Lissy "Fly" Pernthaler
She
oder 3802 Worte einer Zebraträne/Uhura 4

Uhura Message 4

2000

Die hungernde Liebe lief ihr aus den Augen und ihre Tränen wurden verdrängt, und ohne zu schauen wohin, lief sie los. Sie schmiß alles auf den Boden und rannte über den Platz. Es muß schön gewesen sein, sie so schreien zu hören, zumal es Nacht war & weil sie eben sie war. Schließlich legte sie sich auf einen Hang in den Schnee. Die Schreie verklangen und plötzlich konnte sie weinen, vielleicht war die hungernde Liebe gestorben und hatte so den Tränen ihren Platz gelassen, obwohl, wer sagt denn, daß der Platz der Tränen die Augen sind ..... . Es war zuviel geworden, alle stellten Ansprüche an sie, erfüllte sie diese nicht, waren die Menschen enttäuscht und sie verletzt, erfüllte "sie" sie, waren die Ansprüche zu hoch oder sie weigerte sich und Menschen & Menschen waren unzufrieden. Außerdem, kann man plötzlich aufhören jemanden zu küssen?

Als sie später auf ihrem Bett lag, sie lag wirklich darauf und nicht darin, ja sie schwebte geradezu darüber, war sie alleine. Aber ihr die Sterne, ihre Sterne, es waren nicht viele aber irgendwie gehörten sie ihr. Ein bißchen zumindest. Ihr bester Freund sagte einmal, im Größten liegt das größte Geheimnis, das empfand "sie" nicht so, von ihr aus gesehen ist es der kleinste, indem das unantastbarste Geheimnis liegt. Und weil sie nicht mehr daran glaubte, heute Abend noch von irgend jemanden besucht zu werden, schloß sie die Augen und schlief sich in die Stille. Am nächsten Morgen, als sie im beige-grünen Badezimmer vor dem Spiegel stand, hatte sie wieder schöne Augen, da sah "sie" sie, über Nacht wurden ihre Augen zu schönen Augen. Diese hatte sie nur, wenn es passierte ­ die Anfälle ­ und nur für kurze Zeit, nicht einmal für einen ganzen Tag. Ihr Gesicht war an solchen "Tagen danach" meist blaß und eben ihre Augen, sie sahen anders aus und sahen auch anders als sonst. Manchen Menschen fiel es auf, daß sie heute "ganz anders aussieht ..... ", es weiss keiner den Grund dafür. Wenn sie an diesen Augentagen neue Menschen kennenlernt oder auch nur angeschaut wurde, freut sie sich sogar ein bißchen, denn irgendwie fühlt sie sich ­ anders schön ­ nur eben kannten sie alle den Grund nicht. Sie möchte auch nicht, daß sie ihn kennen, doch möchte sie es irgendwann irgend' jemanden erzählen, und vielleicht nimmt sie derjenige dann in den Arm und drückt sie ganz fest an sich, und vielleicht gibt es dann zwei Menschen im ganzen Universum, die verstehen, daß die Traurigkeit nicht in der Ewigkeit vergeht, sondern nur im Nichtsein ..... . Und weil derjenige nicht da ist, kann sie ihn nicht umarmen ­ wenn er da wäre würde sie ihn umarmen ­ doch weil er nicht da ist, muß sie sich selbst umarmen um nicht zu fallen. Doch manchmal muß man jemanden umarmen, um selbst umarmt zu werden. Da kannst du dein Herz zehn mal vor dich werfen und dann loslaufen, um es zu fangen, es bleibt so, da kannst du zehn mal deinen Namen verlieren und ihn in den Menschen suchen, es wird sich nicht ändern. Sie ging noch öfters schlafen & wachte auch öfters auf, sie stand auf und tat so als ob sie leben würde, doch als sie da aufstand, wußte sie daß es anders sein würde.

Als sie ihn sah war es wie immer, sie grüßte ihn und dann sprachen sie, und es war viel hemmungsloser als sonst, eben anders. Sie war glücklich, am nächsten Tag lächelte er sogar, doch als er am darauffolgenden Tag Kaugummi kauend zu ihr herabschaute wußte sie, daß sich wieder alles verändert hatte, und alles war noch anderer als sonst ..... . Sie sprachen und hatten zu kalt, sie sprachen über ihren Brief, aber eben nur darüber und nicht über den Inhalt. In jedem Anfang liegt ein Zauber, doch verzaubert wird sie nicht, eher muß sie verzaubern, normalerweise kann sie es, aber bei ihm? Und so hielt sie die Ewigkeit an, um einen Augenblick daraus zu machen, der Augenblick der den Sinn oder die Sinnlosigkeit ihres Lebens bestimmen würde, ist dieser Augenblick jetzt? ..... , oder jetzt? Und alles was ihr jetzt, zwei Tage später dazu einfällt, ist: "Wenn du nicht mehr fragst, wird es kalt." Und wieder die Frage "kann man plötzlich aufhören jemanden zu küssen?". Anscheinend schon, aber eigentlich nicht. Als sie ihn am darauffolgenden Tag sah und neben ihm stand, dachte sie: "Ich möchte dich küssen". Er stand jetzt da wie früher und doch nicht, so unantastbar, so lässig, es schien als hätte sie ihn einige Zeit aus seinem Schauglaskasten genommen oder herausgeworfen oder überrumpelt, um weich und liebevoll mit ihm zu sein. Und ihre Küsse, die dem Schatten gehörten, in der Nacht scheinen sie gleich den Sternen, und ihre langen Schweigegespräche, das alles war jetzt so klein, sie wußte nicht, ob sie ihn zurückgestellt hatte oder ob er allein in den Glaskasten zurück geklettert war, doch vielleicht hatte er vor sie mitzunehmen ­ um sie zu schützen ­ um mit ihr allein zu sein, so daß sie ihm niemand mehr wegnehmen konnte.

Als sie sich mit 15 das erste mal hatte küssen lassen, da war es etwas Neues, etwas daß er ihr gegeben hatte, als sie nebeneinander im Bett lagen und sich mit Herzklopfen berieseln ließen, hatte er ihr eine neue Liebe gezeigt. Jetzt stand er da ­ unantastbar ­ da sie aber wußte, daß er sie geküßt hatte und daß er ihr etwas gesagt hatte, das sie erst jetzt begriff. Er hatte etwas von seiner Ferne verloren ­ das genoß sie irgendwie ­ doch war noch viel an Ferne übrig geblieben, zu viel. Es muß wohl der Glaskasten sein, denn seine Lieblingsfarbe ist "durchsichtig". Doch irgendwie hat er Glasscheiben zum Beben gebracht, die nun zerbrochen sind, wie es scheint ..... . Oder doch nicht, oder die Scherben haben das Blut ausgetrocknet. Verschmiert sind Hände, Füße, Kopf .... der Bauch fehlt. Haare fallen in Locken zu Boden, rollen sich im nichts auf & vergehen. Ihr Spiegelbild läßt sich auf. Gedanken kreisen ­ dein Speer durchbohrt mein Herz ­ mein ich. Doch meine Augen schießen mit letzter Kraft Liebe hervor. So blendend hell es wird. Du fliegst mit mir. Was macht er mit ihr? So plötzlich! Erhänge & erdolche mich ­ ertränke & verbrenne mich ­ vergase & ersticke mich, doch sterben und fliegen werde ich. Du nicht / nicht du. Herzen brechen Liebe, tastende Hände können sie wieder schlagen lassen.

Brennende Lippen überwinden Eiseskälte. Ob sie diese Eiseskälte jetzt durchmacht und nach dem Abend erfroren sein wird, liegt in den Flügeln eines Wüstenengels verborgen, der, der gerade zum Meer fliegt um sich mit einem Wasserengel zu treffen ..... ­ und plötzlich liegt in der Tragik das Geheimnis der Liebe. Vielleicht hat "sie" auch ein Fenster von zerbrechliche Schwere in ihr ­ wie könnte "sie" sie besiegen ­ zeigt ihr das Fenster & sie schlägt es ein ..... .
Vielleicht haben sie jetzt wirklich an Distanz verloren ­ in ihr machte sich nicht mehr das Gefühl breit, sie müsse ihn zurückholen, denn jetzt war sie ihm nahe auf wieder eine neue Weise, eben anders. Jetzt wollte er ihr Leben verändern, sie hatten sich eben nicht gesehen ­ aber gehört, eine Stunde lang. Gut tat es ihr. Später unter den Sternen brauchte sie die Hand von Robin nicht, um sie zu halten ­ sie war zuviel damit beschäftigt um glücklich in die Sterne zu schauen und ihrem besten Freund per Telepathie zu übermitteln ­ daß er jetzt auch glücklich sein kann ­ einmal sagte er, er wäre auch unglücklich, wenn seine "Prinzessin" unglücklich sei.

Der Traum paßte dann gar nicht zur Happy-ness. Ein "Terracotta-lädchen" ­ der Verkäufer versuchte ihr und ihrer Mutter Tonschüsseln anzudrehen ­ ließ sie daran riechen, sehr seltsame Gerüche übrigens ­ irgendwann umarmte er sie und küßte sie auf die Wange, doch plötzlich wollte er nicht mehr aufhören, und küßte ihr ganzes Gesicht. Angewidert drückte sie sich weg, bat ihre Mutter um Hilfe, ihr Gesicht war schon ganz naß ..... . Als sie aufwachte, füllten leere Sprechblasen ihren Bauch & sie ging dem Licht nach & fand zur Glotzkiste und ihrem dösenden Vater, der sie überraschend nett herab bat & sie freute sich, diesen Traum geträumt zu haben, aber nur weil sich so ihr Vater um sie kümmerte. An den Rest der Nacht konnte sie sich nicht mehr erinnern, zumindest an den Traum nicht ­ es war vielleicht ein sanfterer Liebestraum mit irgendwelchen Menschen, die sie zuvor im Fernsehen gesehen hatte. Als sie in der darauffolgenden Nacht von ihrem geheimen Liebhaber träumte, war sie verwundert, wo sie diese Gedanken wieder her hatte. Vielleicht weil T.L. so viel nachzudenken & so kamen solche TO-Geschichten heraus. Was sie aber nicht unbedingt bereute.

Ihr letzter Anfall lag ungefähr zwei Wochen zurück; die Anfälle kamen nicht in regelmäßigen Abständen und waren meist nicht vorauszusehen, aber sie kamen immer wieder. Eine schlaue Frau sagte, daß die bald vergehen würden, doch wenn das wirklich passieren würde, wäre sie nicht mehr sie ­ dann wäre sie glücklich ­ man kann doch nicht glücklich sein, denn was hat man dann für ein Ziel für sein Leben? Unglücklich zu sein? Vielleicht hat sie auch gar nicht das Ziel vom Glücklich sein vor Augen, vielleicht war es ganz etwas anderes. So genau wußte sie das nicht ­ & sie wollte es auch nicht wissen ­ & außerdem hatte sie in letzter Zeit nur drei bis vier Tränen vergossen ..... . Sie saß da und merkte, wie ihr Leben anfing zu zerbröckeln ­ in ihr riß etwas ­ sie sah alles ganz verschwommen, so unwirklich und steril.
Die anderen redeten weiter, die Person ganz vorne hantierte wild mit den Händen herum, sie schien den anderen etwas eintrichtern zu wollen, doch sie saß nur da niedergeschmettert. Und plötzlich lief ihr eine Träne aus dem rechten Auge, sie ronn in eine Nasenfalte am Ende der Nase, oder an den Anfang; sie wischte sie nicht weg, sondern ließ sie einfach sein ..... . Irgendwann kam eine zweite und als man sie fragte, sah man anscheinend ihr Paar Träne nicht, denn man behandelte sie, als sei es das Natürlichste mit Tränen im Gesicht dazusitzen. Sie antwortete langsam und mit gedämpfter Stimme; sie konnte nicht viel sehen da der Schleier von ihren Augen nicht gewichen war. Die Person, die die Frage gestellt hatte, wurde unruhig; doch "sie" antwortete mit ruhiger klarer Stimme. Zum Schluß nickte sie nur mehr & sie wurde wieder in Ruhe gelassen ­ die dritte Träne bahnte sich ihren Weg. Eine kleine vierte kam später, diese nahm sie von der Wange und schickte sie Jakob. Bis sie bei ihm ankam, würde sie natürlich schon getrocknet sein, doch würde er vom Papier kosten, könnte er das Salz schmecken ..... . Einen Tag später mußte sie wieder eine Träne weinen, da sie jetzt so lange nicht zu Adioma gehen konnte, sie mußte sie eben irgendwie anders besuchen. Adioma bedeutete ihr sehr viel ­ "sie" war die einzige, die sie jeden Freitag küsste ­ sie mochte sie sehr gern und "sie" sie ebenso. Früher hatte sie oft in ihrem Bett geschlafen, hatte neben ihr wach gelegen und die Lichtschatten der vorbeifahrenden Autos gezählt und beobachtet. Das mit den Zahlen ist sowieso so eine Sache, eine kleine Sache von vielen kleinen Sachen, die anders sind. Eigentlich zählt sie immer, doch mit Zahlen zu rechnen liegt ihr nicht, sie zählt Dinge viel lieber: Sachen, Menschen, Aufzugabschnitte, von fünf rückwärts bis eins und rot, Bodenplatten, Fensterbänke, Heftseiten und Bäume, Farben und Buchstaben, nicht zuletzt Laternen und Parkbänke ..... .

Es gab auch die "Drang-Wurf-Krankheit". Sie könnte z. B. nie auf den Eiffelturm mit fliegenden Kleidern, oder auf den Empire Staitbuilding mit Sonnenbrille & Tasche. Als Kind reiste sie mit einem Schiff, sie stand an der Reling und schaute hinab aufs smaragdgrüne Wasser ­ eigentlich war es eher dunkelblau-durchsichtig. Plötzlich lockerte sie ihr Haarband, zog es herab und hielt es in der Hand. Sie beugte sich übers Geländer und ließ ihr Haar im Wind flattern. Plötzlich rannte sie zu ihrer Mutter, drückte ihr das Haarband mit den Worten: "Bitte halt es, sonst muß ich es noch ins Wasser werfen!", in die Hand. Diese schaute das Mädchen verdutzt an und lächelte. Und so war es auch im Großen; der Drang zum Fall, zum Zerstören war da, und als es passierte bereute sie es wieder. Im Unterbewußtsein verehrte sie Ästhetik & Ästhetische Dinge, doch sie neigte eben in unüberlegten Momenten dazu Dinge zu zerstören, danach versucht sie diese Ästhetik krampfhaft wiederherzustellen und dabei kommen Tränen, Schreie, Heuler und noch mehr Scherben heraus. Oder es tat ihr leid und die Tränen kamen doch. Und noch etwas ist ihr von Kindheit an geblieben ­ Im Sommer wird auf Plätzen Musik gemacht ­ die Leute stehen dann meist im Halbkreis herum & schicken ihre Kinder mit Kleingeld zum Hut. Diese ­ ganz verstohlen schüchtern ­ laufen zum Hut oder Geigenkasten und werfen das Geld hinein ­ lachen & laufen zurück. Und dieses kleine Mädchen ging zum Hut, warf das Geld hinein, blieb am Rückweg auf halber Strecke stehen ­ schloß kurz die Augen ­ dann fing sie an sich zur Musik zu drehen und langsam bewegte sie sich zur Musik ­ fing an zu tanzen ­ vielmehr aber mit der Musik, als zu der Musik ­ eben das ist ihr geblieben, das Tanzen. Zu Hause steht sie stundenlang vor dem Spiegel, denkt und zaubert sich in Traumwelten, sie denkt sich Handlungen aus & Personen, und erzählt Geschichten, sie weint und lacht, sie schreit und heult, sie jauchzt und bläst ..... . Es passiert auch heute noch, daß sie einfach anfängt sich zu drehen & wenn ihr bewußt wird ­ sie möchte jetzt aufhören ­ kann sie es nicht, denn dann würde sie herum taumeln und auf andere fallen. Doch irgendwann hat sie dann doch aufgehört sich zu drehen & fiel ihrem besten Freund in die Arme ­ sie schrie und gab komische Laute von sich ­ hielt ihn ganz fest. Alles drehte sich ­ sie schloß die Augen & die Welt hielt an, alles wurde leiser und unklarer & plötzlich nur mehr schwarz.

Als sie neulich zu Besuch bei Adioma war, durchwühlte sie wieder die alte Holzkiste ­ sie stand immer noch auf der Terrasse, und was sie mitgemacht hatte sah man ihr an ­ doch sie war noch da. Als "sie" sie also absuchte, fand sie alle Sachen von früher, die Boa oder Stola mit schwarzen Perlen & Spitze, die braun gefleckte Lederhandtasche ­ in der sich früher all ihre Sachen befunden hatten ­ jetzt war sie leer. Die kleine Kes* schoß auf sie los, als sie die Tasche in der Hand hatte & sagte lautstark: "Die ist mein'!". Sie versuchte der Kleinen zu sagen, daß sie früher ihr gehörte, und "sie" wußte nicht, ob sie es verstand. Sonst befanden sich in der Kiste nur alte Hosen & Röcke, der Rest "ihrer" Kleider war verschwunden. Sie sah neben der Truhe einen weißen zylinderförmigen Plastikbehälter. Darin vermutete sie die bunten & weißen Wäscheklammern, mit denen sie immer rost-roten Stoffteile zu einem Pullover zusammenheftete. Doch sie öffnete ihn nicht. (Vielleicht weil sie wußte, daß sie darin waren, oder aus Angst enttäuscht zu werden.) Weiter unten in der Kiste fand sie eine alte Motorradtasche, das sagte ihr Adioma später. Sie durfte sie mit nach Hause nehmen; dort wusch "sie" sie und von da an war es, eine Zeit lang zumindest, ihre Lieblingstasche. Sie war bordeaux ­ nein braun-rot. Lewel^ sagte, sie roch nach ihr, obwohl "sie" sie erst seit heute trug. "Sie" war verwundert darüber. Erst jetzt viel ihr auf wie viel ­ zum Glück ­ denn eigentlich war es wenig, was sie aus ihrer Kindheit mitgenommen & mitbekommen hatte, obwohl sie sich nicht sicher war, ob ihre Kindheit schon zu Ende war.
Der Drang sich zu verkleiden mußte etwas mit verstecken des wahren ich's zu tun haben ­ und das war auch so geblieben ­ nicht unbedingt mit Kleidern & Kostümen aber mit Häuten ..... , ihre Unterrocksammlung hatte sie ja schließlich immer noch. Irgendwann begann sie Unterröcke zu sammeln & suchen ­ lange Zeit hatte "sie" sie nicht mehr gehabt ­ jetzt wo sie anscheinend alle wieder gefunden hatte, fehlten ihr immer noch welche. Von Zeit zu Zeit nahm "sie" sie aus dem Schrank ­ wusch sie ­ trocknete sie ­ danach hing "sie" sie wieder in den Schrank zurück. Im Sommer zog "sie" sie dann auch an ­ besser gesagt nur mehr sie ­ je nach Stimmung wählte sie Farbe & Länge oder Durchsichtigkeit des Unterrockes aus. Seit einigen Tagen benutzte sie jetzt auch einen als Nachthemd, obwohl es wieder zu schneien begann. Den Rest der Kleidersammlung hatte sie ihrer Schwester vermacht.

Irgendwie versteckte sie sich hinter all dem ­ eigentlich hinter ihrem ganzen Leben, da sie die Sachen verschenkte ­ hier die Unterröcke ­ die sie eigentlich schätzten, verstand sie selbst nicht; doch vielleicht mußte sie das tun, weil sie Angst hatte sich selbst zu verlieren in dem ganzen Versteckspiel ­ sich einfach frei zu wickeln. Und weil es ja nie aufhört, geht's immer weiter, solange man jedenfalls nicht aufhört zu atmen, denn zum Glück kann man ihr nicht das Leben stehlen, nur nehmen. Denn alles schließt und öffnet sich. Kreise schließen & öffnen sich, manchmal treffen sie genau aufeinander & manchmal schließen sie sich nie mehr; trotzdem ist es schwer aus diesen Kreisen auszubrechen, auch wenn sie nie ganz geschlossen sind ..... . "Und wenn die Nacht mich einholt ist dein Tod ­ tot vorbei. Behalte ihn, er ist einzigartig & nur dein". Und so viel denkt sie nach und macht sich Sorgen, meist um alles und wieder nichts. Und doch atmet sie weiter, manchmal möchte sie einfach zu atmen aufhören ­ wie Delphine ­ aber andererseits konnte sie das auf andere Weise ­ ob sie es noch kann ­ keine Ahnung, sie hat es doch länger nicht mehr versucht.
Sie schließt dann die Augen & sagt sich "ihren" Satz vor: "Was wäre wenn die Welt nicht wäre. Nichts ­ aus ­ Schwarz." Damit kann sie sich in Trance versetzen oder zumindest irgendwo anders hingehen, dazu brauchte sie nur ihre Zauberformel. Manchmal wollte sie am liebsten dort bleiben. Und alles wird so klein, Buchstaben verschwimmen und fließen zu einem blauen Fleck zusammen, aus diesem entspringt die Weisheit und zugleich die Nichtigkeit des Universums, es bäumt sich auf und durchzieht die Löcher im Kopf wie Bahnen. Unbedeutend atmend will man sich an den Kopf greifen, der aber schon nicht mehr da ist. Er hat sich schon neu geformt & gebärt sich gerade neu ­ auf einem neuen Körper ­ da ist der Arm schon weg und formt sich zur Brust des 1. Sohnes der 7. Tochter. Und sie kann inzwischen nur mehr Zebras weinen anstatt der sonst so öden Milbenkinder, die im Mond zu Feen werden. Dann schließlich explodiert der Rest des Körpers, blaue Farbe, rote Farbe, gelbe Farbe, grüne Farbe, alles Farben entspringen & fließen. Diese nimmt nun ein Engel auf, der die ganze Zeit hinter einem stand. Er trägt es weiter bis zum Treffpunkt am Strand, wo sich jetzt endlich ein Wüstenengel mit einem Wasserengel getroffen hat, und nun laden sie Materie ab und sie fließt ins Zentrum der Erde. Es wird mit Wortblasen, Zyankali, Zeitlosigkeit & Unendlichkeit vermischt und wird nun ins Universum hinauskatapultiert ­ wo es sucht & neue Formen bildet. In die Zentren zwischen den Unendlichkeiten ..... .

Lewel^ sagt immer zu ihr: "Du willst nur krank sein, bist es aber nicht. Du willst es dir nur einbilden." Doch ist das nicht schon krank genug ..... ? Anscheinend nicht ­ Sie wollte nicht mehr länger darüber nachdenken und so ließ sie es bleiben. Sie müßten doch nicht auch noch ihr Geheimnis II entlüften. Das erste hatten sie zwar auch nicht entlüftet, aber sie merkte, daß sie es versuchten. Sie hatte Angst gehabt, zu vergessen wie er riecht ­ oder sie alle. T.l. war schon lange weg, aber gestern hatte er sich gemeldet, für sie war es irgendwie eine Erleichterung, etwas das sie tagelang besetzt hatte. Sie hatte tatsächlich vergessen wie er roch ..... . Von Lysander hingegen hatte sie den Geruch wieder genießen können, obwohl sie nie wußte wie er roch. Doch er war einfach da ­ er, Lysander ­ das zählte.

Doch sie würde auch gerne wissen, wie sie selbst riecht. Das hingegen war schwer, warum konnte man nicht einfach eine Zeit lang aus seinem Körper schlüpfen & später zurückkehren, wie im eigenen Haus ­ ist man länger von zu Hause weg und kommt zurück, riecht man ganz kurz wie es riecht ­ dann stellt sich die Routine wieder ein. So müßte es doch auch mit dem eigenen Körper funktionieren? Doch im Moment mochte sie gar nicht an so was denken, ihr Kopf schmerzte, von der Stirn aus zogen sich Stiche nach hinten, und schließlich fing es an zu hämmern. Sie wollte nicht mehr dasitzen sondern in ihrem "Starbed" liegen & Musik hören, oder das Fenster öffnen und den Vögeln lauschen. Sie wollte durchsichtig sein oder einfach gegen eine Mauer knallen, sich fallen lassen und sich wünschen nie anzukommen. Doch das waren wohl alles sehr unrealistische Wünsche ­ so unrealistisch wie der Rest ihres Lebens ­ sie brauchte immer einen Schutz, eine Schutzhaut, oder eine Person der sie einen Teil ihres Alles erzählen konnte. Es war ständig da, vielleicht hatte sie Angst, daß ihr wehgetan werden könnte, doch sie hatte Schmerz ja schon erfahren, in den verschiedensten Varianten. Sie wußte also nicht, vor was sie Angst hatte oder haben könnte. Die, denen nie weh getan wird ­ die nie verletzt werden ­ haben entweder viel Glück, oder sind sehr einsam. Sie war wohl in so eine Art Vakuum geraten, ein Etwas, das ständig zwischen ihr und den anderen war ­ etwas unüberwindbares ­ in ihm herrschte Stille, keiner konnte es von außen durchdringen, und es ließ keinen zu nahe an sie heran. Glaubte sie, es käme ihr jemand zu nahe, blockte sie ab und die Menschen prallten am Vakuum ab. Für sie geschah dies ungewollt. Doch sie fühlte sich immer schuldig, denn sie hatte ange- fangen zu Kontakten, wollte diese Schutzhülle überspielen, doch die Angst war jedesmal größer und stärker. Vielleicht hatte sie sich im Laufe ihres bisherigen Lebens dieses Etwas auch selbst aufgebaut, ohne es zu merken, vielleicht hatte sie es aber schon längst gemerkt und wollte es nicht zugeben. Sie hatte Angst ­ sie hat Angst ­ sie muß fliehen ..... .

Wohin muß sie selbst entscheiden, denn wenn sie stehenbleibt, holt sie sich selbst irgendwann ein ­ dann ist es zu spät ­ dann kann sie nur mehr in ihr Nichts flüchten, ins Vakuum. Dort wo alles so still ist, und so weiß ..... . Dort wo sie ihren Atem hört und er nur ihr gehört, dorthin möchte sie zurück.

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