Uhura Message 4
2000 |
Endlich, endlich hatte Johann Wegmeister
es geschafft! Lange genug hatte es schon gedauert, fand er. Aber
nun hatte er es geschafft. Er hatte sich durchgekämpft.
Alle, die ihn am Leben hindern wollten, hatte er besiegt.
Er hatte die Psychiater besiegt, die ihm
einen angeborenen Hirndefekt andichten wollten, als er unter
Angstzuständen und Schuldgefühlen leidend verzweifelt
zu ihnen kam. Während sie ihn mit Pillen vergifteten, gaben
sie seine Seele langsam dem Hungertod preis. Nie hatten sie seine
Hinweise über seinen Zustand ernst genommen. Zur Strafe
beschloß er, sie zu ignorieren und gesund zu werden. Die
Angst der Eltern hatte er besiegt, die ihm schon als Kind die
Flügel gestutzt hatten (und von Zeit zu Zeit diese Arbeit
immer wieder nachbesserten), um ihn dann in den Familienneurosen
Spießruten laufen zu lassen. Diesen Zustand hatte er beendet,
indem er von zuhause auszog und seine Eltern auch sonst auf Distanz
hielt. Das war nicht leicht, doch letztendlich hatte es sich
ausgezahlt. Auch die Pfarrer hatte er besiegt, die sich schon
lange in seiner Seele eingenistet hatten. Er hatte jahrelang
in der landläufigen Meinung gelebt, daß Gott wesentlich
durch die Kleriker zu den Menschen wirksam ist. Doch als er erkannte,
daß er lediglich vor die Entscheidung gestellt wurde, ob
er seine Seele lieber dem Teufel oder den Klerikern verkaufen
wollte, behielt er sie lieber selber und Servus die Herren!
Auch die Psychologen, die ihm eine Zeitlang zu helfen schienen,
schickte er nach mehrjähriger Behandlung in die Wüste.
Irgendwann ließ er sich nicht mehr von seinen Therapeuten
als Therapeut ihrer selbst mißbrauchen, als ein Therapeut,
den sie überdies sabotierten, um vor sich selbst nach außen
hin den Schein zu wahren, daß in dieser Beziehung eigentlich
sie die Therapeuten seien. Ein Zustand der niemandem nützte,
wie Johann fand, und ganz besonders ihm außerordentlich
schadete. Obendrein wurde er für seine Dienste natürlich
nicht bezahlt. Im Gegenteil: sein Bankkonto schmolz wie Schnee
an der Sonne (und war aus Verlegenheit bereits ganz rot geworden).
Mit fast übermenschlicher Anstrengung hatte sich Johann
in den letzten Jahren von falschen Freunden und Helfern befreit
und dies war für ihn neben einer berechtigten Trauer aber
auch Grund große Befriedigung zu empfinden. Er hatte Großes
geleistet, da er sich die meiste Zeit von aller Welt verlassen
fühlte und dies zumeist ja auch wirklich war. Nun aber fühlte
er sich als richtiger Hans im Glück. Er dachte, es wären
sicher nicht viele wie er, die aus einer schier auswegslos lebensfeindlichen
Umgebung kommend sich doch noch zu einer zweiten Chance durchzukämpfen
vermochten, um einen Neubeginn unter diesmal positiven Vorzeichen
zu wagen.
Er würde nun nämlich alles nachholen, was ihm bisher
vorenthalten, verboten, gestohlen war: zuerst würde er Reisen
unternehmen, Sprachen lernen, endlich mal eine Rockband gründen,
so richtig die Sau rauslassen. Dann würde er in Ruhe entscheiden,
ob er sein Geschichte-Studium wieder aufnehmen sollte, um seine
Karriere als Historiker anzustreben, was sein Kindertraum war,
oder ob er die väterliche Firma übernehmen sollte,
was ihm abzüglich immer noch vorhandener Meinungsverschiedenheiten
mit seinen Eltern auch nicht übel gefallen hätte.
Inzwischen aber würde er die hübsche Nachbarstochter
zum Orchideenball einladen, denn schon seit längerer Zeit
hatte er ein Auge auf sie geworfen.
Er stellte sich vor den Spiegel, um sich zu kämmen. Wie
er dann so in die Falten seines Gesichtes schaute, überlegte
er mit einem bitteren und doch irgendwie schalkhaften Lächeln:
"Mit meinen einundsiebzig Jahren werde ich wohl einige Projekte
von meiner Liste streichen müssen."
(November 1999)
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