Vor Jahren in Ägypten hörte ich die Geschichte von dem Samenkorn, das man in Tutanchamuns Gruft gefunden hatte. Der Legende nach wurde das Korn wieder eingepflanzt und aus dem Samen wuchs eine seit über tausend Jahren ausgstorbene Blume die drei Tage lang blühte. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich auf der Osterinsel, wo ich sah, wie Botaniker in erloschener Lava nach eingeschlossenen Samenkörnern suchten. Das endlose Sieben von Vulkanasche trug Früchte und mittleweile sind 17 vormals ausgestorbene Pflanzen auf die Insel zurückgekehrt. Pflanzen, ganz besonders Blumen sehen ziemlich zerbrechlich aus, aber sie gehören wohl zu den zähesten Lebewesen unseres Planeten. In den letzten 24 Stunden habe ich es mit eigenen Augen gesehen.
Death Valley. Das Tal des Todes. Der Name schießt an der Wahrheit ungefähr genauso weit vorbei wie etwa "Aufschwung Ost." Das Tal war prall voll Leben! An sich sind Blumen im Death Valley keine Sensation. Jedes Jahr im Winter gibt es eine Schlamm-Flut und jedes Jahr im Frühling blühen ein paar Blumen aus dem Matsch. Aber was diesen Frühling passierte, wurde das letzte mal so vor fünfzig Jahren beobachtet. Im letzten Winter hatte es in der Wüste geregnet wie nie zuvor, Badwater, normalerweise ein kleines, brackiges Wasserloch, verwandelte sich in einen riesigen See und die Wüste war bis zum Horizont mit Blumen übersät! Einige dieser Samen müssen ewig in der Erde gesteckt haben. Beinahe hätte ich gesagt "Ein Leben lang...," aber wie lang ist ein Leben für ein Samenkorn? Für die Freesien in meinem regennassen Vorgarten beträgt ein Leben nicht mal ein Jahr, für das Samenkorn im Grab des Pharaos waren es dreieinhalbtausend Jahre. Und in beiden Fällen folgten der Warteperiode nur ein paar Tage vollendeter Schönheit, und dann begann der ganze Kreislauf von neuem und die Samen warteten wieder auf den nächsten Regen, der vielleicht in einem Jahr, vielleicht aber auch erst in dreieinhalb Jahrtausenden kommen würde. In Death Valley dauerte es fünfzig Jahre - länger als die meisten von uns bereitwillig auf ein Wunder warten würden. Wie oft schon habe ich die Warterei nur fünf Minuten vor dem nächsten Regen entnervt aufgegeben - fünf Minuten vor dem Wunder.
Ein paar mal allerdings habe ich ausgeharrt. Nicht unbedingt, weil ich wollte, sonder weil ich - wie die Samenkörner in der Wüste - so tief in Schlamm und Treibsand steckte, daß mir gar nichts weiter übrig blieb. Und dann kam der Regen, ich konnte Wurzeln schlagen und meine Knospen zur Sonne strecken. Und kurz darauf steckte ich wieder im Schlamm oder im Treibsand und es verging ein weiteres Leben, ehe der nächste Regen kam. Aber bisher hat es noch jedes mal wieder geregnet, und jedes mal hatte sich das Warten gelohnt.
Die Natur hat mir eine Menge gute Dinge beigebracht and ich habe gelern, auf die Zeichen zu achten. Ich lerne von meinem Kater, ich lerne von Bäumen, Delphinen und Korallenriffen. Auf Blumen habe ich bisher nie geachtet, sie schienen mir immer zu kurzlebig um mir etwas beibringen zu können. Das hat sich geändert. In den letzten 24 Stunden habe ich verrückte Dinge gesehen: Einen See mitten im trockensten Ort Amerikas, einen Kaktus der im Schnee blühte und eine Wüste voller Blumen. Ja, ich glaube immer noch an Wunder!
Hier sind ein paar Bilder.
Andere Geschichten:
Die Straße war ein gerader Strich bis zum Horizont. Nichts war im Weg, ich fuhr mit "Autopilot" durch die Wüste und im CD-Spieler sangen die Toten Hosen "Ich glaube immer noch an Wunder." Ich dachte an all das was ich in den letzten 24 Stunden gesehen und erlebt hatte und wurde beinahe selbst zum Gläubigen.
Volker Moerbitz, 2005
Ankünfte (2005)