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Johann-Wolfgang-Universität

Grundkurs:       Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur: Weimarer Republik

Dozent:            Prof. Dr. Hans Ewers

Protokollantin:   Sidar Demirdögen

 

 

Protokoll der Sitzung am 17.06.2003

Thema der Sitzung:             Großstadt-Kinderromane:

I. Wolf Durian, Kai aus der Kiste

II. Erich Kästner, Emil und die Detektive

 

 

I. Wolf Durian, Kai aus der Kiste

 

1) Zum Autor:

Wolf Durian wurde 1892 in Stuttgart geboren. Im Alter von 13 Jahren versuchte er nach Amerika durchzubrennen – allerdings ohne Erfolg. Durian wurde entdeckt und zurück nach Hause geschickt. Nach dem Abitur sollte sein Traum in Erfüllung gehen. Durian ging nach Amerika. Zurück in Deutschland studierte er Germanistik und Zoololgie und wurde Chefredakteur der Berliner Kinderzeitschrift „Der heitere Fridolin“, in der 1924 auch „Kai aus der Kiste“ als Fortsetzungsroman erschien.

Es ist Durians erfolgreichstes Buch in seiner literarischen Laufbahn.

Wolf Durian starb 1969 in seiner Wahlheimat Berlin.

 

2) Zur Entstehungsgeschichte:

„Kai aus der Kiste“ entstand aus der Idee einer spannenden Fortsetzungsgeschichte für die Jugendzeitschrift „Der heitere Fridolin“, für die der Ullstein Verlag Wolf Durian als Autor beauftragte. „Es sollte etwas Neues sein, so witzig und fesselnd geschrieben, dass Tausende von Kindern darauf brennen würden, die nächste Nummer der Zeitschrift zu kaufen.“(Sybille Durian, S.107 in: „Kai aus der Kiste“/Nachwort, dtv Verlag, 2002).

Jede Fortsetzung war er erst kurz vor Drucktermin fertig.

Zwischen der Zeitschriften- und Buchausgabe wurden Änderungen vorgenommen. So wurde aus der Schokoladenfabrik die Zigarettenfabrik, später zur Kaugummifabrik. Schließlich wurden die Zigarette und das Kaugummi wieder durch die Schokolade ersetzt. Zu einem Abbruch der Geschichte und der Handlungen kam es jedoch nicht.

 

3) Zum Text:

Wir befinden uns in der Zeit der 20er Jahre. Schauplatz: Das kulturell und wirtschaftlich aufblühende Berlin. Das Milieu ist subproletarisch.

Kai, ein 13 jähriger aufgeweckter und lausiger Zeitungsjunge, lebt gemeinsam mit seiner kleinen Schwester Erika ohne Eltern in der Großstadt auf. Als Anführer der über 100-köpfigen Bande „Die schwarze Hand“ ist Kai (Spitzname: „die große Klapperschlang“) ein ehrgeiziger und aufstrebender Junge, der das Großstadtleben fest im Griff zu haben scheint. Eines Tages setzt der aus Amerika angereiste Schokoladenkönig Joe Allen eine Anzeige in die Zeitung, in der ein Reklamekönig für seine Schokoladenfabrik gesucht wird. Kai und Herr Kobalski, ein Reklameagent, melden sich auf die Annonce hin. Eine extravagante Reklameaktion für die imaginären Schokoladenmarken „TUT“ und „TAT“ soll innerhalb von zwei Tagen den endgültigen Reklamekönig stellen. Kai startet mit seiner Bande eine riesige Reklameaktion in der ganzen Stadt, was zu einem totalen Werbeverbot in Berlin führt. Herr Kobalski wird auf eine tragisch-ironischen Weise „Opfer“ dieses Verbots. Wenngleich Kai den Wettbewerb doch nicht gewinnt, endet der Roman mit dem Bild des rundum erfolgreichen erwachsenen Fabrikbesitzers Kai.

 

 

 

 

„Kai aus der Kiste“ ist eine bürgerliche Aufstiegs- bzw. Unternehmergeschichte des Zeitungsjungen Kai proletarischer Herkunft..

 

Die Erzählperspektive des Romans ist auktorial. Allerdings bleibt die Gefühls- und Gedankenwelt der Protagonisten, einschließlich Kai, dem Leser verschlossen. Kurze, knappe Sätze und schnell aufeinanderfolgende Handlungen geben dem Roman eine besondere dynamische Wirkung. Es sind vor allem kurze Bilder, die filmrissartig erscheinen. Ein Stil, der sich einerseits aus der Tatsache ergibt, dass es sich um einen Fortsetzungsroman handelt, andererseits aus der Absicht des Autors, das rasante Großstadtleben literarisch-stilistisch wiederzugeben.

 

a) Kai und die „Schwarze Hand“ / Beziehung zwischen Individuum und Masse

Interessant und oftmals thematisiert, ist die Beziehung zwischen dem Individuum und der Masse in den Großstadtromanen. Die Großstadt als Ort der Anonymität und der Einsamkeit (verbunden mit dem Ersticken des Individuums im fremden Kollektiv) wird als literarisches Thema zunehmend behandelt und bearbeitet. Wolf Durian hebt seinen Protagonisten Kai stark aus der Masse hervor. Kai ist dominant, er hat individuelle Fähigkeiten, die zugleich die Grundlage der Geschichte bilden. Die Bandenmitglieder als Angehörige eines Kollektivs sind demgegenüber ersetzbar.

 

b) Das Amerikabild

In der Literatur der Weimarer Republik tritt als ein besonderes Merkmal das Amerika-Motiv häufig auf. Sowohl in der bürgerlichen als auch in der proletarischen Literatur werden verschiedene Bilder Amerikas festgehalten. So wie auch bei Wolf Durian. In „Kai aus der Kiste“ manifestiert sich das Amerikabild in der Person Joe Allen. Joe Allen ist ein erfolgreicher und gerechter Unternehmer, der dem proletarischen Zeitungsjungen die Möglichkeit zur Karriere gibt. Joe Allen ist zugleich ein Beweis dafür, dass Geld nicht zwanghaft zum schlechten Menschen führt. Dahinter versteckt sich zweifellos die Idee des „American Dream“, nach dem ungeachtet sozialer Herkunft jeder/m die Chance hat, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen. Auf Grund der vielen Superlative verkommt die Idee allerdings zu einem unrealistischen Prinzip.

 

c) Der bürgerliche Aufstiegsmythos

In Kern der Aufstiegsgeschichte des Jungen Kai verbirgt sich ein bürgerlicher Aufstiegsmythos. Demnach ist jeder Mensch an einem Platz, welchen er sich selbst durch Wissen und Fleiß erarbeitet und verdient hat. Diese Grundidee setzt sich klar ab von klassentheoretischen Ansätzen. Ein Boss ist Boss, weil er zum Boss geboren wurde. Individuelle Talente und Fähigkeiten sind der Kern des sozialen und materiellen Aufstiegs – ungeachtet von Klassenzugehörigkeiten (und somit kollektivem Schicksal). Der bürgerliche Aufstiegsmythos ist ein populärer Mythos, den Durian aus Amerika nach Deutschland mitbringt. Die Geschichten spiegeln die Phantasie der Bosse und werdender Bosse wider.

 

d) Kai – vom Zeitungsjungen zum Unternehmer

Wolf Durians “Kai aus der Kiste” ist die Geschichte eines „Superboy“. Kai ist eine Vorform von Superman in jeglicher Hinsicht. Sein außerordentlicher Grips verschafft ihm den Sprung nach oben. Seine proletarische Herkunft ist dabei kein Hemmnis. Auch fehlen ihm klassentypische Charakterzüge. Z.B. zerbricht sich Kai den Kopf darüber, wie man Schokolade in den Mund reicher Jungen bekommt, anstatt darüber Gedanken zu machen, wie er selbst und andere Leidesgenossen davon profitieren und satt werden könnten. Es sind bürgerliche Gedanken, die in den Kopf eines Proletarierjungen gelegt worden sind. Kais Armut ist hingegen lediglich eine sentimentale Kulisse. Fazit: Kai ist ein verkleideter Unternehmer. Sein äußeres Erscheinungsbild eine Maskerade – aufgesetzt von Wolf Durian. Der Grund, warum Durian nicht von Anfang eine reine Unternehmergeschichte schrieb, liegt wiederum in der Festigung des bürgerlichen Aufstiegsmythos’.

 

 

II. Erich Kästner, Emil und die Detektive

 

1) Zum Autor:

Erich Kästner ist 1899 Dresden geboren. Nach dem 1.Weltkrieg studierte er Germanistik, Geschichte und Philosophie in Leipzig, Rostock und Berlin. Bereits während der Studienjahre arbeitete er als Redakteur für Zeitungen und Zeitschriften. 1928 bzw. 1929 erschienen seine ersten beiden Bücher, die ihn weltberühmt gemacht haben: der Gedichtband „Herz auf der Taille“ und das Kinderbuch „Emil und die Detektive“. Erich Kästner gilt als einer Hauptvertreter der sog. „Neuen Sachlichkeit“.

 

2) Zum Text: (da Erzählung sehr bekannt, wird auf eine detaillierte Inhaltsangabe verzichtet.)

Emil kommt zu Besuch nach Berlin und wird dort in eine Kriminalgeschichte verwickelt. Da es um die Ersparnisse seiner Mutter geht, nimmt er unverzüglich die Jagd nach dem Spitzbuben auf. Eine Schar gleichaltriger Jungen steht im bei dem schwierigen Unternehmen kameradschaftlich bei – der „Professor“, der pfiffige kleine Dienstag, Krummbiegel, die Gebrüder Mittenzwey, ... Ein großartiges Abenteuer mit gutem Ausgang. Emil, die Hauptfigur ist die Verkörperung eines „Klasse-Jungen“.

 

 

3) Auktoriales Vorwort – als literarisches Mittel

Unverkennbar und typisch für Erich Kästner ist, dass er sich in seinen Büchern sowohl als Autor auch als Figur zu Wort meldet.

Das Vorwort ist dabei dem Autor Erich Kästner vorbehalten. Das auktoriale Vorwort dient der einführenden Wirkung und der Respektzuweisung. (Es gibt jmdn., der diese Geschichte geschrieben hat. Käsnter bedient sich hierbei eines eigentümlichen Stiles. Immer wieder betont er, dass er nicht aktiv an der Entstehung der Geschichte beteiligt gewesen ist. Diese Übertreibung der Bescheidenheit ruft sodann die Umkehrwirkung hervor (Respekt). „Eine literarische Koketterie“, so Ewers. Innerhalb der Geschichte ist Kästner eine der Figuren. Man kann von einer auktorialen und einer aktional Selbstinszenierung sprechen.

 

III. Vergleich: Kai  -  Emil

Was spricht für, was gegen einen Großstadtroman / Bandenroman?

 

-Darstellung von Indviduen.

.Bande bleibt im Hintergrund

-Bande austauschbar mit anderen Kindern: spricht gegen Großstadtroman

 

-Handlungsort: Berlin

- eine Art von Bande

- Bande als Hilfsstütze für Abenteuer

- außerfamiliärer Schauplatz

- keine Straßenkinder, sondern bürgerl.Kinder, die draußen spielen.

 

Emil und die Detektive

 

Kai aus der Kiste

 

- Handlungsort: Berlin

-„Die schwarze Hand“

- große Gemeinschaft

- keine Eltern

- Erwachsene nicht als       Autoritäts- und Erziehungspersonen

 
 

Dagegen

 

Dafür

 

 

 

Kai

 
                                                                                                                                            

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Familienstruktur

a) Kai aus der Kiste:

Es gibt dafür wenige Anhaltspunkte. Kai hat eine kleine Schwester. Gegenüber ihr nimmt Kai die Rolle des Ersatzvaters ein. Man kann somit von einer kleinen Familiengeschichte reden. Kai und seine Schwester erleiden keine Not. Kai ist ein selbständiger Superboy, der ohne Eltern das Leben zu meistern versteht, was ihm auch gelingt. Als symbolischer Vater könnte Herr Kobalski angesehen werden. Doch dieser wird von Kai vertrieben, symbolhaft für Kais Ablösungsprozess.

 

b) Emil und die Detektive

Die Geschichte beginnt in der Familie / Mutter. Die Familie kommt häufig in der Erzählung vor. Emil wehrt sich aber gegen das Bild des unselbständigen Muttersöhnchens. „Ich bin aber kein Muttersöhnchen, und wenn das jemand behauptet, den schmeiß ich gegen die Wand.“ (Emil). Die Geschichte endet in der Familie. Emil ist der krasse Gegensatz zu Kai. Symbolischer Vater: Herr Jeschke / Wachtmeister. Er steht für den strafenden Vater.

 

 

Emil – Erich / Emil – Kästners biographische Erzählung

 „Emil und die Detektive“ liegt Kästners eigenes Familienbild zugrunde. Die Geschichte gilt als Liebeserklärung Kästners an seine Mutter. Nach Ewers, kommen hier zwei Schichten zusammen bzw. greifen ineinander.:

1)     Die Verwandtschaftskonstellation (Verwandtschaft mütterlicherseits)

2)     Ablösung von der Mutter

Wenn wir in Emil eine Familiengeschichte finden, dann die von Mutter und Sohn. Folglich handelt es sich um eine Ablösungsgeschichte des Sohnes von der Mutter. Kästner handelt von diesen doppelten Ablösungen. Doch gelingen diese ihm nicht.

Die Bande ist für Emil/Erich eine vorübergehende Zeit der Selbständigkeit. Doch die Ablösung erfolgt nicht, denn die Mutter folgt ihm nach Berlin. Emil/Erich ist Quasi-Ehemann der Mutter, so dass er auch von ihr festgehalten wird.