Wenn wir im Herbst reisen, biegen sich die Obstbäume unter der Last ihrer Früchte und bitten uns geradezu, diese großen Äpfel und Birnen zu pflücken, aber wir wagen es nicht, sie zu essen.
In der Offenbarung des Johannes ist die Rede von dem Stern namens Wermut, der auf den dritten Teil der Flüsse und der Wasserquellen fällt und sie bitter macht...
Wir trinken auch aus diesem Brunnen nicht.
Ich bin nicht religiös und mache mir keine großen Gedanken über meine Sünden, weil unsere Sünden im Jenseits abgerechnet werden. Aber ich mache mir viele Gedanken über die Fehler, deren Preis wir schon in dieser Welt bezahlen müssen... Ich bin weder eine Optimistin, die sich freut, daß das Glas halb voll ist, noch bin ich eine Pessimistin, für die dasselbe Glas schon halb leer ist. Ich bin eine Realistin, die das Glas als das sieht, was es ist, aber hier in Tschernie sehe ich dunkel, verschwommen durch das Glas, daß die Schreiber der Bibel das Tschernobyl-Desaster irgendwie vorhergesehen haben.
Im Griechischen, der Originalsprache des Neuen Testaments, heißt es in der Offenbarung (Offb. 8, 10): „...und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel...“. Das Wort für „fallen“ bedeutet „schweben“ oder „sich niederlassen“, und das Wort für „Stern“ kann man übersetzen als „über den Himmel zerstreut“. Dieses stammt von einem anderen Wort ab, das heißt „sich ausbreiten“, wie ein Teppich – eine passende Beschreibung für die radioaktive Wolke, die sich über dem Gebiet ausbreitete. Interessanterweise kommt das Wort für „Fackel“ von einem griechischen Verb, das „strahlen“ bedeutet. Und das Substantiv dazu ist „Strahlung“.
Im elften Vers ist der Name des Sterns sogar groß geschrieben, wie der Name eines Ortes. Und was „den dritten Teil der Welt“ angeht, so war es bei den Griechen der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung verbreitet, mit „einem Drittel“ einen großen Teil zu beschreiben. Tschernobyl kann auch ein Sammelname für alle zukünftigen Tschernobyls sein. Egal wo so ein „großer Stern“ wieder fällt, die Zukunft des Landes wird dieselbe sein, Strahlung und Wermut – das Kraut des Vergessens.
Noch ein interessantes Detail: Die Bedeutung „Wermut“ für das Wort „Tschernobyl“ ist auf mysteriöse Weise aus unseren Wörterbüchern verschwunden. Das ist politische Richtlinie. Um Weltuntergangsstimmung zu vermeiden und weitere Reaktoren zu bauen, wurde dieses Wort aus den Wörterbüchern entfernt. Ich bezweifle, daß sie es schaffen werden, diese Episode aus unserem Gedächtnis zu löschen; das Wort wird immer noch alltäglich benutzt. Und wir wissen alle, daß nicht einmal sämtliche Regierungen der Welt, nicht einmal die reichen Schirmherren der allmächtigen Atomindustrie, Verse aus der Bibel löschen können.