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Frau Vockerat: "Aber man muß doch seine Freude haben
können an der Kunst."
Johannes: "Man kann viel mehr haben an der Kunst als seine Freude."
(Gerhart Hauptmann)
Wenn einer bei uns einen guten Witz macht, dann sitzt halb Deutschland
auf dem Sofa und nimmt übel.
Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: "Nein!" Eine
Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die
Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel
gegen alles, was stockt und träge ist.
Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich
der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein
gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.
Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut
haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.
Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen
kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und
das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird.
Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte
mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will,
also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen,
sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines
Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den Vorhang auf, der
schonend über dieFäulnis gebreitet war, und sage: "Seht!" - In
Deutschland nennt man dergleichen "Kraßheit". Aber Trunksucht ist
ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose
Wahrheit kann da helfen. Und so ist das damals mit dem Weberelend gewesen,
und mit der Prostitution ist es noch heute so.
Der Einfluß Krähwinkels hat die deutsche Satire in ihren
so dürftigen Grenzen gehalten. Große Themen scheiden nahezu
völlig aus. Der einzige "Simplicissimus" hat damals, als er noch die
große, rote Bulldogge rechtens imWappen führte, an all die deutschen
Heiligtümer zu rühren gewagt: an den prügelnden Unteroffizier,
an den stockfleckigen Bürokraten, an den Rohrstockpauker und an das
Straßenmädchen, an den fettherzigen Unternehmer und an den näselnden
Offizier. Nun kann man gewiß über all diese Themen denken wie
man mag, und es ist jedem unbenommen, einen Angriff für ungerechtfertigt
und einen anderen für übertrieben zu halten, aber die Berechtigung
eines ehrlichen Mannes, die Zeit zu peitschen, darf nicht mit dicken Worten
zunichte gemacht werden.
Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und
ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf,
damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach
dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.
Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige angewohnheit, nicht
in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und
aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind
unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere
Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen,
der das ganze Land bedrpückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.
Nicht einmal dem Landesfeind gegenüber hat sich die deutsche Satire
herausgetraut. Wir sollten gewiß nicht den scheußlichen unter
den französischen Kriegskarikaturen nacheifern, aber welche Kraft
lag in denen, welche elementare Wut, welcher Wurf und welche Wirkung! Freilich:
sie scheuten vor gar nichts zurück. Daneben hingen unsere bescheidenen
Rechentafeln über U-Boot-Zahlen, taten niemandem etwas zuleide und
wurden von keinem Menschen gelesen.
Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle - Volksschullehrer und
Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und
Beamte und Frauen und Volksbeauftragte - wir alle haben Fehler und komische
Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun
nicht immer gleich aufbegehren ("Schlächtermeister, wahret eure heiligsten
Güter!"), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns
reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein
rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff
vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag
widerschlagen - aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt
das Haupt. Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind,
wenn nicht alle übel nähmen.
So aber schwillt ständiger Dünkel zum Größenwahn
an. Der deutsch Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen
und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß
recht graziös, aber auf Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire
ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen
Teint.
Was darf die Satire?
Alles.
1919
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