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Elefanten können nicht in die Luft springen, weil sie zu dick sind- oder wollen sie nicht-





Electrocuting an Elephant

Ab Seite 134 von Prinz Hans setzt sich die Prosa fort mit einem Theaterstück, das sich als eine feine Kostbarkeit herausstellt. Unter dem Mammut-Titel Elefanten können nicht in die Luft springen, weil sie zu dick sind- oder wollen sie nicht- hat am 1o. Mai 1986 im "Theater zum westlichen Stadthirschen", einem Berliner Off-Theater, die Uraufführung stattgefunden. Der Kritiker Heinz Ritter urteilte: "Ein vielschichtiges, bizarr versponnenes Stück von hohem intellektuellen Reiz und subversiver Komik."



Das Stück spielt in einem sogenannten Loft, in einer ausgedienten und nicht gerade sehr komfortablen Fabrikhalle. Hier versammelt sich außer Hans, der nun graubündnerisch-poetisch Gionandris heißt, ein Rest der Jeunesse, die schemenhaft bereits in der vorangegangenen Prosa auftauchte: zum pirandellesken Rollenspiel finden sich ein die beiden jungen Frauen Leta und Zaira, gemeinsam mit einem Mann ihres Alters, der fortan die Hauptperson darstellt, namens Seume. Letzterer ist biographisch nicht identisch mit dem Dichter Johann Gottfried Seume (1763-181o), der den Spaziergang nach Syrakus im Jahre 18o2 schrieb, aber sicher ist die Namengebung eine Hommage für einen außenseiterischen Lieblingsdichter Zschokkes.

Das Fabrikhallen-Quartett inszeniert sich in seiner öden Behausung eine neue und buntere Welt, denn die, die existiert, läßt sich nicht ertragen, muß überspielt werden. Bei "bitterlicher Kälte" träumt man sich fort ins Indische, ins wahrhaft "Prinzliche", hinüber zu Licht und Glanz- allen Störungen zum Trotz: obwohl "ein höflicher Mensch" Flugblätter verteilt und zu absurden Polit-Demonstrationen einlädt, obwohl ein Nachbar, der "Herr Riemer" (das wandelnde Prinzip Banalität), blödeste Außenwelt hereinzuschleppen versucht und obwohl sogar Gevatter Tod (als elegant-blasierte Allegorie) ein- und ausgeht (und sein Theater-Comeback feiert), ganz zu schweigen von einer Figur, die im Personenzettel des Bühnentextes "Jemand Bläuliches" heißt und (für die Akteure unsichtbar) destruktiv sich gebärdend, eine Art Assistent des Sensenmannes ist.

Aufführungsphoto der UA

Beim Spiel des Quartetts geht es wirklich um alles: ums Leben. In der Tat findet ein Überlebens-Spiel statt, ganz im Gegensatz zu den Mätzchen, die ein ungebetener Gast-Clown darbietet: was der vorführt, ist lediglich L'art pour l'art, das sind nur mit viel Schweiß eingeübte und im Grunde dämliche Kunst-Stückchen.

Wie bewundernswert dagegen die Imaginationskraft der existentiellen Traumspieler! Sie schaffen es sogar, daß sich der ursprüngliche Beckett-Endspiel-Raum in ein paradiesisches Grün verwandelt. Und wenn dennoch am Schluß der Tod, zusammen mit seinen Schergen, abernten will, hat er damit doch erhebliche Schwierigkeiten: "Die bläuliche Person klappert nachdenklich mit den Zähnen, der Tod probiert verblüfft noch einmal sein Tänzlein." Zwar hat er Zaira bereits kassiert (sie wurde -in konkretem Wortsinn- von einem Geldsack erschlagen), aber das verbleibende Trio singt ihn (höchstwahrscheinlich und hoffentlich) t o t, "zu einer jämmerlichen Cellobegleitung" von Gionandris, dem "Prinzen" Hans.



Der Reichtum des rätselhaft-luziden Zschokke-Stückes läßt sich nicht in wenige Worte fassen: seine Heiterkeit, seine Trauer, sein Witz, seine Skurrilität, seine Naivität, seine Klugheit, ja, seine Weisheit. Ein riskanter Vergleich soll gewagt werden: Matthias Zschokkes Theaterstück hat eine ähnliche literarische Qualität wie Georg Büchners vor ungefähr 17o Jahren entstandenes Bühnenwerk Leonce und Lena.




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