Aufbau der Eben ans kongruenten Bereichen.
von
Dr. H. Heesch in Göttingen.
Das Hilbert'sche Problem 18 ("Mathematische Probleme", Paris 1900, vgl. diese Nachrichten, 1900) betrifft unter anderem den Aufbau des Raumes aus kongruenten Polyedern.
Der euklidische Raum soll mit lauter kongruenten Exemplaren eines und desselben zusammenhängenden Raumstückes einfach und lückenlos überdeckt werden, eine Frage, die für jede Dimensionszahl n gestellt werden kann. Eine bestimmte Gesamtheit von Bereichen, mit denen mindestens auf eine Art der Zusammensetzung ein solcher Aufbau möglich ist, bietet sich ohne weiteres dar, nämlich die Fundamentalbereiche der Decktransformationsgruppen des Raumes R^n; denn ein Fundamentalbereich zusammen mit seinen aus der Gruppe entspringenden Wiederholungen bildet offenbar eine Überdeckung der verlangten Art. Hilbert stellt nundie Frage, ob ferner auch solche Polyeder existieren, die nicht als Fundamentalbereich von Bewegungsgruppen auftreten können und mittels derer dennoch durch geeignete Aneinanderlagerung kongruenter Exemplare eine überall einfache und lückenlose Erfüllung des ganzen Raumes möglich ist. Diese Frage ist schon von n=2 an zu bejahen. Die euklidische Ebene ist z. B. durch folgendes Zehneck lückenlos zu bedecken, ohne dass es als Fundamentalbereich einer (zweidimensionalen diskontinuierlichen) Gruppe von Decktransformationen vorkommen könnte (s. Figur):
x = 0 für 0 <= y <= 4 y = 4 für 0 <= x <= 2 y - x = 2 für 1 <= x <= 2 y = 3 für 1 <= x <= 2 y + x = 5 für 2 <= x <= 3 y = 2 für 2 <= x <= 3 y - x = 0 für 1 <= x <= 2 y = 1 für 1 <= x <= 2 y + x = 3 für 2 <= x <= 3 y = 0 für 0 <= x <= 3.
Die Heuristik eines solchen Beispieles wird im Zusammenhang der Darstellung des ganzen Fragenkreises (an anderer Stelle) klar hervortreten.
Hier möge die Behauptung durch eine elementare konstruktive Betrachtung erhärtet werden: Wenn mit dem Polygon E eine lückenlose Zusammensetzung der Ebene möglich sein soll, so müssen insbesondere die Beträge, die an seiner konvexen Hülle fehlen, durch Heranbringen von lauter kongruenten Exemplaren ausgefüllt werden können.
An der Stelle 1 (x=y=1, vgl. Figur) ist ein Winkelhohlraum von 45° Öffnung durch Nachbarpolygone zu bedecken.
Da nun jeder Winkel, mit dem das Polygon konvex nach aussen ist, mindestens 45° beträgt, so kann höchstens ein Bereich zur Füllung des Winkelraumes bei 1 Platz finden. Der erhabene Winkel 45° tritt an drei Stellen des Polygons auf, von denen die oberste Stelle 2 bei x=2, y=4 ausscheidet, da ein zweites Polygon, das diese Ecke mit der Ecke 1 von E decken würde, zugleichdas Polygon E an anderen Stellen durchdringen müsste. Zu den beiden anderen Stellen gibt es auch nur je eine Lage, in der ein Nachbarpolygon den Winkelraum bei 1 bedeckt. Beide Lagen gehen aus der Lage von E durch Gleitspiegelung an der Geraden x=2 mit dem Schiebungsbetrage ±1 hervor. Die zweite der beiden Möglichkeiten ist in der Figur gezeichnet, E' ist der gewählte Nachbarbereich von E. Dass das Polygon Fundamentalbereich einer Gruppe sein kann, besagt: es is möglich, die Übergangstransformationen von einem Bereich zu den angrenzenden so zu wählen, dass eine jede derselben in einer zweidimensionalen diskontinuierlichen Gruppe von Decktransformationen auftreten kann. Insbesondere muss es also Transformationen geben, deren Wiederholung das Exemplar E wiederum in ein Exemplar der Zerlegung überführt. Die beiden angegebenen Gleitspiegelungen erfüllen diese Bedingung aber nicht; denn ihre Wiederholung ist die Translation um den Betrag ±2 längs der y-Achse, und dies ist keine Decktransformation. Da aber eine jener beiden Gleitspiegelungen in jedem Aufbau mittels des angegebenen Polygons auftreten muss, wie wir sahen, so ist damit erkannt, dass der Bereich nicht Fundamentalbereich sein kann.
Andererseits lassen sich sehr wohl mit dem Polygon einfache lückenlose Bedeckungen bilden: man unterwerfe das starr verbundene gezeichnete Polygonpaar EE' der fortgesetzten Translation um ±4 in der y-Richtung. Dadurch wird zunächst ein Streifen der breite 4 bedeckt, der durch zwei Geraden, x=0 und x=4 begrenzt ist. Durch Nebeneinanderlegen solcher Streifen ergibt sich aber eine Bedeckung der ganzen Ebene.
Dieser Ausfall der Antwort auf die Hilbertsche Frage ist, wie hier nicht dargetan werden soll, wenigstens bei Zulassung unendlich grosser Polygone nicht davon abhängig, dass mit einem Bereich zugleich auch der spiegelbildlich kongruente in der Zerlegung verwendet wird.