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Bruder Joseph

German Petra magazine
April 1999
By Uschka Pittroff


Noch kennt man ihn höchstens als "kleinen Bruder von Ralph Fiennes". Doch das wird sich mit Shakespeare in Love ändern. In der Rolle des heißblütigen Barden erobert Joseph Fiennes die Herzen der resistentesten Frauen - auf die feine englische Art.

Warnung, samtiger Sex-Appeal

Der Mann ist etwas Besonderes: Er versteht etwas von Strumpfhosen. Um seine maskuline Psyche zu dechiffrieren, muß man nicht erst angestrengt in der weiblichen Trickkiste wühlen. Und ihn zum Beispiel mit dem Testosteron-Thema "Die Geheimnisse der Moorhuhnjagd" - schließlich ist der Mann Engländer - aus der Reserve locken. Nein, Joseph Fiennes ist ein Frauenmann, der es versteht, im Körper eines Latin-Lovers die Rolle der besten Freundin einzunehmen. Mit ihm kann man gleich zum Wesentlichen kommen. Wie etwa zu den Vorteilen von Bügel-Bhs gegenüber Bustiers. Hemmungslos könnte er solch intime Tabuthemen mit uns teilen, deren Spaß-Faktor sich dem gemeinen Mann niemals erschließt.

Und das kommt nicht von ungefähr. Seit seinen Erfolgen als Liebhaber der Königin im Film Elizabeth sowie als William Shakespeare in Shakespeare in Love (jetzt im Kino) kennt er sich aus mit Zwickelproblemen und Trageeigenschaften von Strumpfhosen. Die Kostümfilme - beide spielen im 16. Jahrhundert - machten ihn nicht nur zum gesprächskompatiblen Bekleidungsexperten für Frauen, sondern quasi über Nacht zur neuen Supernova am Star-Himmel. Plötzlich entdeckten die Kritiker in dem 28jährigen Schauspieler ein "Sex-Symbol für Frauen mit Grips" ("The Sun"): Vom sexbesessenen Los Angeles bis zum intellektuellen New York wird man nicht müde, seine "animalische Anziehungskraft" zu loben; seine "verführerische Verschmitztheit" (Elizabeth-Kollegin Cate Blanchett); seinen "Charme, seine Sinnlichkeit und seine schmerzlich offenliegende Verletzlichkeit - welch potente Kombination!" (Shakespeare-Regisseur John Madden). Daß er nun plötzlich als ein Art Pin-up für Gebildete herhalten soll, findet Fiennes saukomisch. "Ich muß jedesmal lachen, wenn man mir weismachen will, ich sei der neue, heiße Typ. Wie kann ein Kerl in Strumpfhosen als Herzensbrecher gelten?" Seine Erfahrung bei den Shakespeare-Dreharbeiten beschreibt er vielmehr als demütigend: "Ich war ganz schön genervt von diesen puffigen Beinkleidern, die aussehen wie zwei gigantische Hüft-Tomaten."

Natürlich kokettiert der Londoner (er kaufte kürzlich sein erstes Haus im hippen Notting Hill), wenn er so spricht. Schließlich ist er Schauspieler. Schein und Sein manipulierend im Rollenspiel. Und selbstverständlich sieht kein Mensch, schon gar kein weiblicher, in ihm einen lächerlichen Gecken im Stützstrumpf, wenn er doch leibhaftig einen postmodern-coolen Anzug von Paul Smith trägt ("Ich liebe es klassisch mit dem gewissen Dreh"). Designer-Labels kann er sich mittlerweile leisten. Doch kaum einer weiß besser als er, wie es sich anfühlt, jahrelang als relativ erfolgloser Schauspieler pleite zu sein: Er verließ mit 16 die Schule, studierte ein Jahr an der "Art School" in Suffolk und landete schließlich am National Theatre in London, wo er als "Mädchen für alles" begann. Fiennes über die Genesis seines Schauspieler-Starruhms: "Die eigentliche Überraschung war die abenteuerliche Fülle an muffigen Hosen und stinkenden Socken, mit der man sich am Theater herumschlagen muß. Da habe ich kapiert, daß dieser Beruf weniger mit Glamour zu tun hat, sondern eher harte Arbeit ist." Schlimmer aber war, daß er auch später in der "Guildhall of Music and Drama" sowie bei der "Royal Shakespeare Company" so gut wie nichts verdiente. Josephs Rettung: die Liebe. Seine damalige Freundin, die Schauspielerin Sara Griffiths, bekennt er, habe ihn sechs Jahre lang durchgebracht: "Sie hat dafür gesorgt, daß wir etwas zu beißen hatten, und hat mich durch alle Tiefpunkte geschleust. In unserem Job muß man haupt-sächlich lernen, mit Zurückweisung umzugehen, und darin konnten wir einander helfen."

Erfolg in Strumpfhosen

Daß die Beziehung zerbrach, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als seine Karriere abhob und sich nun alle Welt nach ihm verzehrt, hat ihm die britische Presse etwas übelgenommen. Wenngleich die Neugierde siegt, wer denn "die Neue" an seiner Seite sei. Die ehemalige Klosterschülerin und 26jährige Schauspielkollegin Catherine McCormack (Braveheart) etwa, mit der er angeblich eine romantische Woche auf den westindischen Inseln verbrachte? Oder gar Gwyneth Paltrow, seine Partnerin in Shakespeare in Love? Wegen Fiennes, so munkelt man, habe sie Ben Affleck vom Hofe gejagt und dem Verlassenen bei den "Golden Globes" die kalte Schulter gezeigt. War der leidenschaftliche Schmelz in ihren Augen nicht verräterisch, als sie Fiennes öffentlich für die Zusammenarbeit dankte?

Anlaß zu derlei Spekulationen bieten natürlich auch die erotisch aufgeladenen Bettszenen der beiden in Shakespeare in Love. Die hinreißende, romantische Komödie erzählt die fiktive Geschichte des umtriebig-feurigen Barden Shakespeare, der unter einer Schreibblockade leidet, während er an einem Epos mit dem abstrusen Titel "Romeo und Ethel, die Piraten-Tochter" arbeitet. Als er auf Viola (Paltrow) trifft, entwickelt sich eine turbulente Story von Liebe und Leidenschaft, die in dem berühmtesten Drama Shakespeares gipfelt: "Romeo und Julia". Während Klatschmäuler argwöhnen, Joe und Gwyn würden sich ja komplizenhaft nicht nur über Laufmaschen und Pluderhosen unterhalten haben - Paltrow spielt in ihrer Doppelrolle sowohl einen Edelmann als auch einen zarten Jüngling - reagiert "Romeo" Fiennes wie ein Gentleman: "Sie ist das wundervollste Mädchen überhaupt. Jeder am Set hat sich in sie verliebt. Ich natürlich auch." Als helfe hier nur die Flucht nach vorne, neckt er über die heißblütigen Nacktszenen: "Ich bin unheimlich schüchtern, deshalb fällt es mir nicht leicht, mich vor einem Haufen Leute zu entblößen. Allerdings wird die Sache einfacher, wenn die Person, mit der du Sex hast, Gwyneth Paltrow ist."

Joseph Fiennes stiehlt sich nicht nur wegen seines samtigen Sex-Appeals ins Herz aller schmachtenden Fans. Er steht nicht nur im Blickpunkt wegen seiner drei Filmerfolge (den dritten, Martha trifft Frank, Daniel und Laurence gibt es bei uns inzwischen auf Video), sondern auch wegen seines berühmten Bruders Ralph Fiennes (Schindlers Liste, Der englische Patient). So sagt Joseph: "Mein Bruder hat mir emotional sehr geholfen. Auch beim Lernen von Drehbüchern. Aber den Rest mußte ich schon alleine machen."

Weniger bekannt ist, daß fast alle Geschwister Fiennes' in kreativen Berufen arbeiten: Die Schwestern Martha, 36, und Sophie, 32, sind Regisseurin bzw. Produzentin. Die Brüder Magnus, 34, und Michael, 30, wurden Musiker und Schauspieler. Lediglich Josephs Zwillingsbruder Jacob entschied sich für ein Leben abseits des Rampenlichts: Er wurde Förster. Joseph gilt als zugänglicher und schmusiger als sein großer Bruder Ralph. Vielleicht, wie seine Schwester Martha beschreibt, weil er "seine rebellische Phase" schon mit elf Jahren hinter sich hatte. "Meine Kindheit war verrückt, schlimm und großartig", so Joseph. "Schlimm deshalb, weil wir allein 14 mal umzogen, bis ich Teenager war." Das Bohemien-Leben finanzierte Vater Mark, von Beruf Fotograf, zumeist aus dem Verkauf der restaurierten Häuser, in denen man lebte. Mutter Jennifer (die vor vier Jahren an Brustkrebs starb), sorgte für seelische Wärme, unterrichtete ihre Kinder und erzog sie dazu, "sich mit dem Innersten jeder Aufgabe zu widmen, sei sie auch noch so klein" (Martha Fiennes). Sie schrieb daneben noch ein halbes Dutzend Romane und malte.

Auch Joseph hat immer einen Skizzenblock dabei, um seiner Phantasie jederzeit Ausdruck verleihen zu können. Ein Feingeist und Ästhet wie er ist natürlich wie dafür geschaffen, auf der Leinwand Renaissance-Menschen darzustellen. Joseph Fiennes liebt das Elisabethanische Zeitalter. Unter anderem, "weil sich damals auch Männer wie Pfaffen ausstaffierten." Gleiches Recht für alle. Aber am Set war ihm seine Aufrüschaktion doch peinlich: "Laufen Sie mal in Pluderhosen durch eine Horde von Elektrikern!"


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