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Friedrich Flick
junge Welt vom 21.12.2002
 

Flick, »der Große«

Ein davongekommener Kriegsverbrecher

Dietrich Eichholtz
 
Kann die Geschichte des Aktienspekulanten und Großkapitalisten Friedrich Flick (1883–1972) noch von irgendeinem Interesse für uns sein? Wahrhaftig, man könnte ihn vergessen, wenn auch seine Söhne und Enkel immer noch von seinem Milliardenvermögen zehren. Von seinem Haupterben, Sohn Friedrich-Karl, einem inzwischen alt gewordenen Playboy, der 1985 den ganzen Konzern an die Deutsche Bank verkaufte, hörte man zuletzt, daß er sich geweigert hatte, sich an dem Fonds zur Entschädigung der Zwangsarbeiter zu beteiligen.

Friedrich Flick arbeitete sich seit dem Ersten Weltkrieg als Kriegs- und Inflationsgewinnler, als gewiefter Aktienspekulant an die Spitze von Eisen- und Stahlunternehmen hoch. Seine große Zeit waren die Jahre der Nazidiktatur, als er, ein Vertrauter Görings, »Wehrwirtschaftsführer« und Mitglied des »Freundeskreises des Reichsführers-SS«, zuerst zahlreiche große jüdische Unternehmen durch »Arisierung« an sich brachte und später, im Krieg, auf Raubzug durch das besetzte Europa ging und von Lothringen bis zum Donez-Revier ein gewaltiges Konzernimperium aufbaute mit Hilfe von Zehntausenden Zwangsarbeitern (in Deutschland: 40000; nach anderen Schätzungen 60000).

Der Mann war ein Kriegsverbrecher. Er wurde am 13. Juni 1945 verhaftet. Ein amerikanisches Militärgericht verurteilte ihn am 22. Dezember 1947 zu sieben Jahren Gefängnis. Das Urteil war ein internationaler Skandal. Die US-Anklagebehörde unter Brigadegeneral Telford Taylor hatte Dutzende Bände mit hochbrisanten, belastenden Beweisdokumenten zusammengetragen. Doch seit Roosevelts Tod hatte sich der Wind zu drehen begonnen und blies jetzt scharf in antisowjetischer Richtung. Im Kalten Krieg waren die deutschen Industriellen wieder zu gefragten Partnern geworden.

Die Haltung der drei amerikanischen Richter war ein Spiegelbild der geänderten Einstellung der offiziellen und öffentlichen Meinung in den USA und in Großbritannien. So kam es, daß die Richter nicht begreifen mochten, was ihnen Taylor in seiner Eröffnungsrede klarmachen wollte, als er vom Naziregime als der »unheiligen Dreieinigkeit des Nationalsozialismus, Militarismus und Wirtschaftsimperialismus« sprach. Sie ignorierten die Masse der Anklagedokumente oder sprachen ihnen die Beweiskraft ab. Ihr Urteil liest sich wie eine Zusammenstellung der Entlastungsargumente der deutschen Verteidiger. Heraus kam, daß Flick und seine Mittäter schlichte Geschäftsleute, »nichts als Geschäftsleute« gewesen seien, wie Taylor es sarkastisch zusammenfaßte, die großen Nazis dagegen die »bösen Leute«, vor denen sie in Furcht lebten.

Ob Zwangsarbeit, Raubzug in den besetzten Gebieten Europas oder Unterstützung der SS-Verbrechen im »Freundeskreis des Reichsführers-SS« – alles geschah, so die Richter, unter Zwang und »auf der Basis militärischer Notwendigkeit«. Hätten sich die Industriellen dem verweigert, so hätte sich »das Schreckensregime des Reiches« auf sie gestürzt und sie womöglich »ins Konzentrationslager gebracht«. Für die mörderische »Arisierung« jüdischer Unternehmen, bei der Flick in schwierigen Fällen die Staatsgewalt, in erster Linie seinen Freund Göring, zu Hilfe holte, erklärte sich das Gericht für unzuständig, weil diese Untaten »vor dem Krieg und ohne Zusammenhang mit dem Kriege« geschehen seien und jedenfalls auch nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten könnten.

Wer das Urteil liest, fragt sich, warum kein Freispruch für Flick erfolgte. Aber das war damals vor der Welt noch nicht möglich. Außerdem hätte ein Freispruch die geplanten Folgeprozesse gegen den I.G.-Farben- und den Krupp-Konzern von vornherein zur Farce gestempelt. Immerhin, Flick kam schon 1950 frei, und – was für ihn das Wichtigste war – an sein Milliardenvermögen war nicht gerührt worden. Gute Freunde – Bankiers wie Hermann Josef Abs und Robert Pferdmenges – hatten es zu treuen Händen in ihre Obhut genommen. Seinen Besitz in der »Ostzone« und in Oberschlesien verlor er allerdings.

Als Flick freikam, verfügte er über den größten Teil seines früheren Besitzes, jetzt als »Sachwert« noch enorm aufgewertet im Gegensatz zu den auf ein Zehntel abgewerteten Ersparnissen der Bevölkerung. Allein seine Kohlereviere, die er 1952 als Beitrag zur »Entflechtung« der westdeutschen Industrie- und Bankwelt verkaufte, brachten ihm 250 Millionen DM ein – in heutigem Geldwert ein Milliardenbetrag. Mit diesem Geld und mit Hilfe seiner Finanz- und Spekulationskünste baute er rund um seine ineinander verschachtelten Eisen- und Stahlunternehmen das für lange Zeit größte Industrieimperium der Bundesrepublik mit 330 Unternehmen, 300 000 Arbeitern und Angestellten und etwa 18 Milliarden DM Umsatz auf. Dazu gehörten neue Akquisitionen: ein beherrschender Aktienanteil an der Daimler-Benz AG, die Übernahme des Feldmühle-Nobel-Konzerns (Papier; Dynamit) und die Mehrheiten bei den Buderus’schen Eisenwerken und der Krauss-Maffei AG (Rüstungsbranche). Am Ende galt Flick mit etwa sechs Milliarden DM Vermögen als einer der reichsten Männer der Welt. 1963 verlieh man ihm das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband.