David Casagranda
Zagora (business as usual)/Uhura 3

Uhura Message 3

1998

Mistviecher. Ich weiß nicht, ob sie noch immer oder schon wieder da sind. Auf jeden Fall liegen sie auf der buckligen, löchrigen und staubigen Zufahrt zum Flußbett und rühren sich um keinen Millimeter. Da ist wohl nichts zu machen. Auf dem Hinweg habe ich ja noch versucht, sie irgendwie zu bewegen, aber es ist nicht nur so, daß Kamele bekanntlich Nadelöhre verstopfen, sie versperren auch immerhin etwa zwei Meter breite Fahrwege. Früher haben Alpenmenschen nur deshalb von sturen Maultieren und Eseln gesprochen, weil es damals in nördlichen Gefilden trotz Hannibal und Reinhold (Messner, nicht Giovanett) keine Höckertiere lange ausgehalten haben. Also quäle ich die vollbeladene Maschine in die Sanddünen - die Kamele drehen höflich interessiert die Köpfe - und stemme die Stiefel in den Boden: wenn ich hier wegrutsche, ist Feierabend. Gott, ist es heiß unter dem Helm, aber was will man schon im August und noch dazu nach drei regenlosen Monaten?
Endlich hab' ich's, jetzt kommen noch die paar Kilometer Geröllpiste bis zur Hauptstraße. Hoffentlich hat die Armee nicht schon wieder alles dicht gemacht, es wäre gar nicht so einfach, denen zu erklären, daß ich nur Ali bei seiner Familie abgesetzt habe. Hier an der Grenze sind die Soldaten außerordentlich reizbar und die Gepäckuntersuchungen dauern eine Ewigkeit.
Geschafft, ich schalte gemächlich die Gänge hoch und schwinge die elf Kurven genüßlich bis zu meiner Hütte. Die nächsten Vorgänge erledige ich mechanisch, die Gewohnheit macht Aufmerksamkeit überflüssig. Absteigen, das Motorrad aufbocken, den Schlüssel abziehen und gebückt durch die niedrige Türöffnung in die Mischung aus Werkstatt und Wohnung gehen.
Sowie ich erst drinnen bin, reiß' ich mir das Hemd runter und greif' mir eine Büchse Bier aus dem Kühlschrank. Was für ein Glück, daß ich das alte Bierlager gefunden habe und daß mir der alte Mann beigebracht hat, wie man Elektrogeräte repariert. Sogar der Fernseher läuft noch. Allerdings weiß ich genausowenig wie sonstwer, woher die Sendungen kommen. Aber irgendwo muß es noch eine vollautomatische Sendeanstalt mit ausreichend Energieversorgung geben. Immerhin laufen dieselben Sendungen nun schon mindestens, seit ich auf der Welt bin ­ das sind nun auch schon mehr als vierzig Jahre. Was ist wohl jetzt dran? Nicht schon wieder, das blöde Geschichtsvideo. Eigentlich sagt der Moderator ja soap opera dazu, aber nicht einmal mehr der alte Mann erinnert sich, was das bedeuten könnte. Immerhin sind diese Aufzeichnungen heutzutage die einzige Möglichkeit, sich anzusehen, wie die Leute so vor hundertfünfzig Jahren gelebt haben. Obwohl ich mir nur schwer vorstellen kann, wie man so dämlich sein kann. In dieser Aufzeichnung ­ die Geschichte soll beinahe zweihundert Jahre auf dem Buckel haben - zum Beispiel läuft eine Szene im Hause Lewinsky, die Tochter kommt gerade heim.
"Hi, Mammi."
"Hallo Monilein, heute ist es aber spät geworden."
"Ja weißt du, ich habe mich noch mit Billy aufgehalten."
"Was für ein Billy denn?"
"Aber doch der Mr. President."
"Ach so, ja dann. Aber du hast da einen Fleck auf deinem schönen Ballkleid."
"Weißt du, Mammi, ich habe dem Mr. President einen geblasen, aber wie ich gespürt hab', daß er kommt, hab' ich losgelassen." (Da hat er seinen Samen auf das Kleid gespritzt, wie weiland Onan, Sohn des Judas, seinen auf die Erde, um sich der Pflicht zur Leviratsehe zu entziehen. Jehova hat ihn dafür allerdings vorzeitig aus dem Verkehr gezogen.)
"Wie schön, Monilein. Aber dann dürfen wir das Kleid jetzt nicht waschen. Wir hängen es in den Schrank, so wie es ist, möglicherweise können wir es in ein paar Jahren noch gut gebrauchen."
"Au ja, Mammi, das tun wir."
Da ist der Szenenschnitt, ich weiß nicht, ob der Billy auch hat frühzeitig abtreten müssen, es gibt keine Fortsetzung. Wie man so munkelt, soll die smarte Monilein einen ganzen Haufen Geld aus dem damaligen Präsidenten Billy herausgeholt haben. Geld, das ist auch so ein Begriff aus der Vergangenheit, von dem wir zwar noch in der Schule gelernt haben, aber mit dem im täglichen Leben kein Mensch etwas anzufangen weiß. Das muß man sich erst einmal vorstellen: ich brauche eine Trommel für eine Waschmaschine und biete dem Gino dafür ein Blatt Papier mit einer Zahl drauf, die zehn Kilo Mehl und zwei Dutzend Eier wert ist. Mal ganz abgesehen davon, daß er mir schon den Kopf abreißen würde, wenn auch nur eines der Eier nicht frisch wäre, was sollte er dann der Anny für ihr Obst und Gemüse geben? Wenn sich dann die Geschichte mit dem Gegenwert nicht genau ausgeht ­ das kommt ja dauernd vor -, ist es doch auch einfacher zu sagen: "Schön, dann bring' ich dir das nächste Mal vier Dosen Fleischsuppe oder zwei Hartwürste mit", als Papierfetzen zu tauschen, die leicht verloren gehen. Und wenn du in der Nacht in den Bergen von der Dunkelheit überrascht wirst, kannst du sie weder essen, noch dich damit zudecken.
Aber sie sieht sehr hübsch aus, die Monilein. Eigentlich sind alle Menschen in diesen alten Filmen viel schöner als wir in Wirklichkeit. Die meisten sind allerdings viel dünner als Monilein. Der alte Mann hat mir erzählt, daß dünne Menschen damals als schön galten. So ein Schwachsinn. Das kann sich heutzutage niemand mehr vorstellen. Es gibt nirgends mehr so viel zu essen, daß man so schön rund wie Monilein werden könnte. Ich zum Beispiel gehöre doch zu den Reichen. Der alte Mann hat mir gesagt, ich hätte geschickte Hände, nur mit dem Kopf hapere es ein bißchen. Immerhin hat er mich viel gelehrt. Deshalb kommen die Leute mit ihren kaputten Geräten zu mir. Ich repariere das Zeug und bekomme Lebensmittel dafür. Es geht mir gut. Nur selten kommt eine Woche, in der ich gar nichts zu essen hätte. Spätestens am Freitag läuft ein Happen ein, meist sogar eine ganze Portion. Aber sogar ich bin dürr im Vergleich zu Monilein. Erst seit ich zufällig das alte Bierlager entdeckt habe ­ ich war auf dem abgerüsteten Raumhafen auf Ersatzteilsuche -, krieg ich etwas Fülle um die Hüften herum. Es ist ein herrliches Gefühl, die Menschen sehen mich alle so neidisch an. Ich habe es mir durchgerechnet: wenn ich nur zwei Büchsen am Tag trinke und jede Woche nicht mehr als zwölf abgebe, reicht der Vorrat noch vierzehn Jahre lang. Aber ich könnte ja sparen und überhaupt niemandem etwas abgeben. Höchstens noch der Frau mit dem kleinen Mädchen. Sie kommen in letzter Zeit etwas öfter vorbei. Zwar freue ich mich jedesmal, die Frau gefällt mir, und das Kind spielt so selbstvergessen mit meinen ausgeschlachteten Maschinenteilen und lacht so fröhlich, als ob es gar nicht hungrig wäre, aber ich lasse mir nichts anmerken. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, sie sind so schwach, was sollten sie mir schon tun, und warum sollten sie mir überhaupt etwas tun wollen? Sie wissen ja nichts von meinem Bier. Vielleicht frage ich das nächste Mal, ob sie nicht hierbleiben wollen.

(August 1998)

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