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EIN FIENNES KOMMT SELTEN ALLEIN

Deutsche Cosmopolitan
Oktober 1998
Text von Nicole von Bredow


Klar kennen Sie Ralph Fiennes, den Superstar aus Der englische Patient. Und sicher auch schon seinen Bruder Joseph, der gerade auf der Leinwand durchstartet. Doch die stellen gerade mal ein Viertel der Power-Familie, von der Sie garantiert noch viel hören - und sehen - werden!

Es gibt mindestens zwei gute Gründe, warum Joseph Fiennes, der mit seinem neuen Film Elizabeth I Ende des Monats in die Kinos kommt, derzeit als einer der erfolgreichsten und begehrtesten Filmschauspieler gehandelt wird. Erstens: Er hat Talent und kann schauspielern - was er kürzlich in der Sommerkomödie Martha trifft Frank, Daniel und Laurence bewiesen hat. Zweitens: Er sieht einfach sehr gut aus und hat Charisma. Der 28-jährige Engländer ist genau der Typ Mann, den Frauen selbst dann noch erotisch finden, wenn er nur still in der Ecke sitzt und ein Buch liest. "Joes erotische Ausstrahlung kommt selbst im Schneideraum rüber", sagt Elizabeth I-Regisseur Shekhar Kapur. "Er hat Klasse, als Schauspieler genauso wie als Mann."

Doch das wirkliche Geheimnis seines Erfolgs ist seine Familie. Ein Clan von sieben Menschen, die das haben, was man sonst nur in kitschigen Fernsehserien sieht und im echten Leben immer zu schön und gefühlsduselig klingt, um wahr zu sein: Harmonie, Zugehörigkeitsgefühl, Liebe, Inspiration, Rückendeckung. Die Fiennes sind immer füreinander da, helfen sich gegenseitig, wo sie nur können.

Abgesehen von den Eltern Mark und Jini gehören zur "kleinen Fiennes-Farm": Ralph, mit 35 Jahren der älteste und spätestens seit Der englische Patient internationaler Superstar; Martha, 33, Regisseurin; Sophie, 31, freie Filmproduzentin; Magnus, 30, Komponist. Im Moment arbeiten drei der Geschwister sogar zusammen. In Ralphs neuem Film Onegin führt Martha Regie, Magnus komponiert die Musik.

Nur Jake, 28, der Zwillingsbruder von Joseph, schert aus dem kreativen Genpool aus: Er ist Waldmeister und arbeitet in Norfolk als Förster. "Unser Vater war Farmer, bevor er Fotograf wurde", sagt er. "Wahrscheinlich habe ich die Bauerngene geerbt, denn ich liebe das friedliche Landleben." Was nichts am innigen Verhältnis zum glamourösen Rest der Familie ändert. "Ich weiß, dass es Momente gibt, in denen vor allem Ralph gerne mit mir tauschen würde. Ab und zu gehe ich sogar zu den Filmpremieren meiner Geschwister, deswegen weiß ich genau, was die für ein Leben führen. Es ist ungefähr so wie zur Jagderöffnung, wo man vor lauter Leuten die Bäume nicht mehr sieht".

"Ich finde es ganz natürlich", sagt Sophie, die zuvor ihre Geschwister gefragt hat, ob sie überhaupt mit Cosmopolitan reden darf, "dass wir so ein enges Verhältnis haben. Schließlich hat unsere Mutter in sieben Jahren sechs Kinder geboren. Wir haben dieselbe Musik gehört, alle wichtigen Erfahrungen gemeinsam gemacht".

Martha und Ralph geben noch eine weitere Erklärung für die märchenhafte Brüderchen-und-Schwesterchen-Beziehung des Fiennes-Clans: "Wir sind das, was man in England eine 'bohemian family' nennt. Eine vornehme Umschreibung dafür, dass wir wie die Zigeuner durchs Land gezogen sind", meint Martha. Und jedes Mal, wenn die Fiennes wieder ihre Zelte abgebrochen haben, "waren die sozialen Kontakte, die wir zu anderen Kids in der Schule aufgebaut hatten, wieder hin", ergänzt Ralph.

Aber nicht nur Freundschaften, sondern auch die Leistungen in der Schule litten bei den Fiennes-Kindern. "Wir sind insgesamt 15-mal umgezogen", erzählt Joseph. "Das bedeutete jedes Jahr eine andere Schule, neue Lehrer, neue Lehrmethoden. Meine Zeugnisse sind daher ziemlich mies aufgefallen. Vielleicht ein Grund, warum mich historische Themen so reizen. Das gibt mir das Gefühl, gleichzeitig an meiner Bildung arbeiten zu können."

Phasenweise, wenn es fürs Schulgeld nicht reichte, hat Mutter Jini Fiennes ihre Kinder sogar selbst unterrrichtet. "Unsere Mutter hat uns immer dazu ermutigt zu lesen, zu zeichnen, uns kreativ auszudrücken", sagt Sophie. "Sie hat unsere Vorstellungskraft gefördert, hat unsere Seele genährt und ein enormes Selbstwertgefühl vermittelt. Mit Ansammlung von Wissen hatte ihr Unterricht nichts zu tun." Ihr Mann Mark Fiennes erinnert sich: "Jini war immer mehr daran interessiert, was Leute dachten, was für Ideen sie hatten. Bloßes Wissen hat sie nie beeindruckt."

Die filmreife Familiengeschichte begann im Jahr 1961: Jennifer "Jini" Lash und Mark Fiennes lernten sich bei gemeinsamen Freunden in Suffolk kennen. Jini hatte gerade ihr erstes Buch The Burial (Das Begräbnis) herausgebracht, Mark war ein einfacher Landarbeiter. "Es gibt nur ganz wenige Momente, in denen sich ein Mensch ganz sicher ist", sagt er heute. "Die Begegnung mit Jini war eine davon. Sie saß auf einem Sofa, sah mich an und sagte: "Das mit dem Schreiben muss dich nicht weiter beunruhigen. Alles, was ich will, sind sechs Kinder."

Innerhalb von 18 Monaten waren Jini und Mark Fiennes verheiratet, innerhalb von sieben Jahren hatten sie sechs Kinder, für die sie ihre Karriere als Schriftstellerin aufgab.

Eigentlich sind es sogar sieben Kinder, denn es gibt noch einen Bruder: Michael Emery, heute 46 Jahre alt, ein Pflegekind, das von seiner Mutter im Alter von neun Jahren verlassen wurde. Nach der Geburt von Sophie las Jini eine Anzeige in der "Times", in der Michael dringend nach Eltern suchte, "die ihn lieb haben würden und bei denen er so viel lesen könne, wie er wolle". Inzwischen gehört Michael zum Clan wie alle anderen auch.

"Es berührt mich immer noch tief, wie meine Mutter, die als Kind niemals Liebe oder Wärme zu spüren bekommen hat, uns so eine gute Mutter sein konnte", sagt Ralph. "Es muss ihre unglaubliche Vorstellungskraft gewesen sein, uns genau das zu geben, was Geborgenheit schafft."

Fernsehen war im Hause Fiennes verpönt. Stattdessen inspirierte Jini ihre Kinder zum Lesen, Zeichnen - und Schauspiel, studierte mit Ralph, als der für eine Schulaufführung probte, seine Rolle ein. "Wir alle wollen hören, dass unsere Arbeit einen gewissen Wert hat. Keine Schmeicheleien, sondern eine ehrliche Meinung. Meine Mutter konnte uns gut beurteilen. Sie hat immer leidenschaftlichen Anteil an unserer Arbeit genommen."

1986 wurde bei Jini Krebs diagnostiziert und nach einer schweren Operation machte sie sich 1990 auf eine Reise durch Frankreich und Spanien, um dort Wallfahrtstätten aufzusuchen. Allein. Ihre Erinnerungen daran schrieb sie in ihrem Buch On Pilgrimage auf (Bloomsbury Verlag).

Als Jini am 28. Dezember 1993 im Krankenhaus starb, holte ihre Familie sie nach Hause, den Körper in ein weißes Leintuch gewickelt. In dem Raum, in den man sie bis zur Beerdigung gebettet hatte, waren unzählige Kerzen angezündet, gemeinsam mit Freunden sang der Clan religiöse Lieder. "Ein ganz normales Begräbnis kam für unsere Familie gar nicht in Frage", erklärt Ralph. "Der Impuls, unsere Mutter gemeinsam und zu Hause zu verabschieden, ging aber von meinen Vater aus. Das zeigt, wie nahe sich meine Eltern das ganze Leben über waren."

Ein Sarg wurde angepasst und leuchtend "Electric"-blau gestrichen - die Farbe, die Jini in ihrem (unveröffentlichten) Buch Tristam - und die Kraft des Lichtes als Symbol für Stärke, Frieden und Spiritualität gewählt hat. (Das Buch hatte sie für ihre Kinder geschrieben, um ihnen vor dem Einschlafen daraus vorzulesen). Ihre vier Söhne, Ralph, Magnus, Jake und Joseph, trugen den Sarg zum Grab, ließen ihn herab und bedeckten ihn mit feuchter Erde.

Später hat sich der Clan zu einer spiritistischen Sitzung getroffen und versucht mit der Mutter im Jenseits Kontakt aufzunehmen. "Ich weiß nicht, ob wir wirklich mit ihr kommuniziert haben", sagte Ralph Fiennes einmal dazu in einem Interview mit "Vanity Fair", "aber solange man mir nicht das Gegenteil beweist, glaube ich daran. Ich denke, dass es nach dem Tod noch eine andere Welt gibt, dass das Leben nicht einfach so vorbei ist. Es gibt Momente, in denen ich nervös, ängstlich oder sehr betroffen bin. Und dann habe ich plötzlich das Gefühl, dass meine Mutter mir ganz nahe ist. Und ich fühle mich besser".

In zahlreich erschienenen Nachrufen wurde Jini in erster Linie als eine Frau und Mutter gewürdigt, "die viel zu geben hatte - und alle in ihrem Umfeld mit Liebe beschenkte." Auf ihre Fähigkeiten als Schriftstellerin ging man jedoch kaum ein. Erst am 10. April. 1997, über drei Jahre nach ihrem Tod, wurde Blood Ties veröffentlicht. Dass die Fiennes-Kinder dabei halfen, das neue Buch bekannt zu machen, war für sie ganz selbstverständlich. Sie tourten mit "Blood Ties" durch britische Buchhandlungen, lasen daraus vor.

Auch nach dem Tod der Mutter halten die Kinder zusammen. Jedes Weihnachtsfest und die Geburtstage verbringen sie gemeinsam. "Wir würden uns wahrscheinlich viel öfter sehen", sagt Joseph. "Aber wir sind nun mal im Filmbusiness viel unterwegs."

Klingt fast zu ideal, um wahr zu sein. Gibt es nicht auch mal Verstimmungen? Joseph reagiert zum Beispiel ausgesprochen sauer, wenn Filmagenten nur wegen seines Nachnamens an ihm interessiert sind. Stört es ihn eigentlich, wenn er mit seinem berühmteren Bruder verglichen wird?

"Es beeinflusst mich nicht, weil wir beide grundverschieden sind. Früher hatte ich aber schon ein bisschen Angst. Ich habe immer gedacht: 'Big brother is watching you' - hoffentlich machst du jetzt keinen Mist. Das wäre einfach peinlich für Ralph - und die Familie."


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