Uhura Message 3
1998 |
Mistviecher. Ich weiß nicht, ob
sie noch immer oder schon wieder da sind. Auf jeden Fall liegen
sie auf der buckligen, löchrigen und staubigen Zufahrt zum
Flußbett und rühren sich um keinen Millimeter. Da
ist wohl nichts zu machen. Auf dem Hinweg habe ich ja noch versucht,
sie irgendwie zu bewegen, aber es ist nicht nur so, daß
Kamele bekanntlich Nadelöhre verstopfen, sie versperren
auch immerhin etwa zwei Meter breite Fahrwege. Früher haben
Alpenmenschen nur deshalb von sturen Maultieren und Eseln gesprochen,
weil es damals in nördlichen Gefilden trotz Hannibal und
Reinhold (Messner, nicht Giovanett) keine Höckertiere lange
ausgehalten haben. Also quäle ich die vollbeladene Maschine
in die Sanddünen - die Kamele drehen höflich interessiert
die Köpfe - und stemme die Stiefel in den Boden: wenn ich
hier wegrutsche, ist Feierabend. Gott, ist es heiß unter
dem Helm, aber was will man schon im August und noch dazu nach
drei regenlosen Monaten?
Endlich hab' ich's, jetzt kommen noch die paar Kilometer Geröllpiste
bis zur Hauptstraße. Hoffentlich hat die Armee nicht schon
wieder alles dicht gemacht, es wäre gar nicht so einfach,
denen zu erklären, daß ich nur Ali bei seiner Familie
abgesetzt habe. Hier an der Grenze sind die Soldaten außerordentlich
reizbar und die Gepäckuntersuchungen dauern eine Ewigkeit.
Geschafft, ich schalte gemächlich die Gänge hoch und
schwinge die elf Kurven genüßlich bis zu meiner Hütte.
Die nächsten Vorgänge erledige ich mechanisch, die
Gewohnheit macht Aufmerksamkeit überflüssig. Absteigen,
das Motorrad aufbocken, den Schlüssel abziehen und gebückt
durch die niedrige Türöffnung in die Mischung aus Werkstatt
und Wohnung gehen.
Sowie ich erst drinnen bin, reiß' ich mir das Hemd runter
und greif' mir eine Büchse Bier aus dem Kühlschrank.
Was für ein Glück, daß ich das alte Bierlager
gefunden habe und daß mir der alte Mann beigebracht hat,
wie man Elektrogeräte repariert. Sogar der Fernseher läuft
noch. Allerdings weiß ich genausowenig wie sonstwer, woher
die Sendungen kommen. Aber irgendwo muß es noch eine vollautomatische
Sendeanstalt mit ausreichend Energieversorgung geben. Immerhin
laufen dieselben Sendungen nun schon mindestens, seit ich auf
der Welt bin das sind nun auch schon mehr als vierzig Jahre.
Was ist wohl jetzt dran? Nicht schon wieder, das blöde Geschichtsvideo.
Eigentlich sagt der Moderator ja soap opera dazu, aber nicht
einmal mehr der alte Mann erinnert sich, was das bedeuten könnte.
Immerhin sind diese Aufzeichnungen heutzutage die einzige Möglichkeit,
sich anzusehen, wie die Leute so vor hundertfünfzig Jahren
gelebt haben. Obwohl ich mir nur schwer vorstellen kann, wie
man so dämlich sein kann. In dieser Aufzeichnung die
Geschichte soll beinahe zweihundert Jahre auf dem Buckel haben
- zum Beispiel läuft eine Szene im Hause Lewinsky, die Tochter
kommt gerade heim.
"Hi, Mammi."
"Hallo Monilein, heute ist es aber spät geworden."
"Ja weißt du, ich habe mich noch mit Billy aufgehalten."
"Was für ein Billy denn?"
"Aber doch der Mr. President."
"Ach so, ja dann. Aber du hast da einen Fleck auf deinem
schönen Ballkleid."
"Weißt du, Mammi, ich habe dem Mr. President einen
geblasen, aber wie ich gespürt hab', daß er kommt,
hab' ich losgelassen." (Da hat er seinen Samen auf das Kleid
gespritzt, wie weiland Onan, Sohn des Judas, seinen auf die Erde,
um sich der Pflicht zur Leviratsehe zu entziehen. Jehova hat
ihn dafür allerdings vorzeitig aus dem Verkehr gezogen.)
"Wie schön, Monilein. Aber dann dürfen wir das
Kleid jetzt nicht waschen. Wir hängen es in den Schrank,
so wie es ist, möglicherweise können wir es in ein
paar Jahren noch gut gebrauchen."
"Au ja, Mammi, das tun wir."
Da ist der Szenenschnitt, ich weiß nicht, ob der Billy
auch hat frühzeitig abtreten müssen, es gibt keine
Fortsetzung. Wie man so munkelt, soll die smarte Monilein einen
ganzen Haufen Geld aus dem damaligen Präsidenten Billy herausgeholt
haben. Geld, das ist auch so ein Begriff aus der Vergangenheit,
von dem wir zwar noch in der Schule gelernt haben, aber mit dem
im täglichen Leben kein Mensch etwas anzufangen weiß.
Das muß man sich erst einmal vorstellen: ich brauche eine
Trommel für eine Waschmaschine und biete dem Gino dafür
ein Blatt Papier mit einer Zahl drauf, die zehn Kilo Mehl und
zwei Dutzend Eier wert ist. Mal ganz abgesehen davon, daß
er mir schon den Kopf abreißen würde, wenn auch nur
eines der Eier nicht frisch wäre, was sollte er dann der
Anny für ihr Obst und Gemüse geben? Wenn sich dann
die Geschichte mit dem Gegenwert nicht genau ausgeht das
kommt ja dauernd vor -, ist es doch auch einfacher zu sagen:
"Schön, dann bring' ich dir das nächste Mal vier
Dosen Fleischsuppe oder zwei Hartwürste mit", als Papierfetzen
zu tauschen, die leicht verloren gehen. Und wenn du in der Nacht
in den Bergen von der Dunkelheit überrascht wirst, kannst
du sie weder essen, noch dich damit zudecken.
Aber sie sieht sehr hübsch aus, die Monilein. Eigentlich
sind alle Menschen in diesen alten Filmen viel schöner als
wir in Wirklichkeit. Die meisten sind allerdings viel dünner
als Monilein. Der alte Mann hat mir erzählt, daß dünne
Menschen damals als schön galten. So ein Schwachsinn. Das
kann sich heutzutage niemand mehr vorstellen. Es gibt nirgends
mehr so viel zu essen, daß man so schön rund wie Monilein
werden könnte. Ich zum Beispiel gehöre doch zu den
Reichen. Der alte Mann hat mir gesagt, ich hätte geschickte
Hände, nur mit dem Kopf hapere es ein bißchen. Immerhin
hat er mich viel gelehrt. Deshalb kommen die Leute mit ihren
kaputten Geräten zu mir. Ich repariere das Zeug und bekomme
Lebensmittel dafür. Es geht mir gut. Nur selten kommt eine
Woche, in der ich gar nichts zu essen hätte. Spätestens
am Freitag läuft ein Happen ein, meist sogar eine ganze
Portion. Aber sogar ich bin dürr im Vergleich zu Monilein.
Erst seit ich zufällig das alte Bierlager entdeckt habe
ich war auf dem abgerüsteten Raumhafen auf Ersatzteilsuche
-, krieg ich etwas Fülle um die Hüften herum. Es ist
ein herrliches Gefühl, die Menschen sehen mich alle so neidisch
an. Ich habe es mir durchgerechnet: wenn ich nur zwei Büchsen
am Tag trinke und jede Woche nicht mehr als zwölf abgebe,
reicht der Vorrat noch vierzehn Jahre lang. Aber ich könnte
ja sparen und überhaupt niemandem etwas abgeben. Höchstens
noch der Frau mit dem kleinen Mädchen. Sie kommen in letzter
Zeit etwas öfter vorbei. Zwar freue ich mich jedesmal, die
Frau gefällt mir, und das Kind spielt so selbstvergessen
mit meinen ausgeschlachteten Maschinenteilen und lacht so fröhlich,
als ob es gar nicht hungrig wäre, aber ich lasse mir nichts
anmerken. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, sie sind
so schwach, was sollten sie mir schon tun, und warum sollten
sie mir überhaupt etwas tun wollen? Sie wissen ja nichts
von meinem Bier. Vielleicht frage ich das nächste Mal, ob
sie nicht hierbleiben wollen.
(August 1998)
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