1 und alle klatschen. Er lacht und sieht glücklich aus und spielt 20- Sekunden-Häppchen von Elvis. Aber hinter der Maske steckt ein vertracktes Leben.

Früher hat Zerlett kleine Filme für Schmidts Show gedreht: Helmut auf Tour hieß die Serie. Helmut bei der Formel Eins, Helmut beim Golfen, Helmut mit Naddel. Dann gab’s noch Helmut als Gladiator, Helmut im „Blair- Witch-Projekt“.Er mochte diese Filme, auch wenn die Autoren sich über ihn lustig gemacht haben. Sie haben ihn dargestellt als Pornoheft-Sammler, Puffgänger, Säufer, Heulsuse, Doofkopp und Schwulen. Einer der Gag-Schreiber erinnert sich: „Ab und zu hat er sich beschwert, aber dann war klar, dass er von uns gleich noch eins übergebraten kriegt.“ Seine Auftritte waren selten komisch, gelacht haben höchstens die Kollegen hinter der Kulisse.

Seit Herr Andrack auf der Bühne sitzt, hat die Show sich gewandelt, die kurzen Einspiel-Filme gibt es kaum noch, aus der Late-Night-Comedy ist eine Late-Night-Show geworden, aus der Witzefabrik eher ein Improvisations- Theater von Harald Schmidt. Nur vor ein paar Monaten, als der bildungsbeflissene Moderator die Neue Deutsche Welle durchnahm, richtete sich die Kamera mal länger auf Helmut Zerlett, weil er mal bei Joachim Witt ( Der Goldene Reiter) georgelt hat. Ansonsten aber sitzt er meistens mit verschränkten Armen hinter seinen Keyboards, ein Zuschauer mit dem besten Platz im Haus. Gelegentlich – Eins! Zwei! Drei! – legt seine Band los. Manchmal macht Schmidt einen Witz über teuren Zahnersatz, dann dreht er sich um zu Zerlett, grinst boshaft und sagt: „Helmut hat sich die Zähne ja auch machen lassen. Oder? Helmut? Was hat das gekostet?“ Dann lächelt Zerlett schmal zurück und sagt nicht viel. Er möge Schmidt, sagt er. Und Witze auf seine Kosten nehme er nicht mehr persönlich.

...und besitzt Haus und Porsche

Alle nannten ihn „Jumpy“, seit der Schule. In der zwölften Klasse hat er die Schule abgebrochen, ist mit einer Jugendliebe durchgebrannt, zum Zirkus. Sie das Nummerngirl, er der Kartenabreißer. Er hat sich sein Leben mit der Aussicht eingerichtet, nie reich zu werden. Er wollte, dass die Leute jubeln, wenn er auf der Bühne steht.Inzwischen ist er 45, glücklich verheiratet, längst weg von den Drogen und lebt ganz gut, auch wenn der Porsche nur geleast und das Haus noch nicht abbezahlt ist. Manchmal wird er als VIP zu einer Party eingeladen, am Wochenende spielt er Konzerte mit seiner Band Trance Groove. „Ohne meine Neurosen wäre ich nie Künstler geworden“, sagt Zerlett: „Ich hatte furchtbar Schiss, auf einer Bühne zu stehen – aber der Wunsch, von anderen geliebt zu werden, war immer stärker als alle Ängste. Da vorne zu stehen ist das Allergrößte.“

Und dass in der Schmidt-Show andere mehr Applaus bekommen? Jaja. Stimmt schon. Könnte mehr sein. Aber zum Leben und für ein bisschen Glück reicht es immer noch.

MICHAEL EBERT

"Süddeutsche Zeitung", 14.10.2002