ERTRÄUME ICH DICH
Aus dem Tagebuch
von Aziz Al-Gazali
Lieben
ist delirieren. Nichts Äusseres kann mit Gewissheit die Phantasiewelt
wiedergeben, die zwei Körper im Liebesakt umhüllt.
1.
Ich habe geträumt,
wie wir am Ufer eines Flusses entlang gingen. Plötzlich schwoll die
Strömung so an, dass wir uns nicht mehr verstehen konnten, nicht einmal
als wir uns direkt in das Ohr sprachen. Wir begannen zu schreien. Aber selbst
das war nicht laut genug. Bis wir auf einmal gewahr wurden, dass der Fluss
alles für uns sagte. Er liess uns gleichzeitig sprechen. Er liess uns
schreien, dass wir uns liebten. Unsere Worte wurden zu Stromschnellen, rissen
Bäume mit sich, sie zerschellten an den Felsen, spuckten Schaum und, wenn
es sein mußte, schleuderten sie sich in die Tiefe. Sanft und lautlos
verschlangen unsere Worte an den Ufern die Krokodile, die zu schlafen schienen.
Sie griffen nach den Ästen der Trauerweiden und formten überraschende
Wirbel in den Flussbiegungen. Wir betrachteten die vorbeiziehenden Brücken
und in den Baumwipfeln wärmten die Leguane ihr Blut an unserem Rauschen.
Ich
träumte, dass es nichts gab, was wir uns nicht sagen wollten, und dass uns
sogar die Stille, in ihrem zart gestalteten Nichts, sprechen liess, so wie der
Fluss.
2.
Gestern
träumte ich, dass du gesungen hast, während du mich küsstest.
Deine Stimme drang durch den Mund in mich, nicht durch die Ohren. Ich hörte
dich mit meiner Zunge und schmeckte einen zarten Hauch von Meer in deiner
Stimme. Du sangst in deinem Kuss. Auch deine Hände waren feucht. Das Salz auf deinen
Lippen entfachte einen unersättlichen Durst in mir. Und dieser Durst trieb
mich von deinem einen Mund zum anderen. Dein ganzer Körper sang und
füllte mich mit deiner Stimme. Bis zu dem Augenblick, als deine Stimme
schillernd auch aus meinem Mund quoll. Sie schäumte über und
umhüllte mich. Ich sollte sagen: sie umhüllte uns. Sie veränderte
die Farbe unserer Haut. Alles an uns veränderte sie, auch unsere
Fingerabdrücke. Wir wussten nicht mehr, wer wir waren. Und wir antworteten
uns vorsichtig, beinahe leise singend: wir sind andere Körper in uns.
Getrennte Liebende sind wir, die aneinander verdursteten. Nur jetzt, in diesen
Körpern aus siedendem Wasser, konnten wir noch einmal die versprengte Glut
vereinen. Wir waren zerfallen, erloschen, kalt. Nun treibt uns fremde
Leidenschaft und fremder Durst. Eine andere Sonne beschwört die unsere
herauf. Davon erzählte dein Lied, während du mich küsstest und
alles von vorne begann.
3.
Gestern
träumte ich, dass du mir entgegen liefst mit ausgestreckten Armen und
einem geschliffenen Lächeln, das alle deine Absichten enthüllte. Ich
sah dich näher kommen, die Schatten kreuzen, spürte die
unausweichliche Anziehung deiner Augen. Plötzlich berührte ein
Sonnenstrahl dein Gesicht und ich erkannte, dass sie geschlossen waren. Du
sahst mich aus deinem Traum heraus. Du wecktest mich obwohl du schliefst. Du
kamst mir entgegen, als ob du durch deine Hände blicktest, durch alle
Poren deiner Haut. Und du kamst immer näher. Du hast mich aufgeweckt, um
mich in deinen tieferen Traum zu führen, in den Traum deines Körpers.
Er war wie eine neue Nacht innerhalb der Nacht. Deine Finsternis verschlang
mich. Zwei Schlafwandler waren wir, in meinem Traum liebten wir uns in deinem.
4.
Ich
träumte, dass du mich küsstest, und mit deinen Küssen zwangst du
mich, die Augen zu schliessen. Deine Hände wischten die meinen von deinem
Rücken, von deinem Nacken. Jetzt konntest nur du mich streicheln. Du
stiegst an meinem Körper hoch wie die Flut, wie eine Woge, wie ein Fluss,
und dein Wasser war warm. Gleich einem Wasserfall stürzten deine
Küsse über meinen Hals. Deine Hände überfielen mein Gesicht
wie ein Schwarm
von Möwen, die ihre Schnäbel auf der Suche nach Nahrung in das Wasser
stossen.
Du rochst nach Meer und dein Rauschen lullte mich ein. Mit deinen Händen
formtest du Schnecken in meinen Ohren, um mich zu überzeugen, dass du
nicht Fluss warst, sondern Meer. Und deine Zunge fischte die Geheimnisse von
meiner. „Nur ein fügsamer und stiller Körper kann lernen,
Wasser zu sein“, drohtest du mir flüsternd, „nur dann halten
wir gemeinsam den Kurs: Wasser über Wasser“. Erregt öffnete ich
die Augen und du warst fort. Ich schloss sie und da warst du wieder. Jedes Mal
wenn ich versuchte, dich anzusehen, dich zu berühren, warst du nicht mehr
da, und der Schweiss auf meinem Körper begann zu erkalten. Aber du
steuertest mich wieder und wieder, sobald ich zu der Willigkeit
zurückkehrte, die du mich gelehrt hattest.
5.
In einem
anderen Traum batest du mich, die Linien deiner Hand zu küssen. Als ich
mich näherte, sah ich mit Überraschung, und eigenartiger Faszination,
dass sie tief eingefurcht waren und bereits wie Münder deren empfindsame
Lippen bei jedem Kuß pulsierten. „Siehst du“, sagtest du,
„ich küsse und ich verschlinge dich selbst mit meinen Händen“.
Ich habe es immer gemocht, wie deine Zunge über mich hinwegglitt, einer
besonderen, einer besonders sensiblen Hand gleich, die eine geheime Sprache mit
meinen Muskeln sprechen konnte, mit meinen Lidern, mit meinem Hals. Jetzt
besaßen auch deine Hände dieselbe verwirrende Macht. „Bald wird
dich meine ganze Haut verschlingen“. Ich küsste dich weiter und du
erbebtest und formtest Fäuste, um die Spuren meines Mundes zu bewahren.
Als ich aufwachte, spürte ich in beiden Handflächen ein peinigendes
Jucken. Ich musste mit den Zähnen schaben, mich selbst beissen, um es zu
beruhigen. Eine Weile später erwachte ich noch einmal und erkannte, dass
auch das Jucken ein Traum war.
6.
Eine
Frau drang in meinen Traum. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich spürte
ihre wärmende Anwesenheit. Sie berührte meinen Rücken, und ihre
Zärtlichkeit strömte über meinen ganzen Körper, wie das
Wasser einer Quelle. Ich wollte aufwachen, um sie zu berühren. Ich war
sicher, ihr Gesicht zu finden, wenn ich meins nur drehte. Aber ich konnte mich
nicht bewegen. Der Genuss, den mir ihre Hände bereiteten, war so gross,
dass er mich lähmte. Er liess mich in meinem Traum einschlafen und einen
neuen Traum träumen. In diesem anderen Traum näherte ich mich einer
Quelle. Ich wartete auf sie. Hier waren wir verabredet. Sie verspätete
sich, also begann ich, mich an der Quelle zu erfrischen. Als ich sie an meinen
Händen fühlte, spürte ich das Verlangen, auch die Arme, den Hals
und die Brust in sie zu tauchen. Bald war ich vollständig eingetaucht. Und
es waren wieder ihre Hände, die mich berührten, diesmal am ganzen
Körper. Ich dachte, sie wäre vor mir zu unserer Verabredung gekommen,
hätte sich im Wasser aufgelöst und eroberte jetzt mit jeder
Berührung ihren Körper zurück, im Gleiten durch die Venen meines
Geschlechts, pulsierenden Schlages.
7.
Ich
träumte, dass dein Mund, während ich dich küsste, immer
abgründiger wurde, deine Lippen wurden plötzlich füllig oder
schlank: sie paßten sich unserem Durst, unserem Hunger, unserer Begierde
an. Deine Zunge vermochte, nur zarte Ankündigung von Feuchtigkeit zu sein
oder eine gewaltige Flutwelle deiner Gezeiten, ein Sturzbach, ein Wogen in
meinem Mund, in meinem Körper. Du warst so viele und die Eine, dass ich
dich tausendfach liebte. Mit derselben brennenden Flamme. Aber außer dem
Universum an Formen, das dein Körper war, fand eine beständige
Verwandlung statt: der schwerer klingende Gesang des Alters. Gemeinsam
veränderten wir uns. Wir kosteten die neuen Vertiefungen unserer reifenden
Lippen. Wir freuten uns zu spüren, dass in unseren Augenwinkeln das so
lange Zeit geteilte Lachen bereits seine Spuren hinterlassen hatte.
Fluchtlinien, Abdrücke angehäufter Freuden. All das geschah,
während wir uns liebten, wie so oft zuvor, endlos, ohne Anfang oder Ende,
ohne nach einem einzelnen Höhepunkt zu trachten, sondern nach vielen,
über deine und meine Haut verstreuten. Zwischen einem Vollmond und dem
folgenden; oder dem vorigen, denn die Zeit war ein erstaunlicher Fluss, der
gleichzeitig abebbte und anschwoll. Wir reisten durch die Zeit. Und es gab
überraschende Spalten in unseren Küssen, aus denen sich andere
Menschen herauszubeugen schienen, die du und ich waren, und doch waren wir es
nicht. Andere Reisende der Liebeszeit bewegten sich zwischen unseren
Küssen. Wer waren sie? Vielleicht du und ich von morgen. Vielleicht die
Ahnen unserer hungrigen Körper. Unsere Traumgespinste.
8.
Ich
träumte, dass nichts Bedeutung hatte außer uns zu haben. Dass es
kein Vorher und kein Nachher gab. Dein gesamtes Lächeln aller Zeiten war
gleichzeitig vorhanden. Es war gegenwärtig in mir, während du deine
Taille bäumtest, um mich zu besitzen, als ob du auf mir rittest. Dein Mund
verzog sich plötzlich und spiegelte die erschreckende Kraft wieder, mit
der du mich in dir umklammertest. Du gabst mir einen tiefen und kräftigen
Kuss mit den geräumigen Lippen zwischen deinen Beinen. Und es war auf
einmal das intensivste Lächeln deines Bauches, das aus deinem Mund drang. Du
trugst mich in dir so wie man eine Vorstellung in sich trägt, die einem
gefällt und einen lächeln macht. Du hieltest mich wie etwas, das sich
vollkommen einschmiegt in deine Träume dieses Augenblicks. Und in diesem
Augenblick zählte allein, uns zu haben. Ich war für immer dein, so
lange deine beiden Lächeln währten. Deine lächelnde Gegenwart
liess mich erkennen, warum –in der Liebe- das Oben unten sein kann, das
Vorher die Zukunft und das Kommende Vergangenheit. Und ich wollte deine
Mundwinkel beißen, den flüchtigsten Teil deiner Lippen, dessen
Geschmack ich nur mit der Zungenspitze kosten konnte: ein Geschmack nach
vollem, doppeltem, eigensinnigem und unwiederbringlichem Lächeln.
9.
Ich
träumte, dass ich mich langsam deinem Mund näherte, von deinem Nacken
her hatte ich mich kostend herangetastet. Meine Lippen streiften kaum deine
Haut, den feinen Flaum deines Halses, die Ohrläppchen, die Wangen. Und als
du dich unverhofft umwandtest, um meinen Mund mit deinem zu fangen, erhaschtest
du nur meine Oberlippe und meine untere reichte bis zu deinem Kiefer. Alle
Züge und Winkel deines Gesichtes botest du mir dar. Du gabst mir deine
Wangenknochen, dann deine Kinnspitze zu kosten. Dann gefiel es dir, mein
Gesicht zu benetzen, nach und nach, mit der Zunge. Du machtest mich feucht und
trocknetest mich dann mit der Haut deiner Wangen, ein ums andere Mal, immer
wieder. Dann ergriffst du auch Besitz von meinen Lidern. Ich erblickte die
Feuchtigkeit deines Mundes über meinen geschlossenen Augen. Fliessend und
unbemerkt glitt die kreisende Liebkosung meiner Augen durch deine Zunge
hinunter zu meinem Geschlecht. Mit der Zungenspitze skizziertest du durch die
Haut hindurch alle meine Kreise. Und wieder zwangst du mich, das Feuchte zu
schauen, ohne es zu sehen, und voller Genuss zu bewundern. Mein gesamter
Körper war der Widerhall konzentrischer Kreise um deinen Mund. Eine
Spirale war ich, getrieben von deiner Zunge.
Übertragen
von
Kaja
Krajnik
Dunckerstrasse
15
10437 Berlin
fon: 0049
– 30 – 44 036 065
email:
kaja.krajnik@freenet.de