Shakespeare in Love - Ein Film über die beiden Weltwunder
Sequence # 2, 11/12/1999, Seite 52/53
"So unbefriedigt willst Du mich verlassen?" fragt der Dichter lächelnd, da
liegt er auf ihr. "Das ist mein Text." entgegnet die Schauspielerin, ihr
tiefes Verständnis für das Wesen des Berufes offenbarend.
Obschon es eigentlich sein Text sein sollte, nicht nur, weil er ihn geschrieben
hat, auch, weil es Romeos Text ist. Aber die Frau, die eben noch sagte "Das
hätte ich niemals geglaubt, daß etwas schöner als ein Schauspiel sein kann",
probiert tatsächlich den Romeo für die Uraufführung, aber sie wird ihn nicht
spielen, weil John Webster, die kleine Ratte, sagen wird "Ich habe ihre Dutten
gesehen" und Dutten auf der Bühne sind verboten. Im Bett nicht, so haben sie
ihre Freude dran. Dann muß er fort, ihre Liebe ist verboten, sie ist verkauft
an diesen blöden Lord, doch sie schwindelt lächelnd: Es war die Eule, nicht
der Hahn. Das will er sich merken. Dieser Film von John Madden war für dreizehn
Oscars nominiert und sieben hat er auch erhalten, mit Recht. Die Qualität des
Filmes ist wohl die Konsequenz, mit der er sich den ursprünglichen Maßgaben
seines Sujets anverwandelt: Kein Mensch besuchte, zu Königin Elisabeths
Zeiten, das Theater mit dem Wunsch, über den Sinn des Lebens unterrichtet
zu werden. Es war eine Show, manchmal ging man zur Bärenhatz und manchmal
ins Theater, es war aber kein so großer Unterschied. Und kein Mensch besucht
heute das Kino, um sich über Theatergeschichte unterrichten zu lassen, über
die Frage etwa, ob Shakespeare auch der Verfasser von Shakespeares Werken war,
oder ob wir diese doch dem 17. Earl of Oxford danken. Es ist eine Show, manchmal
hört man, was Monica Lewinsky übers Blasen tutet, manchmal geht man ins Kino.
Es ist aber eine viel, viel sympathischere Show, obschon sie, in tragenden
Teilen, mit Ähnlichem handelt: Wie es Will und Viola miteinander treiben,
obschon sie das gar nicht dürften, und wie einer von beiden dann Geld damit
verdient. Es ist kein wichtiger Film, nur ein schöner. Es ist ein Film für
Leute, denen es peinlich war, daß sie "Titanic" mochten. Und, natürlich, es
ist auch ein Film über die Frage, was den Ehrgeiz männlicher
Unterhaltungskünstler stimuliert: Geld und Weiber. Denn Will, der manchmal
zu Aphrodite geht, die es hinter der Taverne treibt, hat eine Schreibblockade
er erzählt es auf der Couch des Psychiaters. Und er muß dieses Stück, es heißt
"Romeo und Ethel, die Piratenbraut", endlich fertig schreiben, denn Mr.
Fennyman - "Ich bin das Geld" - macht dem Theaterleiter Mr. Henslowe ziemlich
Feuer. Nicht unterm Hintern, aber doch unter den Stiefeln, das ist hinreichend
unangenehme. Und Rosalinde, stellt sich heraus, ist nicht Wills Muse, nur eine
Schlampe, auch das merkt er sich, und Rosalinde wird von Romeo schnell zu den
Akten gelegt. Viola ist es und Viola möchte zum Theater, aber Frauen dürfen
nicht zum Theater, nur zu den Dichtern. Doch als der Darsteller der Julia zur
Uraufführung den Text vergißt, da erleben wir eine Grundfigur vieler späterer
Karrriere-Geschichten, der Star fällt aus. Die Show läuft, Julias Auftritt,
doch er kommt nicht. Und kurz bevor sie verhungern auf der Bühne kommt Viola,
die als Mann den Romeo probierte. Es ist ein strahlend schöner Auftritt, es
ist, als wenn um Mitternacht die Sonne erschiene: So viel schöner, so viel
wärmer als sie ohnehin ist.
John Madden erzählt eine romantische Liebesgeschichte und erzählt die
zeitlosen Geschichten des Theaters, es ist, als verbinde sich das romantische
Seelen-Rauschen der "Titanic" mit einem ironischen, freundlichen Lächeln.
Dieses unbekümmerte Kreuzen zwischen opulenten Ausstattungsfilm und leiser,
intellektueller Ironie, indem beständig das Urmuster aller Love-Stories
zitiert wird, ist das Erfolgsrezept dieses Filmes, und es ist vermutlich dem
Autoren Tom Stoppard ("Rosenkrantz und Güldenstern") geschuldet, der diese
Unbekümmertheit in seiner Arbeit kultiviert. John Madden trifft in seiner
Inszenierung genau diese Balance, er gibt der romantischen Liebe maßvoll
Raum und dem ironischen Wesen des Theaters auch.
Und so edel wie die Ausstattung ist die Besetzung. Joseph Fiennes als Will,
Gwyneth Paltrow als Viola, sehr gediegen. Das Eigentliche aber findet eher
am Rande statt: Die wunderbare Judi Dench als Queen, bei der wir uns zunächst
fragen, ob nicht doch die schottische Mary den Job hätte bekommen sollen und
unter der aasigen Maske ein feines, ein merkwürdiges, ein unerklärtes Lächeln.
Geoffrey Rush ("Shine") als der Theaterunternehmer am Rande des Abgrunds,
Ben Affleck als der erste Mercutio und, wie seine Nachfolger irritiert es ihn
im Grunde seines Herzens, weshalb nicht er Julien freien darf. Ein Film, der
das ewige Wunder der Liebe feiert und das des Theaters, dessen "natürlicher
Zustand eine Abfolge von Hindernissen auf dem Weg in die Katastrophe ist".
Und viel mehr ist nicht zu sagen über die beiden wirklichen Wunder der Welt.
Zeitschrift für Kultur und Kommerz, Berlin
Von Henryk Goldberg