Stuttgarter Zeitung
Alle in seiner Familie stehen irgendwie im Licht der
Öffentlichkeit.
Nur Joseph Fiennes macht sich rar - und wünscht
Shakespeare das
gleiche. Denn der Held aus Shakespeare in Love
möchte die Stücke
des englischen Dramatikers endlich wieder aufführen
können, ohne
dass das Publikum die Dialoge mitmurmelt.
Starruhm ist eine leicht verderbliche Ware. Zu
Weihnachten hat Sharon
Stone noch schicke Armbanduhren an Hollywoods
Filmkritiker verschickt,
aber keiner der so Beglückten hat die Glitzerticker
umgeschnallt oder
in die Andenkenvitrine gelegt. Nein, einhellig haben
die Kerle die
kleine Lockung zur Bestechlichkeit retour geschickt.
Dabei hätten sich
die gleichen Filmkritiker vor ein paar Jahren, nach
Basic Instinct,
noch glücklich geschätzt, einen illegal aus dem
Hausmüll entwendeten
Kaffeefilter der Diva ihr eigen nennen zu dürfen. Nun
aber ist Stones
neuer Film Die Muse sang- und klanglos wieder aus
den Kinos verschwunden.
1999 ist der Verdrängungswettbewerb der kantigen Kinne
und rassigen
Kurven, der schmollenden Lippen und schmachtenden
Augen, der gleißenden
Zahnreihen und der martialischen Muskelhöcker noch ein
bisschen härter
geworden.
Auf dem Markt des hysterischen Stargerangels um unsere
Aufmerksamkeit
hat es in diesem Jahr eigentlich nur einer geschafft,
durch Abwesenheit
in Erinnerung zu bleiben, durch fehlende Filme auf
sich aufmerksam zu
machen: Joseph Fiennes, der in Shakespeare in Love
vor einem Jahr
das weibliche Kinopublikum auf der feinen Grenze
zwischen Ohnmacht
und Verzückung hielt. In ihm mischt sich die
schmächtig-sensible Statur
des feinnervigen Großtstadtintellekuellen mit einer
draufgängerisch
stoppeligen Piraten-Exotik, geht die leicht
geheimnisverschleierte
Leidenschaftlichkeit des Prinzen aus dem Morgenland
mit der greifbaren
Kumpelhaftigkeit des Ex-Scheibeneinkickers aus den
Nachbarschaftsstrassen
einher.
Nach allen Gesetzen der Unterhaltungsindustrie hätten
wir da spätestens
zu Weihnachten Britanniens begehrtesten Schwiegersohn
in einem neuen
Starvehikel sehen müssen. Und der eine oder andere
Kinobetreiber hatte
sicher auf zwei neue Fiennes-Filme gehofft. Der 1970
geborene jüngere
Bruder von Ralph Fiennes, der mit Schindlers Liste
und Der englische
Patient zum Weltstar wurde, hatte den Sprung vom
Theater zum Kino
schließlich mit einer veritablen dreifachen Schraube
bewerkstelligt.
In der romantischen Beziehungskomödie Martha trifft
Daniel, Frank und
Laurence, in dem bitteren Polithistorienstück
Elizabeth und in der
charmanten Genie-Erdung Shakespeare in Love spielte
Joseph Fiennes
kurz hintereinander Liebhaber von ganz
unterschiedlichem Glück und
Geschick.
Hollywoods Produzenten bürden solch fleissigen und
vorerst
verschleissresistenten Herzensbrechern gern eine
Schnulze nach der
anderen auf, um den Markt abzuschöpfen. Die
Herrschaften an den
Hebeln der Filmwirtschaft sind bekanntlich frei von
Zögerlichkeiten
und hinderlichen Skrupeln: eher sind sie mit der
Geduld jener Leute
gesegnet, die mit Handgranaten fischen gehen. Im Fall
von Joseph Fiennes
aber konnten sie mit eiligen Kuss-Kuss-Projekten nicht
landen. Der
Jungstar hat nicht auf Leinwandpräsenz um jeden Preis
gesetzt, sondern
auf Projekte gewartet, die ihm gefallen haben und die
nun erst nächstes
Jahr ins Kino kommen: die Mafia-Komödie Rancid
Aluminium und der
Paul-Schrader-Thriller Forever Mine. Das war aber
nicht die einzige
Enttäuschung, die Fiennes den Fließbandfilmern
bereitet hat. Beinahe
nämlich wäre dieser Kerl ein doppeltes Gottesgeschenk
für die
Filmindustrie, hat er doch einen Zwillingsbruder. Ein
genetisch
beglaubigtes Double für einen verschnupften,
verstimmten,
verhinderten Star einsetzen zu können - das wäre nun
wirklich
die Produzentenvariante vom irdischen Paradies.
Dummerweise ist
zwar Schwester Martha Regisseurin und hat gerade mit
Ralph einen
Film gedreht, Schwester Sophie ebenfalls
Schauspielerin, Bruder
Magnus Komponist, Vater Mark Fotograf, und die 1993
verstorbene
Mutter Jini war Autorin und Malerin. Aber ausgerechnet
der
Zwillingsbruder Jacob ist Wildhüter geworden und hat
mit dem
Filmgeschäft gar nichts am Gamsbarthut.
Wobei sich unter Englands Glimmer- und
Glitzerjournalisten allerdings
das Gerücht hält, Joseph schicke diesen Jacob manchmal
auf seine
Interviewtermine - so ernst guckt das Gegenüber, so
wenig ist es
bereit, auf Medienklatsch einzugehen und neckische,
PR-taugliche
Anekdötchen über die brüderliche Rivalität mit Ralph
zum Besten
zu geben.
Aber solche Platztausch-Scherze hat Joseph gar nicht
nötig. Er meint
es wohl einfach ernst mit seiner Berufung. Er ist auch
nicht nach
Hollywood umgesiedelt, um näher an den
Schwadronier-Treffen der
nächsten Megaprojekte zu sein, sondern spielt weiter
in London
Theater.
Und hat dort gar nicht vor, seinen
Shakespeare-Kinobonus auszuspielen.
Im Gegenteil, ihm wäre ein mehrjähriges
Aufführungsverbot für
Shakespeares Stücke gerade recht. Damit Schauspieler,
sagt er, die
großen Monologe des Altmeisters später mal wieder
sprechen könnten,
ohne dass das Publikum in der ersten Reihe Wort für
Wort mitmurmle.
Doch bis Hamlets Grübeleien wieder so vergessen sind,
ist vielleicht
sogar Sharon Stones Karriere wieder in Gang gekommen -
und solange
will Joseph Fiennes die Bühnenbretter denn doch nicht
warten lassen.
"Sonntag Aktuell", page 12
Sunday, January 2, 2000
By Thomas Klingenmaier