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Zwei Film-Erfolge reichten, um dem sieben Jahre
älteren Bruder den Rang
abzulaufen: Seit Elizabeth und Shakespeare in Love
hängen entschieden
mehr Poster von Joseph Fiennes über Teenager-Betten
als von Bruder Ralph
Okay, Fiennes der Jüngere (29) trug in seinen Filmen
bisher bevorzugt sexy
Strumpfhosen, während Ralph, der Englische Patient,
in seinen Bandagen
nicht mehr ganz so frisch aussah. Aber da ist noch
mehr: Ralph ist berühmt
für seinen entrückten Gletscher-Blick, Joseph hat die
Glut des Draufgängers
in den Augen. Kein Wunder, dass er als Dichter in
Liebesnöten die Herzen der
Frauen im Sturm eroberte. Einen Zwillingsbruder hat
Joseph auch noch, doch
der hat die Ruhe des Waldes vorgezogen und ist Förster
geworden. Schade
eigentlich, aber zum Fiennes-Clan gehören noch mehr
Geschwister: Michael
arbeitet als Archäologe, Martha als Regisseurin,
Magnus schreibt Filmmusik,
und Sophie ist Produzentin. Der auffällige Drang ins
Filmgeschäft ist den
Eltern zu verdanken: dem Fotografen Mark Fiennes und
der verstorbenen
Schriftstellerin und Malerin Jennifer Lash. Am
Kunstsinn lag's nicht allein:
14 Mal zog die Familie um, ständig kamen die Kinder in
neue Klassen. Das
mache zu guten Unterhaltern, hat Joseph einmal gesagt.
Wie sein älterer
Bruder landete er in London beim National Theater,
allerdings erst mal hinter
den Kulissen: Während Ralph im Rampenlicht stand,
kümmerte sich der Kleine
um die Kostüme. Doch 1996 trat er in der renommierten
Royal Shakespeare
Company endgültig in die Fußstapfen des Bruders: Wie
Ralph - fünf Jahre vor
ihm - überzeugte Joseph in der Rolle des Troilus. Als
Darsteller des William
Shakespeare feierte er im letzten Frühjahr im Kino
seinen bisher größten
Triumph - und schwor sich danach, erst mal keine Rolle
mehr anzunehmen, in
der er Strumpfhosen tragen muss. BRIGITTE traf Joseph
Fiennes zu einem
Interview in New York.
BRIGITTE: Ihr Zwillingsbruder Jacob ist der einzige
Fiennes, den es nicht
zur Kunst gezogen hat. Sind Sie eigentlich eineiige
Zwillinge?
JOSEPH FIENNES: Nein. Wir unterscheiden uns erheblich.
Jake ist größer,
hat blaue Augen, blonde Haare. Sozusagen der Arier in
der Familie. Aber
trotzdem waren wir natürlich immer "die Zwillinge",
egal, wo wir auftauchten.
Es hat uns beide viel Kraft gekostet, die eigene
Individualität zu finden.
BR: Sie hatten nicht gerade eine sesshafte Kindheit.
Ihr Vater ist mindestens
einmal im Jahr umgezogen, immer auf der Suche nach
Arbeit als Gutspächter
und Fotograf. Die Presse hat daraus eine romantische
Boheme-Story gebastelt.
Wie haben Sie das damals empfunden?
JF: Von romantischem Künstlerleben jedenfalls keine
Spur. Vergessen Sie nicht,
wir waren sieben Kinder, eine Menge Dreck, viel Lärm.
Der Traum von einem
idyllischen Leben mit einer großen Familie auf dem
Lande scheiterte an der
Realität, sieben Kinder mit Nahrung und Kleidung zu
versorgen. Das war der
Grund, weshalb wir pausenlos umgezogen sind, nicht die
rastlose Künstlerseele.
BR: Als Sie mit 16 die Schule verließen, haben Sie
sich in die Toskana
abgesetzt und dort eine Villa aus dem 12. Jahrhundert
restauriert. Warum?
JF: Für mich war es damals ungeheuer wichtig, allein
zu sein, weg von der
Familie, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich musste
herausfinden, warum ich
so unbedingt Schauspieler werden wollte. Warum ich das
Gefühl hatte, jemand,
gegen den ich mich nicht wehren kann, packt mich am
Genick und will mich in
die Kiste "Schauspieler" schmeißen. Diese sechs Monate
allein vor mich
hinzuarbeiten hat dabei sehr geholfen.
BR: Dass sie einen berühmten Bruder haben, war das bei
der Schauspielerei von
Vorteil oder eher ein Hindernis?
JF: Kommt ganz drauf an. Es kann dir die Tür öffnen,
aber am Ende des Tages
musst du doch allein da durchgehen und auf deinen
eigenen Füßen stehen können.
Immer jedoch bedeutet es eine Menge mehr Druck, höhere
Erwartung als bei
anderen Schauspiel-Anfängern. Ich habe
glücklicherweise schon vor sieben
Jahren mit dem Schauspielen begonnen. Damals war Ralph
noch nicht so berühmt,
und es gab deshalb keine Vergleiche.
BR: Hat Ralph Ihnen denn wenigstens ein paar
Ratschläge gegeben oder Hilfe
angeboten?
JF: Natürlich, er hat mich sehr ermutigt während
meiner Zeit an der
Drama-Schule. Aber danach muss jeder sehen, wie er
selbst zurechtkommt.
Keiner gibt einem einen Job nur auf Grund eines
berühmten Namens. Es reduziert
sich auf dich, deine Persönlichkeit, deine
Individualität allein.
BR: Wenn Sie sich heute sehen, worüber unterhalten Sie sich?
JF: Nicht über die Arbeit. Mehr über meine neue
Häuslichkeit. Ich versuche
mich nämlich gerade an Verschönerungen in meiner
Londoner Wohnung.
BR: Was bedeutet Ihnen der Erfolg Ihrer letzten Filme?
JF: Dass ich mir dieses Haus in Notting Hill kaufen
konnte. Dass ich Stunden
damit zubringen kann, mir zu überlegen, in welcher
Farbe ich die Wände
streiche oder welche Fußböden ich haben möchte.
BR: Mehr nicht? Keine anderen Auswirkungen des Ruhms?
JF: Die Aussicht, eine öffentliche Person zu sein,
macht mir eher Angst.
Der Verlust der Privatsphäre - so wie es in den
letzten Jahren mein Bruder
erfahren musste - ist nichts, worauf ich scharf bin.
Ich bin nicht abgehoben,
eher erdverbunden. Ich weiß, dass ich nur auf Grund
meiner Arbeit einen
gewissen Bekanntheitsgrad habe. Ich fahre nach wie vor
jeden Tag mit der
U-Bahn. Gelegentlich erkennen mich die Leute und
starren mich an - aber
sollen sie.
BR: Und der ganze Rummel um Shakespeare in Love?
Immerhin wurden Sie als
die nächste große Nummer im Filmgeschäft gehandelt.
JF: Ich habe nur meine Zeilen auswendig gelernt und
sie gut umgesetzt. Ich
glaube nicht an diese "nächste große Nummer". Der
Begriff wird inflatorisch
eingesetzt, da steckt keine Kraft mehr dahinter.
Irgendwo da draußen gibt's
längst wieder jemanden, der "the next hot thing" ist -
und gleich dahinter
den nächsten. Ein ganzer Korridor voll.
BR: Aber sind Sie nicht doch irgendwie geschmeichelt,
von so vielen Mädchen
angeschwärmt zu werden?
JF: Darüber kann ich nur kichern. Man muss schon ganz
schön flach im Hirn
sein, um daraus Honig für sich zu saugen. In
spätestens einem Jahr ist da
sowieso alles vergessen. Sogar die Teenager, die jetzt
vielleicht ein Poster
von mir überm Bett hängen haben, werden bald diesem
Schwachsinn entwachsen
sein.
BR: Bevor Sie mit Shakespeare in Love berühmt
wurden, haben Sie selbst in
vielen Shakespeare-Stücken auf der Bühne gestanden.
Treten Sie demnächst
wieder mit Shakespeare auf?
JF: Nein, auf gar keinen Fall. Ich ertrage es einfach
nicht mehr, auf die
Bühne zu gehen und zu wissen, dass die Hälfte des
Publikums das Stück besser
kennt als ich und jede Zeile mitmurmelt. Lieber würde
ich ein Stück spielen,
das noch nie einer gesehen hat. Shakespeare sollten
wir alle für eine Weile
ruhen lassen.
BR: In Shakespeare in Love habe Sie einige heftige
Liebesszenen mit Gwyneth
Paltrow. Deren damaliger Freund Ben Affleck spielte ja
auch mit. Irgendwelche
Animositäten?
JF: Mir sind keine aufgefallen. Aber wenn es welche
gegeben hätte, würde ich
sowieso nichts darüber erzählen. Ich bin irgendwie
schüchtern. Liebesszenen
vor den Augen einer Menge Leute zu drehen ist nie
einfach für mich. Egal, ob
jetzt noch der Freund der Schauspielerin dabei ist
oder nicht. Lieber drehe
ich jeden Tag einen Degenkampf.
BR: Eines noch. Waren Sie wirklich nackt?
JF: Ähm, ich kann mich nicht erinnern.
BR: Der Film hat bei der letztjährigen Osar-Verleihung
ziemlich abgeräumt.
Haben Sie vor, nach Hollywood zu ziehen?
JF: Ich sehe keine Notwendigkeit, dort zu leben. Ich
bin durch und durch
Europäer. Schauspieler sind zwar von Haus aus Nomaden,
aber ich fühle mich
hier verwurzelt. Ein paar Mal bin ich in Los Angeles
gewesen. Engländer
empfinden diese Stadt als sehr fremd, alles dreht sich
nur ums Geschäft. Das
hat auch seine Vorteile: Wenn du eine Idee hast, wird
dir dort jemand zuhören,
ohne jeden Zynismus. Es könnte ja DIE Idee sein. Aber
mich stimuliert so
etwas nicht. Ich möchte dort nicht leben. Alles dreht
sich ums Filmgeschäft,
ich aber habe noch andere Interessen. Nur Film - da
würden nur die Neurosen
gedeihen.
BR: Was sind denn das für andere Interessen?
JF: Am liebsten erkunde ich andere Länder, und zwar
ganz für mich allein.
Einsamkeit ist ein wesentlicher Bestandteil meiner
Lust am Reisen. Es liegt
eine große Freiheit darin.
BR: Ihr Privatleben halten Sie ebenso streng unter
Verschluss wie Ihr Bruder
Ralph. Es grenzt schon an Hochverrat, wenn die Presse
schreibt, dass Sie in
letzter Zeit öfter mit der Schauspielerin Catherine
McCormack gesehen werden.
JF: Ich habe nicht das geringste Interesse, mein
Privatleben oder meine
innersten Gedanken zu diskutieren. Und ich bin mir
durchaus bewusst, dass
die Leute nur noch neugieriger werden, wenn ich
überhaupt nichts sage. Aber
ehrlich gesagt: Es kümmert mich nicht. Nur weil
plötzlich alle Welt über
Berühmtheiten schreiben will, muss ich das doch nicht
mitmachen. Mit allem
gebotenen Respekt für die, die diese Arbeit machen:
Für mich ist das alles
Käse. So weit es mich betraf, hat's mich zu Tode
gelangweilt, was ich las.
Mein Leben ist nicht interessanter als das derjenigen,
die dieses Zeug lesen.
Mein Job beginnt, wenn irgendeiner "Action" ruft.
Darüber rede ich, der Rest
ist Schweigen.
15. Dezember 1999
Jane Coombs/Planetsyndication - Sabine Groß