Mein großer Freund Pete
Lesefundstücke aus dem früheren Leben
Von Niels Höpfner
"Tief ist der Brunnen der
Vergangenheit", raunte Thomas Mann, und in diesem Fall ist der Brunnen, um
im exquisiten Bild zu bleiben, ungefähr 5o Jahre tief. Aber zum Glück gibt es
ja die unerschöpfliche Wundertüte namens Internet, die auch eine erstklassige
Zeitmaschine ist. Hier fand ich, was mich damals als Kind, das anfing zu lesen,
glühend begeisterte: ein paar Exemplare Pete- Eine Zeitschrift für die
Jugend. Ich habe sie auf der Stelle gekauft. Obwohl ich in der
"britischen Besatzungszone" aufwuchs, kannte ich als Schüler eines
humanistischen Gymnasiums keine Silbe Englisch, so daß Pete für mich nie ein
Piiiet war, sondern immer Pete- wie Trompete.
Im blauweißen Titelkopf der Hefte
war rechts ein gemaltes Porträt von Pete: ein pausbäckig lachender,
gescheitelter Blondschopf mit unheimlich gesunden Zähnen, ein keckes Halstuch
umgebunden, seitlich verknotet. Hyperkritische Geister könnten im idealisierten
Bild durchaus eine arisch-faschistoide Ästhetik entdecken (wie sie bei Gemälden
des heutigen Nachwuchsmalers Norbert Bisky keineswegs zu leugnen ist), aber auch
auf Keksdosen und Kakaobüchsen sahen Jungen seinerzeit ähnlich aus.
Nach landläufiger Meinung
handelte es sich um Schundhefte, literarisch wertlos, Groschenromane eben. Wehe,
man wäre damit in der Schule erwischt worden! Sie kosteten 40 Pfennig. Viel
Geld für ein Kind damals, statt Lesefutter konnte man dafür auch vier
"Hefeteilchen" kaufen (die heute selbst beim Billigbäcker Kamps
mindestens drei Euro kosten). Aber es gab eine Großmutter, die sich das Geld
abbetteln ließ und gern ihr Portemonnaie öffnete.
Pete's Abenteuer und
Streiche -so ein Untertitel- erschienen vierzehntägig im Uta Verlag,
damals ansässig in Sinzig am Rhein. Die Hefte waren noch langzeilig gesetzt und
nicht in zwei Spalten, wie später bei Heftchenromanen üblich. Ihr Umfang
betrug 32 Seiten, also zwei Druckbögen. Die eigentliche Geschichte war aber nur
23-24 Seiten lang und naturgemäß viel zu schnell ausgelesen, an einem einzigen
Nachmittag. Dann galt es wieder, ungeduldig zwei Wochen zu warten, bis ein neues
Heft erschien- wie lang zwei Wochen sein können! Das Suchtpotential war erheblich.
Der Rest des Heftes war aufgefüllt
mit angeblich Wissenswertem für Kinder, zum Beispiel wurde aus der
"Geschichte der Wolkenkratzer" berichtet oder "Lernt Deutschland
kennen: Idar-Oberstein". Unverkennbar Bildungsabsichten, denn die Redaktion
der Pete-Hefte hatten zwei Akademiker: ein Dr. Isert und ein Dr. Richter,
letzterer ist bei Nr. 50 schon abhanden gekommen. Wahrscheinlich waren es diese
Herren auch (und andere), die unter offensichtlichen Pseudonymen wie Rolf
Randall, Broderick Old oder Frank Dalton selbst die Geschichten schrieben, die
von mir so heiß geliebt wurden.
Aber nicht nur von mir. Auch von
zahllosen anderen kleinen Jungen im Lande (für Mädchen, pah, gab's die Gaby-Hefte).
Pete war unter Jungen geradezu KULT: schon bei Heft 80 existierten im
westlichen Nachkriegsdeutschland 989 Pete-Gruppen. Das waren weniger
Fan-Clubs als pfadfinderähnliche Kleingruppierungen, deren Mitteilungen hinten
im Heft auch gern gedruckt wurden. So etwa eine Nachricht aus Heselerfeld
(Ostfriesland): Die Gruppe von Klaus Higgen besteht aus zehn PETE-Jungen
zwischen 12 und 14 Jahren. Briefwechsel mit anderen PETE–Gruppen wird gewünscht.
Die Gruppe hat sich dadurch einen guten Namen gemacht, daß sie Bedürftige mit
Brennmaterial für den kommenden Winter versorgt. Den armen Leuten zu helfen,
hat sich die Gruppe zur Pflicht gemacht. Leider
gab es keine Pete-Gruppe in
meiner Nähe (und ich selbst war gründungsunfähig), aber die Kinderabteilung
des CVJM bot mir Asyl.
Immerhin war ich Mitglied beim Pete-Bund,
ein ideelles Mitglied, sozusagen: Dem PETE-Bund kann jeder Junge beitreten.
Kosten sind mit der Mitgliedschaft nicht verbunden. Die Mitgliedskarte sendet
gegen Beifügung von 7 Pf Rückporto der PETE-Bund beim Verlag. Ja, so eine
Mitgliedschaft, schwarz auf weiß, war toll fürs Kind, die liebte es sehr.
Damals hatte das alles noch wenig
mit Marketing zu tun: beileibe keine hinterhältige Bindung unmündiger Leser,
eher ein Sicheinlassen auf kindliche Wünsche- die Geborgenheit der Gruppe, wie
anonym und vage auch immer sie war. Wandervogel grüßte von fern, nach der gräßlichen
Nazi-Pimpferei.
Obwohl in den Pete-Heften
niemals die moralische Keule geschwungen wird, transportieren sie unüberlesbar
Moral- was ja a priori nicht schlecht sein muß (vielleicht auch etwas Mief der
Law-and-order-Mentalität der Adenauer-Ära: durch Otto Schily überraschend
wieder aktuell). Als Beispiel taugt Heft Nr. 41 aus dem Jahr 1953, betitelt Der
Bund der Gerechten. (Sicher ist die historische Dimension des Titels Zufall:
Deutsche Handwerker gründeten 1836 in Paris den "Bund der Gerechten",
aus dem 1847 der "Bund der Kommunisten" hervorging.)
Die epischen Verhältnisse sind
bereits auf Seite eins restlos geklärt- wie es sich für ordentliche
Trivialliteratur gehört: Im Somerset-Distrikt von Arizona existierte ein
geheimes Nachrichtensystem. Wenn sich jemand die Mühe gemacht hätte, den Weg
zu verfolgen, den die höchst merkwürdigen Botschaften nahmen, so würde er
festgestellt haben, daß sich die Zentrale –wo alle Meldungen abgestempelt,
registriert und ausgewertet wurden- auf der Salem-Ranch befand.
Der Begründer und Chef
dieses ausgedehnten Spionagesystems, das sich bis auf die entlegensten Ranchs
erstreckte, war ein Junge von knapp siebzehn Jahren- rotblond, mit lustigen
Sommersprossen um die Nase und versehen mit einem etwas verdrehten Sinn für Spaß
und Humor.
Pete Simmers und dessen
anmutige Schwester Dorothy, welche nach dem Tod ihrer Eltern die Salem-Ranch
unter Aufsicht des alten Vormannes Dodd bewirtschafteten, unterhielten seit
einiger Zeit eine Brieftaubenzucht; eine der vielen Liebhabereien Petes, die vor
allem dem Zweck diente, eine rasche Nachrichtenübermittlung zwischen den
einzelnen "Agenten" und der Zentrale zu ermöglichen.
Diese "Agenten"
waren nun nicht etwa finstere, mit Revolver und Dolchmesser bewaffnete Burschen-
nein, es handelte sich ausschließlich um vergnügte und durchaus anständige
Rancherbuben im Alter zwischen zehn und sechzehn Jahren. Diese Jungen gehörten
zum "Bund der Gerechten"- eine Vereinigung, welche sich zum Ziel
gesetzt hatte, armen und hilfsbedürftigen Menschen zur Seite zu stehen, die
sich aber andererseits auch nicht scheute, unliebsamen Zeitgenossen mit oft sehr
drastischen Mitteln und unter meist recht dramatischen Begleitumständen auf die
Zehen zu treten.
Wenn im Somerset-Distrikt
ein Mann sein Pferd brutal mißhandelte, wenn ein notorischer Trinker seine Frau
verprügelte und seine Kinder hungern ließ- oder wenn sich jemand irgendeiner
ausgesprochenen Gemeinheit schuldig machte, die nach dem Gesetz zwar nicht
bestraft werden konnte, aber nach natürlichem Empfinden Strafe verdiente- dann
trat der "Bund der Gerechten" auf den Plan; selbstverständlich nach
sorgfältiger Erwägung aller Bedingungen und der Vorgeschichte, welche zu der
betreffenden "Tat" geführt hatte.
Pete Simmers urteilte und
handelte niemals voreingenommen...
Zum Stammpersonal der Pete-Geschichten
gehören noch der gutmütige Sheriff Tunker und dessen trotteliger Gehilfe John
Watson, ein klapperdürrer langer Lulatsch, mit dem Pete und seine Freunde im
Dauerclinch liegen.
Action ist
angesagt, und es darf mitgefiebert werden, zwischen den fliegenschissigen,
sprachlosen, aber spannungssteigernden Auslassungspunkten: Vorwärts, vorwärts...
Näher und näher kam der Verfolger... Als sich Pete einmal umblickte, erschrak
er heftig. Dog Kerry war dicht hinter ihm- er erkannte den Banditen sofort an
dem struppigen, rostroten Vollbart. Kerry holte ständig auf und ließ die
Wurfschlinge seines Lassos kreisen... Achtung, jetzt... Pete duckte sich tief
auf den Hals seines Pferdes nieder... Er spürte das Zischen, wie sich die
Schlinge in der leeren Luft zusammenzog und den Schlag, als das Seil auf seinen
Rücken schlug... Der Wurf war daneben gegangen, er hatte es noch einmal
geschafft... Aber jetzt, aber jetzt... Ganz dicht holte der Bandit auf... Lauf
doch, Brauner, lauf!
Pete und sein Bund der
Gerechten haben einer üblen Ganovenbande das Handwerk zu legen, zwangsläufig
kommt es zum Showdown, jedoch ohne Ballerei: Hunde- nichts als Hunde. Große
und kleine, gefleckte Doggen, Terrier und Schnauze- Hunde aller Rassen und
Mischrassen. Zuerst war es kaum ein halbes Dutzend- aber immer mehr kamen
herbeigelaufen, bildeten ein Gewühl vor dem Fenster, sprangen an der Hauswand
in die Höhe, jaulten und kläfften Warner an, als wollten sie etwas von ihm.
"Fort mit euch!" brüllte Warner. Was wollten die Hunde nur von ihm?
Dann packte ihn der Jähzorn,
er ergriff den Knüppel und rannte aus dem Haus – und da sah er, daß überall
an den Hauswänden ganze Ketten von Würsten befestigt waren – schöne,
frische Würste, deren Duft den Hunden in die Nasen stieg. Japsend und heulend
sprangen die Vierbeiner an den Hauswänden hoch, um die Würste zu erreichen.
Brüllend hieb Warner mit
dem Knüppel auf die Hunde ein. Dann sah er auf einmal ringsum auf dem hohen
Zaun, der den Hof des Anwesens umgab, die grinsenden Gesichter: Ranchersjungen,
alle Ranchersjungen von Somerset schienen sich hier versammelt zu haben. Ehe
Warner noch begriff, was da geschah, tönte es aus mehr als zwanzig Kehlen:
"Faß, Rex!...Susy, pack ihn!...Faß, faß, faß!"
Man sah Joe Warner, der als
Rohling und Tierquäler verschrieen war, heulend und kreischend durch die Straßen
laufen, umgeben von einer Meute knurrender, zähnefletschender und beißender
Hunde, die Tuchfetzen aus seinen Kleidern rissen... Vor dem Sheriffhaus brach
Warner zusammen... "Hilfe – zu Hilfe!" kreischte, wimmerte, heulte
Warner. "Die Bestien fressen mich auf- Watson, helfen Sie mir. Ich will ja
alles gestehen – nur jagen Sie die Hunde fort."
"Das Kommando hat hier
Pete Simmers", sagte Watson vergnügt. "Ich will mich da beileibe
nicht einmischen, wissen Sie? Der 'Bund der Gerechten' ist eine mächtige
Organisation, mit der man sich nicht verfeinden darf..."
Und wieder einmal war die Welt in
Ordnung (zu einer Zeit, als es noch keine Kampfhunde gab, sondern halbwegs
freundliche Hündchen).
Das alles ist in passablem Deutsch
geschrieben, manchmal etwas hölzern. Die typisierenden Adjektive gehören
anscheinend unvermeidlich zum Genre. Doppelsinniges wird, durchaus kindgerecht,
in Anführungszeichen gesetzt (Kinder haben kaum einen Sensus für Ironie). Zwar
gibt es in den Heften eine generelle Stilebene, aber auch mehr und weniger
talentierte Autoren lassen sich schon unterscheiden. Auch wenn schwarz immer
schwarz bleibt und weiß immer weiß.
Von 1951-1959 sind über 200 Pete-Hefte erschienen, mit humorig-aufregenden Titeln wie: DAS UNGEHEUER VON SOMERSET - PETE GRÜNDET EIN PARADIES - JIMMY FÄNGT KLAPPERSCHLANGEN - ES TUT SICH WAS IN DER BLADMORE-SCHLUCHT - BIS DIE SCHWARTE KNACKT - DER VERHINDERTE WELTUNTERGANG - DIE BALLADE VOM FALSCHEN SHERIFF - MIRANDUS, DER TEUFELSBOCK- WER SPIELT HIER DIE ERSTE GEIGE? In die Jahre gekommen war Pete auch nicht mehr durch das bis heute übliche Cover-Relaunch zu retten (Petes Bild wurde in die linke Ecke versetzt, er bekam ein rotes Halstuch verpaßt, die Dominanzfarbe Blau des Umschlags wurde ersetzt durch kreischende Buntheit), und so hauchte Pete sein Leben aus, in der Blüte seiner Jahre, verschwand ins Pantheon ewiger Jugend.
Hat Pete bei mir irgendwelche Spätschäden hinterlassen? Sicher ein Zufall, daß meine besten Freunde meistens blond sind. Es war ein unschuldiges Lesevergnügen. Und ich wette um die Friedenspfeife, die ich mit Sitting Bull rauchte (im Kino), daß auch heutige Kids von zehn bis zwölf Jahren noch Spaß an den Pete-Heften hätten und sie cool fänden, obwohl es Computerspiele gibt, bei denen man es so richtig krachen lassen kann, und 30 TV-Programme. Kinder, wenn sie nicht bereits früh massiv geschädigt sind, haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, den die Hefte bestens bedienen. Gewalt läuft relativ harmlos ab, dagegen ist selbst ein ZDF-Krimi brutaler, ganz zu schweigen von den unappetitlichen splatter movies. Und kann es einen besseren älteren Bruder geben als Pete, der den jüngeren nicht vermöbelt, sondern beschützt, wie es sich schließlich für einen Retter der Witwen, Waisen, Enterbten und aller Vierbeiner gehört? Pete, du bist immer mein bester Freund gewesen, auf Papier, neulich vor 5o Jahren. Nie habe ich dich verraten, weder an Tom Mix noch an Tom Prox oder Billy Jenkins (und später erst recht nicht an Perry Rhodan oder Jerry Cotton), selbst Tarzan und Akim, Held des Dschungels, waren keine Konkurrenz für dich, auch nicht Sigurd, der Ritter mit dem roten Wams überm Kettenhemd, und erst recht nicht die alberne Micky Maus, die ab 1951 wieder in Deutschland herummauste, ebenso nicht die niedlichen Biester Fix und Foxi. Und als ich begann, ins Kino zu gehen, las ich selbstverständlich nicht die "Bravo", die 1956 aufkam, sondern die viel erwachsenere "Film-Revue". Und trotzdem bin ich dir untreu
geworden, Pete. Als ich zwölf oder dreizehn war, landete der Stapel deiner
Hefte zuerst im Keller und später dann wohl in der Mülltonne. Es war das Ende
der Kindheit. Von nun an las ich nur noch sogenannte Literatur, was mich
in nie geahntes Elend stürzte. Pete, mein großer Freund, warum hast du mich
nicht davor gewarnt? Vom selben Autor: © by the Author, 2002
ZSCHOKKE · EIN SANFTER REBELL
SÜDSEE · GROTESKE
DAS TIER · MONOLOG
ZU LANDE, ZU WASSER UND IN DER LUFT · HÖRSPIEL
DER HUMMELFORSCHER
STALLKNECHTE DES PEGASUS
THOMAS CHATTERTON
DER ALKOHOL, DIE DICHTER & DIE LITERATUR
BESTSELLERITIS
NACHRICHTEN AUS DER WOLFSWELT
KARL MARX, SEIN VATER UND PEGASUS
'ICH NEHME ALLES ZURÜCK'
SEIN ODER NICHTSEIN- DAS STADTTHEATER AM ENDE?
SCHWERER BROCKEN TRAUERARBEIT
DICHTERQUARTETT
GOETHE UND SEIN BLITZ PAGE PHILIPP SEIDEL ·
ZUR HOMOSEXUALITÄT DES DICHTERFÜRSTEN
GLÜCKSKEKSE
BLACKBOX
DIE BÖSE MUTTER IN DER LITERATUR
FURCHT UND ELEND DER DEUTSCHEN LITERATUR
IM 19. JAHRHUNDERT · ÜBER ZENSUR & EXIL
DER NORDPOL IST GRAUSAM WIE DIE SAHARA · HÖR-COMIC