Die Show bin ich
Zwei Alltagsbeobachtungen drei Ehrabschneidungen: Mehr braucht Harald Schmidt nicht für seine Sendung. Am Dienstag beginnt sie wieder. Roger Willemsen über den Mann mit Allerweltsnamen und Allerweltsgesicht, der zur intellektuellen Instanz aufgestiegen ist.
Anfang der Neunziger kam ich nach drei Jahren London zurück nach Deutschland, um bei Premiere ein tägliches Interview-Magazin zu moderieren. Ich besaß keinen Fernseher, hatte nie einen besessen. Während ich also ein paar Monate lang im Hotel wohnte, schaltete ich jeden Abend den Apparat an und glotzte.
Vormittags saßen Menschen zusammen und sprachen über Achselnässe bei Tieren, abends ließen sie sich von Margarethe Schreinemakers in ihr früheres Leben zurückführen.
Und dann war da manchmal ein Gulliver zu sehen, der in der Liliputaner-Kulisse eines Fernsehstudios öffentlich-rechtlicher Unterhaltung ein Ratespiel moderierte, das Pssst hieß und alle seine Mitwirkenden liebenswert unterforderte. Gäste traten auf, die ein Geheimnis hatten, das wurde eingeblendet und dann von einem Rateteam charmant entschlüsselt. Der Moderator trug statt Frisur eine Matte, staubgrau gefirnist, und er sah aus, wie er hieß: Harald Schmidt.
Fred Kogel, der spätere Sat-1-Chef und Mentor dieses Harald Schmidt, sagte mir einmal, er glaube nur an Moderatoren, in deren Gesicht etwas vorgehe. In Harald Schmidts Gesicht ging nicht gerade viel vor. Eher besaß er eine Art Tom-Hanks- Gesicht, eines, das man erst definieren muss und das sich immer gut assimiliert, im Grunde ein abgefeimtes Gesicht, dem man allerlei Hintergedanken zutraut.
Jedenfalls sah man bei Pssst den Hai in der Rolle des Zierfischs, und während üblicherweise die Moderatoren von Heiterem Beruferaten oder Ruck Zuck kein geheimes Leben haben, keinen Doppelsinn, nichts Dämonisches, bedrohte der Moderator Schmidt sein Publikum mit der Lust an der Entgleisung, herabgesetztem Ernst im Umgang mit dem Medium und guten Reflexen.
Das Gegen-Fernsehen
Den wahreren Schmidt aber erlebte man im nächtlichen Dritten Programm des WDR, Schmidteinander hieß eine Show, in der ein älterer Herr namens Feuerstein, ein Humorbegabter ohne telegene Vorzüge, den masochistischen Sklaven gab, und ein irgendwie nie ganz jung Gewesener Zweiter, eben Schmidt, den böswilligen Herrn. Dazwischen tanzten manchmal ein paar desorientierte Hupfdolen in prätentiöser Eurythmie aus einer Garage heraus; schließlich fuhr eine Spielzeugeisenbahn mit Kameraauge durch das Studio; einmal wurden auch ein paar Tausend Fliegen freigelassen: Niemand sollte vor der Sendung ganz sicher sein. Das war etwas anderes als die kalkulierten Nichtigkeiten der großen Samstagsabendshow, die damals noch ein Fernseh-Mythos war.
Geblieben ist die Erinnerung an zwei Dinge, die Harald Schmidt bis heute charakterisieren: Erstens ist er ein amoralischer Unterhalter, der vor allen anderen den Standpunkt der Standpunktlosigkeit humorfähig gemacht hat, und das heißt nicht bloß, die notorische eigene Großmutter für einen Witz zu verkaufen, sondern es heißt, den Mehrwert der Moral, der guten Absicht, auch der politischen Korrektheit zu diskreditieren. Im Grunde hat Schmidt gegen den Lauf der Welt wenig einzuwenden, so lange er verzweifelt und komisch bleibt.
Zweitens ist er ein so scharfer Beobachter, dass nur Debile, Schamlose und Menschen ohne Selbstreflexion völlig unschuldig vor ihm agieren. Alle anderen wissen, dass sie gerade verarbeitet werden, und da Schmidt sich weniger für das Wesen eines Menschen interessiert als für seine Wirkung, da er außerdem die Wirkung nicht wie etwas Unfreiwilliges, sondern als das Resultat einer Inszenierung behandelt, aus der niemand wirklich ausbrechen kann, deshalb werden Menschen vor ihm oft so hilflos. Ja, wahrscheinlich ist seine eigene Hypochondrie nichts anderes als eine stark ausgebildete Form der Selbstreflexion. Er braucht die Krankheit nur zu denken, schon hat er sie.
In den nächsten Jahren erschloss Schmidt immer neue Territorien des Ketzerischen, Blasphemischen, während ich meine öffentliche Rolle lieber besserwisserisch, das heißt gesellschaftskritisch interpretierte.
Gesellschaftskritisch ist ein Spottwort für Schmidt, der an spontane Empathie wohl nie glauben wird, widerspricht sie doch seiner eigenen Homophobie, dem Widerwillen gegen jede Form von Berührung. Einfühlung ist ihm so unangenehm wie körperliche Zudringlichkeit, und wenn er nicht Verona Feldbusch gerade quer durch's Gesicht leckt, empfindet er die größte Nähe zu seinen Mitmenschen, wenn sie auf seinem Objektträger liegen. Nein, im Grunde mag er Menschen nicht sehr, Aufläufe noch weniger und das soziale Gequatsche von Partys und Medientreffs am wenigsten. Lieber verbarrikadiert sich der in wilder Ehe als Vater zweier Kinder Lebende entweder hinter dem Schutzwall seiner privaten Existenz als lustloser Glotzer und gieriger Leser, oder hungrig, selbst nach der Show noch eine Bühne zu betreten im Burgtheater als Vorleser von American Psycho, am Bochumer Schauspielhaus als Lucky in Becketts Warten auf Godot.
Vermutlich hat seine Herkunft ihn immunisiert, die schwäbische Provinz, der Pietismus zwischen Kirche und Elternhaus, früher Misserfolg bei Frauen und Schauspielschulen und die Verklärung all dieser Elemente im Medium des Kabaretts, das die Fesseln erst des Klassenkampfes, dann des Politischen überhaupt ablegte und sich in Schmidt schon zur Indifferenz emanzipierte, als er noch die hohe Schule des legendären Düsseldorfer Kabaretts Kom(m)ödchen frevelte. Über nichts spricht Schmidt noch heute so emphatisch, so detailscharf und eigentlich so melancholisch wie von diesen Lehrjahren unter Kay und Lore Lorentz.
Hätten sie gedacht, dass er je den Weg in die große Show finden würde, in den öffentlich-rechtlichen Hauptabend, Samstagabend, mit dem Auftrag, das Saalpublikum zu penetrieren, das Massenpublikum daheim mit massenkompatiblen Witzen zu versorgen, noch dazu unter Einsatz von Ladenhüter-Filmchen mit versteckter Kamera und der neckischen Fragestellung: Verstehen Sie Spaß? In diese Welt hinein brach Harald Schmidt. Besser gesagt, er latschte hinein, keine Treppe runter, mit unglaubwürdigem Charme, einem zu reichen Vokabular und einer ansteckend subversiven Energie, die sich über dem einzigen Massiv entlud, das sich zur Schändung anbot: die Sendung und der Saal. Er suchte nicht den Königsweg ins Herz des Publikums, wollte nicht einer von ihnen sein, ging sich nicht verloren.
Das Schlimmste an Verstehen Sie Spaß war: Sie verstanden seinen Spaß nicht.
Die versenkte Abendshow
Schmidt also. Improvisiert in die erste Reihe hinein, verschleudert Sendezeit, ohne dass viel passiert, hält echte Eröffnungsmonologe, hört minutenlang dem Klacken eines Metronoms zu, bedroht den Saal mit der Möglichkeit eines immer ausstehenden Ernstfalls
Nee, so was hätte es bei Kurt Felix nicht gegeben, nicht geben dürfen, dachte das Publikum.
Und merkwürdigerweise war Schmidt enttäuscht, sah zu, wie die Quoten von Sendung zu Sendung sanken und versenkte schließlich mit Mutwillen den alten Tanker. Schmidts öffentlich-rechtliche Laufbahn war damit unwiderruflich zu Ende, und es wird wohl ewig zu den humoristischen Fußnoten der deutschen TV-Geschichte gehören, dass das Staatsfernsehen seinen größten Humoristen ziehen ließ, weil er an einer Veranstaltung namens Verstehen Sie Spaß? scheiterte.
Genau gesagt, mussten drei Menschen scheitern, um den heutigen Schmidt zu ermöglichen. Nach ihm selbst warf der noch öffentlich-rechtliche Fred Kogel das Handtuch als Unterhaltungschef des ZDF und ging zu Sat 1, und Gottschalk setzte bei RTL den ersten Versuch einer Late Night Show in den Sand. Der Boden für Schmidt war bereitet.
Auch wenn es heute so aussieht, als habe es so und nicht anders kommen können, irritierte mich anfangs die Vorstellung, dass ein so eigenständiger Kopf wie Schmidt als imaginärer Synchronschwimmer seiner amerikanischen Vorbilder jeden Abend dasselbe machen sollte wie jene, ja, dass bis in die Kameraperspektiven, Fahrten, Einstellungen hinein alles so aussehen sollte wie dort. Immerhin wurde die Wendung keine nationale Angelegenheit wie in den USA, das Publikum blieb überschaubar, und große Teile der prominenten Welt lehnen es bis heute ab, sich Schmidts Fragen zu stellen, die schon lange niemand mehr zu fürchten braucht.
Trotzdem gab es vor seinem Eintritt in die Epoche der Milde Zeiten, da ging Schmidt auch in der Personenbeschreibung bis zum Äußersten, und so wie Hundebesitzer gerne fragen: Wo ist das Herrchen?, fragen Journalisten am liebsten: Wo ist die Grenze? Wo immer sie gerade ist, Harald Schmidt hat jede Grenze schon einmal überschritten, sogar die der eigenen Grenzenlosigkeit. Als man ihn unlängst aber wieder einmal um die Abmessung dieser Final Frontier bat, sagte er überraschend: Nach der Ironie kommt das Pathos. Das war ein Apercu, denn wo Ironie war, wächst kein Pathos mehr. Doch der fragende Journalist witterte die Gelegenheit, dem Unsentimentalen eine kleine Sentimentalität abzuringen, und molk noch einmal das Pathos der Grenze mit der Frage: Was tat Harald Schmidt, als die Mauer fiel? Antwort: Er trank seinen Kaffee aus.
Tat das gut! Keine Ironie. Kein Pathos. Nicht mal ein Späßchen. So deutete sich die einstweilen letzte Metamorphose des Harald Schmidt an: Er braucht auch in seiner Sendung nur noch ein bisschen Stand Up, wenige Zoten, ein paar nette Kurzschlüsse zwischen Tagesmeldungen, zwei Alltagsbeobachtungen und drei Ehrabschneidungen. Seine jüngste Errungenschaft ist der Witz als Attrappe, die Simulation des Witzes, für den bis zum Ausbleiben der Pointe die Humor-Vermutung gilt. Das ist die komische Antwort auf die unkomische Comedy ringsum.
So sah man ihn etwa zur Beschwörung des David-Lynch-Feelings beim Filmstart von Mulholland Drive eine Autobahnraststätte besuchen: im Pullover Burger essend, Lastwagen beobachtend und das Ausbleiben jeglicher Handlung kommentierend. Gelacht wurde trotzdem. Warum? Weil es nichts zu lachen gab.
Oft ist er inzwischen komischer als seine amerikanischen Vorbilder. Schmidt arbeitet kälter, er besetzt die am besten fundierte amoralische Position innerhalb der deutschen Öffentlichkeit und müht sich nicht wirklich um Wärme.
In diesem Punkt unterscheidet er sich kategorisch von seinen US-Pendants.
Inzwischen hat er sämtliche Preise und die meisten mehrfach erhalten, er ist ein Olympier, ein Geheimrat, er gilt als die höchste Veredelung des deutschen Geistesarbeiters, kein Deutscher genießt augenblicklich mehr Ehrfurcht als er, ja, sein bloßer Eintritt in einen Raum verändert die Atmosphäre was ihm peinlich ist. Er hat den Zynismus als Kunstform überwunden, denn inzwischen lacht doch jeder Biedermann, der sich privat zu schwarzem Humor bekennt, guten Gewissens über Krüppel, die leider keine Treppe hochkommen, Neger, die eine geringere Lebenserwartung haben oder Arbeitslose, die leider unterm Existenzminimum leben müssen.
Die letzte radikale Position auf dem Feld der Moral, das ist vermutlich die Zustimmung zur Zerstörung. Viele, auch Konservative, haben diese Haltung längst zur Lebensform erkoren, werden sie aber, anders als Schmidt, kaum so vortragen. Wer glaubt denn noch, dass er die Welt ändern kann, wenn sich nicht einmal das Fernsehprogramm ändern lässt? Schmidts Amoral ist also so radikal wie die der Verhältnisse. Aber wird das verstanden? In der Welt des Harald Schmidt wird jeder mit seiner eigenen Lächerlichkeit bedroht, blindlings Anspruch auf Ernst hat niemand. Allerdings lässt sich die Attitüde der Ironie leichter produzieren als diese selbst. Wenn man auf Harald Schmidt und die Folgen blickt, dann fällt einfach jedem ein unernster Satz zum Kosovo, zu Afghanistan, zu Bush ein, aber ein ernster? Uneigentliches Sprechen ist ein Trick, ein Effekt, aber eigentliches? Das hat nicht er zu verantworten, nur zu beantworten, und das tut er durch die Wandlung seines Stils.
Im Zwischenreich
So regiert Schmidt inzwischen in einem Reich, in dem es keine Spaßkultur gibt und keinen Ernst. Es ist das Zwischenreich des symbolischen Verhaltens zur Welt. Von hier aus lassen sich beide Sphären, ja, lässt sich selbst die eigene Person verneinen, und so ist Harald Schmidt nebenher vermutlich auch der einzige Werbeträger, von dem keiner glaubt, dass er das von ihm beworbene Produkt selbst im Hause hat.
Inzwischen bewirbt Schmidt Bach und Bernhardt, Beckett und Heiner Müller und wird selbst vom Bundespräsidenten dafür gelobt. Doch Kultur war Schmidt schon, bevor er sie zum Thema machte, und die Kultur, die Schmidt aufbereitet, ist eigentlich keine mehr. Oder glaubt man, wenn Menschen im Publikum aus Reclam-Heftchen Iphigenie mit verteilten Rollen lesen, sei das automatisch Kultur? Steht sie schon so tief, dass man die blinde Zitation von Schulwissen als Ausdruck von Kultur begreift und den, der diesen vergnüglichen Spuk inszeniert, im Reich des Geistes mit Eminenz anredet? Nein, Schmidt empfindet zu aufrichtige Verehrung für Johann Sebastian Bach, als dass er nicht wüsste: Kultur ist in ihrer Substanz nicht Late-Night-Show-kompatibel.
Vielmehr adoptiert er Kultur als Ressource und weil sie vom Fernsehen im Grunde verachtet wird. Komisch braucht er dabei nicht mehr zu sein. Sein Gegenstand ist nicht der Mensch und nicht die Kultur, nicht einmal der Spaß, sondern das Fernsehen. Das Fernsehen allein ist lächerlich. Die Kategorien, unter denen es Menschen macht, Nimbus erzeugt, Feierlichkeit, Aufregung, Rührung produziert, sind kindisch wie seine Sprache und seine süßlichen Täuschungen. Alle Bildverbraucher wissen das. Deshalb wird vom medial abgebrühten Publikum kein Witz dankbarer angenommen, als der mit dem Rücken zum Fernsehen formulierte.
Schmidt lässt Laien deklamieren, er schaltet das Licht aus, er sieht mit dem Fernglas aus dem Fenster, macht das Seepferdchen-Abzeichen, und der Zuschauer hat längst begriffen: Wenn es unter Gästen keine heiligen Kühe mehr gibt, wenn Kultur und Kanzler, wenn Sexual- und Bankgeheimnisse keinen Nimbus mehr besitzen, dann bleibt nur noch eine heilige Kuh: die Sendezeit. Und je maßloser er sie verschleudert, desto erfolgreicher wird er.
"Der Tagesspiegel", Berlin, 18.8.2002