Unsere Pfarrkirche und
der Baumeister Caspar Clemens Pickel
Von Pfr. Dr. Kurt-Peter Gertz
Das äußere und innere Erscheinungsbild der
Apollinaris-Kirche
läßt heute nur noch in groben Zügen und an
wenigen Einzelheiten erahnen, daß diese Kirche ursprünglich zu
den eigenwilligsten Schöpfungen einer Architekten-Persönlichkeit
gehört, die großen Anteil an der Entwicklung des katholischen
Kirchenbaus im Rheinland um die Jahrhundertwende hatte: Caspar
Clemens Pickel.
C. C. Pickel, der am 8.4.1847 in Kottenheim bei Mayen geboren wurde, ließ sich nach Studien an der Berliner Königlichen Gewerbe- und Bauakademie 1867 in Düsseldorf nieder, wurde dort zunächst Mitarbeiter des bekannten Architekten A. Rincklake (1843-1915) und eröffnete 1883 ein eigenes Architekten-Büro. In den folgenden Jahrzehnten plante und verwirklichte er über hundert meist monumentale Profan- und Kirchenbauten.
Vor allem in Düsseldorf und Umgebung gehen viele Neu-und Umbauten von Kirchen und kirchlichen Gebäuden auf C. C. Pickel zurück: so die Restaurierungen der alten Nikolaus-Kirche in Himmelgeist (1868/69 und 189l); der Umbau der St.-Suitbertus-Kirche in Kaiserswerth (1870/77); der Neubau der St.-Martin-Kirche in Bilk (1879/81; zusammen mit A. Rincklake); die Erweiterung des Dominikaner-Klosters (1887/90); der Neubau des Klosters Hain Karthäuser in Rath (1878/91); der Neubau der Kirche St. Dreifaltigkeit in Deren-dorf( 1889/92); der Neubau der Kirche St. Maria Himmelfahrt in Flingern (1890/92); der Neubau der St.-Peter-Kirche in der Friedrichstadt (1895/98; im Zusammenhang mit dem Bau dieser Kirche wurde Pickel von Papst Leo XIII der Orden des hl. Sylvester verliehen); der Neubau der Pfarrkirche zur schmerzhaften Mutter in Flehe (1905/06); der Neubau der Apollinaris-Kirche (1904/07); der Neubau der St.-Elisabeth-Kirche in Reisholz (1907); die Restaurierung der St.-Josef-Kirche in Oberbilk (1909); die Erweiterung des Marienhospitals (1909/10); der Neubau des Jugendheims und der Haushalt-Schule in Heerdt (1909/10); die Erweiterung des Krankenhauses St. Dominikus in Heerdt (1909/10); die Erweiterung des Krankenhauses Maria-Theresia (1911/12); und der Neubau der St.-Adolfus-Kirche (1901/14).
Mit dem Ende des ersten Weltkrieges, das eine Neuorientierung auch der kirchlichen Architektur-Vorstellungen mit sich brachte, wird das Schaffen von Pickel beendet. Auch sein Gesundheitszustand hindert ihn an weiteren Bau-Tätigkeiten. Im Alter von 92 Jahren stirbt er am 7. 11 1939 im Theresienhospital in Düsseldorf.
Das halbe Jahrhundert, in dem Pickel arbeitete, wurde von verschiedenartigsten Architektur-Strömungen geprägt, die meist der Vergangenheit verpflichtet waren ("historische" Stile wie z. B. Neu-Klassizismus, Neu-Romanik, Neu-Gotik, Neu-Barock usw.) und nur selten neue Wege gingen (wie z. B. der Jugendstil). Die kirchliche Baukunst wurde durch Anordnungen und Empfehlungen auf die Linie des "Historismus" festgelegt: So empfahl noch 1912 ein Dekret der Erzdiözese Köln den "romanischen, gotischen oder Übergangsstil", und das kirchliche Gesetzbuch von 1918 ordnete an:
"Die Ordinarien sollen dafür sorgen, daß beim Bau von Kirchen die Formen, die aus der christlichen Tradition übernommen sind, gewahrt werden sollen."
Diesen Auflagen entsprach auch Pickel voll und ganz mit seinen wenigen neu-romanischen und vielen neu-gotischen Kirchenbauten, wobei er beide Stilelemente oft auch nebeneinander verwandte. Bei der inneren Raumkonzeption der Kirchenbauten achtete Pickel immer auf eine strenge Zweiteilung zwischen Altarraum und Gemeinderaum, die er durch besondere Betonung des Triumphbogens, durch die Kommunionbank und vor allem durch die Erhöhung des Altarraums hervorhob.
Während Pickel neben ein- und zweischiffigen Kirchenräumen vor allem dreischifnge Anlagen bevorzugte, nimmt die Apollinaris-Kirche insofern eine Sonderstellung ein, weil sie die einzige fünfschimge Anlage ist, die Pickel baute.
Über die Geschichte und Architektur der Apollinaris-Kirche schreibt Horst Schmitges in seinem Pickel-Buch:
"Pickel muß 1901 mit den Entwurfsarbeiten für die Kirche begonnen haben, denn von Dezember 1902 stammen die ersten Ausrührungsbezeichnungen... Die örtliche Bauleitung und Detailearbeitung besorgte für St. Apollinaris der Architekt K. von Broeck. Die Bauerlaubnis für die Kirche erhielt die Gemeinde am 23. 1 1904. Den ersten Spatenstich... tat man am 10. 11.1904. Nachdem der Bau fast auf Seitenschiffhöhe angewachsen war, fand am 14. 5. 1905 die Grundsteinlegung statt. Es war beabsichtigt, zuerst nur einen Teilbau zu errichten, dem sich jedoch bald bautechnische Schwierigkeiten entgegenstellten.
Im Dezember 1905 konnte mit dem Richten der Hochschiffdächer begonnen werden; der Turm wurde im Dezember 1906 vollendet. Am 26.5.1907 wurde St. Apollinaris schließlich von dem damaligen Kölner Kardinal Dr. Fischer konsekriert.
Im Jahre 1904 hatte Pickel den Bau mit 400.000 Mark veranschlagt... Die Summe ist später nur unwesentlich überschritten worden...

Die freie Lage der Apollinaris-Kirche... am Lessingplatz ist nicht ohne Reiz. Der asymmetrische Grundriß schmiegt sich geschickt den angrenzenden Straßenzügen an. Die seitliche Lage des Glockenturmes erklärt sich aus dem Grundstück, weil städtebaulich nur an der südwestlichen Ecke eine Dominante möglich war. Die Anlage... ist von Osten nach Westen gerichtet. Sie besitzt einen nutzbaren Laienraum von 830 qm bis zum Chor und faßt rund 2.300 Personen mit 540 Sitzplätzen. Der Grundriß von St. Apollinaris umschreibt nahezu ein Quadrat und beträgt in seiner größten inneren Länge 46,50m und in der Breite 33,20m. Dieses ungewöhnliche Verhältnis von Länge und Breite entsteht durch die Fünfschiffigkeit. Pickel hat versucht, in spätgotischen Formen ein Basilika- mit einem Hallensystem zu kombinieren. Gegen die drei mittleren Hallenschiffe lehnen sich die beiden äußeren Seitenschiffe. Das breite Mittelschiff mißt 9,70m und die Seitenschiffe je 6,14m und 5,18m.
Den Abschluß im Osten bilden drei polygonale (=vieleckige) Chorabschlüsse mit je drei Seiten eines Sechseckes. Der mittlere Chor ragt über die beiden seitlichen hinaus. Flankiert wird der südliche Seitenchor von einer ebenfalls polygonal geschlossenen Seitenkapelle, die das Ende des südlichen Seitenschiffes bildet. Das Gegenstück zu dieser Kapelle bildet auf der Nordseite eine Portalanlage, die gleichzeitig den Eingang zu den angehobenen Sakristei- und Paramentenräumen bildet. Ein Querschiffist bei St. Apollinaris nicht vorhanden.
Gegenüber der Choranlage liegt an der südwestlichen Ecke der massive, quadratische Glockenturm, der in seinem Unteren Geschoß eine rippengewölbte Eingangshalle besitzt und wegen seiner Einschnürung etwas ungewöhnlich im Grundriß liegt. An der Westseite des Mittelschiffes befindet sich eine Orgelempore, unter der das Hauptportal mit Windfang liegt. Flankiert wird der Eingang im Norden von einer polygonal ausladenden Tauf- und Pieta-Kapelle, die die Fortsetzung des inneren nördlichen Seitenschiffes bildet. Ein an den Glockenturm angeschobener Treppenturm führt zur Empore und entspricht neben dem Hauptportal der gegenüberliegenden Taufkapelle.
Ein zweiter Eingang an der Westseite befindet sich neben der Taufkapelle am Ende des äußeren nördlichen Seitenschiffes. (Dieser Eingang ist heute zugemauert.)
Der Innenraum von St. Apollinaris wirkt als Halle, trotz seiner basilikalen Außenschiffe. Vergleichbare historische Vorbilder sind die niederrheinischen Stufenhallen, deren Querschnitte unterschiedliche Gewölbehöhen aufweisen. Das Mittelschiff überragt in Düsseldorf die mittleren Seitenschiffe um etwa Im und wird räumlich nur leicht durch die wenig gegliederten, schlanken Arkadenbögen abgetrennt. Kapitelle besitzen nur die vorgesetzten Dienste an den Achteckpfeilern, die die Gewölberippen aufzunehmen haben. Die profilierten Gurtbögen werden mit den Enden der Säulenschäfte verschliffen.

Den seitlichen Raumabschluß der Halle bilden
die Wände der innenliegenden Nebenschiffe. Diese werden im
Untergeschoß von gedrungenen Arkadenbögen durchbrochen, die den
Durchblick zu den äußeren Seitenschiffen gewähren. Oberhalb
der Arkaden fällt das Licht durch einen Obergaden. In jedes
Wandfeld fügt sich ein reiches Maßwerkfenster, welches sich im
letzten Gewölbejoch vor dem Chor und in dem Chor selber in den
Dimensionen ändert. Die einzige, mittelgroße Fensterrose
befindet sich an der westlichen Giebelwand über dem Hauptportal.
Diese Fensterrose, die ein wunderbares Maßwerk zeigte, das im
Krieg zerstört wurde, ist heute wiederhergestellt. Hingewiesen
sei noch auf einige bemerkenswerte Einzelheiten in und an der
Kirche: so auf die figürlichen Darstellungen (Fratze siehe links) zweier Konsolen
der Dienste in den Chorabschlüssen der beiden inneren
Seitenschiffe und in den beiden Kapitellen der dreigliedrigen
Dienste im Hochchor, auf den reichverzierten Taufbrunnen mit
einer keinen Engel-Darstellung (siehe rechts unten) auf den behauenen
Türsturz über dem Eingang vom Hochchor zur Sakristei; und auf
den Grundstein an der äußeren Abschlußwand des Hochchores mit
der Aufschrift "Lapis primarius Anno Domini 1905".
.
Weiter schreibt H. Schmitges:
"Die äußeren Seitenschiffe sind entschieden flacher als die inneren. Sie wirken räumlich getrennt von der übrigen Kirche. Ihr Licht beziehen sie durch Spitzbogenfenster, von denen sich in jedes Wandfeld eines einordnet. Die Wandgliederung der außenliegenden Seitenschiffe wird vorwiegend von der vertikalen Struktur der Strebepfeiler bestimmt, die mit ihren Rückseiten deutlich in den Innenraum hineinragen. Die mit Doppelrippen versehenen Trennungsgurte enden mit Konsolen auf den Strebepfeilern.
Der obere Raumabschluß... von St. Apollinaris besitzt eine außergewöhnliche architektonische Lösung. In den drei mittleren Schiffen finden wir Netzgewölbe. Die äußeren Seitenschiffe besitzen Kreuzrippengewölbe über längsoblongem (=längsrechteckigem) Grundriß. Die Mittelschiffgewölbe stehen in formaler Beziehung zu den Gewölben von St. Peter in Düsseldorf..., die wiederum ihre historischen Vorbilder in den spätgotischen Gewölben wie z. B. St. Martin in Amberg (15. Jh.) und in den Chorgewölben des Prager Veitsdomes (1354-85) besitzen... Reizvoll sind auch die Sterngewölbe in den polygonalen Abschlüssen von Kapellen und Chören. Im Hochchor liegen die Schildbogenscheitel höher als die letzte Rippenteilung. Dadurch, daß die Chorfenster die Schildfelder bis zum Scheitel ausfüllen, schieben sie sich optisch hinter die Gewölbekappen.
Der Außenbau von St. Apollinaris fällt nicht wegen seiner besonderen Dimensionen auf, sondern auf Grund seines Formenreichtums und der lebhaften Farbgebung. Die Ausbildung der Dächer ist dabei von besonderer Bedeutung. Die drei mittleren Schiffe werden heute von einem gemeinsamen Längsdach überdeckt. Ursprünglich waren alle Seitenschiffe einzeln von gestreckten Längsdächern gedeckt...
Der für den Bau ungewöhnlich wuchtige, quadratische Glockenturm liegt im Südwesten der Anlage. Ohne besondere Gliederung steigt er bis auf Firsthöhe des Langhauses empor, um nach einem durch eine umlaufende Maßwerkgalerie abgesetzten Rücksprung zum Helm aufzustreben. In diesem Abschnitt befinden sich auf jeder Seite zwei spitzbogige Schallöffnungen für die Glocken. Der heute einfache, prismenförmige Helm war früher achteckig, besaß an den Turmecken vier kleine Ziertürme und ragte bis in eine Höhe von 80 m empor.
Vor dem Krieg saß über dem Mittelschiff ein Dachreiter, der aber, in Bezug auf die Proportionen des Hauptturmes, zu klein erschien.
Obwohl der Glockenturm die Westfassade bestimmt,
kommen die Giebelfront des Mittelschiffes
und die ausladende
Taufkapelle gut zur Geltung. Das dreiteilige Portal und die Maßwerkfenster
sind sorgfältig ausgebildet, wirken aber im Vergleich zu den
glatten Wandflächen besonders kleinteilig. Von interessanter
Form und handwerklicher Qualität ist der Kielbogen und das Gewände
am Turmeingang auf der Südseite. Gleiches gilt auch für die
Zone oberhalb dieses Portales.
Die Fünfschiffigkeit der Kirche ist heute außen nur am Chor deutlich ablesbar. Ursprünglich, als die Querdächer über den Seitenschiffen noch vorhanden waren, wurde das auch bei den Seitenansichten spürbar. Der Chor ist in einfachen Formen errichtet und wird durch kräftige, abgestufte Strebepfeiler gekennzeichnet.
Erwähnenswert sind bei St. Apollinaris die verwendeten Materialien. Außen wurden die Architekturglieder und Eckquadern aus rotem Sandstein errichtet. Die Zwischenflächen bestehen aus glattem, hellem Putz. Das innere Mauerwerk ist aus hartgebrannten Ziegelsteinen und die Gewölbekappen in Schwemmsteinen ausgeführt. Aus Tuff bestehen die Gewölberippen und aus rotem Sandstein die Säulen und übrigen Gliederungen im Innenraum. Um farbige Kontraste zu erzielen, sind die Tuffsteinrippen rot gestrichen worden.
Die Kirche St. Apollinaris ist ein eigenwilliger Bau in Grundriß und Wandaufbau. Die fast quadratische Grundform ist heute für einen modernen Gottesdienst von großem Vorteil. Durch den dem Chor breit vorgelagerten Laienraum entstehen kurze Verbindungen vom Gemeinderaum zum Altar. Sie begünstigen eine gute Sicht in den Hauptchor von allen Seiten.
Baugeschichtlich hat Pickel Formen der späten Gotik entlehnt und bei der Konstruktion eine Basilika mit einer Hallenkirche kombiniert. Räumlich dominiert der Eindruck der Halle. Die äußeren Seitenschiffe wirken wie angerügte Nebenräume. Die deutliche Asymmetrie der Kirche wirkt nicht zufällig, sondern bildet Schwerpunkte, die innen wie außen in Beziehung stehen und von der Grundstücksituation stark beeinflußt werden."