Birdy/Uhura 2 |
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Uhura Message 2 1998 |
Seltsam, wie er dalag: ein abgestürzter Vogel. Den Kopf zur Seite weggedreht, die Arme abgewinkelt (wie Flügel, ja, wie gebrochene Flügel), mit weit gespreizten Fingern. Katzen im Tiefschlaf können manchmal in völlige Leblosigkeit verfallen. Man hebt sie hoch, und sie liegen einem in den Händen, warm und weich und tot zugleich. Auch bei schlafenden Kleinkindern muß man vorsichtig sein: ihr Kopf knickt sonst gern zur Seite oder nach hinten wie der einer entseelten Marionette. Genickbruch, hatte der Arzt konstatiert.
Im Zimmer hing noch der leichte, unparfümierte Duft chinesischer
Räucherstäbchen. Auf dem Fußboden, in einem Kreis
von zwei bis drei Metern Durchmesser, Porzellanschälchen
und Untertassen voller Wachs von abgebrannten Kerzen. Die Stereoanlage
eingeschaltet; auf dem Plattenteller eine LP mit meditativer
Musik. Ich fühlte, wie sich meine Muskeln
strafften; sah, wie sich die Sehnen spannten. Die Katze duckte
sich, zog sich zusammen, machte sich fertig zum Sprung. Ich spürte,
wie der Boden unter meinen Fußballen weich und warm wurde,
wie er nachgab und zu federn begann. Ein Zittern durchlief die
Beine und Pfoten der Katze, griff auf ihren gesamten Körper
über, versetzte ihn in ein gleichmäßiges Beben
und Pulsieren. Ich stemmte die Hinterbeine in die Erde, stieß
die Vorderbeine mit einem kräftigen Ruck in die Luft: der
Raubtierkörper schnellte nach vorn in die Höhe, begann
zu laufen, zunächst zeitlupenhaft, dann immer schneller,
mit geschmeidigen, rhythmischen Bewegungen. Mit den Vorderpfoten
griff ich weit ausholend in den Boden unter mir, schleuderte
ihn nach hinten, indes sich meine Hinterläufe schon wieder
seitlich neben dem gekrümmt-gespannten Leib nach vorne streckten,
um sich im nächsten Augenblick wieder mächtig abzustoßen
und mich vorwärts zu treiben. Diesen Traum hatte ich schon einmal gehabt; diesen und ähnliche andere. Und nicht nur einmal: immer und immer wieder. Nächtelang war ich als Panther oder Gepard über menschenleere Autobahnen gejagt, hatte mich an der eleganten Bewegung meines federnden Körpers, an der Schnelligkeit des kraftvollen, nahezu schwerelosen Dahingleitens berauscht. Es war ein unbeschreibliches Gefühl: losgelöst und fern von allem, vollkommen frei und allein durch die Luft zu schnellen mit gewaltigen, gleichmäßigen, raumgreifenden Sätzen! Er liebte die Wörter. Er liebte sie
und hütete sie wie ein Geheimnis. Die sprachlos gewordene Sehnsucht hinaussingen,
in langgezogenen tiefen Tönen, in einem voll und dunkel
schwingenden, eintönigen Gesang, wie ihn tibetische Mönche
anzustimmen pflegen, wobei neben dem gleichförmig anhaltenden
Grundton Obertöne hörbar werden, was den Eindruck von
endloser Weite und Tiefe hervorruft. Diesen Gesang hinausschicken
auf die Suche nach einem Echo. Und er streift über Wiesen
und durch Wälder, schwingt sich hinauf zu den Felsen und
Firnen, spricht mit dem Schnee, den Wolken, der Sonne, löst
sich und steigt immer höher hinauf, bis er keinen Halt mehr
findet und abstürzt. Und noch einen Traum hatte ich, der ständig
wiederkehrte; in den ich mich, um genau zu sein, immer wieder
selbst hineinträumte: Ich träumte mich in einen großen
Raum, ein hohes, helles, weites Zimmer, das voller Musik war.
Manchmal waren die Wände dieses Zimmer auch aus Luft, klar
und durchsichtig wie Eis und voller Gerüche. Und ich brauchte
nur meine Arme zu bewegen, schlug damit, anfangs heftig und schnell,
löste mich mit ruckartigen Bewegungen meiner heftig schlagenden
Arme nach und nach vom Boden und begann langsam in die Höhe
zu steigen. Es kostete mich große Anstrengung und Kraft,
meine Arme schlugen wie wild, aber es gelang mir allmählich,
jenen entscheidenden Abstand vom Boden zu gewinnen, der die endgültige
Loslösung, die Überwindung der Schwerkraft bedeutete.
Nun konnten meine Arme ruhiger schwingen, und sie zogen gleichmäßig
und kräftig durch, hielten meinen Körper einige Meter
über dem Boden in Schwebe. Ich schwang mit großen
Auf- und Abwärtsschlägen meiner Arme durch die Luft,
die ich als körperhaftes, mich tragendes und schützendes
Element, ja Wesen empfand, als sanft nachgebenden und doch Halt
und Widerstand bietenden Teil meines eigenen Leibes, meiner selbst.
Schließlich erreichte ich jenen unbeschreiblichen Zustand
des Ausgleichs, der Ruhe, des schwerelosen Schwebens, in dem
nur mehr wenige ganz leichte Bewegungen der Arme und Hände
genügten, meinen Körper in der Luft zu halten. Er sah sich zuweilen tief in der Nacht aus dem Schlaf steigen, benommen umherstreifen und mit traumtrunkenem Blick aus dem Fenster in die sich zögernd auflichtende Dunkelheit hinausstarren. Und wenn er dann nach einiger Zeit den Weg zurück wieder gefunden zu haben glaubte, ließ er sich, beruhigt und seltsam beunruhigt zugleich, wieder in seinen alten Traum zurückfallen. Ich habe gelesen, daß die menschliche
Seele den Körper verlassen und wieder dahin zurückkehren
kann. Manche Menschen sollen gelegentlich unter besonderen Umständen
zu einer solchen Seelenreise in der Lage sein. Die Seele verläßt
dann nachts den schlafenden Körper und geht auf Reisen:
auf eine phantastische Reise durch Zeit und Raum, von der sie
erst gegen Morgen wieder zurückkehrt, vollkommen erschöpft
und zutiefst beglückt. Die Erlebnisse, die die Seele dabei
hat, sollen von unbeschreiblicher Größe und Schönheit
sein. Manchmal wünschte er sich, blind
zu sein, um auf diese Weise noch tiefer in sich selbst und in
die Welt hineinschauen zu können. Nachts gerät alles in Bewegung. Ich habe mich lange und intensiv darauf
vorbereitet. Ich habe Bücher gelesen, habe trainiert, mich
körperlich fit gemacht und nachgedacht; nachgedacht und
meditiert. Ich habe versucht, all mein Wissen und meine Erfahrungen
abzulegen wie einen Wintermantel am Beginn des Frühlings,
habe versucht, offen und leicht zu werden. Ich habe mir Schallplatten
mit Musik zum Meditieren besorgt, sie immer und immer wieder
angehört, bin eingetaucht in die endlosen Klangspiralen,
habe die Augen geschlossen, mich davon emportragen lassen, auf
den Tönen geschwebt, darin gebadet. Auf dem Fußboden
des Zimmers habe ich einen Kreis aus Kerzen gebildet. Ich habe
Räucherstäbchen angezündet und warte; warte auf
die Dunkelheit. Den ganzen Tag habe ich mit Musikhören und
Meditieren verbracht. Ich habe versucht, alles von mir abzustreifen,
was nicht zu mir gehört. Nun fühle ich mich angenehm
leer und leicht. (1985) |