Andreas F. Mirrione
Augenblick/Uhura 2

Uhura Message 2

1998

Schien es mir nur kurz sie zu sehen oder war sie wirklich da, vielleicht während des kurzen Augenblickes, welchen ich zum Augenblinzeln nutzte? War es nur die Einbildung? Oder gab das kalte Kribbeln, welches mir in dieser von Nacht umhüllten Umgebung wie stechend über den Rücken lief, den Hauch des Abnormalen ins Unterbewußtsein oder sogar schon den Hang zum sogenannten "Übersinnlichen", "Unerklärbaren"? - Es mußte wohl so sein, anders hätte ich mir das Erscheinen und Verschwinden ihrerseits nicht vorstellen können. Und dennoch blickte mich diese Stelle, an welcher mir schien, sie gesehen zu haben, fixierend an, wie aufmerksam beobachtend, wie ein neugieriges kleines Kind, das ihn faszienierende Spiel von Lichtern beobachtend. Ja, diese Stelle schien mich anzustieren, so als ob sie Augen hätte und mich mit ihnen zu durchbohren versuchte, um mich und in mich hinein zu sehen. So als ob sie das ihr von mir Unbekannte noch in sich aufnehmen möchte, meine soeben erlebten Gefühle. Als ob sie Augen hätte, die genannte Stelle, Augen und ein Gehirn. Aber trotz aller Toleranz und allem naiven Glauben ans Geisterhafte war es lächerlich und hirngespinstig. Diese Mauer und diese Säule,...
Meine Freundin indessen bemerkte, daß ich für diesen Bruchteil einer Sekunde im Meer meiner Gedanken versunken lag, und blickte mich wie fragend an. Ich kenne ihre Blicke und sie die Wasserfälle und Stürme von Ideen, Theorien und Gefühlen, welche in meinem Kopf ihre oftmals von der Realität fernen Spiele trieben. Es genügte aber, daß ich meinen Mund zu einem Lächeln verziehe, damit sie versteht, daß ich meine Gedanken oder in diesem Fall dieses Gefühl und diese Vision für mich behalten würde oder daß es für sie eine schwere und im Nachhinein sich wahrscheinlich als unnütz herausstellende Arbeit handeln würde. Wahrscheinlich verschwendete sie keine weiteren Gedanken mehr daran, wohl auch, weil sie es von mir gewohnt ist, daß ich solche Kurzausflüge in meine Gedankenwelt unternehme. Sie rückte mit ihrem auf meiner Schulter liegenden Kopf etwas näher an meinen Hals, was mich wie instinktiv dazu verleitete, ihr kurz in den Oberarm zu kneifen. Sie erwiderte mein Lächeln als ob sie meines verstanden hätte, als ob ich ihr sagen wollte "Alles in Ordnung, ich bin wieder da." - Was aber trotzdem nicht der Wahrheit entspricht, denn je näher wir an die Stelle kamen, desto mehr schien mir, Schwingungen aus dieser Richtung kommend zu spüren. In mir versuchte ich diese Empfindung abzustreiten, da ich sie selbst als Einbildung zu deuten versuchte.
Aber nein, da war sie wieder, die schwarze Dame, welche ich zugleich als in billigen Filmen dargestellten Sensenmann erkennen konnte, als schwarze Katze, Monster in Form eines Dämons. Obwohl ich sie, abgesehen von filmischer Darstellung oder phantastischer Illustration, nie gesehen hatte oder nie versucht mir vorzustellen, merkte oder vielmehr fühlte ich, ja mir schien förmlich ich konnte dieses Gefühl berühren, als ich sie erkannte. Sie, diejenige, die den Weg aus dem Leben lenkt. So real und irreal sie mir auch vorkam, ich wollte und konnte keineswegs an ihrer Präsenz Zweifel aufstellen. Und so plötzlich diese Erscheinung auch kam, konnte sie mich nicht erschrecken oder mir die Sprache verschlagen. Als ob ich vorher schon davon wußte, als ob ich ein Treffen vereinbart hätte, als ob es schon in meinem Terminkalender verzeichnet wäre. Die Frage kam mir spontan, wie man sie sich auch nicht anders hätte vorstellen können: "war's das für mich, bis jetzt?" Ich wußte, daß, ich einem Frage- und Antwortspiel zukommen würde, war mir aber bis jetzt noch nicht bewußt, auf welcher Ebene es ablaufen würde, da ich bis noch nicht verstehen konnte, ob ich meine Frage in Worten stellte oder mental, wie durch Telepathie, weiterleitete. Und so erfuhr ich auch die Antwort, welche gleichzeitig als Erwiderung auf meinen als Frage gestellten Gruß galt: "nein, ihretwegen bin ich gekommen."
Ich ließ mir nicht die Zeit, um die Antwort zu verstehen, und ein, "nein, nein, dann nimm eher mich" war die logische erste Reaktion. So kurz diese auch war, genügte sie mir zu bemerken, daß ich mir da allerdings nicht so sicher war. Ein innerer Zweikampf zwischen Egoismus und Trauer um meine Freundin entfachte sich. Die Lust auf weiteres Leben und der Schmerz um den Verlust meiner Liebsten standen sich gegenüber. Und die Neugierde war diejenige, welche verbissen versuchte, auf beiden Seiten gegen sich zu kämpfen, was allerdings sehr schwer war, denn da war einerseits die Neugierde zu wissen, wie mein Leben weitergehen würde, oder vielmehr das Nicht-Leben sei, das Feststellen, welche Theorie vom Leben nach dem Tod sich als richtig erwiesen hätte oder am nächsten gekommen sei. "Deine Zeit ist noch nicht gekommen", unterbrach den inneren Zweikampf, was zugleich aber einen weiteren auslöste, zwischen Freude, Erleichterung und Schmerz, Trauer, allerdings dämpfte die Resignation die Heftigkeit und Sinnlosigkeit des Kampfes. "Dein Lebensweg führt dich noch ein Stück weiter - wir werden uns aber auch mal begegnen."
Und während das Herz meiner Freundin aufhörte zu schlagen, schien auch meines für kurze Zeit stillzustehen, und während ihr Körper zusammensackte, krachte in mir meine Welt zusammen und ließ mich innerlich mitsterben...

(1997)

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