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Ernst Krumbein

Flotter Vierer

Das Quartett ist zurück. Heute geht es um Döner, Küsse oder Kochplatten

BERLIN, im Juli. Nichts gegen ein Mofa. Aber ein Rennen gewinnt man damit nicht, geschweige denn ein Spiel. Zu wenig PS. Zu leicht. Und dann der Hubraum. Erbsengroß. Sollte es jemals einen Zweifel gegeben haben, dass ein Mofa mehr mit einer Wanderdüne gemein hat als mit einem Motorrad, dann hat ihn vor rund 30 Jahren ein Spiel ausgeräumt: das Quartett. Wir erinnern uns. Mitte der siebziger Jahre, Mathe bei Krumbein, alles schläft, einer spricht. Einer? Nein, in der vorletzten Reihe beugen sich die Jungs über ihre Karten. "Zwei Komma null PS. "Kann ich drüber." "Wie viel?" "63 PS." "Was hast'n da?" "Yamaha-Chopper. Und du? "Mofa."

Das Quartett feiert jetzt ein Comeback. Doch heute geht es um Dönerbuden in Berlin, um die Frage, welcher Gastronom die meisten Brüder hat, wer am dichtesten an Istanbul wohnt und wo es die Teigtasche am günstigsten zu kaufen gibt. Oder es geht um Küsse. Um die Frage, ob man mehr Kalorien beim Gutenachtkuss oder beim Eskimokuss verbraucht, wie viele Bakterien dabei übertragen werden und wie hoch der Glückspegel dabei steigt.

In der Geschichte des Quartetts dürfte sich kaum jemand so gut auskennen wie Ernst Krumbein. Der Mathelehrer a.D. aus Springe bei Hannover hat schon Dichterfürsten, Komponisten oder Rosensorten auf Karten gesammelt, als Pisa noch allein für einen schiefen Turm bekannt war. Herr Krumbein ist 69 Jahre alt, und vermutlich besitzt er Deutschlands größte Quartettsammlung. An seinem Computer kann er über 4 500 Quartette abrufen. Er ist sicher, dass die allgemeine Retrowelle jetzt auch das beliebteste Kartenspiel der siebziger Jahre erfasst hat: "Die Jungs, die damals Auto- oder Motorradquartett gespielt haben, haben diese Form neu belebt", weiß Herr Krumbein.

Seine Datenbank ist ein Trendbarometer. "Body Extensions" heißt zum Beispiel ein Quartett, das 32 Wege vorstellt, den eigenen Körper zu tunen, vom Stöckelschuh bis zum Metallsteiß. Das Züricher Museum Bellerive hat es im Frühjahr auf den Markt gebracht, zur Eröffnung seiner gleichnamigen Ausstellung. Als Werbeträger wird das Quartett immer beliebter. Auch Reiseveranstalter, Gastronomen und Bohrmaschinenhersteller lassen sich neuerdings gerne ins Blatt gucken. "Die Spielkarte ist in ihrer Kreativität unerschöpflich - und so ein schönes PR-Instrument", sagt Gerd Matthes, Produktmanager vom Kartenhersteller Ass-Altenburger. Gerade hat das thüringische Unternehmen ein Quartett für die VW-Autostadt gedruckt und dem ZDF die Lizenz für einen Mainzelmännchen-Vierer abgekauft. Ass-Altenburger, Deutschlands Marktführer unter den Spielkartenherstellern, hat das Comeback des Quartetts fleißig mit angekurbelt. Im Auftrag von Kartenfans hat er neben Plattenbauten auch Dönerbuden und Computerviren Platz auf der Spielkarte verschafft.

"Computerluder" heißt ein Spiel, das Ernst Krumbein in der Datei "Alltag & Arbeitswelt" findet. All seine Schätze hat er nach Themen sortiert. Natur. Technik. Verkehr. Bildung. Abenteuer. Mittlerweile ist das Hobby für ihn zu einem Lebensinhalt geworden. Der Mathelehrer a.D. träumt immer noch davon, eines Tages über das Kartenspiel zu promovieren. Das Quartett, erfährt der Laie, sei ursprünglich eine Erfindung des deutschen Bildungsbürgertums. Schon zu Kaisers Zeiten frischten Töchter aus höherem Hause ihr Allgemeinwissen auf, indem sie Goethezitate oder Mozarts Opern auf Kärtchen schrieben. 1888 gab der Ravensburger Verlag das erste Zitatenquartett heraus, ohne Illustrationen. Die Spieler zerbrachen sich den Kopf darüber, von wem etwa das Zitat aus einer berühmten deutschen Ballade stammte: "Geduld, Geduld - wenn's Herz auch bricht." Richtig: Es war Gottfried August Bürger.

Ob architektonische Wahrzeichen, Figuren aus den Märchen der Brüder Grimm oder Planeten, der Wissensdurst der bürgerlichen Gesellschaft kannte keine Grenzen. Wehmütig resümiert Ernst Krumbein: "Hätten die Eltern Ende des 20. Jahrhunderts mit ihren Kindern mehr Quartett gespielt, wäre uns der Pisa-Schock erspart geblieben." Eine kühne Behauptung, bedenkt man, dass der aufklärerische Impetus des Quartetts in dem Maße wich, wie dessen Technik-Variante die klassische Quartettspielweise verdrängte. Ein gewisser Werner Seitz, Offsetdrucker der Altenburger Spielkartenfabriken, hatte 1952 in Stuttgart das erste Autoquartett auf den Markt gebracht. Die Idee, bürgerliches Bildungsgut durch profane Technik zu ersetzen, erwies sich als ungeheuer erfolgreich. Schon von dem ersten Quartett wurden 7 500 Stück verkauft.

In den siebziger Jahren gingen die Auflagen in die Zigtausend. Sogar Spürpanzer und Düsenjets mussten als Motive herhalten. Doch seit die Spieler der ersten Generation einen Führerschein besaßen, verlor das Spiel um PS-Zahlen seinen Reiz. Heute vermag Derartiges die Fantasie der Kartenhersteller kaum mehr zu beflügeln. Nur einem Modell traut Ernst Krumbein noch einen traumhaften Erfolg zu: dem Kinderwagen.

Antje Hildebrandt, Berliner Zeitung, 23.07.2004