Natürlich gab es schon immer Gespräche, also Dialoge,
zwischen Christen und Marxisten, etwa bei gemeinsamen Aktionen,
wie z.B. in der Friedensbewegung. Das jedoch, was dann als christlich-marxistischen
Dialog bezeichnet wurde war insofern etwas Neues, als es um organisierte,
oft gar institionalisierte Formen von Gesprächen ging, in
denen über politische, ökonomische, ethische, kulturelle
Probleme diskutiert wurde mit dem Ziel, Gemeinsames, Verbindendes
aufzufinden, - nicht zuletzt auch, um die jahrzehntelange, unheilvolle
Gegnerschaft, Feindschaft gar, zwischen Christen und Marxisten,
zu überwinden.
Erstmals geschah dies in den 60er Jahren in der CSSR. 1965 führte
die katholische Paulus-Gesellschaft in Salzburg ein Symposium
zum Thema "Christentum und Marxismus heute" und 1966
in Herrenchiemsee ein Symposium über "Christliche Humanität
und marxistischer Humanismus" durch. 1967 fand dann in Marienbad
ein Dialog-Symposium zu dem Thema "Schöpfertum in einer
humanen Gesellschaft" statt, zu dem die Paulus-Gesellschaft
gemeinsam mit dem Soziologische Institut der Tschechoslowakischen
Akademie der Wissenschaften eingeladen hatte. Unter den 220 Teilnehmern
aus 20 Ländern befanden sich auch evangelische und katholische
Christen aus beiden deutschen Staaten, z.B. solche international
bekannten Persönlichkeiten, wie D. Sölle und J. Moltmann.
Aus der DDR nahmen G. Wirth und O.H.Fuchs teil. Diese Veranstaltung
stand im Zusammenhang mit dem "Prager Frühling",
und als der zerschlagen wurde, starb auch dieser Dialog. Es wurde
dann sehr ruhig um ihn, lediglich in Ungarn wurde er Mitte der
70er Jahre zwischen marxistischen Religionswissenschaftlern und
Vertretern der "Theologie des Dienstes" wieder aufgenommen,
und 1986 veranstaltete das vatikanische Sekretariat für Nichtglaubende
und die Ungarische Akademie der Wissenschaften in Budapest ein
christlich-marxistisches Symposium, an dem ebenfalls Vertreter
aus der DDR und der BRD teilnahmen. Schließlich wäre
für den deutschsprachigen Raum noch zu erwähnen, dass
ab 1968 von katholischen Theologen die "Internationale Dialog-Zeitschrift"
herausgegeben wurde, durch die namhafte Marxisten und Christen
zum Disput versammelt wurden. Vor etlichen Jahren wurde diese
Zeitschrift jedoch eingestellt.
In der DDR tat sich zunächst nichts. Dies war vor allem der
Tatsache geschuldet, dass dieser Dialog, - auf Grund seines Zusammenhangs
mit dem "Prager Frühling" - in der offiziellen
Lesart als konterrevolutionär bezeichnet wurde. Allein schon
der Begriff war geradezu tabuisiert; es war politisch gefährlich,
ihn zu gebrauchen. Aber auf Dauer ging das nicht, zumal seit Ende
der 70er Jahre - politisch motiviert - die "Zusammenarbeit
von Christen und Marxisten" (Kommunisten und Gläubigen)
zu einem bevorzugten Thema in der einschlägigen Forschung
und Propaganda geworden war. Da wurde es dann allmählich
- von Christen immer wieder angemahnt - zu einem Anachronismus,
diese Zusammenarbeit zu propagieren und den Dialog zu unterschlagen
- ohne den ja wohl eine Zusammenarbeit nicht möglich ist.
So wurde dann im Jahre 1984 auf dem III. Internationalen Güstrower
Symposium der christlich-marxistische Dialog wieder auf die Tagesordnung
gesetzt, durch einen - mit der Konferenzleitung abgesprochenen
- Diskussionsbeitrag von Olof Klohr. Allmählich breitete
sich der Dialog aus, wurde praktiziert auf Kirchentagen, in Evangelischen
Akademien, in Pfarrkonventen, wobei zunächst also vor allem
die christliche Seite (als Einlader) aktiv war. Es bildeten sich
aber auch ständige Arbeitsgruppen heraus, die solche Dialog-Veranstaltungen
durchführten, wie z.B. an der Humboldt-Universität in
Berlin, im sächsischen Raum und in Mecklenburg. Es war aber
nach wie vor - besonders für Marxisten - nicht ganz ungefährlich
sich in diesem Dialog zu engagieren. Zwar wurde dieser Dialog
von "offizieller" Seite zunächst mehr oder weniger
als "Spielwiese" einiger Intellektueller angesehen.
Aber seine zunehmende Ausbreitung insbesondere in den 80er Jahren,
hatte dann Konsequenzen: es kam zu "Auftrittsverboten"
durch einige Bezirks- und Kreisleitungen der SED und es gab sogar
Parteistrafen für die von der SED nicht genehmigten Teilnahmen
an Dialog-Veranstaltungen. Insgesamt gab es dann aber bis 1990
ca. 80 dokumentierte Dialog-Veranstaltungen (s. Heft 3/1994),
de facto aber waren es wesentlich mehr. Die letzte Veranstaltung
in der DDR fand dann im Juni 1990 an der Humboldt-Universität
statt, an der unter anderem Manfred Stolpe mit einem Vortrag teilnahm.
(s. zu diesen Einschätzungen die einschlägigen Artikel
von Hans Lutter in den ersten Ausgaben der "Berliner Dialog-Hefte")
Mit dem Ende der DDR war aber keinesfalls auch der Dialog am Ende.
Im Dezember 1990 erschien das erste von Lutter herausgegebene
"Dialog-Heft", durch das dann wohl auch die erste Dialog-Veranstaltung
- nach der Wende (zum Kapitalismus) also - inspiriert wurde. Sie
fand vom 11.-13.1.1991 im Berliner Hendrik-Kraemer-Haus statt,
an der neben ehemaligen Akteuren des Dialogs in der DDR Christen
aus den Niederlanden und der CSSR teilnahmen. Es wurde beschlossen,
in Berlin die "Gesellschaft zur Förderung des christlich-marxistischen
Dialogs e.V" zu gründen, was dann einige Wochen später
auch geschah. Die Gesellschaft gab eine "Einladung zur Mitarbeit"
(s. Heft 3/1991) heraus und wählte Heinz Blauert, den ehemaligen
Chefredakteur der Evangelischen Monatszeitschrift "Die Zeichen
der Zeit", zum Vorsitzenden. Zugleich fungierte die Gesellschaft
nunmehr auch als Herausgeber der "Berliner Dialog-Hefte",
als deren Redakteur Hans Lutter berufen wurde. Die Gesellschaft
organisierte nun Dialog-Veranstaltungen zu den verschiedensten
Themen (s. Übersicht über die Hefte). In den ersten
Jahren waren es 3-4 Veranstaltungen, später wurden es dann
etwas weniger. Die Vorträge wurden neben anderen jeweils
in den Heften veröffentlicht. Große Verdienste bei
der Organisierung dieser Veranstaltungen, wie überhaupt um
die Arbeit der Gesellschaft erwarben sich in den ersten Jahren
vor allem Horst Dohle und Reinhard Scheerer, später neben
Dohle auch Hans Steußloff. Die "Berliner Dialog-Hefte"
fanden zunehmend Anerkennung und Abonnenten, auch im Ausland,
denn sie hatten (und haben) ihre Leser in 14 Ländern.
Im Jahr 2001 wurde dann leider die Gesellschaft aufgelöst
(s. Heft 1/2001 48) Da aber sehr viele ehemaligen Leser und Abonnenten
dringend um die Weiterführung der Zeitschrift baten, wurde
sie im Juni 2001 als "Neue Dialog-Hefte" vom ehemaligen
Redakteur weiter herausgegeben. Dialog-Veranstaltungen gibt es
zur Zeit nicht, aber das Prinzip beibehalten, dass sich jeweils
Christen und Marxisten zu gleichen Themen äußern, und
in dieser Weise also der Dialog weiter geführt wird.
Die Dialog-Hefte sind bis heute - zumindest europaweit - die einzige Zeitschrift, die sich dem christlich-marxistischen Dialog widmet!