Andreas F. Mirrione
Traurig und wahr/Uhura 3

Uhura Message 3

1998

Kleider machen Leute... speziell Uniformen scheinen das Wesen des Menschen zu verändern und dem Träger ein seltsames Gefühl der Macht zu vermitteln. Und daß dann die Zaghaftigkeit eines Vierzehnjährigen ausgenützt wird, der sich nicht traut, das Maul aufzureißen, dann ist sowas

Traurig und wahr

Ohne Helm und zu zweit auf dem Motorrad - macht Spaß und ist "illegal", manchmal auch die einzige Möglichkeit, zu zweit schneller vorwärts zu kommen. Einbruch, Vergewaltigung und Mord sind schlimme Vergehen, der Handel mit Drogen auch...
Aber es scheint, wenn man zu zweit auf einem "Fuffzger-Veschpele" fährt und ohne Helm auch noch, so ist der Weg vom Verkehrssünder zum Drogenhändler nicht weit...
Es scheint der See eine magische Anziehungskraft zu haben, besonders wenn die Sonnenstrahlen den Tag erwärmen und der Sonntag die Gedanken von Arbeit und Alltag fernhält. Und daß mit 14 nicht jeder ein "Fuffzger-Veschpele" hat oder fährt... naja, der eine hat, der andere halt nicht. Wir Umweltschützer kamen wir uns vor, anstatt mit zwei Gefährten machten wir es uns auf einem eng, ohne Helm (der sicherlich auch aus irgendwelchen umweltstörenden Chemikalien oder sonstwelchen Elementen besteht) konnten wir besser die Umwelt wahrnehmen, den Frühling genießen, auf dieser kleinen Landstraße, quer durch die Weinreben Südtirols.
Aber so ganz stolz auf unser ausgeprägtes Umweltbewußtsein dürften wir nicht gewesen sein und haben dies dann bemerkt, wie wir beinahe den Polizeiwagen überholt hätten (Zugegeben: Die Geschwindigkeit war etwas überhöht - da wir aber auf dieser Straße nicht hätten fahren dürfen, drückte man aufs Gas, um so schnell wie möglich vom Grundstück eines anderen wegzukommen). Das war aber auch der Moment, wo die Bremsen getestet werden konnten und zu unserer Freude auch festgestellt werden konnte, daß diese auch wirklich funktionierten. Also warteten wir einige Minuten (wir dachten uns, die Polizei würde einige Meter weiter vorne warten - und wir hatten sicher nicht im Sinn, wegen unseres kleinen Vergehens die Ordnungshüter von ihrer Arbeit abzuhalten, während sie eigentlich auf Verbrecherjagd sein könnten: vielleicht war ein gefährlicher Spion auf dem Weg über den See in unser Land eingedrungen und würde hier Unheil verrichten und das gelobte Land Südtirol verwüsten)... Um auf Nummer sicher zu gehen (weil wir wirklich ehrliche Menschen sind und nicht im Sinn hatten, die Ordnungshüter von der Arbeit abzuhalten) fuhr mein Chauffeur voraus, ich zu Fuß hinten nach. Und ich brauchte wirklich nicht weit zu gehen, um den Polizeiwagen zu sehen, der auf uns zu warten schien. Bei schönem Wetter muß es anstrengend sein, einem "Fuffzger-Veschpele" hinterherzujagen, aber so ein unschuldiger, ehrlicher Fußgänger (ich) ist da schon leichter aufzuhalten...
"Ciao biondino!"
Die scheinen mich zu kennen, werden mich wahrscheinlich aber verwechseln, denn blond ist nicht mal eines meiner langen Haare. Weil mir aber meine Eltern gelernt haben, man soll freundlich sein, blieb ich stehen, um die beiden Gesetzeshüter zu begrüßen...
"Dove stiamo andando?"
Jaja, die verwechseln mich, denn ich war eigentlich allein unterwegs zum See und hatte eigentlich nicht geplant den ganzen Nachmittag mit ihnen zu verbringen. Und weil mir meine Eltern gelernt haben, immer die Wahrheit zu sagen, erklärte ich, ich ehrlicher Bürger, daß ich auf dem Weg zum See sei.
"Ah, a fumarci una bella canna?"
Was, wer, ich, ich ehrlicher Bürger, dem die Eltern gelernt haben, die Finger von den Drogen zu lassen?
"Facci vedere i documenti!"
Und weil mir meine Eltern erklärt haben, wie wichtig es ist, sich immer ausweisen zu können, zog ich die Brieftasche aus der Hose und fingerte nach meinem Ausweis.
Ordnungshüter scheinen aber neugierige Menschen zu sein, denn sie wollten gleich die ganze Brieftasche sehen. Aber auch Ordnungshüter scheinen Eltern zu haben, die ihnen erklären, daß man ehrlich sein muß, denn einer von den beiden Uniformierten nahm das Geld aus meiner Brieftasche und reichte es mir, "altrimenti poi si dice che noi ti abbiamo rubato i soldi." Immerhin 60.000 Lire waren das, und meine Eltern haben mir immer gesagt "wer das Kleine nicht ehrt..."
Angenehm warm war es, ich freute mich auf den gemütlichen Nachmittag am See, habe mir auch extra den Rucksack vollgestopft mit Walkman, Buch und Apfel. Und die Freunde von der Polizei (pardon: Freunde und Helfer!) schienen wirklich sehr neugierig zu sein, denn sie wollten auch den Inhalt meines Rucksackes sehen. Und weil meine Eltern... ich zeigte ihnen den Rucksack.
"Dove hai nascosto la droga?"
Nein, da schien wirklich eine Verwechslung vorzuliegen, denn ich ehrlicher Bürger... Doch so gut scheinen mich die beiden Ordnungshüter nicht zu kennen, denn sie wollten trotzdem mich genauer durchsuchen. Und weil ich ein wirklich entgegenkommender Mensch bin (haben mir meine Eltern gelernt), zog ich, wie befohlen, mein Hemd aus. Was mir auch nichts ausmachte, denn es war angenehm warm. Vielleicht gefiel ihnen das Hemd, vielleicht hat einer der beiden eine Frau, die Schneiderin ist, denn es wurde lange und genau gemustert. Und wahrscheinlich gefiel ihnen auch mein T-Shirt, denn sie wollten sich auch dieses ganz genau anschauen. Hm, so langsam empfand ich die Situation als störend, aber ich durfte mich ja auf den See freuen.
Ich habe mal von Schuhfetischisten gelesen (solls ja auch geben), und wahrscheinlich waren diese beiden Herren auch welche. Mich sollte es aber nicht stören, und ich befolgte ihre Anweisungen und zog meine Turnschuhe aus...
"Dai, risparmiaci il lavoro, dove hai nascosto la droga?"
Hm, da hätte ich wirklich gut verstecken müssen, denn nichtmal ich wußte, daß ich irgendwelche illegale Substanzen in meinem Besitz (und versteckt noch obendrein!) hätte. Vielleicht im Walkman? Einem der beiden Uniformierten kam diese Idee, und er untersuchte mein Kassettenabspielgerät genau. Und er schien sogar die Musik zu kennen, denn er meinte: "Questa è la tipica musica dei drogati." Ach so? Das wußte ich nicht. Man lernt ja immer dazu (das haben meine Eltern mir auch immer gesagt).
"Hai mai fumato una canna?"
Pfff, oh je, wer ist nicht neugierig in seinem Leben und probiert nicht mal etwas Neues aus. Außerdem schien mir dies eine gute Gelegenheit zu sein, um mich mit den Ordnungshütern anzufreunden, da ja auch ich wie sie so neugierig sein kann, und stolz antwortete ich also: "Sì, una volta ho provato." Das schien sie wirklich zu interessieren! "Dove? Quando? Con chi?" Ich dachte mir nicht, daß meine harmlose Gezogen-aber-nicht-inhaliert-Erfahrung so interessant sein könnte. Auch weiß ich nur mehr, daß das Mädchen, welches mir den Zug anbot, Myriam hieß und aus Meran kam. "Zzzz, la famosa Myriam di Merano..." Ach, sie kannten sie auch? "Dove hai nascosto la droga?" Nein, nun aber wirklich - ich habe kein solches Zeug, ich ehrlicher Bürger! "Noi abbiamo tempo, possiamo portarti con noi e aspettare." Und mein Ausflug zum See? Nein, Drogen habe ich wirklich keine bei mir, und die Sonne scheint am heutigen Tag ja auch nicht ewig. "Dai, risparmiaci il lavoro - dove hai nascosto la droga?" Sollte ich etwa lügen? Niemals, meine Eltern habe mich zur Ehrlichkeit erzogen. "Allora? Ti portiamo con noi, ieri abbiamo preso Bruno il finocchio e ti metteremo in cella assieme a lui." Bei aller Toleranz wäre mir ein Nachmittag in einer Zelle mit Bruno il finocchio nicht angenehm gewesen. Und was soll das alles überhaupt? Verführen lange Haare zum Drogenmißbrauch? Wenn das so ist (laut den beiden Ordnungshütern "ja"), bin ich direkt froh, daß ich von meinem Vater Haarausfall erbe, denn dann habe ich keine (oder wenige) lange Haare und verfalle so nicht der Sucht...
Mittlerweile waren schon fast drei Stunden vergangen, den Nachmittag auf dem See habe ich in Gedanken schon auf den nächsten Sonntag verschoben, und ich begann kalt zu kriegen, denn ich durfte mein T-Shirt immer noch nicht anziehen. Und nervös wurde ich auch... ich rauche ja nicht, und drei Stunden sind lang, wenn man sie nur mit Verneinen und Herumstehen verbringt. Doch den beiden Ordnungshütern (die übrigens in meiner Sympathieliste von Minute zu Minute weiter nach unten sinken) schien der Begriff Langeweile fremd zu sein: "Allora, ci vuoi dire dove hai la droga?" Hm, vielleicht spielen sie nur mit mir, behandeln mich so, weil sie wissen, daß ich, vierzehnjähriger, ehrlicher Bürger, nicht den Mut hätte, meine Meinung zu sagen und von meinem Recht gebrauch zu machen? Naja, zu bunt wurde es mir auch langsam, und ich verlangte, meinen Vater anrufen zu dürfen (Papasöhnchen habe ich nie gemocht), damit dieser vielleicht den beiden Uniformierten erklären könnte, daß ich ein ehrlicher Bürger bin (zu welchem er und meine Mutter mich übrigens erzogen haben). Und das schien zu wirken, denn Augenblicke später erhielt ich meine Personalien zurück, und während ich mir Schuhe, T-Shirt und Hemd anzog, verabschiedeten sich die zwei Gesetzeshüter: "Per stavolta chiudiamo un occhio, ma la prossima volta riusciremo a trovare la droga..."
Na, dann muß ich mir wohl einen kleinen Vorrat an Drogen zulegen, damit ich die beiden Herren beim nächsten Treffen nicht enttäusche...

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