Warum
bei Bestsellern kein Kamel durchs Nadelöhr geht
Einige
polemische Anmerkungen zur Massenliteratur
Von
Niels Höpfner
Harry
Po... macht Kinder froh und Erwachsene ebenso. Der grassierende Harrypotterismus
ist keineswegs nur eine Meisterleistung der Werbe-Industrie und ihrer
journalistischen Helfershelfer, sondern seine geradezu epidemische Karriere
basiert auf einer simplen Konstante: er ist äußerst kidkompatibel.
Zwar
sind Grimms Märchen spannender und bunter und die von Hans-Christian Andersen,
Lewis Carroll und Oscar Wilde wesentlich filigraner, aber die Autorin Joanne Kathleen Rowling bedient großzügig ein
kindliches Urbedürfnis: Harrys Mutter füttert ihre Jungleserbrut mit
Omnipotenzphantasien, für welche die lieben Kleinen höchst empfänglich und
dankbar sind, denn sie selbst schwächeln naturgemäß noch erheblich in ihrer
Abhängigkeit von Elternhaus und Schule. Allmacht den Ohnmächtigen: Die Zwerge
können sich als Riesen träumen. Da regrediert auch gern so mancher zu kurz
gekommene Erwachsene, der sich sonst mit Batman und Terminator über Wasser hält.
Waren
früher die klassischen Bestseller, etwa von Stephen King oder Johannes Mario
Simmel, Literaturabfall für a l l e, gilt neuerdings immer mehr als Conditio
sine qua non für einen Bestseller: er muss maßgeschneidert auf eine Zielgruppe
sein. Von Kindern in lesefähigem Alter gibt's interkontinental Hunderte
Millionen, so dass die bisherige Harry-Potter-Millionen-Auflage noch erheblich
steigerungsfähig ist. Seid umschlungen, Millionen!
Auch
Leser in der Pubertät sind für Bestselleritis eine ergiebige Klientel.
Als 16-Jähriger brachte es Benjamin Lebert mit seinem Internatsroman
"Crazy" zu einer Auflage von etlichen hunderttausend Exemplaren, zu Übersetzungen
in 33 Sprachen und zu einer Verfilmung. Sein neuer Pickelroman "Der Vogel
ist ein Rabe" scheint an diesen Erfolg anzuknüpfen. Der Autor stilisiert
sich hier erneut zur tragischen Figur, als lonely boy, einsam, ungeliebt
und unverstanden, badet in einem Meer von tränenseliger Schwermut, dessen
Schaumkronen unsäglich banale Welteinsichten bilden (Die Menschen "sind
widerlich und alles. Aber sie sind auch irgendwie herzzerreißend. Sie wissen,
dass sie eines Tages sterben werden. Sie haben keine Ahnung, was danach
geschieht. Sie wissen nicht, ob sie allein sind in dem unendlichen Universum
oder ob sie überhaupt jemand sieht, der sich denkt: Die waren aber tapfer
heute."). Entfesselt fährt die halbwüchsige Leserschaft auf das Werkchen
ab, da es ihr eine totale Identifikationsmöglichkeit mit dem eigenen Gefühlshaushalt
offeriert. Im Gästebuch der Lebert-Homepage notiert ein Stefan (quasi einer für
alle): "Benjamin, danke dass Du uns das Gefühl gibst, nicht allein zu
sein. Alles Gute!" In einem seiner (nicht unpeinlichen) Interviews äußerte
Autor Lebert: "Ich will mein Leben ganz der Literatur widmen"- soll
das eine Drohung sein? Der ach so Kontaktscheue
wird im Herbst auf eine Lesereise durch 4o Städte gehen.
Bei
einem etwas älteren Lesepublikum hat Florian Illies höchst erfolgreich
angedockt, er hat sich gleich eine ganze Generation gekrallt und ist mit seinem
Bestseller "Generation Golf" wohlhabend geworden, obwohl er nach
Douglas Couplands "Generation X" eine thematische Idee nur epigonal
ausbeutete. Aber es hat trotzdem funktioniert. Die großkotzigen Schnösel des
Neoliberalismus ließen sich gern narzisstisch bauchpinseln, angeblich traf ja
ihr Spiegelfabrikant "den Nerv der Zeit". Das Verfallsdatum von
Generationen jedoch ist kürzer als das der wohl eher ewigen Pubertät. Nach dem
Zusammenbruch der New Economy streute Autor Illies renegatenhaft Asche auf sein
Haupt und ließ nun einen Band "Generation Golf zwei" folgen, auch um
das mittlerweile etablierte Thema nochmals auszulutschen- eine unverfrorene
Dreistigkeit, die leider an die Genialität Till Eulenspiegels erinnert. Und auf
der Matte steht bereits eine neue Generation, um von irgendwem ein Porträt zu
erleiden.
Die
"Bäckerblume" hat eine Auflage von 250 000 Exemplaren und erreicht
mehr als eine Million Leser. Was Wunder: Die Zielgruppe sind "haushaltführende"
Frauen, und deren Zahl ist bekanntlich Legion. Solches hat sich mittlerweile längst
auch in Schreibdamenkreisen herumgesprochen. Hera Lind landete einen Volltreffer
mit ihrem Schmeichel-Streichel-Roman "Das Superweib": Hunderttausende
depravierte mittelalte und postklimakterische Frauen gönnten sich das Buch zur
Auffrischung ihres lädierten Selbstwertgefühls. Überhaupt: die meisten
erfolgreichen Schriftstellerinnen der B- und C-Klasse reisen auf dem Ticket Schwester-Literatur.
Dazu passt ganz gut, dass ungefähr 70% aller Käufer von Belletristik
Frauen sind.
Es
gibt noch zahlreiche andere Zirkel, die sich willig mit Bestsellern versorgen
lassen: von "Bild" trainierte Schlüssellochgucker, die
nach offenherzigen Lebensbeichten halbseidener Promis wie Dieter Bohlen oder Stefan Effenberg lechzen; Skandalsüchtige der gebildeten Stände, die es
prickelnd finden, wenn etwa ein Martin Walser in "Tod eines
Kritikers", lax camoufliert, seinem
langjährigen Peiniger und Intimfeind Reich-Ranicki den Exitus andichtet;
Lebenstaumelnde, die "Ratschläge des Herzens" vom Guru erheischen-
ist gerade kein Paul Watzlawick zur Stelle,
darf es auch ruhig der Dalai Lama sein. Achtung: Börsenbücher für
Spekulationsidioten sind out!
Am
leichtesten erschreiben sich wohl Autoren, die vierzig, fünfzig literarische
Dienstjahre auf dem Buckel haben, einen Bestseller. Nicht weil sie besonders
brillant wären, sondern weil sie sich inzwischen eine Gemeinde herangezüchtet
haben, die, gemeinsam mit ihnen gealtert, ihre stilistische Sicherheit,
moralische Integrität und political correctness honoriert. Da darf ruhig
alles etwas angestaubt sein. Ein Buch von Siegfried Lenz –wie jüngst sein
braver Roman "Fundbüro"- landet
unter Garantie auf der Bestsellerliste, dafür sorgen allein schon die
eingefleischten Jünger des Autors. Selbst wenn Lenz das Hamburger Telefonbuch
abschriebe, dürfte dabei ein Bestseller herausspringen.
Wie
auch immer: Was unbedingt Bestseller werden will, peilt praktischerweise eine
konkrete Klientel an. Feuilletonhymnen reichen nicht aus, sie erschlagen eher
ein Buch. Das Bildungsbürgertum ist auf dem Rückzug und eine aussterbende
Spezies. Glücklicherweise, vielleicht. Aber nur hier –vielleicht noch in
germanistischen Seminaren- fanden und finden sich Leser, die das Raffinement,
ja, die K u n s t
des Erzählens schätzen, die nicht bloß naiv das Erzählte konsumieren
(auch Lesen will gelernt sein), was eine Literatur, die diesen Namen verdient,
zu Auflagen von 2-5000 Stück verdonnert. Allerdings hüte man sich vor dem
Umkehrschluss, dass eine Niedrigauflage automatisch "große" Literatur
bedeute. Eher jedoch geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein literarisches
Kunstwerk aus Verkaufsgründen auf eine bestimmte Klientel spekuliert.
Und von Elke Heidenreich mag es auch nicht gerühmt werden.