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An den Mond

ERSTFASSUNG (1778)

An den Mond

Füllest wieder 's liebe Thal
still mit Nebel Glanz
lösest endlich auch einmahl
meine Seele ganz

Breitest über mein Gefild
lindernd deinen Blick
wie der Liebsten Auge, mild
aber mein Geschick.

Das du so beweglich kennst
dieses Herz im Brand
haltet ihr wie ein Gespenst
an den Fluß gebannt

Wenn in öder Winternacht
er vom Todte schwillt
und bey Frühlingslebens Pracht
an den Knospen quillt

Seelig wer sich vor der Welt
ohne Haß verschließt
einen Mann am Busen hält
und mit dem genießt

Was den Menschen unbewußt*
oder wohl veracht
durch das Labyrinth der Brust
wandelt in der Nacht
G



DRUCKFASSUNG (1789)


An den Mond

              Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;

Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh und trüber Zeit
Wandle zwischen Freud und Schmerz
In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer werd ich froh,
So verrauschte Scherz und Kuß,
Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,
Was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!

Rausche, Fluß, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu.

Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst,
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt

Was, von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.




*Premiere des Wortes UNBEWUSST; Goethe hat es kreiert, nicht Freud.