Uhura Message 2
1998

Ch@tlove ist im Glare Verlag als Buch erschienen.

Links:

- Präsentation des Buches und der Autorin auf den Seiten des Verlages: www.glareverlag.de/ index03.htm

- Rezension auf kulturmagazin.de

- Erhältlich ist das Buch unter anderem über amazon.de

Kleines Glossar:

attachment: (engl.) Anhängsel. Bei E-mail: Verschickt man eine E-mail, kann durch die Option Attachment ein beliebiger File (Foto, Text, Soundfile etc.) angehängt und mit verschickt werden.
E.S.A.: European Space Administration (=Europäische Raumfahrtsbehörde).
fake: (engl.) Fälschung. In chat: Wenn sich jemand mit einem gestohlenen oder sehr ähnlichen (siehe) Nick (es genügt ein großer oder kleiner Anfangsbuchstabe beispielsweise) als eine andere, meistens ihm mehr oder weniger bekannte Person, ausgeben will.
Nick: (engl.) Übernamen. Im chat: Das Pseudonym, mit dem man in den Chat einsteigt und das in der Regel nach der Anmeldung beim Server durch ein Passwort geschützt ist. Normalerweise behält man in jedem Chat stets dasselbe Psyeudonym, weil man wiedererkannt werden will. (siehe fake)

So meine Liebe, jetzt habe ich Dir alles Wichtige gezeigt!" Doro sinkt erschöpft in den Stuhl zurück. Die Lehne des Bürostuhls biegt sich nach hinten und knallt ächzend zurück. Doro springt auf und stöhnt: "Nun habe ich mir aber einen Drink verdient!" Sie bewegt sich in die Küche und tastet im Dunkeln nach dem Kühlschrank. Aus dem Wohnzimmer hört sie Lea rufen:
"Doro, du bist ein Schatz, was würde ich ohne dich bloß anfangen? Ich hätte die Software nie installiert bekommen! Laß den Campari stehen, im Gemüsefach liegt ein edler Prosecco, den haben wir uns heute verdient."
Lea klickt mit der Maus die Bookmarks an. Viel hatte sie noch nicht eingetragen. Aber die Internetleitung steht ja auch erst seit zwei Stunden. Lea geht auf Suchmaschinen, klick, dann auf die Suchmaschine Altavista, klick. Die Seite erscheint. Lea gibt "Die Zeit" ein, und Sekunden später hat sie die Adresse, klick. Die Zeitung lädt, und zur gleichen Zeit knallt der Korken in der Küche aus der Flasche. Doro kommt mit zwei gefüllten Gläsern herein. Sie reicht Lea ein Glas.
"Cincin!" brüllt Doro. "Skol", ruft Lea und knallt die Hacken zusammen.
"Schau, ich habe es kapiert, Zeitung gesucht und gefunden!"
Doro grinst und rollt mit tiefer Stimme: "Was für einen Intelligenzbolzen ich doch zur Freundin habe!" Beide kichern und schenken noch einmal nach und prosten sich zu, daß die Gläser klirren.
"Mal ehrlich, Doro", meint Lea, "ich bin echt stolz, daß ich das anscheinend alles kapiert habe. Du weißt, wie dämlich ich mich mit technischen Dingen anstelle. Linux und jetzt auch noch Internet, mir schwirrt der Kopf." "Das ist deine Angst, mein Herz", meint Doro, "so blöd bist du doch gar nicht. Außerdem, mit dem Internet umzugehen ist doch ein Kinderspiel!"
Doro füllt noch einmal die Gläser. "Jetzt probieren wir noch das Mailen aus, wir schicken Enzo einen Brief!" "O.k.", meint Lea, "aber ich mache es allein. Also hier schreibe ich eure Mail-Adresse hinein." Lea schreibt: transitalo@xyro.it. "Unter Betreff schreibe ich: 'ho internet'", brummelt Lea. "Jetzt die Mail" Lea schreibt weiter.

Ciao Vincenzo,
sono nuova nel internet. Faccio un test.
Mail back!

un bacio
Lea

Lea klickt auf send. "So, abgeschickt! Mal sehen, ob er antwortet!" Doro gießt den Rest aus der Flasche in die Gläser und schaut auf die Uhr.
"Ich bin sicher, er antwortet, um die Zeit liest er immer Zeitung im Internet und surft so herum."
"Besser er würde auf dem See surfen, dann ginge sein dicker Bauch weg!" kichert Lea.
"Da ist er wie Churchill, Sport ist Mord!" lacht Doro.
"Doro, bitte zeig mir noch die Chats!" Lea zieht fragend die eine Augenbraue hoch.
"Da gibt es nichts beizubringen, mach es einfach!" Doro tippt "Für Acht.de" ein. Die Internet-Seite erscheint. "So, jetzt drückst du auf Chat, übrigens im webchat.de findest du alle deutschsprachigen Chats, die es gibt, echt viele!" Die Chat-Seite erscheint. "Da trägst du deinen Nickname ein, denk dir was aus!" Doro tippt Kim. "Weißt du, ich habe den Namen registrieren lassen", sagt sie und tippt die Nummer ein, "dann kann niemand als fake unter meinem Namen Mist machen."
"Wie meinst du das?" Lea schaut sie fragend an.
Doro lacht, "Das wirst Du schon noch mitbekommen, was für Irre durch das Netz geistern!" Lea ist ganz verdutzt. Doro klickt auf den Zugang.
Kim betritt den Raum, erscheint auf dem Monitor. "So", grummelt Doro, "hier kannst du dir eine Farbe aussuchen, die dein Name hat, ich nehme jetzt blau, wie mein derzeitiger Zustand."

Wolle: sag ich doch, warum glaubt mir keiner
Frodo: Wolle, du bist ein genie!
Lilith verläßt den Raum
Kim hat die Farbe gewechselt
Lola kommt aus dem Raum Lesbentreff herein
Sexmaschine betritt den Raum
Wolle: haaaaaaaaaaaalooo Kim, lange nicht gesehen
Frodo: Kim, alte schachtel! wie geht´s
Kim: hi folks!
MissPiggy: mein chef kommt, bis bald
Nudel wechselt in den Raum Lagerfeuer
Wolle: cu Piggy
Sexmaschine schreit: WELCHE FRAU HAT BOCK AUF EINEN GEILEN KICK?
Diddel betritt den Raum
Sexmaschine: suche frau bis 23!!!! JETZTZTZT!
MissPiggy verläßt den Raum
Diddel wechselt die Farbe
Diddel: nabend Wolle, Pino gesehn?
Kiki: meldet sich vom WC zurück
Wolle: Diddel, schon seit Tagen nicht
Frodo: Diddel, heute mittag war er hier
Kiki: shit, das telefon
Sexmaschine wechselt in den Raum Hot_Love
Racheengel wechselt in den Raum Hot_Love
Kiki wechselt in den Raum Telefonieren
Wolle: Kim habt ihr auch so mieses wetter?
GeilerHengst betritt den Raum
Kim: die sonne lacht!!!!! *haha*
Diddel flüstert: happyness und sonnenschein....
Kim: aber wir beide bestimmt nicht allein!

Lea kann sich kaum halten vor Lachen. "Hey man, was haben die für bescheuerte Namen? Was für ein blödes Geschwätz!" Leas Locken fliegen um ihren Kopf.
"Du hast recht, das ist auch ein durchgeknallter Chat, du mußt dir nette Leute suchen und in ein Séparée gehen, sonst wirst du irre da", lacht Doro. "Ich hole dir einen zweiten Browser, dann sind wir beide da!" Doro geht über den zweiten Browser in den Chat.
"Was für einen Namen soll ich hinschreiben?" fragt Lea. "Mach was du willst." Doro rekelt sich im Stuhl.

Susele betritt den Raum
Susele wechselt die Farbe
Susele: guten abend zusammen
FriedChicken betritt den Raum
FriedChicken wechselt in den Raum Wienerwald
Furgy kommt aus dem Raum Ich_steh_auf_ Rothaarige herein
Kim: Susi sag mal saure Sahne

"Wie mach ich bä, Doro?" fragt Lea.
"Schreib und setz es in Sternchen, Lea."

Susele: *bääääähhhhh* Kim!
GeilerHengst flüstert: w? blond?

Doro lacht, "Sag einfach ja!"
"Wie flüstere ich?" fragt Lea.
"/ dann den Namen eingeben", lacht Doro.

Flüster zu GeilerHengst: ja und blaue Augen auch *kicherkicher*
RainMan betritt den Raum
RainMan wechselt in den Raum Hexenküche
GeilerHengst flüstert: wie alt, woher
>Wolle verabschiedet sich und winggt allen
Flüster zu GeilerHengst: sei nicht so neugierig
GeilerHengst wechselt in den Raum grüne_Wiese
Frodo: cu Wolle
Wolle verläßt den Raum
GeilerHengst lädt Sie in den Raum grüne_Wiese ein. Nehmen Sie die Einladung an, geben Sie /a ein

"Was ist das nun wieder?" fragt Lea.
"Er will mit dir ins Sepa", meint Doro.
"Schau dir den Namen an, der will Chat-Sex!"

Flüster zu GeilerHengst: Laß mich zufrieden!

"Doro, das Ausrufezeichen ist da, ich klicke mal drauf!" Lea lädt die eingegangene Mail. Die Nachricht erscheint.

transitalo@xyro.it
Lea hai internet

Ciao belle,
Mail recieved. Test bestanden. Viel Spaß liebe Lea, Du hast ein hübsches neues Spielzeug.
Doro, amore mio, ho molta fame!!!!!

Enzo

"Diese italienischen Männer, immer haben sie Hunger und fragen wer kocht?" stöhnt Doro. "Ich begebe mich heimwärts, Lea." Doro wechselt zum Chat

Kim: ich verabschiede mich, cu

"Doro, was heißt eigentlich cu?"
"Das ist die Abkürzung für see you. Es gibt einen Haufen Abkürzungen, mit :-) lächelst du, mit :-( bist du traurig, mit ;-) zwinkerst du, findest es schon heraus. hddMa heißt, heule doch den Mond an, zK nimmt man für zum Kotzen, 2g4u, damit kannst du Männer ärgern: to good for you!" lacht Doro, "btw heißt by the way, im Italo-Chat sagt man cb, na was wohl?"
"Klar, Ciao bello oder bella, oder? Was ist noch wichtig?"
"Vielleicht E2EG ear to ear grin oder FDROTFL!"
"Was ist das nun schon wieder?" lacht Lea.
"Falling down, rolling on the floor laughing, oder o4u heißt only for you. Hey, du schreibst ja mit!"
"Meinst du, ich kann mir das alles merken?"
"y! ist auch gut, typically male! Aber keine Angst, in den deutschen Chats machen sie nicht so viele Abkürzungen, das sind eher die Amis, und wenn du was nicht verstehst, frag einfach!"
Lea geht auch aus dem Chat. Beide Frauen erheben sich schlaff aus den Stühlen. "Was gibt es denn bei euch heute Leckeres?" fragt Lea.
"Gnocchi al pesto. Die Gnocchi habe ich vorhin bei Salvatore geholt, Pesto ist auch fertig, geht also schnell, nur noch der Salat. So, Lea, ich verabschiede mich, spiele schön im Internet! Vergiß bitte nicht die Übersetzung, ich brauche sie gestern." Lea nimmt Doro in den Arm.
"Wird ausgeführt, Herr General" grinst Lea, "vielen Dank für deine Hilfe Doro."
"Kein Problem, dafür darfst du mir Samstag beim Kindergeburtstag helfen. Denk dir ein paar Spiele aus. Du weißt, 10 kleine Monster bändigen ist nicht unbedingt meine Sache, kann sie doch nicht alle vor den Computer setzen." Die beiden Frauen küssen sich die Wangen, und Lea begleitet Doro hinaus.
"Ich bringe dir morgen Vormittag die Übersetzung, Doro."
"O.k., ich habe schon mal angefangen, schau nach auf der Diskette, ciao bella!" Lea winkt Doro hinterher und geht zurück ins Haus. Lea setzt sich vor den Computer, verspürt aber Hunger, geht aus allen Programmen und macht den Computer aus.
Lea füllt in der Küche den Nudeltopf mit Wasser, stellt das Gas an und gibt Salz dazu. Ein komisches Gefühl, denkt sie beim Zwiebelschneiden, ich habe einen neuen Computer und einen Internetanschluß. Jetzt kann ich mit Georg mailen, telefonieren ist ja so teuer. Mit der Uni kann ich auch kontakten, in Sekundenschnelle. Ich schicke die Aufzeichnungen nach Göttingen, und sie sind sofort da, irre. Bei der italienischen Post weiß man ja nie genau, ob es auch ankommt, bei der deutschen neuerdings auch nicht mehr. Und das dauert!
Das Olivenöl brutzelt, und ein intensiver Geruch von Zwiebeln, Knoblauch und Lorbeer dringt durch die Küche. Pomito, Salz, eine Ladung frischer Pfeffer wanden in den Topf, zum Schluß die Petersilie. Lea gießt einen Schluck Rotwein in die Soße und füllt ihr Glas. Die Nudeln sind al dente, und Lea gießt sie ab. Sie füllt einen Teller mit Spaghetti und Soße. Zufrieden setzt sie sich an den Tisch und nippt am Glas. Sie zippt mit der Fernbedienung durch die Programme des Fernsehers. Nichts los, denkt Lea. Dallas! Aber die italienische Version gefällt ihr nicht, das gemeine Lachen von J.R. fehlt. Sie schaltet den Fernseher aus. Gesättigt steht sie auf, läßt sich in den Sessel plumpsen und blättert in der Zeitung. Hier steht auch nichts Weltbewegendes geschrieben.
Eigentlich sollte ich die Übersetzung für Doro machen. Doro muß sie abgeben.
Pflichtbewußt steht sie auf, setzt sich wieder an den Computer und schlägt die Mappe auf. Eine Bedienungsanleitung für einen Elektroherd! "Wie aufregend!" kichert Lea in sich hinein. Sie öffnet die Datei auf der Diskette. Doro hatte schon angefangen. So gut, wie ihre Freundin auch Deutsch spricht, im schriftlichen Ausdruck hat die blonde Holländerin arge Probleme. Lea lacht: An der Vorderfront des Herdes befinden sich fünf Gnöppsche. Mit dem linken Gnöppsche schaltet man den Backofen ein. "Gnöppsche!" Typisch Dorothea. Lea tippt: An der Vorderfront des Herdes befinden sich fünf Schalter. Durch das Drehen des linken Schalters wird der Backofen aktiviert. Nein. Lea löscht die letzten Worte und schreibt, wird der Backofen erhitzt. Der Hitzegrad entspricht der Anzeige auf dem Schalter. Die restlichen vier Schalter erhitzen die Herdplatte. Mist, löschen, der Schalter erhitzt, doch nicht, Quatsch. Dreht man die anderen vier Schalter nach rechts, werden die jeweiligen Herdplatten erhitzt. Die dazugehörige Platte ist über dem Schalter durch einen grauen Farbpunkt gekennzeichnet. "Wie ich diese Bedienungsanleitungen hasse! Schon die Originale klingen so bekloppt! Das soll man auch noch übersetzen!" schreit Lea. "Schluß für heute, morgen früh bin ich konzentrierter."
Lea loggt sich ins Internet ein. Sie sendet Georg eine Mail.

geri@compuserve.de

Gruß aus der Ferne

Lieber großer Bruder,
da staunst Du was? Dein kleines Schwesterchen hat jetzt auch einen Internetanschluß!
Langsam verlassen die letzten Touris das Dorf, und ich habe endlich Zeit, etwas Ernsthaftes zu tun. Habe im Sommer sehr gut verdient, so daß ich im Winter sorgenfrei überleben kann. Doro gibt mir ja auch noch genug zu tun, sie hat zur Zeit viele Deutschübersetzungen. Wichtig ist, daß ich endlich meine Doktorarbeit zu Ende bekomme. Übermorgen darf ich im Rathaus von Orvieto in den alten römischen Quellen stöbern, auch in einem Franziskanerkloster wollen sie mir weiterhelfen. Weißt Du noch, wie wir immer über Latein geschimpft haben? Jetzt brauche ich es!!! Hihi. Für mich ist das mordsmäßig spannend. Ich weiß, Du wirst es nie verstehen, wie ich nach alten Senfpötten fahnde, mich mit alten Vasen beschäftige und für Dich tote Sprachen entziffere. Ich werde es auch nie verstehen, was Dich in die Sterne zieht? Hast Du den Marsflug schon gebucht?
Trotzdem bist Du mein bester Freund, Du alter Halunke.
Habe Deinen alten 2.86 verkauft, na ja, fast verschenkt, war toll, daß ihn überhaupt wer wollte. Bin nun stolze Besitzerin eines Pentium!

Dein Schwesterchen Lea

Lea sendet den Brief ab. Ich bin völlig schlaff, denkt sie, das war der Prosecco. Gedankenlos drückt sie auf die Bookmarks und den "Für-Acht-Chat." Susele, tippt sie ein. Mindestens 30 Chatter sind im Hauptraum angezeigt, und noch mal soviel verteilen sich in Séparées. Susele wechselt die Farbe und sagt hallo. Keiner antwortet. Lea verfolgt die Gespräche. Es kommen Leute in den Raum, andere verlassen ihn, Gesprächsfetzen erscheinen. Das ist hier ja schlimmer als auf dem Bahnhof, denkt Lea. Die meisten Leute verflüchtigen sich in die virtuellen Räume.

GeilerHengst Flüstert: Hallo Susele, wieder da?
GeilerHengst lädt Sie in den Raum grüne Wiese ein. Nehmen Sie die Einladung an, geben Sie /a ein.
Flüster zu GeilerHengst: laß mich bitte!
GeilerHengst flüstert: was habe ich Dir getan?

Keiner redet mit dir, nur dieser Perverse. Shit, denkt Lea.

Flüster zu GeilerHengst: schuldigung, kenne dich nicht, aber der name!!!

Lea will gerade den Chat verlassen, da wird sie von einem Neuankömmling angeflüstert.

KleinerPrinz flüstert: hallo Susele, neu hier?
Flüster zu KleinerPrinz: ja, du wohl nicht, finde es nicht schön hier, dieses rein raus der Leute.....
KleinerPrinz flüstert: ja, ein ziemliches chaos, man gewöhnt sich dran, wie alt bist du
Flüster zu KleinerPrinz: ich bin 29 und du?
KleinerPrinz flüstert: 28
KleinerPrinz wechselt in den Raum Märchenschloß
KleinerPrinz lädt Sie ein in den Raum Märchenschloß. Nehmen Sie die Einladung an, geben Sie /a ein

Warum nicht, denkt Lea und tippt /a

Susele kommt in den Raum Märchenschloß herein
KleinerPrinz: so jetzt haben wir ruhe, wir sind allein
Susele: ist ja witzig, bin heute das erste mal im chat
KleinerPrinz: ein blutiger anfänger *g*
Susele: wo wohnst du?
KleinerPrinz: ich bin ein schweizer käse, und studiere werkstofftechnik
Susele: ich bin in Italien und promoviere in geschichte, allerdings studiere ich in Göttingen
KleinerPrinz: oh, frau doktor? ;-)
Susele: noch nicht ganz, das dauert, leider
KleinerPrinz: lerne wie verrückt, mache nächsten monat examen, spanne gerade mal im chat aus
Susele: stelle in sicht oder arbeitslos?
KleinerPrinz: erstemal mache ich urlaub dann habe ich nen job, na ja, papa hat ne firma.....
Susele: was für ein glück!
KleinerPrinz: wenn ich urlaub habe, soll ich dich besuchen?
Susele: moment mal, ich kenne dich gar nicht! von wegen!! besuchen!
KleinerPrinz: war ein scherz, aber italienurlaub wär nicht schlecht! wie siehst du aus?
Susele: Rubensfrau...

Lea denkt, jetzt ist er abgeschreckt!! Mich besuchen wollen!

KleinerPrinz: was ist das? also, ich bin 197cm, 77kg, also sehr schlank, leider; habe dunkelbraune Haare und braune Augen
Susele: keine ahnung von kunst? Rubens hat solche frauen wie mich gemalt: little fat mama (165 cm)! kann nix dagegen machen. grüne augen habe ich auch, rot-blond
KleinerPrinz: hey, kleine hexe, hast du auch ein muttermal und einen schwarzen kater? ;-)))))))
Susele: keine haustiere, ein muttermal habe ich auch nicht zu bieten, nur leberflecke und sommersprossen, hexen ist nicht
KleinerPrinz: dann bist du Arielle?
Susele: schon eher, ich schwimme und tauche gern. schuppen habe ich auch *lach*
KleinerPrinz: du bist aber eine süße meerjungfrau
Susele: du willst ja wohl nicht anbändeln!!??
KleinerPrinz: das kommt drauf an ! ;-)) um ehrlich zu sein, ich bin GeilerHengst, bist mir hoffentlich nicht böse deswegen!
Susele: was sollte dieser blöde name?
KleinerPrinz: war ziemlich blöd, weiß ich, es überkam mich so *g*
Susele: namen sind schall und rauch, ist in ordnung
KleinerPrinz: wie heißt du richtig? ich heiße Sven, bin wirklich ein netter!
Susele: Sven, der freund von Hägar? ich heiße Lea
KleinerPrinz: manchmal bin ich wohl so blöd wie der *lol* du hast nen schönen namen
Susele: daran sind meine eltern schuld *g*
KleinerPrinz: wovon lebst du? BAFÖG?
Susele: arbeite als italienischlehrerin im sommer, mache geschichtliche touristentouren und übersetzungen
KleinerPrinz: ich jobbe bei der konkurrenz von papi, die zahlen wenigstens gut. ;-) lebe ich bei eltern
Susele: muttis liebling?
KleinerPrinz: das war gemein, nur weils günstig ist und na ja, auch bequem... so sind die männer
Susele: mir fallen die augen zu, ich muß ins bett, nett dich kennengelernt zu haben
KleinerPrinz: meine kleine seejungfer, wann sehen wir uns wieder?
Susele: mal sehen, vielleicht morgen, gute nacht
KleinerPrinz: ruhe sanft und träume schön, vielleicht vom kleinen prinzen...
Susele: cu
KleinerPrinz: cußßß

Lea loggt aus dem Internet aus und beendet ihre Programme. Irgendwie ein netter Kerl, denkt Lea und macht den Computer aus. Wenig später kuschelt sie sich wohlig in ihre Decke. Wie Sven wohl aussieht. Wie Schwarzenegger sicher nicht. Wie Elvis in jungen Jahren, nein, mehr intellektuell, Antonello Venditti? Lea du bist bekloppt! Was soll das, er sieht aus wie Sven, ist doch egal, wie? Lea hört das Rascheln der Bäume vor dem Haus und das leise Klatschen der Wellen des Bolsena-Sees und schläft ein.

Lea hat ihr ausgiebiges Bad im See genossen und kocht sich einen Kaffee. Es ist schon recht kühl geworden, zum Baden werden nicht mehr viele Tage bleiben. Die Milch fängt an zu schäumen, und Lea legt das kleine Stück Kuchen auf einen Teller. Die kleine Mariella bringt ihr jeden Morgen etwas mit vom Bäcker mit und hängt es an die Tür. Der dampfende Milchkaffee steht auf dem Tisch. Lea beißt genüßlich in den Kuchen, der Vanillepudding quillt heraus, Krapfen, würden man es in Deutschland nennen, überlegt sie. Sie leckt sich den Zucker von den Fingerspitzen und den Lippen ab. Jetzt nichts wie an die Arbeit.
Die Übersetzung der Bedienungsanleitung ist fertig. Am Nachmittag muß Lea nach Bolsena, alte römische Unterlagen durchsehen. Ich maile die Übersetzung Doro einfach rüber, dann spare ich mir den Weg, denkt sie, und öffnet ihr Netscape. Lea gibt ihr Password ein: etrusco. Zwei Posteingänge werden gemeldet. Lea freut sich.

geri@compuserve.de

-Wahnsinn-

Liebe kleine Schwester,
toll!!! DU und Internet, ich glaube es nicht, braucht man das jetzt für Senfpötte? Woher weißt DU überhaupt, was ein Pentium ist? Bist Du sicher, daß Du Dir nicht einen Kühlschrank hast andrehen lassen?
Bestimmt hattest Du Beistand von Doro, da wird es schon in Ordnung sein. Na ja, endlich bist Du auf den Geschmack gekommen. Hätte ich Dir damals nicht meinen alten 2.86 geschenkt, Du hättest es fertiggebracht, Deine Examensarbeit auf Deiner alten Reiseschreibmaschine zu tippen!
Fahre am Wochenende zu unseren alten Herrschaften und werde von Deiner technischen Neuheit berichten.
Meine Bewerbung bei der ESA läuft jetzt ins 3. Jahr, ich gebe nicht auf, irgendwann muß doch von den alten Knackern mal wer in Rente gehen!

Wünsche Dir viel Spaß beim Knochenscharren
Georg

Lea klickt auf Remail und schreibt:

Lieber Georg,
oder soll ich sagen Captain Kirk? Wenn Du in Saarbrücken bist, wirst Du sicher Mr. Spock treffen. Sag ihm, er soll mir endlich meinen dicken Pullover schicken, hatte ihn verliehen, nicht verschenkt! Hier wird es nämlich auch langsam kalt.
Gib Papsi und Momsi einen Kuß von mir!
Lea

Lea öffnet die zweite Mail

transitalo@xyro.it

Buon giorno
Ciao Lea,
Hast Du rote Augen vom Surfen heute Nacht? ;-)
Denk an meine Übersetzung, danke.

abbraccio
Doro

Lea klickt wieder Remail an und schreibt:

Hallo Doro,
hier mein erstes attachment: die Gnöppsche und der Herd!
Lea

Lea klickt attach und sucht die Datei "forno": anklicken, anhängen, die Datei lädt, fertig, absenden. Das ist wirklich einfach, denkt Lea und lehnt sich zurück. Jetzt ruft sie noch diverse Suchmaschinen auf und schaut, ob sie etwas Neues zum Thema Etrusker findet. Alle interessanten Dinge kopiert sie sich und legt sie im Schreibprogramm ab, lesen kann man es dann immer noch. Neugierig loggt sie sich bei "Für Acht" ein und schaut, ob Sven da ist. KleinerPrinz ist anwesend.

KleinerPrinz flüstert: na endlich, den ganzen vormittag habe ich nach dir ausschau gehalten
Flüster an KleinerPrinz: manche Leute arbeiten auch!
KleinerPrinz wechselt in den Raum Märchenschloß
KleinerPrinz lädt Sie in den Raum Märchenschloß ein, wenn Sie annehmen, geben Sie /a ein
Susele kommt in den Raum Märchenschloß herein
KleinerPrinz: hallo kleine meerjungfrau, schön dich zu sehen!
Susele: du siehst mich doch gar nicht!
> KleinerPrinz sieht Susele auf dem Stein hocken, wie sie sich die langen Haare kämmt. die langen locken fallen ihr sanft über schulter und brüste.
Susele: so lang sind sie nicht!
KleinerPrinz: um so besser, da sieht man mehr!
Susele: na hör mal!
KleinerPrinz: willst du genau wissen, wie ich aussehe? ich schicke dir ein foto per E-mail
Susele: ich habe aber keines!
KleinerPrinz: macht nichts, gib mir deine E-mail

Lea zögert, aber die Neugier siegt. Sie tippt.

Susele: LeaRiemsch@xyro.it
KleinerPrinz: ich will ja nicht aufdringlich sein, aber wenn ich deine telefonnummer hätte, würde ich dich einmal anrufen

Lea schluckt. Ist das zuviel? Bekommt er halt die Handynummer, die ist nicht wichtig.

Susele: 39-757-680567376 - ich muß jetzt aber noch etwas arbeiten, habe keine Zeit!
KleinerPrinz: sehen wir uns heute abend, so gegen 10?
Susele: mal sehn
KleinerPrinz: btw - ich warte

Lea schließt alle Anwendungen und stellt den Computer aus, da klingelt das Handy. Sie meldet sich

"Pronto!"
"Hier ist Sven, ist da Lea?"
"Ja ich bin es, ich gebe dir meine Nummer und du rufst sofort an! Damit habe ich ja nicht gerechnet!"
"Ich wollte einmal deine Stimme hören, nichts weiter."
"O.k., ich habe es wirklich eilig, Sven. Wir treffen uns heute abend im Chat, ja?"
"Ich werde da sein, worauf du dich verlassen kannst. Tschüs."
"Grüezi miternand!" lacht Lea und beendet das Telefonat.
Lea packt ihre Tasche und denkt, ein verrückter Typ, trotzdem irgendwie süß. Aber die
Stimme, knatternd und piepsig wie ein Knabe im Stimmbruch, dazu dieser Dialekt, einfach fürchterlich. "Ich bin ja gespannt wie das Foto aussieht. Leider kann ich es nicht einlesen, ich schicke es weiter zu Doro, die kann es im Photostyler öffnen." Nuschelt Lea vor sich hin.
Sie verläßt das Haus und öffnet ihren türkisen Clio. Heiße Luft strömt ihr entgegen. "Ist das heiß in der Kiste!" stöhnt Lea, kurbelt die Scheibe herunter und macht das Dachfenster auf. Die Sitze brennen auf ihrer Haut. Sie startet den Wagen und fährt Richtung Bolsena, ein Katzensprung.

Das Kalbsschnitzel brutzelt in der Pfanne, Lea gießt frischen Zitronensaft dazu, wendet das Fleisch kurz, legt es auf den Teller und gießt die Soße darüber. Brot und Salat stehen schon auf dem Tisch. Genüßlich verspeist sie ihr Abendessen und ist in Gedanken schon bei Sven. Gleich ist es 10 Uhr, ihr gemeinsamer Date. Zum Nachtisch gönnt sie sich noch ein paar Brandteigkugeln, eingelegt in Likör, gefüllt mit Vanillecreme, schwimmend in Schokoladensoße. La dolce vita, denkt Lea und schaltet den Computer an. Das Handy klingelt. Sven, denkt Lea. Aber es ist nur Doro. Während sie reden, öffnet Lea eine eingegangene E-mail:

SvenRendli@1578.una.ch

Das bin ich

Liebste Lea,
damit Du auch weißt, mit wem Du redest, hier ein Foto von mir. Ich freue mich wahnsinnig auf 10 Uhr.

Gruß
Sven

"Ich habe einen Prinzen in einem Märchen-Schloß gefunden", säuselt Lea und erzählt Doro von Sven und dem Foto.
"Kaum läßt man dich ins Internet, fängst du irgendwelche Liebschaften an!" hört sie Doro lachen. "Dann zelebriert mal heute ein nettes virtuelles Käsefondue bei virtuellem Kerzenschein", sagt sie. "Denk dran, wem das Brot von der Gabel fällt, der wird in den See getunkt! Paß bloß auf, daß der Käse nicht so die Tastatur verschmiert!"
"Du nimmst auch gar nichts ernst, nicht mal ein bißchen, was?" Lea ist enttäuscht.
"Nimm du es bloß nicht ernst, sieh die Chats als Joke, dann kann es witzig sein! Mail mir den Vogel einmal rüber, ich schau ihn mir an! Du brauchst bloß auf Forward zu drücken, meine Mailadresse eingeben, und ab geht die Post. Ich habe ein paar Dinge zum Übersetzen, komm doch morgen zum Frühstück vorbei, führe gerade Gespräche, vielleicht ist auch was für eine Messe in Padua drin."
"O.k. bis morgen früh, Doro!"

Lea schickt die Mail an Doro weiter und betritt den Chat, KleinerPrinz wartet schon in seinem Schloß, so daß Lea gleich weitergeht und das Märchenschloß betritt.
Susele: guten abend Sven
KleinerPrinz: nabend kleine meerjungfrau
Susele: danke für die mail mit dem foto
KleinerPrinz: das ist in meinem zimmer, vor meinem schreibtisch, ein bißchen dürre bin ich ja, aber nicht häßlich, oder?

Was tippe ich ihm, denkt Lea, ich kann ihm doch nicht sagen, hab's zu Doro geschickt und schaue es mir morgen an!

Susele: ganz nett, ja, aber ich sag mir, lieber zu dünn, als zu fett, da bekommst du nicht so schnell einen herzinfarkt
KleinerPrinz: hast du recht, aber ich hab probleme beim duschen, muß von strahl zu strahl springen, damit ich naß werde ;-))
Susele: das stelle ich mir lustig vor. was hast du heute gemacht?
KleinerPrinz: gelernt wie blöd, mache zur zeit nix anderes.
Susele: der streß vorm abschluß, ich weiß, mist, aber bald hast du es hinter dir.
KleinerPrinz: schickst du mir auch ein foto, Lea?
Susele: hab doch gesagt, habe keinen scanner, auch kein neues foto.
KleinerPrinz: schade, ich würde dich gerne sehen und anfassen....
Susele: hey! pfoten weg!
KleinerPrinz: laß mich dein gesicht streicheln und dein haar riechen

Lea lacht laut und denkt: Was soll das jetzt, ist der übergeschnappt? Sie holt sich ein Glas Rotwein.

Susele: die haare riechen extrem nach fritte, noch vom essen
KleinerPrinz: sei doch nicht so unerotisch
Susele: was findest du denn erotisch?
KleinerPrinz: strapse, schwarze unterwäsche, leder
Susele: damit kann ich nicht dienen
KleinerPrinz: was trägst du so?
Susele: jeans, tennissocken, T-shirts, pullover, nie kleider und röcke

So, da hast du's, denkt Lea, irgendwie gefällt ihr das heutige Gespräch nicht so recht.

KleinerPrinz: minis, mit schlitzen, würden dir gut stehen!

Wenn du wüßtest, das bei meinen Oberschenkeln, grinst Lea.

Susele: was trägst du, schottenröcke, ganz erotisch? *g*
KleinerPrinz: na klar, kannst ja mal drunterfassen! nein ich trage auch jeans. was für unterwäsche trägst du?

"Auch das noch," stöhnt Lea, "na warte!"

Susele: weiße baumwollene, schön groß und bequem, das ist gesund, im winter lange unterhosen, das ist warm
KleinerPrinz: ich sehe deine brüste unter dem hemdchen knospen...

"Mann, ist der blöd!" schreit Lea. "Was soll das?"

Susele: können wir uns auch normal unterhalten?
KleinerPrinz: bist du etwas prüde?
Susele: überhaupt nicht, ich hatte mir das gespräch aber allerdings anders vorgestellt!!!!!!!! :-((
KleinerPrinz: o.k. also, was interessiert dich?
Susele: geschichte, kunst z.b. oder musik, alles mögliche..... magst du malerei?
KleinerPrinz: ja, sehr, aber bitte keine alten schinken!
Susele: was heißt das, ab wann, welches jahrhundert? wer z.b.?
KleinerPrinz: die modernen, ab der jahrhundertwende, gern mag ich Otto Dix!
Susele: den gerade mag ich nicht, was gefällt dir bloß an dem?
KleinerPrinz: weiber, nutten, titten, fotzen...
Susele: ich hatte einen anstrengenden tag, ich geh jetzt schlafen

Lea lügt, ihr reicht es jetzt mit dem Typen, der hat ja echt nicht alle Tassen im Schrank!

KleinerPrinz: hab ich dich verletzt? bitte geh noch nicht, ich wollte dich nur provozieren.
Susele: ich bin wirklich müde, und ich finde es echt beknackt, wie du mit mir redest!

> KleinerPrinz entschuldigt sich und nimmt Lea in den arm, ich hab´s nicht so gemeint
Susele: ich mag so etwas überhaupt nicht
> KleinerPrinz streichelt Lea überall ganz sanft und schiebt seine hand in ihr höschen

Lea reicht es jetzt, sie ist wütend und möchte Sven am liebsten anschreien! Aber das geht ja nicht wirklich, Sie möchte ihm eine Ohrfeige hauen, nein zwei sogar. Lea weiß nicht, wie sie ihre Wut am Computer auslassen soll.

KleinerPrinz: Lea, wieviel Finger gehen in dein Loch?

Lea klatscht eine Hand auf den Bildschirm und schreit "Du Arschloch, du verdammtes!" Sie geht auf 'Chat verlassen' und macht den Computer aus. Das Telefon klingelt. Das ist Sven, denkt Lea und schaltet den Apparat aus. "Dieser Spinner!" schimpft sie, "Dem habe ich meine Telefonnummer und meine Mail-Adresse gegeben, ich Idiot! Worauf habe ich mich da eingelassen?". Leas Interesse am Chatten ist fürs erste gesättigt. Sie zieht sich aus, legt sich ins Bett und schaut die Aufzeichnungen und Fotokopien durch, die sie am Nachmittag gemacht hatte. Sie kann sich vor lauter Wut nicht konzentrieren. Es war sowieso nichts Wichtiges. Lea setzt sich vor den Fernseher, der Film läuft an ihrem Bewußtsein vorbei. Irgendwann schreckt sie auf. Der Film ist zu Ende. Um was ging es, denkt sie und geht ins Bett. Jetzt ist sie etwas beruhigter und schläft ein.

Am nächsten Morgen geht Lea nach ihrem Bad im See die Straße hoch bis zum Marktplatz. Die Hausfrauen sind schon alle unterwegs, um den Einkauf für das Mittagessen zu tätigen. Wie in Trance schleicht Lea durch die Gassen und denkt noch einmal über den letzten Abend nach. Plötzlich steht sie vor Doros taubenblauer Holztür. Der goldene Löwe mit dem Ring durch die Nase grinst sie an, als ob er wüßte, was ihr durch den Kopf geht. Sie greift nach dem Ring und klopft an die Tür. Doro öffnet mit einem verschmitzten Lächeln, "Na Kleines, möchtest du deinen Prinzen anschauen?"
"Ich weiß gar nicht, ob mich noch interessiert, wie er überhaupt aussieht!"
"Na, na, was ist denn passiert, Beziehungsstreit?" Doro lacht. Beim Frühstück erzählt ihr Lea vom letzten Abend.
"Mach dir nichts daraus, solche Riesenarschlöcher gibt es genug im Chat", seufzt Doro. "Ich finde, GeilerHengst paßte viel besser zu ihm. Komm, jetzt schauen wir uns das Monster auf dem Bildschirm an!" Doro lädt das Foto und beide Frauen prusten gleichzeitig los.
"Prinz Eisenherz", meint Lea, "aber einer mit unheimlich vielen Pickeln. Wir sollten ihm die Homepage-Adresse von Clerasil zumailen!"
"Ich finde, er hat was von Pinocchio, diese Riesennase und das schmale Gesicht, die Haare, wie kann man so einen Haarschnitt tragen! Ich denke, er hat für den Holzkasper Modell gestanden!" lacht Doro. "Schau mal das Hemd, sehr modebewußt!" feixt Doro. "Hat er das von Opa geerbt?"
"Die gibt es bei Woolworth!" meint Lea. "Und diese Möbel, nein", flüstert sie mit traurigem Blick, "hätte ich ihn nett gefunden, wäre ich jetzt schockiert. Der ganze Bursche konservativ und vermufft, genau wie seine Eichenmöbel. Durch und durch voll von Komplexen, die er im Chat tanzen läßt!"

Lea geht zur Toilette. Ihr Handy, das auf dem Küchentisch liegt, klingelt. Doro meldet sich: "Pronto!"
"Lea, hier ist Sven, nicht auflegen, ich mag dich so!"
"Moment", meint Doro, "mein Name ist Dorothea Allighari, wen möchten Sie sprechen?"
"Oh Entschuldigung, ich dachte Lea wäre am Apparat, ist sie in der Nähe?"
"Wieso sollte Lea am Apparat sein, sie ist beim Baden, mit ihrer Mutter." Dem gebe ich's, lacht Doro in sich hinein.
"Ist das nicht Leas Telefon?"
Doro lacht. "Leas Telefon, da müssen Sie etwas verwechseln, es ist mein Apparat, woher kennen Sie das Kind überhaupt?"
"Das Kind?" Die Stimme von Sven wird leiser und zitternder. "Ich kenne sie aus dem Internet, aus einem Chat."
Doro muß sich zusammenreißen, um nicht loszubrüllen, "Da wird sie Ihnen einen Streich gespielt haben. Lea ist meine Nichte, die zu Besuch ist, sie ist 12. Hat sie Sie irgendwie belästigt?"
"Nein, nein, bestimmt nicht, also Ihre Nichte, so, so." Sven ist sprachlos.

Lea kommt gerade die Treppe herunter, und Doro hält den Zeigefinger auf die Lippen. Was geht hier vor, an meinem Telefon, denkt Lea.
"Ich werde mir Lea mal vorknöpfen, wenn sie nach Hause kommt. Wissen Sie, sie war die letzten Tage abends allein zu Hause, aber daß sie solchen Blödsinn macht!" Doro grinst. Langsam versteht Lea, Sven scheint in der Leitung zu sein.
"Nein, nein!", stottert Sven. "Wir haben uns nett unterhalten, schimpfen Sie nicht mit ihr, sie ist ein nettes Mädchen." Sven legt auf.
Doro läßt sich unter schallendem Gelächter auf die Couch fallen. "Nein ist der behämmert!" brüllt sie. "Der ruft dich nie wieder an und schickt auch keine Mail!"
"Was verdammt hast du gesagt, Doro?" will Lea wissen. Doro hat Tränen in den Augen und holt Luft. Sie berichtet Lea von dem Gespräch.
Beide lachen zusammen, aber Lea meint: "War es nicht ein wenig arg, was du für ein Spiel mit ihm getrieben hast?"
"Sag bloß, du hast mit Pickel-Pinocchio auch noch Mitleid? Wie er dir, so ich ihm, Gleichstand!"
"Eigentlich hast du recht, Doro, er hat es schon verdient, ich hätte so was Freches nicht gekonnt. Du bist immer so.... schlagfertig!"
"Abgewichst, wolltest du sagen, nicht wahr?" grinst Doro. "Davon fehlt dir noch ein Schlag, sei nicht immer so nett zu den Leuten, die sind es auch nicht immer zu dir!" Doro holt zwei Gläser mit Eis, gießt Campari darüber und fragt: "Wasser oder Orange?"
"Wasser bitte", antwortet Lea. "Deine Nonchalance, die hätte ich in manchen Situationen gern!"
Doro füllt auf und meint, "Sei nicht so freigiebig mit Deinen Daten! - Cincin!"

(1997)