Hanspeter "hpd" Demetz
Vernissage für einen Nackten/Uhura 3


Uhura Message 3

1998


 

Illustration von HPD
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Alfred hat es also endlich geschafft, mit der Post kommt mir seine Einladung zur Vernissage in Wien ins Haus, was mich nicht wenig wundert.
Sein Galerist muß kein unvermögender Mann sein, denke ich, großformatiger Katalog, fünffarbig auf Hochglanzpapier gedruckt, zwischendrin auf Transparentpapier Alfreds Visage, - der Junge wirkt angegreist - , stelle ich mit Vergnügen fest, dann Alfred mit Frieda, hier nobel "Freda", - Mensch, was hat die mit sich angestellt, denk ich - , dann wieder Alfred mit "Freda" und Katze, Alfred im Atelier, Alfred mit Zigarette.
Vorndrin auf modischem Recyclingpapier Kritikergeschwafel, Umschlag mit Chromeffekt und ausgestanztem Fenster mit Blick auf Alfreds Profil im Gegenlicht.
Dann die Karte mit der persönlichen Einladung, auf Chrom in Alfreds spiegelbildlich gedruckter Handschrift und geschwollenem Text, ein Gag wie eine offene Hosentüre.
Der Galerist zieht wohl alle Register, oder - , aber ich verwerf den Gedanken gleich wieder, oder aus Alfred ist plötzlich wirklich was geworden, ein richtiger Maler oder gar ein Künstler?
Falls aus ihm ein Maler geworden ist, so muß er sich derzeit offensichtlich gerade in einer monochromen Phase befinden, stelle ich fest, die abgebildeten Werke stellen einfarbige Rechtecke dar, mit Titeln wie "rot im roten Rahmen", "blau 2", "gruen 17"(Vorbereitung zu gruen 18) usw.
OK, denke ich, ein RAL-Farbenkatalog ist es nicht, in so einem würde ja Alfreds Visage stören, also, so meine Folgerung, es ist tatsächlich der Katalog zu Alfreds Ausstellung.
Ich werde absichtlich hinfahren, vor allem weil Alfred, und ganz besonders Frieda, garantiert mit meinem Kommen niemals rechnen. Ausserdem tun ein paar Tage Wien gut, wenn der Balkan schon nicht zu dir kommt, so fahre eben du nach Wien...
Ich werde den Nachtzug am Donnerstag nehmen.
Richtig reisen kann man nur noch mit der Bahn, sinniere ich, noch angezogen in meinem Schlafabteil auf dem Bett liegend, - mit zwei Botteln Wein im Bauch jagst du mit über hundert ka-emm-ha durch die Nacht, ungestraft.
Ra-ta-ta, ta-tan, meine Gedanken gehen zurück in die Erinnerung.
Alfred war immer schon eine Pfeife gewesen, irgendwann war er in Wien aufgetaucht, als abgebrochener Ingenieurstudent aus Deutschland, da irgendwo bei Wuppertal kam er her, und wollte in Österreich sein schnelles Diplom machen.
Klappte nicht, da entdeckte Alfred seine Berufung zur Kunst.
Zunächst veränderte er sein Äußeres, er ließ Haar und Bart wachsen,machte aus einem roten Schal (monochrom!) sein "Markenzeichen" und kugelte in Künstlerkreisen herum.
In dieser hohen Schule des Trinkens fiel er vor allem durch seine Schnorrerei auf und nervte alle mit seinem pausenlosen Zitieren aus der Kunstliteratur.
Darin entwickelte er sich allerdings zum Meister, sein einschlägiger Zitatenschatz war phänomenal und enzyklopädisch, und irgendwann nahm man ihm dadurch sogar seine gespielte Künstlernatur als echt ab.
Ich nicht, ich kannte ihn besser.
Alfred kam damals oft in mein Atelier, und zeitweise kroch er da auch unter. Er schlief auf der roten Couch (monochrom!) in der Küche und hielt mir dafür die Bude sauber.
Das Verhältnis zwischen uns war ähnlich jenem zwischen einem Nashorn und dem Vogel auf seinem Rücken, der ihm fürs Mitnehmen die Zecken aus den Hautfalten piekst.
Wenn Alfred nicht gerade am Schnorren oder Putzen war, las er oder entwarf neue Konzepte für die Malerei, schriftlich machte er das.
"Zuerst muß die Theorie stimmen, danach gelingt auch die Umsetzung in die Praxis", behauptete er auf meine Vorhaltungen hin, endlich mit dem theoretischen Gekacke aufzuhören und es dafür mit Bleistift und Farbe zu versuchen.
Darauf schwieg Alfred immer sehr betroffen, und wenn ich ihm zu arg zusetzte, verschwand er für einige Zeit und suchte Zustimmung vor anderweitigem Publikum.
Eines Tages tauchte er mit Frieda auf.
Frieda war ein hübsches Mädel mit einer etwas zu großen Nase, dafür aber mit einer knackigen Figur und außerdem hatte sie einen Beruf und eine Wohnung im vierten Bezirk, beides für Alfred auf längere Sicht lebensnotwendige Faktoren.
Frieda war diplomierte Masseuse, verdiente auch anständig, und Alfred war es geglückt, ihr das Gefühl zu vermitteln, indem sie ihn aushalte, leiste sie einen Riesenbeitrag zum Kunstgeschehen der Moderne. Auf jeden Fall gefiel es der Mäzenin mit dem Knackarsch in der Szene herumzuturteln, Alfred litt dabei wohl oft im Stillen.
Frieda saß mir ab und zu Modell, einmal tauchte dabei - ich schloß nie ab - unvermittelt Alfred auf. Daß ein Bildhauermodell nackt dazusitzen hat war auch ihm klar, warum ich aber ebenfalls nackt war, dies bedurfte einer längeren Erklärung meinerseits.
Offensichtlich war sie jedoch nicht sehr überzeugend ausgefallen, denn seitdem mied Alfred jeden Umgang mit mir, und nicht nur mit mir, und somit verlor die ganze Clique auch Frieda.
Wenn in der Clique von Alfred die Rede ging, so meist wegen Frieda, er selbst galt als "der mit den Bildern im Kopf".
Und jetzt diese Einladung zu Alfreds Vernissage!
Wohl ein Signal an mich, daß seine von mir so verscheißerten Theorien zu Erfolg und Anerkennung führen, während ich mich immer noch mit figuraler Körperlichkeit herumplagen muß - so meinte er das wohl damit.
Die Nacht ist vorüber und ich in Wien, Westbahnhof.
Das Gepäck sperre ich erst einmal in ein Schließfach.
Wenn die Zeiten die geblieben sind, die sie waren, so kann ich mir sicher das Hotel sparen, doch jetzt in aller Herrgottsfrühe irgendeine alte Freundschaft anzurufen, nur um zu einer billigen Übernachtungsmöglichkeit zu kommen, das geht mir gegen den Sinn und außerdem verpflichtet so etwas zu sehr.
Mit der Straßenbahn fahre ich in den ersten Bezirk zum Frühstück, direkt in die Bierklinik.
Ein Tag, der mit Serbischer Bohnensuppe und Bier beginnt, kann so schlecht nicht enden, denk ich.
Die Vernissage beginnt um fünf, das heißt, daß ich so gegen sechs dort auftauchen werde, jetzt ist es halb elf.
Es bleibt noch Zeit alte Kneipen abzuklappern, vielleicht finde ich in irgendeiner ein Fossil aus vergangener Zeit, Besuche bei Freunden verschieb ich lieber auf morgen, oder überhaupt aufs nächste Mal.
Wien ist anders geworden.
Aus André Hellers alter stinketer Tante ist fast ein junges Mädel geworden, aber es liebzugewinnen fällt mir jetzt genauso schwer wie früher die Tante, - das Mädel hat einen zu fetten Hintern für sein Alter.
Der Nachmittag rinnt dahin, in einem Blumenladen kaufe ich einen Strauß für Frieda, in der Tabaktrafik nebenan Zigaretten für mich und trabe langsam in Richtung Galerie.
Punkt sechs bin ich dort.
Zuerst schiele ich durch die Fenster ins Innere.
Was ich von da aus sehen kann, ist ein Haufen alten Schicks, niemand den ich kenne.
Vom Eingang her ruft mich ein baumlanger Lackel an:
"He Sie da, geschlossene Gesellschaft!"
Ich gehe auf ihn zu, zeig ihm meine Einladung und sage:
"Wer sagt denn, daß ich unbedingt da 'rein will?"
Der Lackel entschuldigt sich unbeholfen und reißt die Tür auf.
Der Laden ist gerammelt voll, es riecht nach Parfüm, Schwitze und Rauch, ganz vorn, auf einer Art Podium spielt eine Cellistin barbusig auf ihrem himmelblau lackierten Instrument, daneben steht Alfred, monochrom schwarz gekleidet mit rotem Schal, neben ihm Frieda, jetzt Freda, ganz in Rot mit breitem schwarzem Gürtel.
Links neben der halbnacketen rothaarigen Cellistin steht ein dicker kleiner Typ mit Kinnbart, er schwitzt stark, wahrscheinlich der Galerist. Er hat einen violetten Kaftan an, der ihn fast gleich breit wie hoch erscheinen läßt, und überhaupt im Profil, da wird er zur Kugel.
Frieda hat mich erkannt, und ich habe bemerkt, daß sie dabei fast erschrocken ist.
Sie winkt mir unauffällig zu und raunzt es Alfred ins Ohr. Der tut freudig überrascht und grinst souverän in meine Richtung.
Vorn drehen sich ein paar Leute um, und da sehe ich Lore!
Sie reißt die Augen auf und fuchtelt mir spontan einen Kuß zu, worauf sich noch mehr Leute umdrehen, so daß meine verspätete Ankunft fast schon als Störung empfunden wird.
Das Cello hört auf zu spielen, die Kugel im Kaftan ergreift das Wort, aber ich höre nicht hin, weil Lore auf mich zu kommt. Die Leute teilen sich vor ihr wie das Packeis vor einem Eisbrecher, und Lore segelt daher im hautengen Stretch, den Venushügel im Triumpf vor sich herschiebend, den lachenden Mund voller Perlen.
Sie fällt über mich her wie eine Anaconda über ein Warzenschwein und verschlingt mit dem ersten Kuß meine ganze linke Gesichtshälfte.
Lores Begrüßungsspektakel zeigt Wirkung auf das Publikum, und für einen Augenblick genieße ich das Gefühl öffentlich geliebt zu werden.
"Bobo, mein lieber alter Drecksack!"
Jetzt ist die rechte Gesichtshälfte, meine Schokoseite dran.
"Lore! Immer noch das schönste Mädel nördlich der Alpen..."
Wir verdrücken uns hinter einen Pfeiler, während das Publikum zum Buffet drängt.
Lore erzählt in drei Minuten den Lebenslauf der letzten fünfzehn Jahre, und so erfahre ich, daß sie erfolgreiche Designerin für Brillenfassungen geworden ist, nachdem sie sich zum dritten Male erfolgreich und gewinnbringend entheiratet hat.
"Hab ich recht getan, mir kein Hotelzimmer zu suchen?" frage ich, um die Logistik für die nächsten Tage zu klären.
"Wo ist dein Gepäck?"
"Die Zahnbürste in der Rocktasche, der Rest im Westbahnhof."
"Du bist mein Gast, Socken, Unterhosen und Herrenhemden für die nächsten drei Wochen habe ich in meinem Fundus", sie nimmt mich an der Hand und zieht mich nach vorne.
Unterwegs erfahre ich, daß Frieda seit geraumer Zeit die Geliebte des Galeristen, eines böhmischen Grafensprosses ist, davon so gut lebt, daß auch für Alfred noch genügend abfällt.
"Menage a trois?"
"Das langt nicht, für'n Sex hat sie sich einen jungen Bildhauer zugelegt."
"Aha," sage ich, "Bildhauer hatten immer schon mehr Talent für Körperlichkeit, ha?"
"Michelangelo war schwul", gibt Lore zurück.
"Was keineswegs meine Behauptung entkräftet."
Wir kommen zu Alfred und Frieda.
"Hallo Bobo", Küßchen mit Frieda - was hat die bloß mit ihrem Gesicht angestellt, denk ich, Umarmung mit Alfred.
"Mensch Bobo, mit dir hätten wir nie gerechnet!", näselt Frieda.
"Mensch Frieda, was ist mit deiner Nase passiert?" hätte ich beinahe gesagt. Richtig, die hat sich glatt die Nase umoperieren lassen, fürchterlich! Da, wo früher ein fröhlicher Zinken aus dem Gesicht ragte, saß nun eine stupsige Kartoffel mit zwei überdimensionalen Riechlöchern, die an eine alte Steckdose erinnern.
Frieda stellt mich der böhmischen Kugel vor.
"Freut mich, hab' schon viel von Ihnen gehört" schwitzt die mich an.
"Ebenfalls", lüg ich zurück.
"Kommen S'zum Buffet, a bißl a Schampus im Kopf schärft den Kunstverstand, net woar? He-he", schmalzt der Fette und empfiehlt sich umständlich.
Mit einem Sektglas in der Hand begeben Lore und ich uns zu den Exponaten, und ich merke im Nacken, daß Alfred und Frieda uns mit den Blicken folgen.
"Bobo, wer ist eigentlich die Muse der Maler?" fragt mich Lore beim Betrachten des ersten Bildes.
"Ich schätze, dieser da hat die gleiche wie die Autolackierer", raunze ich.
"Bobo, gemein wie immer?"fragt Lore mit gestellt vorwurfsvollem Unterton.
"Wie immer", beruhige ich sie.
Lore und ich versinken immer mehr in Erinnerungen an gemeinsame Stunden und stellen fest, daß es unsere Wesensverwandtschaft sein muß, die uns trotz so viel verflossener Zeit zusammenbringt wie am ersten Abend.
"Es war ein Morgen", verbessert mich Lore, wir waren gerade bei "gelb 5".
Um uns herum wird Kunst dahergeredet wie immer, wo es nötig ist, viel Männer mit Fliege stehen da und Frauen im kleinen Schwarzen, manche auch im kurzen Bunten, viel Hüte, wie immer, wo Kunst dahergeredet wird.
Plötzlich geht die Tür auf, der lange Lackl versucht jemanden am Eintreten zu hindern, doch vergebens, und da drückt sich schon die massige Gestalt vom Slivowilli durch die Öffnung.
"Jessas!" schreit der Galerist und hüpft aufgeregt herum wie ein Ball. "Joschi, schmeiß eam aussi!"
Joschi ist der lange Türsteher, und wie ich später von Lore erfahren habe, auch das junge lendenstarke Bildhauertalent aus Friedas Bett, aber Joschi rührt sich nicht, er schaut wie gebannt auf Slivowilli's breiten Rücken, der sich langsam wie eine alte Kröte grienend durchs Publikum schiebt.
Der Ball hüpft jetzt vor dem Eindringling und schreit:
"Neamands hatt eana einglad'n, aussi! Hausfriedensbr..."
Slivowilli stellt den schreienden Ball ab, indem er ihm wortlos seinen Hut drüberstülpt.
"Au weia!" sage ich zu Lore und bemerke, wie weiter hinten Alfred blaß und entgeistert hinter seinem roten Schal herauslugt.
Slivowilli, der eigentlich Wilfried Nagy heißt, und seinen Vulgonamen vom Zwetschgenschnaps herhat, ist seit Jahrzehnten eine Institution in der einschlägigen Kneipenszene in Wien. Irgendwann mal hat er auch irgendein Studium begonnen, aber das ist schon ewig lange her. Seit ich mich erinnere, zieht er mit einer steirischen Ziehharmonika durch die Beisln, singt dazu falsch, aber dafür schweinische Lieder und verkauft nebenher fotomontierte Pornopostkarten mit allerlei Berühmtheiten, den Hitler mit der Eva Braun, den Kaiser mit der Schratt, den Göring mit einer Hirschkuh, den Waldheim mit einer Negerin. Während das böhmische Lipom immer noch schreiend herumhüpft, ist der Slivowilli bei Alfreds Bildern angelangt.
Da schaut er eine Weile verdutzt, dann juzt er mit seiner Fistelstimme, die so gar nicht zu diesem riesigen Körper paßt:
"Rot? Wann's net drunter g'schrieben stand, hatt i's für himmiblau angschaut, hü!"
Dann spielt er ein paar Takte.
"Schwarz in Schwarz! Interessant, is des a Negeroarsch bei der Nacht?"
"Rassist!" schreit der Galerist, der irgendwo zwischen dem verunsicherten Publikum herumhüpft.
"Na guet, dann is es eben dei G'sicht bei der Nacht, dös kann ma' im Dunkeln eh net von an Negeroarsch unterscheiden", fistelt der Slivowilli, und dann singt er Anzügliches in allen Farben.
"Gö'b Numero drei! Jo wos iss'an dös? Roßbrunz'ngöb? Hui hui hui!"
Der Galerist springt nach hinten zum Telefon. "Polizeei, ruft's ma die Polizeei!" schreit er, während der Slivowilli lustig weiterlästert und spielt.
Das Publikum macht sich - so unauffällig es eben geht - dünn in Richtung Ausgang, ich seh' noch, wie Frieda es auf die gütige Art mit Slivowilli versucht. Vergebens, zum Dank dafür greift sich Slivowilli mit der rechten Hand über den Kopf auf die Nasenspitze, zieht diese nach oben und grunzt zweimal durch die langgezogenen Nasenlöcher, worauf Frieda nach hinten zu Alfred stürmt und losheult.
Alfred steht da wie ein Nackerter auf'm Bahnsteig, hinter der Glaswand springt ein Telefonhörer auf und nieder, an dem eine schreiende violette Kugel klebt.
Lore zieht mich nach draußen.
"Auweh Alfred!" sage ich.
"Kennst du die Geschichte mit des Königs neue Kleidern?" fragt mich Lore,
"Nein", sage ich, "die erzählst du mir bitte morgen früh vor dem Einschlafen."

(1997)

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