Ulli Oberkofler
Die Hexe/Uhura 3

Uhura Message 3

1998
Es war einmal eine Hexe. Diese war voller Zorn. In ihrer Bosheit brütete sie und dachte sich etwas aus, wie sie dieser Bosheit und diesem Zorn gerecht werden könnte. Also mischte sie eine Brühe, die eine so grausige, tiefgrüne Farbe hatte, daß sie lachte, laut lachte, weil ihr das eine so große Befriedigung war, diesen Saft zu brauen.
Es schäumte, zischte und brodelte so grausig, und um ihrem Trank noch mehr Stärke zu verleihen, tanzte sie darum herum, schnitt die grausigsten Grimassen, und ihr grünes Haar loderte. Ihre schwarzen großen Augen loderten ebenfalls, und die Freude über ihren gemischten grausigen Trank sprudelte ihr aus den Augen.
Ihr Körper wölbte und reckte sich, und all ihre Tiere freuten sich mit ihr. Sie zischten und miauten und machten Krach. In ihrem Haus polterte es, und ihre Freunde, die anderen Weiber und Hexen, wußten Bescheid und vereinten sich mit ihr in ihrer Bosheit.
In diesen Trank mischte sie schwarze Oliven, blau-violette Malven und dunkelgrüne Algen und böse Träume, Blitze, Donner, Hagel und Feuer, und sie schrie aus sich heraus, und es blitzte, und alle hatten Angst vor ihr, vor diesem Zorn und dieser riesigen Wut, die aus ihr ausbrach.
All die Hexen vereinten sich in Gedanken mit ihr, denn es ging eine große Kraft von dieser Wut aus, die sie alle brauchten für den Kampf gegen die Wutlosen und die Zornlosen, gegen die Traurigkeit und die Ohnmacht, für den Reichtum, und sie war imstande, alle mit dieser Energie auszufüllen. Trotzdem fürchteten sie sie alle in diesem Moment und ließen sie allein mit ihrem Zorn. Im richtigen Augenblick würde sie sie rufen, und dann würden sie kommen.
Die Hexe schlug Holz, daß es durch den ganzen Wald barst und krachte. Das Pech mischte sie ebenso in den Zaubertrank. Selbst ihr Geliebter fürchtete sie in diesem Moment, denn er wußte um ihre Gefährlichkeit. Die Hexe und Wahrsagerin war voller Wut. Sie tanzte um das Feuer und schrie die Verlogenheit heraus, die sie haßte und manchmal selbst anwandte.
In diesem Moment hatte sie einen Verbündeten, einen ebenso bösen, giftigen, vor Wut zitternden Kobold. Die beiden mußten sich nur in die Augen schauen und erkannten ihre Wut, ihren Zorn, mit dem sie Berge versetzen konnten.
Sie brauten an dem Trank, und jeder wußte, was es noch brauchte. Gemeinsam machten sie ihn perfekt. Aber die Hauptakteurin blieb die Hexe. Sie allein kannte die Grenzenlosigkeit des Geheimnisses, das der Trank in sich barg. Es war die Tiefe der Wälder, das Schwarz des Pechs, das Grün der Algen, das Rot des Feuers, das ihn zu dem machte, was er war. Es war also nicht nur ein Trank, sondern es war ein Kunstwerk, das die innerste Seele der Hexe widerspiegelte.
Weiters war es das Dunkelviolett der Malven, das Schwarz der Oliven. In diesen Dingen loderte eine Kraft, um die nur sie Bescheid wußte. Sie konnte in die Tiefe aller Seelen schauen und wußte, was den Teufel zum Teufel machte, den Mond zum Mond und die finstere Nacht zur finsteren Nacht. Den Wald in der tiefsten und dunkelsten Nacht wußte sie zu ergründen, und durch das Brauen des Trankes vereinte sie alles in sich selbst. Es gehörte ihr. Sie wußte um diese Geheimnisse und tanzte und schrie sie heraus, verbündete sich mit ihren Verbündeten, die das Geheimnis ahnten, und zischte und schrie durch den Wald.
Nach dem Tanz um das Feuer holte sie ihr schwarzes Pferd aus dem Stall, das - wie man so schön sagt - der "Teufel ritt". Aber in diesem Moment fürchtete sie niemand und nichts, und bevor sie zu ihrem Treffen mußte, ritt sie in einem solchen Tempo lachend und schreiend durch den Wald, daß alle Wesen im Wald zitterten vor Angst und Schrecken. Mit dem Pferd fühlte sie sich eins, dort war der einzige Ort, wo sie sich jetzt richtig wohl fühlte, und alles andere war ihr im Moment egal. Das Reiten bereitete ihr großes Vergnügen, sie spürte den Wald, die Luft, sie spürte ihren Körper, sie spürte die Bäume, die Gräser, die Bäche, ihre Kühle und Frische. Sie roch alles und es entging ihr nichts, und der Wind blies ihre Haare nach hinten. Felsengerade saß sie auf dem Pferd und genoß dieses Gefühl.
Was war es aber nun, was sie in diese grenzenlose Wut versetzte? Wer war es, der sie in einen solchen Zorn brachte, daß sie vor Wut sprühte?
Es waren der König und die Königin, die über das Land herrschten und wirklich glaubten, es zu besitzen. Aber niemand auf der Welt konnte den Wald, den tiefen grünen Wald besitzen. Er kann niemals jemandem gehören, und die Geheimnisse, die ihn umschmeicheln, die kann man nicht besitzen. Das ärgerte die Hexe, denn natürlich wußte sie das. Und sie ärgerte sich ins Bodenlose, weil der König und die Königin immer wieder glaubten, sie könnten sie besitzen und besiegen und sie auf ihre Art einsperren. Aber sie ließ sich von niemandem einsperren, und sie ließ sich schon gar nicht besitzen.
Der König und die Königin besaßen auch Macht, und diese war es, die die Hexe so in Wut versetzte. Es war die Macht des Stolzes und der Gier, die sie besaßen und mit der sie versuchten die Hexe zu fangen. Die Ordnung und die Regelung des ganzen Lebens, mit der sie sie lockten. Dieser Ruf konnte die Hexe verführen, deshalb rüstete sie sich zum Kampf und wappnete sich mit Zorn. Das verlieh ihr Kraft, die sie brauchte im Kampf gegen den König und die Königin.
Nach ihrem Teufelsritt nahm sie sich zusammen und konzentrierte sich auf ihre Energie und ihre Macht. Sie tankte all ihre Talismane noch einmal mit Kraft auf und tauchte sie zu diesem Zweck in den grausig brodelnden Zaubertrank. Darunter war ein dunkelgrüner Stein, den sie an ihrem Körper trug und den sie von ihrer Meisterin bekommen hatte. Ihren Ring, der ihre Zeichen trug, tauchte sie ebenfalls ein, um ihm Kraft zu verleihen. Am Hals trug sie noch einen Stein, den sie von ihrem Geliebten bekommen hatte und der die Liebe symbolisierte und ihr die wahre Kraft der Liebe verlieh.
Sie machte sich zurecht, trank von dem Zaubertrank und stieg in ihre Kutsche. Gleich war es fünf, und sie mußte pünktlich beim König erscheinen. Während der Fahrt zum Schloß wurde ihre Angst immer größer, denn ein bißchen Angst hatte sie schon. Aber sie fühlte sich stark und gewappnet mit ihren Talismanen, und sie wußte, sie konnte siegen.
Als sie ans Schloß kam, stand dort ein Wärter, der sie gleich erkannte und sie passieren ließ. Es reichte, daß sie ihn mit ihren großen blitzenden, vor Feuer sprühenden Augen anstarrte, und er mußte sie passieren lassen. Voll Bewunderung und Verwunderung, mit geöffnetem Mund, blickte er ihr nach. Sie fürchtend aber zugleich bewundernd.
Ihren Zaubertrank, das Giftgemisch, hatte sie natürlich mitgebracht, und mit ihm verhielt es sich so: nur sie erkannte und spürte seine Wildheit, und ihr verlieh er Stärke und Macht. Andere, die ihn tranken, wurden von ihm geschwächt, weil sie seine Stärke und Schönheit nicht anerkannten. Nicht einmal die Hexe konnte ihn beliebig einsetzen, sondern mußte den richtigen Moment abwarten. Auch die Kraft ihres Verbündeten, jene des grünen, giftigen Kobolds, die sie spürte und die sie durch ihr grün schimmerndes Haar mit sich trug, konnte sie nicht beliebig als Waffe benutzen, sie mußte den richtigen Moment abwarten.
So verhielt es sich mit ihrer Kraft und ihrer Stärke, sie war nicht wie die Macht der anderen, unabhängig von der Persönlichkeit eines Menschen und beliebig einsetzbar, sondern sie hingen fest an ihrer Person.
Heute ging es also darum, daß die Hexe ins Schloß ziehen und dort leben sollte, weggerissen von ihren geliebten Tieren, weggerissen von ihrer Phantasie. Damit würde sie auch ihrer Kunst beraubt werden. Ziel des Königs war es immer wieder, sie zu schwächen. In seinen Augen verkörperte sie die dunkle Seite seines Reiches.
Stolz schritt die Hexe durch die Gänge des Schlosses. Ein schöner, weißer Hund, er hatte schwarze Punkte in seinem Fell, begleitete sie, zum Mißfallen des Königs. Er war an keine Leine gebunden, und die Königin hatte Angst vor Hunden.
Wild und aufrecht stand sie vor dem Zimmer der Königin und des Königs. Stille herrschte, und es war, als ob es jeden Moment ein großes Gewitter geben würde, als ob es um Leben oder Tod ginge. Alle im Land wußten von dem Treffen der großen Hexe, Wahrsagerin und Heilerin mit dem König, und niemand wußte, wen von beiden sie mehr achten sollten. Oder sollten sie sie am Ende beide hassen?
Die Hexe trat ein. In diesem Moment öffnete sich das Fenster, und ein eisiger Windhauch durchflutete den Raum und brachte alles durcheinander. Jegliche vorgefaßte Konvention wurde vom Wind weggefegt, und die wahren Personen standen sich gegenüber. Sie blickten sich in die Augen und versuchten aus ihnen zu lesen. Die des Königs waren vollblau. Die der Hexe leuchteten jetzt dunkelgrün. Während die Hexe dem König in die Augen blickte, spürte sie ihre Talismane und die Kraft, die von ihnen ausging. Sie trug noch ein kleines Kreuz um ihren Hals, das jetzt kurz aufglänzte, der König blickte einen Moment darauf und wich so dem Blickkontakt mit ihr aus.
Beide spürten sie den anderen, der König spürte die Kraft und Schönheit, die von der Hexe ausgingen. Einen Moment sah er ihr Haar auflodern, und er erkannte einen winzigen Teil ihrer Stärke. Er ahnte von ihrem Ritt durch den Wald, und schlagartig schoß es ihm durch den Kopf: diese Frau will ich besitzen, sie soll mir gehören, wie alles mir gehört, was ich haben will.
Auch die Hexe wurde sich schlagartig bewußt: es beginnt. Sie erkannte, daß er es bereits geschafft hatte, einen kleinen Einblick in ihr Wesen zu erhaschen, und war dadurch ein klein wenig aus den Fugen geraten. Er hatte ihr mit seinem Blick schmeicheln wollen. Dagegen hatte sie sich gewappnet, denn sie wußte, daß auch die Fliege von der Spinne, bevor sie ins Netz ging, umschmeichelt wurde.
Blitzschnell griff sie nach dem Talisman in ihrer Tasche und ließ sich von seiner Kraft durchströmen. In ihrem Inneren loderte einen Moment der Zorn auf, bevor sie sich wieder beherrschte, um nach den Regeln des Königs zu sprechen. Wo sie herkam, in ihrer Welt, war Zorn eine Kraft, etwas Wertvolles, das ein Element des Menschen ausmachte und das, wenn es in Gleichgewicht mit den anderen Mächten eingesetzt wurde, Kraft bedeuten konnte.
In der Sprache des Königs bedeutete es Schwäche. Lange hatte sie das nicht erkannt und war dieser Regel oft zum Opfer gefallen. Nun beherrschte sie sich und stand ruhig da. Ihr Hund saß, in seine Herrin vertrauend, ruhig neben ihr.
Nun stand der König auf. Die Königin saß immer noch da und betrachtete ihre Fingernägel, nur ab und zu warf sie einen abschätzigen Blick auf die Hexe. Der König begann sich im Raum zu bewegen, er schritt hinter die Hexe, und ganz langsam umkreiste er sie mit seinen Schritten.
Die Hexe spürte seinen bohrenden Blick in ihrem Rücken, aber er ließ sie kalt, denn sie war sich ihrer Sache nun wieder völlig sicher. Sie hatte ihren Hund neben sich. Er flößte ihr Vertrauen und Ruhe ein, aber sie wollte sich nicht vom König umkreisen lassen. Ihre Hündin Leika spürte das, denn sie stand auf und ging zum Fenster, das vom Sturm geöffnet war. Sofort schritt die Hexe ihrer Hündin nach, und auch sie fühlte sich, durch das geöffnete Fenster, dort sicherer. Hier war sie in Verbindung mit ihren Kräften und ihrer Macht. Dies war so automatisch und selbstverständlich passiert, daß die Königin nicht einmal von ihren Nägeln aufblickte. Der König hatte es allerdings instinktiv geahnt, daß sich etwas verschoben hatte. Nur verstand er nicht, warum es die Hexe zum Fenster zog.
Die Hexe lehnte nun, die Ellbögen auf das Fenstersims gestützt, da. Sie wartete ab, was kommen würde. Nun richtete der König an sie das Wort. Er rieb sich die Hände, als ob er einen Plan aushecken würde. Sie sollte ins Schloß kommen, meinte er. Insgeheim rechnete er sich aus, wie hoch er in der Achtung bei seinen Freunden, den anderen Königen, steigen würde, wenn er diese Frau bändigen, zähmen und sie, sozusagen als Attraktion für sie, in seinem Schloß beherbergen würde. Sie würde dann keine Gefahr mehr für ihn darstellen. Er könnte ohne Vorbehalt auf die Jagd gehen, ohne daß sie irgendetwas ausheckte, damit er garantiert vom Pferd geschmissen würde, was ihm in der Vergangenheit oft passiert war. Immer wenn er geglaubt hatte, etwas besonders Schönes zu schießen, womit er seine Trophäensammlung vervollständigen könnte, war irgendetwas dazwischen gekommen. Am Anfang dachte er sich nichts dabei, aber je öfters es passierte, desto sicherer war er, daß sie dahintersteckte.
Einmal hatten seine Hunde nur mit größter Mühe eine Wildschweinfamilie aufgespürt. Schußbereit saß der König auf seinem Pferd, nur noch wenige Augenblicke trennten ihn von dem Abschuß, und er würde siegreich nach Hause kehren. Der spannende Augenblick vor dem Abschuß war jenem ähnlich, als die Hexe das Zimmer in seinem Schloß betreten hatte. Er war voller Spannung, und der König glaubte seinen Sieg bereits in der Tasche zu haben, aber dann kam ihm die Hexe dazwischen. Ihre Angriffe kamen plötzlich und überraschend und wendeten die Ereignisse in eine andere, unvorhersehbare Richtung.
An jenem Tag, als er schußbereit auf seinem Pferd saß, flogen ganz plötzlich, kurz vor dem Schuß, zwei kohlschwarze Raben in die Luft und krähten so laut, daß alle aufschreckten, und für einen Moment geriet alles durcheinander. Das Pferd des Königs und die seiner Begleitung scheuten auf, und sie fragten sich, was eigenlich geschehen war. Niemand war darauf gefaßt, am wenigsten der König selbst. Sein Pferd bäumte sich auf, als ob ihm der Teufel selbst durch den Leib gefahren wäre, und da er die Zügel losgelassen hatte, um zu schießen, hatte er sein Pferd nicht mehr unter Kontrolle. Es war ein gut zugerittenes Tier und gehorchte seinem Reiter, dem König, bedingungslos, aber jetzt konnte es nicht mehr gehalten werden, nicht einmal vom König selbst.
Das Gewehr flog ihm aus den Armen, und das Pferd schoß mit ihm durch den dichten Wald, daß ihm die Äste ins Gesicht schnitten. Seine Begleitung konnte nichts unternehmen, denn als sie aufsahen, war das Pferd des Königs schon auf und davon. Die Jagdhunde bellten wie verrückt. Sie wußten nicht, wen sie jetzt jagen sollten, den König oder die Wildschweine. Sie entschlossen sich dann aber doch, hinter dem König herzulaufen.
Der König war nun voller Angst, seine Leute nicht mehr um sich wissend. Schlimmer war für ihn, daß er nicht wußte, was eigentlich passiert war, und deshalb war er immer noch unfähig zu reagieren. Langsam faßte er sich aber wieder. Trotzdem stürmte sein Pferd immer noch wie wild mit ihm durch den Wald. Nun begriff er langsam, wo das Pferd mit ihm hinwollte. Es stürzte geradewegs auf den nahegelegenen Schwarzen Tümpel zu, und kaum hatte er das zu Ende gedacht, hatte das Pferd ihn auch schon erreicht, bäumte sich ein letztes Mal auf, und der König, der jetzt wieder wie gelähmt war, da er das kaum Gedachte schon vor sich sah, landete mit dem Gesicht zuerst im Schwarzen Tümpel: "FLOTSCH" - machte es, und er war weich und sicher gelandet.
Wie wußte er aber, daß die Hexe hinter allem steckte? Als er sich aufsetzte, vernahm er ein lautes, vor Vergnügen kreischendes Gelächter, und für einen Moment glaubte er, ihr von der Sonne grün loderndes Haar im Wald vorbeiflitzen gesehen zu haben. Er war sich nicht sicher, ob sie es wirklich gewesen war. Eine innere Stimme verriet ihm aber, daß die Zaubererin hinter dem Überfall steckte.
Langsam erreichte ihn seine Jagdgesellschaft. Zuerst hatten die Hunde den Ort erreicht. Sie bellten den König, der vor Schlamm triefte, wie verrückt an. So ein schwarzes menschliches Wesen hatten sie zuvor noch nie gesehen.
Der König, sich seiner Lächerlichkeit und Schande bewußt werdend, wurde rot vor Zorn, was man natürlich nicht sehen, sondern nur ahnen konnte, weil er voll schwarzem, triefendem Schlamm war. Der zornige König schrie jetzt wild um sich und verfluchte sein Pferd, seine Hunde, seine Gefolgschaft und überhaupt diese ganze mißlungene Jagd.
Er stapfte aus dem Teich, schrie den ersten seiner Leute an, dieser solle ihm sofort sein Pferd überlassen, und ritt in seinem Zorn so schnell wie möglich zum Haus der Hexe, um sie zur Rede zu stellen, er war jetzt sogar bereit, sie umzubringen. Er hatte das tiefe Bedürfnis, sich an ihr zu rächen.
Aber sie war so nicht verwundbar. Der König konnte ihr in seinem Zorn nicht das Geringste anhaben. Er gab sich so nur der Lächerlichkeit preis. Vor ihrem Haus wurde er von Leika nicht hereingelassen, auch sie hatte Mühe zu erkennen, wer diese Gestalt war, sie fürchtete sich zwar nicht, denn es hatten schon viel schwärzere Gestalten das Haus der Herrin besucht, aber so einen zornig Trampelnden ließ sie auf keinen Fall weiter Zutritt zum Haus erlangen.
Die Hexe wunderte sich nicht, sie ahnte schon lange, welch unerwarteter Besuch sich da ankündigte. Nachdem der König kurz vor dem Platzen war, öffnete sie ihm. Sie trug ein langes blaues Kleid, am Ende der Ärmel und am Saum waren Sterne und der Mond aufgezeichnet. Ihre Haare waren jetzt pechschwarz, sie veränderten sich je nach Stimmung grün, schwarz oder orange. Dies geschah ohne ihr Wissen. Geistesabwesend öffnete sie ihm, denn sie nahm ihn so nicht ernst und fürchtete ihn auch nicht.
Er schrie sie an: "Du Hexe, du Weibsbild, du Zauberin, du bist vom Teufel besessen, dir werde ich alles heimzahlen. Du haust hier wild in diesem verwachsenen Haus und glaubst, daß du alles besitzen und beherrschen kannst. Aber ich bin der König. Ich allein habe die Macht. Hast du das noch nicht begriffen?" Daraufhin schaute ihn die Hexe von oben bis unten an. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Der König wurde sich so seines Aussehens wieder bewußt. Er begriff, daß er gegen die Hexe nichts auszurichten vermochte, und schritt, immer noch mit rotem Kopf, den man nicht sehen konnte, davon.
Wie es die Hexe angestellt hatte, daß die zwei schwarzen Vögel genau im richtigen Moment aufgeflogen, gekräht und gekrächzt hatten, das wußte der König nicht, und das blieb auch ihr Geheimnis. Sie hatte viele Geheimnisse, die der Herrscher nicht zu ergründen vermochte, und wofür sie von ihm als Hexe abgestempelt wurde. Er mußte aber gestehen, daß es ihr immer im richtigen Moment gelang, ihn aus den Fugen zu bringen. Dies war natürlich nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, daß die Hexe dem König einen Strich durch die Rechnung machte. Die Liste der Kämpfe, die sie sich geliefert hatten, wurde immer länger, bis an jenem Punkt, wo die Hexe zum König gerufen wurde. Jetzt mußte entschieden werden, wie es weitergehen sollte.
Sich diese Dinge in Erinnerung rufend, standen sie beide im Schloß des Königs. Die Hexe sagte nichts, sie überließ den Anfang dem König, schließlich war er es, der sie zu sich gerufen hatte. Immer noch starrte er sie an. Abwechselnd blickte er auf seine Schuhe und dann wieder zu ihr hin. Die Hexe hielt seinem Blick stand. Sie stand felsengerade da, sich vor nichts fürchtend. Nun begann der König seine Rede:
"Liebe Hexe, wir haben uns in der Vergangenheit nur bekämpft, du weißt, daß ich dich immer geschätzt habe und dich und deine Person anerkenne, aber du mußt einsehen, daß du sehr ungewöhnlich lebst. Diese Einsiedelei möchte ich für dich beenden. Du sollst es hier im Schloß viel besser haben als in dem alten Haus mit dem verwilderten Garten, wo ringsum nichts als der gefährliche Wald ist. Was machst du, wenn du einmal krank werden solltest? Du hast niemanden, der dich pflegt und der dir helfend zur Seite steht. Also, ich bitte dich, nein, ich sage es dir zum letzten Mal, komm her in das dich behütende Schloß. Es soll dir an nichts fehlen."
Die Hexe traute ihren Ohren nicht, es war immer dasselbe, nie und nimmer würde sie sich auf das Angebot des Königs einlassen, und ihre erste Reaktion war jene, einfach zur Tür hinauszugehen, um diesen Worten die Leere entgegenzuschleudern. Aber sie würde dem König damit wieder Zündstoff liefern, und das wollte sie auf keinen Fall, also antwortete sie diesem König, den sie nicht einmal mehr verachten konnte. Er war ihr gleichgültig. Sie hatte im Gegenteil schon wieder Lust bekommen, ihm einen Streich zu spielen.
Er ahnte nichts von ihrem Leben und dem Reichtum, den sie in ihrem Haus empfand. Sie stand da, und allein wie sie dastand drückte aus, was der König nicht wußte. Ihr Haar leuchtete jetzt grün. Denn immer, wenn sie etwas nicht aufgeben wollte und für etwas kämpfte, leuchtete es grün. Es war eine dunkle grüne Farbe, und allein daran erkannte man das Reich, aus dem sie kam, es war der Wald, und die Welt der Farben, die sich je nach Sonneneinstrahlung veränderten. Ihre Kleidung, ihr Haar und ihre Augen veränderten sich ständig je nachdem, wie es in ihr aussah. Diese Wandlung war unendlich und kannte kein Ende und keinen Anfang. Sie war jedesmal einmalig und enthielt eine Vielfalt an Änderungen und Verwandlungen, an immer wieder für Überraschung sorgender Schönheit und Großartigkeit. Sie brauchte nichts dazu beizutragen, denn sie wußte es einfach immer, wann der richtige Zeitpunkt für etwas gekommen war. So wie sie die Sonne und die Wandlungen des Mondes spürte. Sie ahnte gleichzeitig die Unendlichkeit des Waldes und des Himmels, die sie umgaben.
Jetzt wußte sie mit einem Mal auch, daß ihr der König und die Königin nichts anhaben konnten. Sie würde sich nicht von Gier, von Macht, von Angst besiegen lassen. Sie, die Hexe, war die Zauberin dieses Waldes. Sie ließ sich nicht einschränken und nicht einsperren.
Sie beschloß, die gleichen schmeichelnden Worte des Königs zu wiederholen. Sie wußte aber, daß es ihm nicht um sie ging, sondern nur darum, sie einzusperren, sie zu besitzen, sie um den Reichtum zu bringen, den sie besaß und von dem der König wohl etwas ahnte. Er wußte aber nicht, um welche Kraft es sich dabei handelte. Er wußte nur, daß es um seine Macht ging und daß die Gefahr dafür ihm gegenüber stand.
Sie wollte ihn aber nicht in dem Sinn besiegen, wie man jemanden im Zweifkampf besiegt oder in einem Krieg. Sie wollte einfach sie selber sein ohne sich aufzugeben. Sie wollte versuchen sich durchzusetzen. Was riet ihr ihr Herz, was sollte sie jetzt tun, was sollte sie dem König sagen?
Sie begegnete seinem Blick und wich ihm nicht aus. Sie hatte keine Angst mehr vor ihm. Ihm lief es kalt über den Rücken, als sie ihn anstarrte, oder starrte sie einfach durch ihn hindurch, ohne daß er es merkte?
Die Hexe begriff, daß Schweigen nicht die Lösung war und daß der König nie verstehen würde, was in ihr vorging. Also mußte sie handeln, sofort handeln. Sie sagte es dem König zuallererst geradewegs ins Gesicht: nein ich lasse mich nicht einsperren, auch nicht vom König.
Der König konnte das nicht verstehen, er wiederholte seine Rede wieder und wieder. So ging es zwischen den beiden die ganze Zeit hin und her, keiner wollte nachgeben, und die Hexe begriff, daß sie so nichts erreichte, sie mußte dem König anders begegnen. Sollte sie ihm etwas von ihrer Macht demonstrieren?
Kaum hatte sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, erhob sich Leika, als ob gleich etwas passieren würde. Und tatsächlich kamen auf einmal ihre ganzen Freunde und Tiere zur Tür herein und überwältigten so den König. Sie tanzten und sangen wie wild und durchbrachen so die Stille und den kämpferischen Atem. Plötzlich war der Raum erfüllt von Lebendigkeit und Leben, und die Hexe war stolz auf ihre Freunde und liebte sie alle noch mehr, denn sie wußte, daß auch sie geliebt wurde. Auch der Kobold war unter den Personen und sie hätte nicht gedacht, daß ihr Ruf um Hilfe so erhört würde. Plötzlich waren sie alle da, und jede und jeder einmalig mit seinen besonderen Fähigkeiten.
Der König war verdutzt, und das sollte er nur sein. Die Hexe hatte für Überraschung gesorgt, und der König war wieder einmal machtlos, denn er hatte keine Ahnung, wie dieses ganze Gesindel ohne sein Wissen ins Schloß gekommen war. Er war total wütend. Er kochte vor Wut. Es hatte aber keinen Sinn, jetzt aufzubrausen. Gegen diese ganzen Menschen konnte er allein nichts ausrichten. Und was machte seine Frau? Sie tanzte mit diesen Personen und trank mit ihnen.
Zum Schluß gab es noch einen wunderbaren Augenblick. Der Geliebte der Hexe kam. Er wußte nicht, ob er überhaupt kommen sollte, denn er wußte, daß es die Hexe haßte, wenn er ihr in ihrem Kampf mit dem König hineinpfuschte. Das war ganz allein ihre Sache, und das hatte er schon begriffen. Kaum sah er sie, wußte er aber, daß er von ihr nun willkommen geheißen wurde. Den Sieg hatte sie allein errungen, indem es ihr gelungen war, unbewußt ihre ganzen Freunde herbeizurufen. Sie hatte sie gerufen, und sie waren gekommen. Es war also auch kein Sieg mit Worten, sondern es war der Hexe gelungen, die Situation zu wenden. Alle ihre Freunde demonstrierten mit ihr gemeinsam ihre Stärke, nun konnte sie der König nicht mehr vertreiben, und die beiden lebten glücklich und zufrieden in ihrem verwilderten Haus.
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