German Petra magazine
Noch kennt man ihn höchstens als "kleinen Bruder von
Ralph Fiennes". Doch
das wird sich mit Shakespeare in Love ändern. In der
Rolle des heißblütigen
Barden erobert Joseph Fiennes die Herzen der
resistentesten Frauen - auf die
feine englische Art.
Warnung, samtiger Sex-Appeal
Der Mann ist etwas Besonderes: Er versteht etwas von
Strumpfhosen. Um seine
maskuline Psyche zu dechiffrieren, muß man nicht erst
angestrengt in der
weiblichen Trickkiste wühlen. Und ihn zum Beispiel mit
dem Testosteron-Thema
"Die Geheimnisse der Moorhuhnjagd" - schließlich ist
der Mann Engländer -
aus der Reserve locken. Nein, Joseph Fiennes ist ein
Frauenmann, der es
versteht, im Körper eines Latin-Lovers die Rolle der
besten Freundin
einzunehmen. Mit ihm kann man gleich zum Wesentlichen
kommen. Wie etwa zu
den Vorteilen von Bügel-Bhs gegenüber Bustiers.
Hemmungslos könnte er solch
intime Tabuthemen mit uns teilen, deren Spaß-Faktor
sich dem gemeinen Mann
niemals erschließt.
Und das kommt nicht von ungefähr. Seit seinen Erfolgen
als Liebhaber der
Königin im Film Elizabeth sowie als William
Shakespeare in Shakespeare
in Love (jetzt im Kino) kennt er sich aus mit
Zwickelproblemen und
Trageeigenschaften von Strumpfhosen. Die Kostümfilme -
beide spielen im
16. Jahrhundert - machten ihn nicht nur zum
gesprächskompatiblen
Bekleidungsexperten für Frauen, sondern quasi über
Nacht zur neuen Supernova
am Star-Himmel. Plötzlich entdeckten die Kritiker in
dem 28jährigen
Schauspieler ein "Sex-Symbol für Frauen mit Grips"
("The Sun"): Vom
sexbesessenen Los Angeles bis zum intellektuellen New
York wird man nicht
müde, seine "animalische Anziehungskraft" zu loben;
seine "verführerische
Verschmitztheit" (Elizabeth-Kollegin Cate
Blanchett); seinen "Charme,
seine Sinnlichkeit und seine schmerzlich offenliegende
Verletzlichkeit -
welch potente Kombination!" (Shakespeare-Regisseur
John Madden). Daß er
nun plötzlich als ein Art Pin-up für Gebildete
herhalten soll, findet
Fiennes saukomisch. "Ich muß jedesmal lachen, wenn man
mir weismachen will,
ich sei der neue, heiße Typ. Wie kann ein Kerl in
Strumpfhosen als
Herzensbrecher gelten?" Seine Erfahrung bei den
Shakespeare-Dreharbeiten
beschreibt er vielmehr als demütigend: "Ich war ganz
schön genervt von diesen
puffigen Beinkleidern, die aussehen wie zwei
gigantische Hüft-Tomaten."
Natürlich kokettiert der Londoner (er kaufte kürzlich
sein erstes Haus im
hippen Notting Hill), wenn er so spricht. Schließlich
ist er Schauspieler.
Schein und Sein manipulierend im Rollenspiel. Und
selbstverständlich sieht
kein Mensch, schon gar kein weiblicher, in ihm einen
lächerlichen Gecken im
Stützstrumpf, wenn er doch leibhaftig einen
postmodern-coolen Anzug von Paul
Smith trägt ("Ich liebe es klassisch mit dem gewissen
Dreh"). Designer-Labels
kann er sich mittlerweile leisten. Doch kaum einer
weiß besser als er, wie es
sich anfühlt, jahrelang als relativ erfolgloser
Schauspieler pleite zu sein:
Er verließ mit 16 die Schule, studierte ein Jahr an
der "Art School" in
Suffolk und landete schließlich am National Theatre in
London, wo er als
"Mädchen für alles" begann. Fiennes über die Genesis
seines
Schauspieler-Starruhms: "Die eigentliche Überraschung
war die abenteuerliche
Fülle an muffigen Hosen und stinkenden Socken, mit der
man sich am Theater
herumschlagen muß. Da habe ich kapiert, daß dieser
Beruf weniger mit Glamour
zu tun hat, sondern eher harte Arbeit ist." Schlimmer
aber war, daß er auch
später in der "Guildhall of Music and Drama" sowie bei
der "Royal Shakespeare
Company" so gut wie nichts verdiente. Josephs Rettung:
die Liebe. Seine
damalige Freundin, die Schauspielerin Sara Griffiths,
bekennt er, habe ihn
sechs Jahre lang durchgebracht: "Sie hat dafür
gesorgt, daß wir etwas zu
beißen hatten, und hat mich durch alle Tiefpunkte
geschleust. In unserem Job
muß man haupt-sächlich lernen, mit Zurückweisung
umzugehen, und darin konnten
wir einander helfen."
Erfolg in Strumpfhosen
Daß die Beziehung zerbrach, ausgerechnet zu einem
Zeitpunkt, als seine Karriere
abhob und sich nun alle Welt nach ihm verzehrt, hat
ihm die britische Presse
etwas übelgenommen. Wenngleich die Neugierde siegt,
wer denn "die Neue" an
seiner Seite sei. Die ehemalige Klosterschülerin und
26jährige
Schauspielkollegin Catherine McCormack (Braveheart)
etwa, mit der er
angeblich eine romantische Woche auf den westindischen
Inseln verbrachte?
Oder gar Gwyneth Paltrow, seine Partnerin in
Shakespeare in Love? Wegen
Fiennes, so munkelt man, habe sie Ben Affleck vom Hofe
gejagt und dem
Verlassenen bei den "Golden Globes" die kalte Schulter
gezeigt. War der
leidenschaftliche Schmelz in ihren Augen nicht
verräterisch, als sie Fiennes
öffentlich für die Zusammenarbeit dankte?
Anlaß zu derlei Spekulationen bieten natürlich auch
die erotisch aufgeladenen
Bettszenen der beiden in Shakespeare in Love. Die
hinreißende, romantische
Komödie erzählt die fiktive Geschichte des
umtriebig-feurigen Barden
Shakespeare, der unter einer Schreibblockade leidet,
während er an einem Epos
mit dem abstrusen Titel "Romeo und Ethel, die
Piraten-Tochter" arbeitet. Als
er auf Viola (Paltrow) trifft, entwickelt sich eine
turbulente Story von Liebe
und Leidenschaft, die in dem berühmtesten Drama
Shakespeares gipfelt: "Romeo und
Julia". Während Klatschmäuler argwöhnen, Joe und Gwyn
würden sich ja
komplizenhaft nicht nur über Laufmaschen und
Pluderhosen unterhalten haben -
Paltrow spielt in ihrer Doppelrolle sowohl einen
Edelmann als auch einen
zarten Jüngling - reagiert "Romeo" Fiennes wie ein
Gentleman: "Sie ist das
wundervollste Mädchen überhaupt. Jeder am Set hat sich
in sie verliebt. Ich
natürlich auch." Als helfe hier nur die Flucht nach
vorne, neckt er über die
heißblütigen Nacktszenen: "Ich bin unheimlich
schüchtern, deshalb fällt es mir
nicht leicht, mich vor einem Haufen Leute zu
entblößen. Allerdings wird die
Sache einfacher, wenn die Person, mit der du Sex hast,
Gwyneth Paltrow ist."
Joseph Fiennes stiehlt sich nicht nur wegen seines
samtigen Sex-Appeals ins
Herz aller schmachtenden Fans. Er steht nicht nur im
Blickpunkt wegen seiner
drei Filmerfolge (den dritten, Martha trifft Frank,
Daniel und Laurence gibt
es bei uns inzwischen auf Video), sondern auch wegen
seines berühmten Bruders
Ralph Fiennes (Schindlers Liste, Der englische
Patient). So sagt Joseph:
"Mein Bruder hat mir emotional sehr geholfen. Auch
beim Lernen von Drehbüchern.
Aber den Rest mußte ich schon alleine machen."
Weniger bekannt ist, daß fast alle Geschwister
Fiennes' in kreativen Berufen
arbeiten: Die Schwestern Martha, 36, und Sophie, 32,
sind Regisseurin bzw.
Produzentin. Die Brüder Magnus, 34, und Michael, 30,
wurden Musiker und
Schauspieler. Lediglich Josephs Zwillingsbruder Jacob
entschied sich für ein
Leben abseits des Rampenlichts: Er wurde Förster.
Joseph gilt als zugänglicher
und schmusiger als sein großer Bruder Ralph.
Vielleicht, wie seine Schwester
Martha beschreibt, weil er "seine rebellische Phase"
schon mit elf Jahren
hinter sich hatte. "Meine Kindheit war verrückt,
schlimm und großartig", so
Joseph. "Schlimm deshalb, weil wir allein 14 mal
umzogen, bis ich Teenager war."
Das Bohemien-Leben finanzierte Vater Mark, von Beruf
Fotograf, zumeist aus
dem Verkauf der restaurierten Häuser, in denen man
lebte. Mutter Jennifer
(die vor vier Jahren an Brustkrebs starb), sorgte für
seelische Wärme,
unterrichtete ihre Kinder und erzog sie dazu, "sich
mit dem Innersten jeder
Aufgabe zu widmen, sei sie auch noch so klein" (Martha
Fiennes). Sie schrieb
daneben noch ein halbes Dutzend Romane und malte.
Auch Joseph hat immer einen Skizzenblock dabei, um
seiner Phantasie jederzeit
Ausdruck verleihen zu können. Ein Feingeist und Ästhet
wie er ist natürlich
wie dafür geschaffen, auf der Leinwand
Renaissance-Menschen darzustellen.
Joseph Fiennes liebt das Elisabethanische Zeitalter.
Unter anderem, "weil
sich damals auch Männer wie Pfaffen ausstaffierten."
Gleiches Recht für alle.
Aber am Set war ihm seine Aufrüschaktion doch
peinlich: "Laufen Sie mal in
Pluderhosen durch eine Horde von Elektrikern!"
April 1999
By Uschka Pittroff