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Bruder Joseph

Brigitte 26/99, Seite 94 - 96
15. Dezember 1999
Jane Coombs/Planetsyndication - Sabine Groß


Zwei Film-Erfolge reichten, um dem sieben Jahre älteren Bruder den Rang abzulaufen: Seit Elizabeth und Shakespeare in Love hängen entschieden mehr Poster von Joseph Fiennes über Teenager-Betten als von Bruder Ralph

Okay, Fiennes der Jüngere (29) trug in seinen Filmen bisher bevorzugt sexy Strumpfhosen, während Ralph, der Englische Patient, in seinen Bandagen nicht mehr ganz so frisch aussah. Aber da ist noch mehr: Ralph ist berühmt für seinen entrückten Gletscher-Blick, Joseph hat die Glut des Draufgängers in den Augen. Kein Wunder, dass er als Dichter in Liebesnöten die Herzen der Frauen im Sturm eroberte. Einen Zwillingsbruder hat Joseph auch noch, doch der hat die Ruhe des Waldes vorgezogen und ist Förster geworden. Schade eigentlich, aber zum Fiennes-Clan gehören noch mehr Geschwister: Michael arbeitet als Archäologe, Martha als Regisseurin, Magnus schreibt Filmmusik, und Sophie ist Produzentin. Der auffällige Drang ins Filmgeschäft ist den Eltern zu verdanken: dem Fotografen Mark Fiennes und der verstorbenen Schriftstellerin und Malerin Jennifer Lash. Am Kunstsinn lag's nicht allein: 14 Mal zog die Familie um, ständig kamen die Kinder in neue Klassen. Das mache zu guten Unterhaltern, hat Joseph einmal gesagt. Wie sein älterer Bruder landete er in London beim National Theater, allerdings erst mal hinter den Kulissen: Während Ralph im Rampenlicht stand, kümmerte sich der Kleine um die Kostüme. Doch 1996 trat er in der renommierten Royal Shakespeare Company endgültig in die Fußstapfen des Bruders: Wie Ralph - fünf Jahre vor ihm - überzeugte Joseph in der Rolle des Troilus. Als Darsteller des William Shakespeare feierte er im letzten Frühjahr im Kino seinen bisher größten Triumph - und schwor sich danach, erst mal keine Rolle mehr anzunehmen, in der er Strumpfhosen tragen muss. BRIGITTE traf Joseph Fiennes zu einem Interview in New York.

BRIGITTE: Ihr Zwillingsbruder Jacob ist der einzige Fiennes, den es nicht zur Kunst gezogen hat. Sind Sie eigentlich eineiige Zwillinge?

JOSEPH FIENNES: Nein. Wir unterscheiden uns erheblich. Jake ist größer, hat blaue Augen, blonde Haare. Sozusagen der Arier in der Familie. Aber trotzdem waren wir natürlich immer "die Zwillinge", egal, wo wir auftauchten. Es hat uns beide viel Kraft gekostet, die eigene Individualität zu finden.

BR: Sie hatten nicht gerade eine sesshafte Kindheit. Ihr Vater ist mindestens einmal im Jahr umgezogen, immer auf der Suche nach Arbeit als Gutspächter und Fotograf. Die Presse hat daraus eine romantische Boheme-Story gebastelt. Wie haben Sie das damals empfunden?

JF: Von romantischem Künstlerleben jedenfalls keine Spur. Vergessen Sie nicht, wir waren sieben Kinder, eine Menge Dreck, viel Lärm. Der Traum von einem idyllischen Leben mit einer großen Familie auf dem Lande scheiterte an der Realität, sieben Kinder mit Nahrung und Kleidung zu versorgen. Das war der Grund, weshalb wir pausenlos umgezogen sind, nicht die rastlose Künstlerseele.

BR: Als Sie mit 16 die Schule verließen, haben Sie sich in die Toskana abgesetzt und dort eine Villa aus dem 12. Jahrhundert restauriert. Warum?

JF: Für mich war es damals ungeheuer wichtig, allein zu sein, weg von der Familie, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich musste herausfinden, warum ich so unbedingt Schauspieler werden wollte. Warum ich das Gefühl hatte, jemand, gegen den ich mich nicht wehren kann, packt mich am Genick und will mich in die Kiste "Schauspieler" schmeißen. Diese sechs Monate allein vor mich hinzuarbeiten hat dabei sehr geholfen.

BR: Dass sie einen berühmten Bruder haben, war das bei der Schauspielerei von Vorteil oder eher ein Hindernis?

JF: Kommt ganz drauf an. Es kann dir die Tür öffnen, aber am Ende des Tages musst du doch allein da durchgehen und auf deinen eigenen Füßen stehen können. Immer jedoch bedeutet es eine Menge mehr Druck, höhere Erwartung als bei anderen Schauspiel-Anfängern. Ich habe glücklicherweise schon vor sieben Jahren mit dem Schauspielen begonnen. Damals war Ralph noch nicht so berühmt, und es gab deshalb keine Vergleiche.

BR: Hat Ralph Ihnen denn wenigstens ein paar Ratschläge gegeben oder Hilfe angeboten?

JF: Natürlich, er hat mich sehr ermutigt während meiner Zeit an der Drama-Schule. Aber danach muss jeder sehen, wie er selbst zurechtkommt. Keiner gibt einem einen Job nur auf Grund eines berühmten Namens. Es reduziert sich auf dich, deine Persönlichkeit, deine Individualität allein.

BR: Wenn Sie sich heute sehen, worüber unterhalten Sie sich?

JF: Nicht über die Arbeit. Mehr über meine neue Häuslichkeit. Ich versuche mich nämlich gerade an Verschönerungen in meiner Londoner Wohnung.

BR: Was bedeutet Ihnen der Erfolg Ihrer letzten Filme?

JF: Dass ich mir dieses Haus in Notting Hill kaufen konnte. Dass ich Stunden damit zubringen kann, mir zu überlegen, in welcher Farbe ich die Wände streiche oder welche Fußböden ich haben möchte.

BR: Mehr nicht? Keine anderen Auswirkungen des Ruhms?

JF: Die Aussicht, eine öffentliche Person zu sein, macht mir eher Angst. Der Verlust der Privatsphäre - so wie es in den letzten Jahren mein Bruder erfahren musste - ist nichts, worauf ich scharf bin. Ich bin nicht abgehoben, eher erdverbunden. Ich weiß, dass ich nur auf Grund meiner Arbeit einen gewissen Bekanntheitsgrad habe. Ich fahre nach wie vor jeden Tag mit der U-Bahn. Gelegentlich erkennen mich die Leute und starren mich an - aber sollen sie.

BR: Und der ganze Rummel um Shakespeare in Love? Immerhin wurden Sie als die nächste große Nummer im Filmgeschäft gehandelt.

JF: Ich habe nur meine Zeilen auswendig gelernt und sie gut umgesetzt. Ich glaube nicht an diese "nächste große Nummer". Der Begriff wird inflatorisch eingesetzt, da steckt keine Kraft mehr dahinter. Irgendwo da draußen gibt's längst wieder jemanden, der "the next hot thing" ist - und gleich dahinter den nächsten. Ein ganzer Korridor voll.

BR: Aber sind Sie nicht doch irgendwie geschmeichelt, von so vielen Mädchen angeschwärmt zu werden?

JF: Darüber kann ich nur kichern. Man muss schon ganz schön flach im Hirn sein, um daraus Honig für sich zu saugen. In spätestens einem Jahr ist da sowieso alles vergessen. Sogar die Teenager, die jetzt vielleicht ein Poster von mir überm Bett hängen haben, werden bald diesem Schwachsinn entwachsen sein.

BR: Bevor Sie mit Shakespeare in Love berühmt wurden, haben Sie selbst in vielen Shakespeare-Stücken auf der Bühne gestanden. Treten Sie demnächst wieder mit Shakespeare auf?

JF: Nein, auf gar keinen Fall. Ich ertrage es einfach nicht mehr, auf die Bühne zu gehen und zu wissen, dass die Hälfte des Publikums das Stück besser kennt als ich und jede Zeile mitmurmelt. Lieber würde ich ein Stück spielen, das noch nie einer gesehen hat. Shakespeare sollten wir alle für eine Weile ruhen lassen.

BR: In Shakespeare in Love habe Sie einige heftige Liebesszenen mit Gwyneth Paltrow. Deren damaliger Freund Ben Affleck spielte ja auch mit. Irgendwelche Animositäten?

JF: Mir sind keine aufgefallen. Aber wenn es welche gegeben hätte, würde ich sowieso nichts darüber erzählen. Ich bin irgendwie schüchtern. Liebesszenen vor den Augen einer Menge Leute zu drehen ist nie einfach für mich. Egal, ob jetzt noch der Freund der Schauspielerin dabei ist oder nicht. Lieber drehe ich jeden Tag einen Degenkampf.

BR: Eines noch. Waren Sie wirklich nackt?

JF: Ähm, ich kann mich nicht erinnern.

BR: Der Film hat bei der letztjährigen Osar-Verleihung ziemlich abgeräumt. Haben Sie vor, nach Hollywood zu ziehen?

JF: Ich sehe keine Notwendigkeit, dort zu leben. Ich bin durch und durch Europäer. Schauspieler sind zwar von Haus aus Nomaden, aber ich fühle mich hier verwurzelt. Ein paar Mal bin ich in Los Angeles gewesen. Engländer empfinden diese Stadt als sehr fremd, alles dreht sich nur ums Geschäft. Das hat auch seine Vorteile: Wenn du eine Idee hast, wird dir dort jemand zuhören, ohne jeden Zynismus. Es könnte ja DIE Idee sein. Aber mich stimuliert so etwas nicht. Ich möchte dort nicht leben. Alles dreht sich ums Filmgeschäft, ich aber habe noch andere Interessen. Nur Film - da würden nur die Neurosen gedeihen.

BR: Was sind denn das für andere Interessen?

JF: Am liebsten erkunde ich andere Länder, und zwar ganz für mich allein. Einsamkeit ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Lust am Reisen. Es liegt eine große Freiheit darin.

BR: Ihr Privatleben halten Sie ebenso streng unter Verschluss wie Ihr Bruder Ralph. Es grenzt schon an Hochverrat, wenn die Presse schreibt, dass Sie in letzter Zeit öfter mit der Schauspielerin Catherine McCormack gesehen werden.

JF: Ich habe nicht das geringste Interesse, mein Privatleben oder meine innersten Gedanken zu diskutieren. Und ich bin mir durchaus bewusst, dass die Leute nur noch neugieriger werden, wenn ich überhaupt nichts sage. Aber ehrlich gesagt: Es kümmert mich nicht. Nur weil plötzlich alle Welt über Berühmtheiten schreiben will, muss ich das doch nicht mitmachen. Mit allem gebotenen Respekt für die, die diese Arbeit machen: Für mich ist das alles Käse. So weit es mich betraf, hat's mich zu Tode gelangweilt, was ich las. Mein Leben ist nicht interessanter als das derjenigen, die dieses Zeug lesen. Mein Job beginnt, wenn irgendeiner "Action" ruft. Darüber rede ich, der Rest ist Schweigen.


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