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Zwischen Ohnmacht und Entzückung

Stuttgarter Zeitung
"Sonntag Aktuell", page 12
Sunday, January 2, 2000
By Thomas Klingenmaier


Alle in seiner Familie stehen irgendwie im Licht der Öffentlichkeit. Nur Joseph Fiennes macht sich rar - und wünscht Shakespeare das gleiche. Denn der Held aus Shakespeare in Love möchte die Stücke des englischen Dramatikers endlich wieder aufführen können, ohne dass das Publikum die Dialoge mitmurmelt.

Starruhm ist eine leicht verderbliche Ware. Zu Weihnachten hat Sharon Stone noch schicke Armbanduhren an Hollywoods Filmkritiker verschickt, aber keiner der so Beglückten hat die Glitzerticker umgeschnallt oder in die Andenkenvitrine gelegt. Nein, einhellig haben die Kerle die kleine Lockung zur Bestechlichkeit retour geschickt. Dabei hätten sich die gleichen Filmkritiker vor ein paar Jahren, nach Basic Instinct, noch glücklich geschätzt, einen illegal aus dem Hausmüll entwendeten Kaffeefilter der Diva ihr eigen nennen zu dürfen. Nun aber ist Stones neuer Film Die Muse sang- und klanglos wieder aus den Kinos verschwunden. 1999 ist der Verdrängungswettbewerb der kantigen Kinne und rassigen Kurven, der schmollenden Lippen und schmachtenden Augen, der gleißenden Zahnreihen und der martialischen Muskelhöcker noch ein bisschen härter geworden.

Auf dem Markt des hysterischen Stargerangels um unsere Aufmerksamkeit hat es in diesem Jahr eigentlich nur einer geschafft, durch Abwesenheit in Erinnerung zu bleiben, durch fehlende Filme auf sich aufmerksam zu machen: Joseph Fiennes, der in Shakespeare in Love vor einem Jahr das weibliche Kinopublikum auf der feinen Grenze zwischen Ohnmacht und Verzückung hielt. In ihm mischt sich die schmächtig-sensible Statur des feinnervigen Großtstadtintellekuellen mit einer draufgängerisch stoppeligen Piraten-Exotik, geht die leicht geheimnisverschleierte Leidenschaftlichkeit des Prinzen aus dem Morgenland mit der greifbaren Kumpelhaftigkeit des Ex-Scheibeneinkickers aus den Nachbarschaftsstrassen einher.

Nach allen Gesetzen der Unterhaltungsindustrie hätten wir da spätestens zu Weihnachten Britanniens begehrtesten Schwiegersohn in einem neuen Starvehikel sehen müssen. Und der eine oder andere Kinobetreiber hatte sicher auf zwei neue Fiennes-Filme gehofft. Der 1970 geborene jüngere Bruder von Ralph Fiennes, der mit Schindlers Liste und Der englische Patient zum Weltstar wurde, hatte den Sprung vom Theater zum Kino schließlich mit einer veritablen dreifachen Schraube bewerkstelligt. In der romantischen Beziehungskomödie Martha trifft Daniel, Frank und Laurence, in dem bitteren Polithistorienstück Elizabeth und in der charmanten Genie-Erdung Shakespeare in Love spielte Joseph Fiennes kurz hintereinander Liebhaber von ganz unterschiedlichem Glück und Geschick.

Hollywoods Produzenten bürden solch fleissigen und vorerst verschleissresistenten Herzensbrechern gern eine Schnulze nach der anderen auf, um den Markt abzuschöpfen. Die Herrschaften an den Hebeln der Filmwirtschaft sind bekanntlich frei von Zögerlichkeiten und hinderlichen Skrupeln: eher sind sie mit der Geduld jener Leute gesegnet, die mit Handgranaten fischen gehen. Im Fall von Joseph Fiennes aber konnten sie mit eiligen Kuss-Kuss-Projekten nicht landen. Der Jungstar hat nicht auf Leinwandpräsenz um jeden Preis gesetzt, sondern auf Projekte gewartet, die ihm gefallen haben und die nun erst nächstes Jahr ins Kino kommen: die Mafia-Komödie Rancid Aluminium und der Paul-Schrader-Thriller Forever Mine. Das war aber nicht die einzige Enttäuschung, die Fiennes den Fließbandfilmern bereitet hat. Beinahe nämlich wäre dieser Kerl ein doppeltes Gottesgeschenk für die Filmindustrie, hat er doch einen Zwillingsbruder. Ein genetisch beglaubigtes Double für einen verschnupften, verstimmten, verhinderten Star einsetzen zu können - das wäre nun wirklich die Produzentenvariante vom irdischen Paradies. Dummerweise ist zwar Schwester Martha Regisseurin und hat gerade mit Ralph einen Film gedreht, Schwester Sophie ebenfalls Schauspielerin, Bruder Magnus Komponist, Vater Mark Fotograf, und die 1993 verstorbene Mutter Jini war Autorin und Malerin. Aber ausgerechnet der Zwillingsbruder Jacob ist Wildhüter geworden und hat mit dem Filmgeschäft gar nichts am Gamsbarthut.

Wobei sich unter Englands Glimmer- und Glitzerjournalisten allerdings das Gerücht hält, Joseph schicke diesen Jacob manchmal auf seine Interviewtermine - so ernst guckt das Gegenüber, so wenig ist es bereit, auf Medienklatsch einzugehen und neckische, PR-taugliche Anekdötchen über die brüderliche Rivalität mit Ralph zum Besten zu geben.

Aber solche Platztausch-Scherze hat Joseph gar nicht nötig. Er meint es wohl einfach ernst mit seiner Berufung. Er ist auch nicht nach Hollywood umgesiedelt, um näher an den Schwadronier-Treffen der nächsten Megaprojekte zu sein, sondern spielt weiter in London Theater.

Und hat dort gar nicht vor, seinen Shakespeare-Kinobonus auszuspielen. Im Gegenteil, ihm wäre ein mehrjähriges Aufführungsverbot für Shakespeares Stücke gerade recht. Damit Schauspieler, sagt er, die großen Monologe des Altmeisters später mal wieder sprechen könnten, ohne dass das Publikum in der ersten Reihe Wort für Wort mitmurmle. Doch bis Hamlets Grübeleien wieder so vergessen sind, ist vielleicht sogar Sharon Stones Karriere wieder in Gang gekommen - und solange will Joseph Fiennes die Bühnenbretter denn doch nicht warten lassen.


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