Martin Kingfischer
Hans im Glück/Uhura 4

Uhura Message 4

2000

Endlich, endlich hatte Johann Wegmeister es geschafft! Lange genug hatte es schon gedauert, fand er. Aber nun hatte er es geschafft. Er hatte sich durchgekämpft. Alle, die ihn am Leben hindern wollten, hatte er besiegt.

Er hatte die Psychiater besiegt, die ihm einen angeborenen Hirndefekt andichten wollten, als er unter Angstzuständen und Schuldgefühlen leidend verzweifelt zu ihnen kam. Während sie ihn mit Pillen vergifteten, gaben sie seine Seele langsam dem Hungertod preis. Nie hatten sie seine Hinweise über seinen Zustand ernst genommen. Zur Strafe beschloß er, sie zu ignorieren und gesund zu werden. Die Angst der Eltern hatte er besiegt, die ihm schon als Kind die Flügel gestutzt hatten (und von Zeit zu Zeit diese Arbeit immer wieder nachbesserten), um ihn dann in den Familienneurosen Spießruten laufen zu lassen. Diesen Zustand hatte er beendet, indem er von zuhause auszog und seine Eltern auch sonst auf Distanz hielt. Das war nicht leicht, doch letztendlich hatte es sich ausgezahlt. Auch die Pfarrer hatte er besiegt, die sich schon lange in seiner Seele eingenistet hatten. Er hatte jahrelang in der landläufigen Meinung gelebt, daß Gott wesentlich durch die Kleriker zu den Menschen wirksam ist. Doch als er erkannte, daß er lediglich vor die Entscheidung gestellt wurde, ob er seine Seele lieber dem Teufel oder den Klerikern verkaufen wollte, behielt er sie lieber selber und Servus die Herren!
Auch die Psychologen, die ihm eine Zeitlang zu helfen schienen, schickte er nach mehrjähriger Behandlung in die Wüste. Irgendwann ließ er sich nicht mehr von seinen Therapeuten als Therapeut ihrer selbst mißbrauchen, als ein Therapeut, den sie überdies sabotierten, um vor sich selbst nach außen hin den Schein zu wahren, daß in dieser Beziehung eigentlich sie die Therapeuten seien. Ein Zustand der niemandem nützte, wie Johann fand, und ganz besonders ihm außerordentlich schadete. Obendrein wurde er für seine Dienste natürlich nicht bezahlt. Im Gegenteil: sein Bankkonto schmolz wie Schnee an der Sonne (und war aus Verlegenheit bereits ganz rot geworden).
Mit fast übermenschlicher Anstrengung hatte sich Johann in den letzten Jahren von falschen Freunden und Helfern befreit und dies war für ihn neben einer berechtigten Trauer aber auch Grund große Befriedigung zu empfinden. Er hatte Großes geleistet, da er sich die meiste Zeit von aller Welt verlassen fühlte und dies zumeist ja auch wirklich war. Nun aber fühlte er sich als richtiger Hans im Glück. Er dachte, es wären sicher nicht viele wie er, die aus einer schier auswegslos lebensfeindlichen Umgebung kommend sich doch noch zu einer zweiten Chance durchzukämpfen vermochten, um einen Neubeginn unter diesmal positiven Vorzeichen zu wagen.
Er würde nun nämlich alles nachholen, was ihm bisher vorenthalten, verboten, gestohlen war: zuerst würde er Reisen unternehmen, Sprachen lernen, endlich mal eine Rockband gründen, so richtig die Sau rauslassen. Dann würde er in Ruhe entscheiden, ob er sein Geschichte-Studium wieder aufnehmen sollte, um seine Karriere als Historiker anzustreben, was sein Kindertraum war, oder ob er die väterliche Firma übernehmen sollte, was ihm abzüglich immer noch vorhandener Meinungsverschiedenheiten mit seinen Eltern auch nicht übel gefallen hätte.
Inzwischen aber würde er die hübsche Nachbarstochter zum Orchideenball einladen, denn schon seit längerer Zeit hatte er ein Auge auf sie geworfen.
Er stellte sich vor den Spiegel, um sich zu kämmen. Wie er dann so in die Falten seines Gesichtes schaute, überlegte er mit einem bitteren und doch irgendwie schalkhaften Lächeln: "Mit meinen einundsiebzig Jahren werde ich wohl einige Projekte von meiner Liste streichen müssen."

(November 1999)

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