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Der Borgia Codex

 

 

1.   Die Herkunft des Borgia Codex

 

Der Borgia Codex ist eine der schönsten präkolumbischen Handschriften. Der genaue Ursprungsort des Codices ist unbekannt. Jedoch gibt es keinen Zweifel, dass er aus dem zentralmexikanischen Hochland stammt (wahrscheinlich aus der Nähe von Puebla oder dem Tehuacán-Tal), einem Gebiet, welches zur Zeit der Konquista unter aztekischer Herrschaft stand. Der Codex wurde offensichtlich noch vor der Ankunft der Spanier gemalt, denn er zeigt keinerlei europäische Einflüsse. Wahrscheinlich wurde er im 15. Jahrhundert angefertigt. Im 16. Jahrhundert wurde er von Mexiko nach Spanien geschickt, von dort aus gelangte er nach Italien. Der grosse deutsche Gelehrte Alexander von Humboldt sah ihn im Jahre 1805 in Rom im Nachlass des Kardinals Stefano Borgia, welcher im Jahr zuvor verstorben war. Heute befindet sich der Borgia Codex in der Apostolischen Bibliothek des Vatican.

 

 

2.    Der Zweck des Borgia Codex

 

Der Borgia Codex ist, wie die meisten präkolumbischen Handschriften, ein religiöses Buch, geschrieben von hochspezialisierten Priester-Schreibern. Die mexikanischen Codice sind natürlich keine Bücher im traditionellen Sinn, weder hinsichtlich ihrer Herstellung noch was ihre Verwendung anbetrifft. Es gab keinerlei mechanische Mittel, um mehrere Kopien anzufertigen. Aus diesem Grund war eine Massenherstellung also unmöglich. Das war andererseits auch gar nicht beabsichtigt, denn diese Handschriften wurden nicht angefertigt, um lediglich Information zu bewahren, oder um vergnügliche Geschichten zu lesen. Der Zweck der Codice ist vielmehr, die Zeit festzuhalten, um Geschichte und Religion zu beschreiben.

 

Offensichtlich waren Bilder wichtiger als Wörter, insbesondere bei den Azteken und anderen zentralmexikanischen Völkern. Es darf nicht vergessen werden, dass Geschichten hauptsächlich in mündlicher Tradition überliefert wurden. Ebenso wurden Bücher nicht privat im stillen Kämmerlein gelesen, vielmehr waren sie auf aktive Art und Weise Bestandteil von öffentlichen Zeremonien, wenn Priester öffentliche Lesungen durchführten, Prophezeihungen machend, oder wenn sie die Codice während Konsultationen benutzten, um Vorhersagen über das Leben von Ehepaaren und ihre Kinder zu machen und so weiter.

 

 

3.   Die Herstellung des Borgia Codex

 

Aufgrund der unglücklicherweise sehr kleinen Zahl von mesoamerikanischen Handschriften, welche religiöser Wahnsinn und Ignoranz der spanischen katholischen Kultur des 16. Jahrhunderts der Nachwelt hinterlassen hat, können wir vermuten, dass jede Handschrift als einmaliges Einzelstück angefertigt wurde, obwohl wahrscheinlich Teile älterer Codice oft kopiert wurden.

Mesoamerikanische Codice sind Faltbücher, das heisst lange Streifen von Tierhaut oder Amate-Papier, welche akkordeonförmig gefaltet werden. Anschließend wurden die Codice mit einer Stuckschicht überzogen, damit der Priester-Schreiber feinste Details mit mineralischen und pflanzlichen Pigmenten bemalen konnte.

Alle Maya-Codice bestehen aus Amate-Papier, welches aus der inneren Rinde des wilden Feigenbaumes (ficus cotinifolia) hergestellt wird. Die Maya-Codice werden von links nach rechts gelesen. Den Borgia Codex liest man dagegen von rechts nach links. Das Original wurde aus Hirschhaut gefertigt. Die Streifen wurden aneinandergeklebt und gefaltet, so dass jede Seite 27 mal 27 cm misst. Der Originalcodex besteht aus 39 Blättern, von denen 37 beidseitig bemalt sind. Zwei Blätter wurden nur auf einer Seite bemalt, um die andere Seite je an einer Holztafel zu befestigen.

Somit ergeben sich insgesamt 76 bemalte Seiten und eine Länge von über 11 Metern.

 

 

4.    Der Inhalt des Borgia Codex

 

Natürlich lebt heute niemand mehr, der  diesen Codex in der gleichen Art und Weise lesen könte, wie ein antiker aztekischer Priester. Deshalb gibt es zum Teil viel Spekulation, was den exakten Inhalt dieser Handschrift anbetrifft. Mit Sicherheit wissen wir jedoch, dass es sich hier um ein Ritualbuch handelt. Der Originalcodex beginnt mit einem tonalpohualli, einem “Buch der Tage“. Dieses beschreibt den berühmten Ritualkalender von 260 Tagen Länge. Diese 260 Tage sind das Ergebnis der Kombination von 20 Tagen mit 13 Koeffizienten. Die nächsten Seiten zeigen die 20 Götter, welche mit den 20 Tagen assoziiert sind. Es folgt eine Seite mit den 9 Göttern der Nacht, danach werden die Tageszeichen mit den Himmelsrichtungen in Verbindung gebracht. Andere Seiten beziehen sich auf des Solarjahr von 365 Tagen Länge, welche sich im Kalender der Maya und Azteken aus 18 mal 20 Tagen plus 5 Extratagen zusammensetzen. Die Kombination des 365-Tage-Kalenders und des 260 Tage-Kalenders ergibt die berühmte Kalenderrunde von 52 Jahren. Weitere Seiten geben Vorhersagen für jedes Viertel dieser 52-Jahr-Periode, wenn entweder Überfluss an Nahrung oder Krankheiten und Hunger oder zu wenig oder zuviel Regen zu erwarten waren.

Der längste Teil des Codex Borgia ist auch der rätselhafteste. Er gibt eine Art Erzählung wieder, und ist aus diesem Grund einzigartig. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine Schilderung historischer Ereignisse, welche möglicherweise in Tula und Teotihuacan stattfanden. Dabei werden Opferungen und Ballspielszenen geschildert. Schließlich enthält der Codex Seiten, welche benutzt worden sind, um Prognosen für den Erfolg von Eheschließungen abzugeben. Eine der letzten Seiten zeigt ein schönes Bildnis des Sonnengottes umgeben von 12 Vögeln und einem Schmetterling, welche zusammen die 13 Sphären des Himmels symbolisieren.

 

 

5.    Die Beschreibung der Aztekischen Götter und Tageszeichen

 

Hier findet der Leser eine Liste der 20 Tageszeichen und der mit ihnen assoziierten aztekischen Götter.

 

 

1  Krokodil                   Tonacatecuhtli                           Oberste Männliche Gottheit

 

2  Wind                      Quetzalcóatl                                Gefiederte Schlange, Windgott

 

3  Haus                         Tepeyóllotl                                Herz des Berges

 

4  Eidechse                   Huehuecóyotl                            Alter Coyote

 

5  Schlange                   Chalchiuhtlicue                          Göttin des Fliessenden Wassers

 

6  Tod                          Tecciztécatl                              Mondgöttin

 

7  Hirsch                      Tláloc                                      Gott des Regens und des Sturmes

 

8  Kaninchen                 Mayáhuel                                  Göttin der Maguey-Agave

 

9  Wasser                     Xiuhtecuhtli                              Gott des Feuers

 

10  Hund                      Mictlantecuhtli                           Gott der Unterwelt

 

11  Affe                        Xochipilli                                  Prinz der Blumen

 

12  Gras                       Patécatl                                     Gott des Pulque-Trunks

 

13  Schilfrohr                Tezcatlipoca - Ixquimilli             Rauchender Spiegel mit

                                                                                      verbundenen Augen

 

14  Jaguar                     Tlazoltéotl                                 Göttin des Schmutzes und der Erde

 

15  Adler                      Tlatlauhqui - Tezcatlipoca          Roter Rauchender Spiegel

 

16  Geier                      Itzpapálotl                                Obsidian-Schmetterling

 

17  Bewegung               Xólotl                                       Gott der Zwillinge

 

18  Feuerstein             Chalchiuh - Totolin                     Truthahn der Edelsteine

 

19  Regen                   Tonatiuh                                     Sonnengott

 

20  Blume                   Xochiquétzal                              Blume-Quetzalfeder

 

 

 


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