Die Mark-Preston-Show/Uhura 5 |
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Uhura Message 5 2000 |
So hatte ich also beschlossen, den Abend vor meinem Abflug bei Elmore mit exakt elf "Black Russians" zu verbringen (das war erfahrungsgemäß meine äußerste Schmerzensgrenze, bei der alle nötigen vitalen Körperfunktionen auch noch anderntags annähernd einsatzfähig waren), und bei Nummer drei stand plötzlich Mark neben mir an der Theke. Er hielt offenbar mehr vom guten alten Johnny Walker, denn die erste Bestellung war gleich ein Doppelter aus der berühmten Flasche. Bei seinem dritten Glas war ich bei meiner Nummer fünf, und er hatte noch immer kein Wort zuviel von sich gegeben, was mir mehr als recht war. Ich hatte meine "Black Russians" und Megs Bild vor Augen, eine Woche von wüstestem Jet-Lag in Aussicht vom Hin- und Herfliegen und wollte nichts außer gemächlich betrunken werden. Da begann Mark zu erzählen, zuerst leise, unsicher, dann laut und immer mehr an mich gewandt: Kunststück, ich war auch der einzige Gast in Reichweite. Er begann also seine Geschichte, die ich anfangs natürlich nicht hören wollte, aber da war er bereits mittendrin, und irgendwann hörte ich ihm dann auch noch zu. Ein gepflegter Endfünfziger, Trenchcoat es war Ende Februar, die nur leicht angegrauten Haare adrett zurückgekämmt, und nur der traurige Blick verriet einen tiefen, wenngleich erst sehr jungen Kummer: So wie er dastand, hätte er alles mögliche sein können, ein Manager mit zahlreichen Vorzimmer-damen, Megs Boß von der Agentur "Sunset Image", aber auch ein erfolgreicher Filmproduzent. Nichts von alledem, wie sich bald herausstellte. Mark war Wetterfrosch, ein simpler Fernseh-Wettermann, der auf "Channel Eleven" der gesamten Ostküste die Aussichten für den kommenden Tag verkündet, in einer eigenen Show, die sich sinnigerweise tatsächlich "Eleven Weather Report" nannte, zu Mittag aufgezeichnet wurde und rund fünfmal am Tag lief. Mark Preston. Ich hatte noch nie von ihm oder seiner Show gehört, was aber nichts heißen will, denn kaum taucht auf meinem TV-Gerät auch nur eine Ahnung einer meteorologischen Karte auf, bin ich schon am Drücker der Fernbedienung. Wetter ist Wetter, ändern kann man es sowieso nicht, es kommt wies kommt. Und genau als ich das in Marks beginnende Erzählung einwarf, bemerkte ich ein leidenschaftliches Leuchten in seinen Augen: "Das stimmt eben nicht!", rief er, "man kann es sehr wohl beeinflussen, ich habe es selber erlebt. Deshalb bin ich auch zu meinem Beruf gekommen." Mark erzählte mir, daß er seit fünfunddreißig Jahren in New York lebe, eigentlich aus Maine stamme (seine Eltern wären von Baltimore dorthin gezogen), aufgewachsen ist er in Whichtown, einer kleinen Stadt etwa hundertfünfzig Meilen nördlich von Augusta, der Hauptstadt. Und dort habe sich auch jenes Ereignis zugetragen, das ihn für den Rest seines Lebens so geprägt hätte, seitdem er sich für alles, was mit Sturm und Regen zusammenhängt, begeisterte. Whichtown war nämlich Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre jene Stadt gewesen, in der sich der Psychotherapeuth, Forscher und Arzt Wilhelm Reich niederließ, nachdem er zuerst aus Deutschland und später aus Norwegen vertrieben wurde. Der seltsame Wissenschaftler, ein ehemaliger Freud-Schüler, sei eigentlich nie besonders aufgefallen im Stadtbild, wenngleich die Presse ab und an mal über den großen rotgesichtigen Mann berichtete, der immer mit Büchern unterm Arm unterwegs war, und die Menschen mit einem scharfen neugierigen Blick musterte. Er war eine Art Kuriosum, aber gerne geduldet in Whichtown. Seine wissenschaftlichen Arbeiten und Experimente führte er auch im Exil weiter, wurde aber nie richtig anerkannt. Aber einmal, ein einziges Mal, war die ganze Stadt stolz auf ihn, auf den fremden Professor, der später dann auf Regierungsgeheiß ins Gefängnis geworfen werden sollte, und dessen Bücher amtlich verordnet verbrannt wurden. Einmal war er der Held von Whichtown, bejubelt von der ganzen Stadt. Es war im Sommer 1951, einem heißen, ungestümen Sommer, der sich drückend über ganz Maine legte. Und es war das Jubiläumsjahr der Stadt: Vor hundertfünfzig Jahren war Whichtown gegründet worden, und am 19. August sollte dieses Ereignis gefeiert werden. Der hohe Rat der Stadt hatte sich etwas besonderes einfallen lassen, nämlich eine umfangreiche Kinderparade, ein historischer Zug durch die Hauptstraße war geplant worden, bei dem die Jugend von Whichtown, darunter auch der damals 11-jährige Mark, die Vergangenheit der Stadt präsentieren sollte, vorbereitet in monatelanger Arbeit. Man hatte das ganze Jahr über bereits geprobt, gebastelt und gemalt für das einmaliges Ereignis. Die großen Persönlichkeiten des gesamten Bundesstaates sollten die Parade abnehmen, der Gouverneur und sogar Frank Morgan, der aus Whichtown stammende Hollywoodstar, sollten anwesend sein. Alles war bereit und die ganze Stadt fieberte dem glorreichen Datum entgegen. Doch als er da war, der Sonntag 19. August, wachte Mark in aller Frühe auf und war gleich zu Tode betrübt: Dichte schwarze Wolken lagen wie ein Bleimantel über der Stadt, von Ferne wehten einzelne Regenschauer über die Hügel, und durch die Straßen heulte ein böser Sturmwind. Sollte alles umsonst gewesen sein, konnte die Parade nicht stattfinden? Betrübt trafen sich die Kinder und das Organisationskomitee am Stadtrand, wo der Zug starten sollte. Ob das Wetter hält? Oder ob gleich alles abgesagt werden sollte? Keiner sagte ein Wort, hunderte von Mitwirkende machten sich verbissen an die letzten Vorbereitungen der Parade, aber alle hatten irgendwie die Hoffnung bereits verloren, daß noch etwas werden würde aus dem großen Ereignis. Da näherte sich plötzlich aus der Stadt heraus ein großer Buick, eine graue Limousine, die jeder sogleich erkannte. Es war der Wagen von Dr. Reich, dem fremden Wissenschaftler; sein Assistent Brandon fuhr ihn darin immer durch die Gegend oder ab und zu auch in die Hauptstadt. Dr. Reich kam heran, stieg wortlos aus dem Wagen. Er begann am Straßenrand zusammen mit Brandon einen Klapptisch aufzustellen, breitete darauf alle möglichen Geräte und seine langen Röhren aus und blickte entschlossen zum Himmel. Mister Wilson, der Leiter der Parade ging zu den beiden hin und erkundigte sich bei Brandon, was das zu bedeuten habe, denn Professor Reich gab sich so geschäftig, daß Wilson ihn nicht anzusprechen wagte. "Er will die Parade retten", sagte Brandon, und deutete zuerst auf den eigenwilligen Professor, dann auf den immer schwärzer werdenden Augusthimmel, "er kann das Wetter beeinflussen. Diese Röhren werden die Wolken vertreiben." Ungläubig entfernte sich Mister Wilson und wandte sich wieder der sich langsam formierenden Parade zu, erzählte aber allen Umstehenden vom seltsamen Unterfangen des Mister Reich. "Was soll ich Ihnen sagen", seufzte Mark am Tresen, bevor er ein weiters Glas bestellte, "Sie werden es mir bestimmt nicht glauben, aber nachdem Mister Reich seine Apparaturen eingerichtet und die Röhren in bestimmte Richtungen gedreht und verteilt hatte, dauerte es noch genau fünf Minuten, und der Himmel über Whichtown riß auf, urplötzlich, niemand hatte je zuvor etwas ähnliches gesehen, keiner konnte sich das erklären, aber die Sonne drang aus der Wolkendecke und das Unwetter war weg, mit einem Schlag. Es wurde der schönste Tag meiner ganzen Kindheit, die Parade startete pünktlich um elf Uhr und dauerte bis weit in den Nachmittag hinein. Es war ein Riesenerfolg. Wir waren alle so glücklich, die Zuschauer waren begeistert von unserer Begeisterung, und Mister Reich strahlte übers ganze Gesicht. Niemand konnte sich den plötzlichen Wetterumschwung erklären, aber im Grunde war das auch egal. Hauptsache der große Tag war gerettet." Mark nahm sich eine Zigarette aus der Manteltasche und zündete sie an, bevor er den letzten tiefen Schluck aus dem Whiskeyglas machte. "Das ist alles lange her, und keiner hat sich die Mühe gemacht, die Theorien des alten Meisters ernst zu nehmen. Auch ich nicht, aber ich bin dem Wettermachen wenigstens irgendwie treu geblieben. Bis heute. Heute war mein letzter Arbeitstag, gefeuert, zu alt für den Job, you know". Wortlos zahlte er seine Rechnung und verließ die "Elmore-Bar". Merkwürdig gerührt von Marks Geschichte trank ich aus und machte mich ebenfalls auf den Weg. Benommen und verwirrt ging ich heim, unfähig zu entscheiden, wer Schuld an meinem Zustand hatte, Mark's Geschichte oder der überzählige zwölfte "Black Russian". Ich schleppte mich in die Walker Street zu unserer Wohnung, schloß die Tür auf und warf mich vor die Glotze: "Channel Eleven", ich kam gerade recht zur letzten Wiederholung der Wetter-Show: Und da strahlte Mark über den Bildschirm, mit der ganzen Leidenschaft und Liebe, die er da offenbar in seine Show warf. Mark versprach gutes Wetter, besonders geeignet für Flugreisen übern Atlantik. Beruhigt schlief ich ein. |