Deutsche Cosmopolitan
Klar kennen Sie Ralph Fiennes, den Superstar aus Der
englische Patient.
Und sicher auch schon seinen Bruder Joseph, der gerade
auf der Leinwand
durchstartet. Doch die stellen gerade mal ein Viertel
der Power-Familie,
von der Sie garantiert noch viel hören - und sehen -
werden!
Es gibt mindestens zwei gute Gründe, warum Joseph
Fiennes, der mit seinem
neuen Film Elizabeth I Ende des Monats in die Kinos
kommt, derzeit als
einer der erfolgreichsten und begehrtesten
Filmschauspieler gehandelt wird.
Erstens: Er hat Talent und kann schauspielern - was er
kürzlich in der
Sommerkomödie Martha trifft Frank, Daniel und
Laurence bewiesen hat.
Zweitens: Er sieht einfach sehr gut aus und hat
Charisma. Der 28-jährige
Engländer ist genau der Typ Mann, den Frauen selbst
dann noch erotisch
finden, wenn er nur still in der Ecke sitzt und ein
Buch liest. "Joes
erotische Ausstrahlung kommt selbst im Schneideraum
rüber", sagt Elizabeth
I-Regisseur Shekhar Kapur. "Er hat Klasse, als
Schauspieler genauso wie
als Mann."
Doch das wirkliche Geheimnis seines Erfolgs ist seine
Familie. Ein Clan
von sieben Menschen, die das haben, was man sonst nur
in kitschigen
Fernsehserien sieht und im echten Leben immer zu schön
und gefühlsduselig
klingt, um wahr zu sein: Harmonie,
Zugehörigkeitsgefühl, Liebe, Inspiration,
Rückendeckung. Die Fiennes sind immer füreinander da,
helfen sich gegenseitig,
wo sie nur können.
Abgesehen von den Eltern Mark und Jini gehören zur
"kleinen Fiennes-Farm":
Ralph, mit 35 Jahren der älteste und spätestens seit
Der englische Patient
internationaler Superstar; Martha, 33, Regisseurin;
Sophie, 31, freie
Filmproduzentin; Magnus, 30, Komponist. Im Moment
arbeiten drei der
Geschwister sogar zusammen. In Ralphs neuem Film
Onegin führt Martha
Regie, Magnus komponiert die Musik.
Nur Jake, 28, der Zwillingsbruder von Joseph, schert
aus dem kreativen
Genpool aus: Er ist Waldmeister und arbeitet in
Norfolk als Förster. "Unser
Vater war Farmer, bevor er Fotograf wurde", sagt er.
"Wahrscheinlich habe
ich die Bauerngene geerbt, denn ich liebe das
friedliche Landleben." Was
nichts am innigen Verhältnis zum glamourösen Rest der
Familie ändert. "Ich
weiß, dass es Momente gibt, in denen vor allem Ralph
gerne mit mir tauschen
würde. Ab und zu gehe ich sogar zu den Filmpremieren
meiner Geschwister,
deswegen weiß ich genau, was die für ein Leben führen.
Es ist ungefähr so
wie zur Jagderöffnung, wo man vor lauter Leuten die
Bäume nicht mehr sieht".
"Ich finde es ganz natürlich", sagt Sophie, die zuvor
ihre Geschwister
gefragt hat, ob sie überhaupt mit Cosmopolitan reden
darf, "dass wir so
ein enges Verhältnis haben. Schließlich hat unsere
Mutter in sieben Jahren
sechs Kinder geboren. Wir haben dieselbe Musik gehört,
alle wichtigen
Erfahrungen gemeinsam gemacht".
Martha und Ralph geben noch eine weitere Erklärung für
die märchenhafte
Brüderchen-und-Schwesterchen-Beziehung des
Fiennes-Clans: "Wir sind das, was
man in England eine 'bohemian family' nennt. Eine
vornehme Umschreibung
dafür, dass wir wie die Zigeuner durchs Land gezogen
sind", meint Martha.
Und jedes Mal, wenn die Fiennes wieder ihre Zelte
abgebrochen haben, "waren
die sozialen Kontakte, die wir zu anderen Kids in der
Schule aufgebaut hatten,
wieder hin", ergänzt Ralph.
Aber nicht nur Freundschaften, sondern auch die
Leistungen in der Schule
litten bei den Fiennes-Kindern. "Wir sind insgesamt
15-mal umgezogen",
erzählt Joseph. "Das bedeutete jedes Jahr eine andere
Schule, neue Lehrer,
neue Lehrmethoden. Meine Zeugnisse sind daher ziemlich
mies aufgefallen.
Vielleicht ein Grund, warum mich historische Themen so
reizen. Das gibt mir
das Gefühl, gleichzeitig an meiner Bildung arbeiten zu
können."
Phasenweise, wenn es fürs Schulgeld nicht reichte, hat
Mutter Jini Fiennes
ihre Kinder sogar selbst unterrrichtet. "Unsere Mutter
hat uns immer dazu
ermutigt zu lesen, zu zeichnen, uns kreativ
auszudrücken", sagt Sophie.
"Sie hat unsere Vorstellungskraft gefördert, hat
unsere Seele genährt und
ein enormes Selbstwertgefühl vermittelt. Mit
Ansammlung von Wissen hatte ihr
Unterricht nichts zu tun." Ihr Mann Mark Fiennes
erinnert sich: "Jini war
immer mehr daran interessiert, was Leute dachten, was
für Ideen sie hatten.
Bloßes Wissen hat sie nie beeindruckt."
Die filmreife Familiengeschichte begann im Jahr 1961:
Jennifer "Jini" Lash
und Mark Fiennes lernten sich bei gemeinsamen Freunden
in Suffolk kennen.
Jini hatte gerade ihr erstes Buch The Burial (Das
Begräbnis) herausgebracht,
Mark war ein einfacher Landarbeiter. "Es gibt nur ganz
wenige Momente, in
denen sich ein Mensch ganz sicher ist", sagt er heute.
"Die Begegnung mit
Jini war eine davon. Sie saß auf einem Sofa, sah mich
an und sagte: "Das mit
dem Schreiben muss dich nicht weiter beunruhigen.
Alles, was ich will, sind
sechs Kinder."
Innerhalb von 18 Monaten waren Jini und Mark Fiennes
verheiratet, innerhalb
von sieben Jahren hatten sie sechs Kinder, für die sie
ihre Karriere als
Schriftstellerin aufgab.
Eigentlich sind es sogar sieben Kinder, denn es gibt
noch einen Bruder:
Michael Emery, heute 46 Jahre alt, ein Pflegekind, das
von seiner Mutter
im Alter von neun Jahren verlassen wurde. Nach der
Geburt von Sophie las
Jini eine Anzeige in der "Times", in der Michael
dringend nach Eltern suchte,
"die ihn lieb haben würden und bei denen er so viel
lesen könne, wie er wolle".
Inzwischen gehört Michael zum Clan wie alle anderen
auch.
"Es berührt mich immer noch tief, wie meine Mutter,
die als Kind niemals
Liebe oder Wärme zu spüren bekommen hat, uns so eine
gute Mutter sein konnte",
sagt Ralph. "Es muss ihre unglaubliche
Vorstellungskraft gewesen sein, uns
genau das zu geben, was Geborgenheit schafft."
Fernsehen war im Hause Fiennes verpönt. Stattdessen
inspirierte Jini ihre
Kinder zum Lesen, Zeichnen - und Schauspiel, studierte
mit Ralph, als der
für eine Schulaufführung probte, seine Rolle ein. "Wir
alle wollen hören,
dass unsere Arbeit einen gewissen Wert hat. Keine
Schmeicheleien, sondern
eine ehrliche Meinung. Meine Mutter konnte uns gut
beurteilen. Sie hat immer
leidenschaftlichen Anteil an unserer Arbeit genommen."
1986 wurde bei Jini Krebs diagnostiziert und nach
einer schweren Operation
machte sie sich 1990 auf eine Reise durch Frankreich
und Spanien, um dort
Wallfahrtstätten aufzusuchen. Allein. Ihre
Erinnerungen daran schrieb sie in
ihrem Buch On Pilgrimage auf (Bloomsbury Verlag).
Als Jini am 28. Dezember 1993 im Krankenhaus starb,
holte ihre Familie sie
nach Hause, den Körper in ein weißes Leintuch
gewickelt. In dem Raum, in den
man sie bis zur Beerdigung gebettet hatte, waren
unzählige Kerzen angezündet,
gemeinsam mit Freunden sang der Clan religiöse Lieder.
"Ein ganz normales
Begräbnis kam für unsere Familie gar nicht in Frage",
erklärt Ralph. "Der
Impuls, unsere Mutter gemeinsam und zu Hause zu
verabschieden, ging aber von
meinen Vater aus. Das zeigt, wie nahe sich meine
Eltern das ganze Leben über
waren."
Ein Sarg wurde angepasst und leuchtend "Electric"-blau
gestrichen - die Farbe,
die Jini in ihrem (unveröffentlichten) Buch Tristam -
und die Kraft des
Lichtes als Symbol für Stärke, Frieden und
Spiritualität gewählt hat. (Das
Buch hatte sie für ihre Kinder geschrieben, um ihnen
vor dem Einschlafen
daraus vorzulesen). Ihre vier Söhne, Ralph, Magnus,
Jake und Joseph, trugen
den Sarg zum Grab, ließen ihn herab und bedeckten ihn
mit feuchter Erde.
Später hat sich der Clan zu einer spiritistischen
Sitzung getroffen und
versucht mit der Mutter im Jenseits Kontakt
aufzunehmen. "Ich weiß nicht, ob
wir wirklich mit ihr kommuniziert haben", sagte Ralph
Fiennes einmal dazu in
einem Interview mit "Vanity Fair", "aber solange man
mir nicht das Gegenteil
beweist, glaube ich daran. Ich denke, dass es nach dem
Tod noch eine andere
Welt gibt, dass das Leben nicht einfach so vorbei ist.
Es gibt Momente, in
denen ich nervös, ängstlich oder sehr betroffen bin.
Und dann habe ich
plötzlich das Gefühl, dass meine Mutter mir ganz nahe
ist. Und ich fühle
mich besser".
In zahlreich erschienenen Nachrufen wurde Jini in
erster Linie als eine Frau
und Mutter gewürdigt, "die viel zu geben hatte - und
alle in ihrem Umfeld mit
Liebe beschenkte." Auf ihre Fähigkeiten als
Schriftstellerin ging man jedoch
kaum ein. Erst am 10. April. 1997, über drei Jahre
nach ihrem Tod, wurde
Blood Ties veröffentlicht. Dass die Fiennes-Kinder
dabei halfen, das neue
Buch bekannt zu machen, war für sie ganz
selbstverständlich. Sie tourten mit
"Blood Ties" durch britische Buchhandlungen, lasen
daraus vor.
Auch nach dem Tod der Mutter halten die Kinder
zusammen. Jedes Weihnachtsfest
und die Geburtstage verbringen sie gemeinsam. "Wir
würden uns wahrscheinlich
viel öfter sehen", sagt Joseph. "Aber wir sind nun mal
im Filmbusiness viel
unterwegs."
Klingt fast zu ideal, um wahr zu sein. Gibt es nicht
auch mal Verstimmungen?
Joseph reagiert zum Beispiel ausgesprochen sauer, wenn
Filmagenten nur wegen
seines Nachnamens an ihm interessiert sind. Stört es
ihn eigentlich, wenn er
mit seinem berühmteren Bruder verglichen wird?
"Es beeinflusst mich nicht, weil wir beide
grundverschieden sind. Früher
hatte ich aber schon ein bisschen Angst. Ich habe
immer gedacht: 'Big brother
is watching you' - hoffentlich machst du jetzt keinen
Mist. Das wäre einfach
peinlich für Ralph - und die Familie."
Oktober 1998
Text von Nicole von Bredow