Niels
Höpfner DAS TIER Monolog |
"Insgeheim verlangt die Gesellschaft nach Verbrechen,
ja, sie benötigt sie; und der falsch geführte gegenwärtige Kampf gegen das
Verbrechen ruft in uns tiefe Befriedigung hervor. Wir verdammen das Verbrechen;
wir bestrafen diejenigen, die es begehen; und trotzdem benötigen wir es. Das
Ritual von 'Verbrechen und Strafe' ist ein Teil unseres Lebens. Wir brauchen
das Verbrechen, um es bestaunen und stellvertretend genießen zu können, es zu
diskutieren und darüber zu spekulieren
und öffentlich zu mißbilligen. Wir brauchen Verbrecher, um uns selbst mit ihnen
zu identifizieren, sie heimlich zu beneiden und dann ohne Rücksicht zu
bestrafen. Verbrecher repräsentieren unser alter ego - unser 'böses' Selbst -,
das wir verdrängen und nach außen projizieren. Sie tun für uns das Verbotene,
das Ungesetzliche, das wir eigentlich gern selber täten; sie spielen die alte
Rolle des Sündenbocks und tragen für uns die Last verdrängter Schuld und
Strafe – 'unser aller Sünden'." Karl Menninger, in:
Strafe - ein Verbrechen, Piper Verlag, München 1970 II "...Wie der
Verbrecher, so war die Freiheitsstrafe bürgerlich. Im Mittelalter kerkerte man
die Fürstenkinder ein, die einen unbequemen Erbanspruch symbolisierten. Der Verbrecher
dagegen wurde zu Tode gefoltert, um der Masse der Bevölkerung Respekt für
Ordnung und Gesetz einzuprägen, weil das Beispiel der Strenge und Grausamkeit
die Strengen und Grausamen zur Liebe erzieht. Die reguläre Freiheitsstrafe
setzt steigendes Bedürfnis an Arbeitskraft voraus. Sie spiegelt die bürgerliche
Daseinsweise als Leiden wider... Der Mensch im Zuchthaus ist das virtuelle Bild
des bürgerlichen Typus, zu dem er sich in der Wirklichkeit erst machen soll.
Denen es draußen nicht gelingt, wird es drinnen in furchtbarer Reinheit
angetan. Die Rationalisierung der Existenz von Zuchthäusern durch die
Notwendigkeit, den Verbrecher von der Gesellschaft abzusondern, oder gar durch
seine Besserung, trifft nicht den Kern. Sie sind das Bild der zu Ende gedachten
bürgerlichen Arbeitswelt, das der Haß der Menschen gegen das, wozu sie sich
machen müssen, als Wahrzeichen
in die Welt stellt. Der Schwache, Zurückgebliebene, Vertierte muß qualifiziert
die Lebensordnung leiden, in die man selbst sich ohne Liebe findet, verbissen
wird die introvertierte Gewalt an ihm wiederholt. Der Verbrecher, dem in seiner
Tat die Selbsterhaltung über alles andere ging, hat in Wahrheit das schwächere,
labilere Selbst, der Gewohnheitsverbrecher ist ein Debiler. Gefangene
sind Kranke. Ihre Schwäche hat sie in eine Situation geführt, die Körper und
Geist schon angegriffen hat und immer weiter angreift. Die meisten waren schon
krank, als sie die Tat begingen, die sie hineinführte: durch ihre Konstitution,
durch die Verhältnisse... Es ist beim Verbrecher die Negation, die den
Widerstand nicht in sich hat. Gegen solches Verfließen, das ohne bestimmtes
Bewußtsein, scheu und ohnmächtig noch in seiner brutalsten Form die unbarmherzige
Zivilisation zugleich imitiert und zerstört, setzt diese die festen - Mauern
der Zucht- und Arbeitshäuser, ihr eigenes steinernes Ideal. Wie nach
Tocqueville die bürgerlichen Republiken im Gegensatz zu den Monarchien nicht
den Körper vergewaltigen, sondern direkt auf die Seele losgehen, so greifen
die Strafen dieser Ordnung die Seele an. Ihre Gemarterten sterben nicht mehr
aufs Rad geflochten die langen Tage und Nächte hindurch, sondern verenden
geistig, als unsichtbares Beispiel still in den großen Gefängnisbauten, die von
den Irrenhäusern fast nur der Name trennt." Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, in:
Dialektik der Aufklärung, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1971
Meinem Stück liegt der Fall des vierfachen Kindestöters
Jürgen Bartsch zugrunde. Trotzdem war es nicht meine Absicht, ein
Dokumentarstück zu schreiben. Den Kriminalfall ausführlich dokumentiert haben
bereits zwei Bücher, deren Quellenmaterial mit den Selbstaussagen von Jürgen
Bartsch ich sehr umfänglich genutzt habe: Friedhelm
Werremeier, Bin ich ein Mensch für den Zoo? Limes Verlag, Wiesbaden 1968 und Paul Moor, Das Selbstporträt des
Jürgen Bartsch, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1972.
Durch den authentischen Hintergrund
gewinnt mein Stück vielleicht an Wahrheit; gleichwohl ist mir das Schicksal von
Jürgen Bartsch, der zur Zeit seine Haftstrafe verbüßt, nicht gleichgültig. Ich
glaube, daß jemand, der krank ist, krank geworden an den Institutionen der
Gesellschaft, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Anspruch auf
angemessene psychotherapeutische Behandlung und andere medizinische Versorgung
hat. Niels
Höpfner Eine
Gefängniszelle. Einzige Person des Stückes ist ein ungefähr 25jähriger Mann.
Der Name des Häftlings sei Jürgen. Er, könnte jedoch ebensogut auch Thomas,
Peter oder Michael heißen. Der Schauspieler, der ihn darstellt, sollte zu
seiner Rolle Distanz haben. 1 Er sitzt auf dem Stuhl. Er hält
sich die Ohren zu. Tonband:
„Der Metzgergeselle
Karl-Heinz, genannt Jürgen B..., wird angeklagt, ... I. durch vier selbständige
Handlungen a) minderjährige. Personen durch List ihren Eltern entzogen
zu haben und durch dieselben Handlungen b) als Mann einen anderen Mann mit
Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben genötigt
zu` haben, sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen, c) mit Personen
unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vorgenommen zu haben, d) aus
Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, heimtückisch, grausam und um
eine andere Straftat zu verdecken, vier Menschen getötet zu haben, (sowie) Il.
durch eine weitere selbständige Handlung a) als Mann einen anderen Mann mit
Gewalt genötigt zu haben, sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen, und
b) durch dieselbe Handlung ... einen Menschen zu töten versucht zu haben.:." 2 Er hat ein Stofftier in der Hand, einen Dackel. Alles herhörn: wer eins von
unsern Küchenmädchen auch nur anschaut, der kriegt Prügel: Verstanden? Skandierend,
wie im Chor: Ja, Pater... Im Ton wie vorher: Und noch eins: es
gibt Männer, die sich mit Männern einlassen. Und mit Jungens. Homosexuelle
nennt man die. Vor denen müßt ihr euch besonders in acht nehmen. Erkennen kann
man die daran, weil sie immer feuchte Hände haben und dunkle Ringe um die
Augen. Was die machen, das ist eine Todsünde. Und der Herrgott hat sie verdammt
in alle Ewigkeit. Das hat schon der heilige Paulus geschrieben... Sollte es
vorkommen, daß wir zwei von euch zusammen erwischen, die fliegen sofort raus.
Sofort. Wer Sauereien macht, der ist so schlimm wie 'n Verbrecher. Solche
Schweinereien kommen direkt nach Mord, jawohl, direkt nach Mord... Auch wenn
das Blut sich staut, dem Satan nicht nachgeben. Habt ihr verstanden? Skandierend,
wie im Chor: Ja, Pater... Tonwechsel: Jürgen, willst du wissen,
wie man's mit 'em Mädchen macht? Einfach den Schwanz in ihre Pflaume stecken.
Ins Loch unten. Paß aber auf, daß du ihr keinen dicken Bauch machst, wenn du
mit ihr vögelst... Guckt mal, der Jürgen, ich glaub, der muß kotzen. So eine
Flasche... Guckt euch dieses Muttersöhnchen an. Willst du'n paar auf die
Schnauze, du Muttersöhnchen? Mamas Liebling! Mit 'ner Klammer im Haar... Du
Schwächling, du. Mich legst du nicht aufs Kreuz. Mich schaffst du nie. Au, das
Schwein beißt. Jetzt kriegst du die Fresse poliert, Jürgen. 3 Er korrigiert einen Brief.
„12. August 1966 - Liebe Eltern! Zunächst möchte ich Euch
meinen herzlichen Dank aussprechen, daß Ihr mich besucht habt. So schwer es
ist, ich glaube, ich muß es Euch nochmals sagen: Es ist wahr, es stimmt... Ich
bitte Euch, sagt jetzt nicht: Dann kann dir niemand mehr helfen!, und laßt mich
allein. Denn dann, wenn Ihr Euch von mir abwenden würdet, dann könnte mir
wirklich niemand mehr helfen. Helfen! Das ist nicht das richtige Wort, wißt
Ihr. Helfen könnte mir nur ein Arzt. Ich muß etwas und jemand haben, an den ich
mich klammern kann. Es wäre ein Irrtum zu glauben, ich hätte Hilfe verdient.
Ich sage mir selbst: Du hast kein Recht, daß dich jemand anschaut! Um so
dankbarer bin ich Euch, daß Ihr Euch so um mich kümmert. Das hält mich am
Leben, und nur das, wenn ich ehrlich bin. Nun ja, was sollte es sonst auch
sein?
Selbstverständlich
bin ich 'am Boden zerstört', wie man so sagt, jedoch schon länger als sieben
Wochen! Ich sage mir: Gott verzeiht dir nicht, aber es hat mich doch so sehr in
den Klauen gehabt. Da kommen wir auch gleich zu der Frage: Warum hast du nie und
zu niemand von deiner Veranlagung gesprochen? Das kann auch ich selber mir nur
mit einem Vergleich erklären: Man muß eine derartige Veranlagung mit einem
wilden Raubtier gleichsetzen, das getötet werden soll. Genauso stark setzt sich
ein Trieb zur Wehr, wenn er einen bestimmten Grad erreicht hat, denn für ihn
ist 'bekanntwerden' gleich mit dem Versuch,
ihn zu vernichten. Das soll keine Entschuldigung sein, ich versuche nur selbst,
die Lösung zu finden! Man sollte vielleicht auch nicht vergessen, daß das Wort
'Trieb' von 'getrieben werden' kommt, und daß sich jeder Mensch glücklich
schätzen soll, der normal veranlagt ist, denn es ersparen sich ihm
Vorstellungen, Ängste, Gewissensqualen, innere Zweifel, vor denen er nur
ratlos den Kopf schütteln kann! Es ist jetzt für mich vor allem die Frage: Hättest
du den Willen aufbringen können, den Trieb zu unterdrücken? Oder sollte 'das'
so stark werden können, daß es einfach über die Willenskraft hinausgeht? Das
ist eine Gewissensfrage, eine der größten, die es gibt, doch leider vermag ich
allein sie nicht zu beantworten! Ich sage mir nur eines immer wieder: Du
hättest es gemußt! Viele Grüße- ich denke immer an Euch. Jürgen."* 4 Er sitzt auf dem Klo und deklamiert. Rinnen muß
der Schweiß, Soll das Werk den Meister loben; Doch der Segen kommt von oben. Zum Werke, das wir ernst bereiten, Geziemt sich wohl ein ernstes
Wort; Wenn gute Reden sie begleiten, Dann fließt die Arbeit munter
fort. So laßt uns jetzt mit Fleiß
betrachten, Was durch die schwache Kraft
entspringt. Den schlechten Mann muß man
verachten, Der nie bedacht, was er
vollbringt. Das ist's ja, was den Menschen zieret, Und dazu ward ihm der Verstand..." ... der.. . der Verstand ... nicht
schlagen, Pater... ich kann's doch ... ich kann's ganz bestimmt ... drei Tage
hab ich dran gelernt ... nicht schlagen, Pater... „Und der
Vater mit frohem Blick Von des
Hauses weitschauendem Giebel überzählet sein blühend Glück, Siehet der Pfosten ragende Bäume Und der Scheunen gefüllte Räume Und die Speicher, vom Segen gebogen, Und des Kornes bewegte Wogen, Rühmt sich mit stolzem Mund: Fest, wie der
Erde Grund, Gegen des
Unglücks Macht Steht mir des
Hauses Pracht! – Doch mit des
Geschickes Mächten Ist kein
ew'ger Bund zu flechten, Und das
Unglück schreitet schnell." 5 Er steht mit dem Rücken zum
Publikum, dreht sich erst nach den ersten Sätzen um. Tut's dir leid, daß wir ausgerissen sind? Keinen Tag länger hätt' ich's
ausgehalten in dem blöden Internat. Noch vier Jahre. Schlimmer wie im
Gefängnis. Beten und büffeln, beten und büffeln... Wenn wir uns auf der Straße
sehn lassen, erwischt uns die Polente... Ja, ich hab gelogen, ich hab kein
Geld für'n Zug. Du wärst ja sonst nicht mitgekommen. Aber wir werden's auch so
schaffen. Er streckt sehr langsam
eine Hand aus, die er rasch wieder zurückzieht. Du hast schöne Haare. Ich mag sehr, wenn'n Junge lange Haare hat. So wie
du. Nur rote Haare, die kann ich nicht ausstehn. Sehn wirklich gut aus, deine
Haare. Darf ich mal anfassen?... Ist doch nichts dabei. Dann eben nicht...
Weißt du, daß man auf den Schienen hören kann, wenn'n Zug kommt? Du, dahinten!
'n ganz winziger Punkt. Da kommt einer. Wenn du'n Ohr auf's Gleis legst,
kannst'n bestimmt schon hörn. Tonband:
Das Geräusch eines sich nähernden Zuges. Kein Realismus. Wenn ich dich jetzt an den Schultern pack, genügt ein kleiner Schubs,
und du liegst drunter. Du kannst dich wehren, wieviel du willst. Ich bin stärker
wie du. Du schaffst es nicht, auch wenn du dich noch so wehrst. Der Zug rollt
über dich weg... Jetzt kann ich dich streicheln. Deine Haare sind blutig,
jetzt... Aber es war doch nur Spaß! Ich hätt's nie getan. Schwör ich dir. Glaub
mir, ich hätt dich doch nie unter den Zug gestoßen. Das war doch nur'n Witz.
Traust du mir tatsächlich zu, daß ich so was tun würde? 6 Er sitzt
mit ausgestreckten Beinen auf dem Stuhl. Wir
müssen mal über deine Zukunft reden, Junge. Ostern hast du die Schule aus, und
dann muß es ja irgendwie weitergehn mit dir. Was hast du dir vorgestellt? ...
Darüber hab ich noch nicht nachgedacht, Vater...
Weißt du, Junge, es ist sehr mühsam
gewesen, das Geschäft aufzubaun. Sehr mühsam. Heute haben wir's geschafft. Aus
eigener Kraft. Eigentlich haben wir's ja auch nur für dich getan... Und ich
hab mir gedacht, du machst 'ne Lehre und steigst dann hier ein... Besser kannst
du's doch überhaupt nicht haben... Dazu ist
er doch viel zu dösig, Mann. Er setzt
sich 'ordentlich' auf den Stuhl. Der
Jürgen, der wird nie'n hundertprozentiger Metzger. Der nicht. Glaub ich auf
keinen Fall, daß das der richtige Beruf für den ist. Dazu muß man nämlich
Muskeln haben, und clever sein... Mutter,
ich schaff das schon. Ich werd mir auch alle Mühe geben. Das versprech ich
euch... Überleg es dir genau, Junge... Oder weißt du was andres?... Wenn du
mich so fragst, Vater: Taxifahrer vielleicht, oder so... Unser Sohn und Taxifahrer,
das wär ja noch schöner. Wir sind schließlich selbständige Geschäftsleute. Was
sollen denn die Nachbarn sagen... Vater
... oder vielleicht Polizist. Ich hab bestimmt das Zeug dazu, daß ich'n guter
Polizist werde.
7 Er steht lässig da. Vielleicht hört man, ganz fremd,
das Geräusch von Regen.
Scheißwetter, nicht? Aber ist hier ja
immer so. Ich hab mal gelesen, ist die Stadt hier mit dem schlechtesten Wetter
in ganz Deutschland. Bin gespannt, wann jemand 'ne Bindfadenfabrik aufmacht...
Was machst du denn so? Nichts? Gehst du noch zur Schule? Hab ich mir gedacht...
Hast du Zeit? Kommst du mit einen flippern? Ich geb auch 'ne Cola aus. Ich kenn
hier in der Nähe 'n Lokal... Der Regen
hat aufgehört. Du bist ja'n richtiger Flipperkönig. Unschlagbar. Für mich
bist du einfach zu gut... Ich hätte vielleicht was für dich zu tun. Hast du
Lust, fünfzig Mark zu verdienen?
Du kannst Zeuge sein, bei 'ner
wichtigen Übergabe. Ich bin nämlich Detektiv, ich arbeite für eine
Versicherung. Ich hab viel zu tun. Viel zu viel für mich allein. Und die
komischsten Sachen. Heute müssen wir zuerst eine Tasche holen. Darin sind
Edelsteine. Ein ganzes Pfund Edelsteine. Wir holen also die Tasche, und dann
sehn'wir weiter... Einverstanden? - O.K.... Rufen Sie bitte ein Taxi, ja? 8 Er sitzt rittlings auf dem Stuhl. Mit einem Arm
stützt er sich auf die Lehne.
Fahren Sie in die Richtung. Ja? Ich weiß noch nicht
genau. Ich sag Ihnen dann Bescheid, wohin wir wollen... Sie fahrn aber ziemlich
flott. Mensch, gleich sitzt uns noch jemand hinten drauf. Fahren Sie b i t t e
vorsichtig... Halt, ich glaub, hier geht's rechts ab. Nein, noch nicht. Ich hab
mich vertan. Weiter gradeaus. Und nicht so schnell... Hier gleich abbiegen.
Jetzt weiß ich's wieder. Noch'n kleines Stück... So. Hier können Sie
anhalten... Achtzwanzig? Ich hab nur fünfzig Mark. Können Sie wechseln? ... Komm,
steig aus ... Zehn bitte. 9 Er liegt auf den Knien. Spot nur auf sein Gesicht. Hier,
hier müssen wir rein. Ist'n alter Luftschutzstollen. Übriggeblieben noch vom
Krieg. Komm mir einfach nach. Hast du Angst?... Natürlich ist es da duster.
Aber ich bin ja bei dir. Warte, ich mach 'ne Kerze an. So, geht's jetzt? Kannst
du was sehn?... Da liegen noch welche aus'em Krieg. Darum stinkt's hier so.
Müssen wir uns aber nicht drum kümmern, wir gehn
'n andern Weg. Außerdem: die beißen nicht mehr... Hier ist es. Sein Gesichtsausdruck kippt von einer
Sekunde zur andern um. Zieh dich aus, dalli, dalli. Deine Jacke? Was heißt:
schmutzig? Bescheiß dich nicht um deine Jacke. Was geht mich deine Jacke an?
Ist mirdoch egal, ob die neu ist... Tust du's endlich?... Schrei nur. Hier
kannst du schrein, soviel du willst. Hier hört dich niemand. 10 Er sitzt am Tisch und ißt. Warum
kommst du so spät nach Haus, Jürgen? Das Essen ist schon ganz kalt. Und dabei
gibt es heute Nieren... Nieren mag ich nicht, Mutter. Und außerdem, wenn ich
meine Uhr nur sonntags tragen darf... Keine Widerworte, Jürgen. Du ißt, was auf
den Tisch kommt. Hast du verstanden?... So, jetzt hol ich den Kleiderbügel.
Dann wirst du erst mal ordentlich versohlt. Wir werden dir deine Hammelbeine
schon langziehn... Halt den Mund! Du bist der Jüngste. Du hast gefälligst den
Mund zu halten. Du hast sowieso nichts zu sagen. Als Kind spricht man nicht,
wenn man nicht gefragt wird... D e i n Sohn?
Wieso mein Sohn? Ist er nicht etwa auch dein Sohn? D e i n e Erziehung.
Ich hab's ja schon immer gesagt. Das, das hat er von dir. Wer weiß, ob er das
nicht von dir hat... Steh nicht überall im Weg rum. Du stehst überall im Weg
rum... Wartet nur, bis ich einundzwanzig bin... Ja, ja, aber du bist doch zu
dumm dazu, woanders zu existieren wie bei uns. Und wenn du wirklich abhaun
würdest, dann wirst du schon sehn, nach zwei Tagen bist du wieder hier, du
Trottel... Diese Woche gehst du zum Friseur, Jürgen! Diese Woche noch... Guck
dir bloß die Spiegel an, die mußt du alle noch mal machen... Ich werd sie nicht
noch mal machen, sie sind ganz blank. Nein, Mutter... Was willst du mit dem
Messer? Du kannst doch nicht einfach damit nach mir werfen. Aber du triffst
mich nicht, nie triffst du mich. Daß du mir ins Gesicht spuckst, hab ich nicht
verdient, das hab ich nicht verdient... Dann ruf doch an! Ruf das Jugendamt an!
Ruf es an! Dann hat alles ein Ende... Dann wirst du abgeholt, damit du
hinkommst, wohin du gehörst. Wo du hergekommen bist, denn da gehörst du hin...
Ich bin in die Küche gelaufen, zu unsrer Verkäuferin. Sie hat grade Geschirr gespült.
Ich sagte: Sie hat ein Messer nach mir geworfen... Du spinnst, Jürgen, du bist
nicht gescheit... Da bin ich die Treppe in den Lokus runtergelaufen und hab
mich hingesetzt und geheult wie ein Schloßhund. . . Jürgen, gib mir'n Kuß. . .
Ja, Mutter. 11 Er hockt
im Schneidersitz auf dem Boden und sieht anscheinend zu jemandem hoch. Die
Geschichte von diesem Franzosen, können Sie mir die noch mal erzählen, Pater?
Ich würd sie zu gern noch mal hörn. Bitte, erzählen Sie mir die Geschichte noch
mal... Legendenerzählton. Er hieß...
Kurzes Nachdenken, bevor er den Namen ausspricht...Gilles
de Rais und war ein berühmter Feldherr und lebte in Frankreich, so um das
fünfzehnte Jahrhundert. Er führte Kriege und gewann viele Schlachten. Auch an
der Seite der heiligen Johanna hat er gekämpft. Zwischen den Kriegen aber,
nachdem er seine Frau weggejagt hatte und seine Tochter, wurde er der größte
Kindermörder aller Zeiten. Weit über hundert Kinder hat er umgebracht. Alle in
deinem Alter. Oder noch jünger. Seine Leute haben von den Märkten und Gassen
Bettlerjungen entführt und Kinder von Bauern und haben sie ins Schloß gebracht
zu Gilles de Rais. Der befleckte sich an ihnen, und anschließend folterte er sie.
Er schnitt den Jungen die Halsader auf und vergnügte sich an dem Blut, das
hervorschoß. Oder er ließ sie enthaupten. Dann dauerten die Orgien so lange,
wie die Körper noch warm waren. Er hat immer neue Todesarten erfunden. Manchmal
wurde den Kindern die Gurgel durchgeschnitten. Oder mit einem Stock das Genick
gebrochen. Oder einzelne Körperteile wurden abgehackt. Und Gilles hatte großes
Vergnügen, wenn er die Jungen sterben sah. Wenn die Kinder schließlich tot
dalagen, umarmte er sie und ließ sie von seinen Kumpanen betrachten. Und er
fragte sie: wer von ihnen hat den schönsten Kopf? Der hier oder der von gestern
oder der von vorgestern? Und er küßte den Kopf, der am meisten gefiel und
erfreute sich daran. Seine Grausamkeit wurde immer größer. Schließlich
schlitzte er die Körper auf und ergötzte sich am Anblick der Eingeweide. Die
Diener verbrannten die Toten im Kamin und wuschen das Blut von Händen und
Wänden... Wenn du nicht fleißig bist und gehorsam, Jürgen, kann dir das auch
blühn. Also, Jürgen. 12 Er steht lässig da. Tingeltangelmusik, sehr
verfremdet. Bunte Lichtreflexe. Ein
Betrieb ist das hier! Toll, nicht?... Bist du allein hier? Ja?... Willst du mal
mitfahrn? Ich hab noch 'ne ganze Hand voll Chips. Die reichen für mindestens
zehnmal. Na los, du darfst sogar selbst fahrn... Welches nehmen wir denn? Das
blaue? Oder lieber das rote?... Mensch, paß auf, die rammen uns, Steuer rum.
Grade noch mal gutgegangen. Du mußt aber noch ganz schön lernen. Aber paarmal
können wir ja noch . . . Hast du dein ganzes Geld. schon ausgegeben? Geht
schnell, nicht? Was, zwei Mark nur? Ist ja nicht die Masse. Zwei Mark sind
schnell weg, auf so 'ner großen Kirmes... Willst du dir was verdienen? Zehn
Mark? Ja?... Du kannst Zeuge sein, bei 'ner wichtigen Übergabe. Ich bin nämlich
Detektiv, ich arbeite für eine Versicherung. Ich hab viel zu tun. Viel zu viel
für mich allein. Und die komischsten Sachen. Heute müssen wir zuerst 'ne Tasche
holen. Stell dir vor: in der Tasche sind Edelsteine. Ein ganzes Pfund
Edelsteine. 13 Er hat seine Ärmel aufgekrempelt. Ich
möchte viel lieber in den Laden, Vater. Von morgens bis abends in der
Wurstküche, ist doch langweilig... Langweilig? Du kriegst gleich was um die
Ohren... Ein Rinderhinterviertel muß fachgerecht zerlegt werden! Lernst du das
denn nie?... Fleischwurst kannst du nicht machen und Thüringer auch nicht. Wie
willst du überhaupt deine Prüfung bestehn? Das ist mir wirklich schleierhaft...
In die Leberwurst muß mehr Lunge, und vergiß die Lorbeerblätter nicht... Morgens um
sechs hoch und abends um zehn nach Haus. Fünfundsechzig Stunden die Woche. Was
hat man da noch vom Leben?... Der
kann kein Blut sehn, und so was wird Metzger... Wenn du Schinken zerlegst, muß
du auf die Fleischnähte achten. Sonst ist alles versaut. Junge, ich glaub, du
hast zwei linke Hände... Wenn du mal 'n paar Pfund mehr tragen mußt wie sonst,
brichst du glatt zusammen... Junge, mach mit 'em Schleifstein und Wasser 'n
paar Messer scharf. Die sollen scharf sein? Daß ich nicht lache. Darauf kann
man ja spazierengehn . . . Du stellst dich wirklich dämlich an... Vater, muß
ich mit zum Schlachthof? Schlachten kann der Manfred viel besser wie ich. 14 Er kniet. Vom
Zuschauerraum aus sieht man ihn im Profil. Im
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes... Er schlägt
das Kreuz. Ich bin
fünfzehn... Meine letzte Beichte war... ich kann mich nicht mehr dran
erinnern... (Der Herr
sei in deinem Herzen und auf deinen Lippen, damit du alle deine Sünden richtig
beichtest. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen
...) In Demut
und Reue bekenn ich meine Sünden... Ich ... ich habe gegen das Fünfte Gebot
verstoßen... ich habe getötet... einen Menschen... (Du
hast zuviel Kriminalfilme gesehn, Junge...) Nein,
nein, es ist wahr ... es... es...(Erzähl es genauer...) Ich ... ich... (Du hast
schwere Schuld auf dich geladen. Du mußt dich der irdischen Gerechtigkeit
stellen. Eher wirst du keine Ruhe finden ...) Dies sind
meine Sünden. Ich bereue sie von Herzen. Ich erbitte die Lossprechung... Warum
schweigen Sie?... (Der
allmächtige Gott erbarme sich deiner, er lasse dir die Sünden nach und führe
dich zum ewigen Leben. Amen... Nun spreche ich dich los von deinen Sünden im
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.) Er schlägt
das Kreuz. 15 Er liegt bäuchlings auf seiner Pritsche, den Kopf
auf eine Hand gestützt, sein Gesicht ist leer. Aus dem Radiolautsprecher in
seiner Zelle singt Heintje, der Kinderstar. 16 Er sitzt auf dem Stuhl, er
raucht.
Die Mordphantasien haben begonnen, wie ich das
letzte Jahr auf die Schule ging, als ich mit andern Jungs in der Höhle gewesen
war. 'n paar Tage später hab ich angefangen, immer 'n Stück weiter in den
Stollen reinzugehn, bis nach einiger Zeit alle Angst weg war. Natürlich hab ich
auch Angst gehabt, wie jedes andre Kind. Aber ich wollte diese Angst überwinden
und schaffte es auch. Ich blieb dann eine ganze Stunde in dem Stollen oder
länger. Langsam aber sicher betrachtete ich ihn als mein Eigentum. Sofort,
nachdem ich das erste Mal in der Höhle gewesen war, kam mir der Gedanke, dort
Kinder zu mißbrauchen. In der allerersten Zeit, Herr Professor, hab ich aber
noch nicht an mehr gedacht, auf keinen Fall ans Töten. Innerhalb von an
derthalb Jahren hab ich zwei oder drei Jungs in den Bunker mit runtergenommen.
Ich hab sie da reingelockt und dann mit Gewalt ausgezogen, aber sonst weiter
nichts getan. Anschließend hab ich sie wieder laufen lassen. Ich war damals
vierzehn, die andern sind so zehn oder elf gewesen. Sie waren alle so klein,
viel kleiner wie ich. Sie haben alle solche Angst gehabt, daß sie sich
überhaupt nicht gewehrt haben. Nur einer, der wollte nicht. Da hab ich
Rasierklingen aus der Tasche gezogen und dem jungen gedroht, ich würd ihn
zerschneiden, wenn er nicht brav wär. Da war der Plan in etwa fertig. Ob ich
ihn damals schon hätte ausführn können, möcht ich nicht unbedingt behaupten.
Ich glaub es nicht. Auf jeden Fall, diese Phantasien mit dem Schneiden fingen
also schon an, als ich noch zur Volksschule ging. Im Prinzip waren sie so wie
heute, Herr Professor, das Abschneiden der Geschlechtsteile und das Ausweiden
war von Anfang an mit dabei. Über die schlimmsten Dinge kann ich nur sägen, von
diesem Zeitpunkt an hab ich keinen direkten Einfluß mehr darauf gehabt. Ich
konnte wirklich nicht anders. Ich habe nur gebetet und gehofft, daß das etwas
nützt, aber auch das nicht. Obwohl ich's fest vorhatte,
hab ich beim ersten Mal noch nicht den Mut zum Töten gehabt. In der Stadt hatt'
ich einen jungen gefunden und ihn mit 'ner Pistole bedroht. Wir waren allein in
dem Eingang vor einem Musikgeschäft. Ich hab zu ihm gesagt: 'Du kommst mit oder
es knallt!' Er war so eingeschüchtert, daß er ohne weiteres mitgekommen ist.
Hat sich überhaupt nicht gewehrt. Ich hatte eine scharfe 9-mm-Pistole, aber
ohne Munition. Die Pistole hab ich für dreißig Mark von 'nem andern jungen aus
unsrer Siedlung gekauft. Mit dem jungen hab ich dann 'n Bus genommen, und wir
sind praktisch bis zur Höhle gefahrn, ich immer hinter ihm mit meiner Pistole
unter der Jacke. Am Eingang der Höhle hab ich ihn reingestoßen, aber da hat
mich auf einmal der Mut verlassen. Richtig schlecht geworden ist mir. 'Raus!
Mach, daß du raus kommst', hab ich zu ihm gesagt. 'Hier hast du eine Mark,
mach, daß du wegkommst!' Dann ist er abgehaun. Ich hab mir überlegt, daß diese
Methode an sich völliger Unsinn war. Ich hab dann gedacht: jetzt sprech ich
einfach einen Jungen an, auf der Kirmes oder auf der Straße, dem erzähl ich irgendeine
Geschichte, was in der Höhle alles vergraben wär, und er kommt sicherlich
freiwillig mit. Und dann hat's geklappt, obwohl viele wegliefen und andre
nichts davon wissen wollten. Kinder sind im allgemeinen doch vernünftiger als
man annimmt. Ich bin mir ein bißchen albern vorgekommen und komisch, kleine
Jungen anzusprechen. Insgesamt waren's weit über hundert. Aber ich wußte j a,
was ich vorhatte, Herr Professor. Ich hab es eben immer wieder versucht, und
an einem Tag hat es dann geklappt. Es war gerade Kirmes, und da bin ich hin.
Ich sah, wie'n junge den Kirmesplatz allein verließ. Ich bin hinter ihm
hergegangen und hab ihn angesprochen. Zwanzig Mark hab ich ihm angeboten, wenn
er mitkommen würde. Er war sofort damit einverstanden. Wir sind dann in den Bus
gestiegen, Linie 55, dann weiter mit dem 77er. Zu Fuß noch zwei Kilometer bis
zum Stollen. Im Stollen hab ich den jungen mit dem Revolver niedergeschlagen.
Hierbei bin ich sexuell enorm erregt worden. Ich hab das Kind ausgezogen und
dann onaniert. Der Junge hieß Klaus und war acht Jahre alt, wie ich später in
der Zeitung gelesen hab. Die Kleider des Jungen hab ich'n paar Tage später im
Bunker verbrannt. Zu diesem Zweck hatte ich mir von zu Hause eine Flasche
Benzin mitgenommen. Das Benzin hab ich über die Kleider geschüttet und dann
angezündet. Ich erinnere mich, daß das an einem Samstag war. Als ich am Montag
nämlich an dem Stollen vorbeiging, sah ich dicke Qualmwolken rauskommen. Ich
hab mich sehr gewundert, daß es niemandem aufgefallen ist. Die Leiche hatte ich
zunächst mit Holz zugedeckt. Nach ungefähr drei Monaten hab ich sie in der
Gangmitte vergraben. Wehe dem Menschen, Herr Professor, der sich durch mich
durchfinden muß. 17 Er sitzt am Tisch und liest. Am Rande
der Metropole liegt ein Stadtteil, der schon am hellen Tag düster und trostlos
wirkt. Wer heute nacht dort entlanggeht, hört den Sturm durch die
Straßenschluchten heulen, spürt bei jedem Donnerschlag das Pflaster unter
seinen Füßen erzittern, sieht graue Ratten herumhuschen ... Und während sein
Blick unablässig über die Dächer streift, lauert im Dunkel... die lachende
Bestie. Jeder Verbrecher ist sein Feind - jeder gute Mensch sein Freund. Doch
wenn der Freund zum Feind wird, dann - nimm dich in acht, Batman! Ob er
überhaupt kommt? Ein betäubender Donnerschlag! Dann Stille - und in die Stille
hinein ein widerliches, höhnisches Lachen: Ha-ha-ha-ha. Batman wirbelt herum -
und wird von oben angesprungen! Der schlägt zu wie 'n Dampfhammer! Mann, hat
der Muskeln! Er hat mehr Kraft als ich! Muß zur List greifen - spiele den
Angeschlagenen... und treffe ihn unversehens von unten! Wuschh! Daneben! Er ist
unglaublich flink! Er schlägt schneller, als ich sehen kann! Mein armer Kopf! Ha-ha-ha-ha! Er hält mich zum Narren! Lacht
mich noch aus! Langsam packt mich die Wut! Du sollst ersticken an deinem
Gelächter! Er ist entwischt! Nur den Mantel hab ich in der Hand!... Gleich
darauf ein zweiter brutaler Angriff! Ha-ha! Und noch ein Fußtritt! Über die
Dachkante stürzt Batman ins Bodenlose! Aber es gelingt ihm, sich zu fangen!. .. Er
überblättert einige Seiten. Nein! Laß
mich! Bitte, schlag mich nicht mehr! Feigling! Dein Jammern nützt dir nichts!
Laß ihn los! Kein Mord! Laß dich doch von ihm nicht zum Mörder machen. Spar
deine frommen Sprüche, B atman! Ich bin ein lebender Leichnam - mir bleibt
nichts als die Rache! Er ist übergeschnappt! Das alles war zuviel für ihn! Kann
nur eins tun: entweder ich verhindere den Mord, oder... ich töte uns alle! Crash! Zack! Bumm! Muß ihn zum Arzt bringen! Ob er
noch zu retten ist? Puls und Atmung sind normal. Wo-wo bin ich? Unter den
Lebenden, Freund! 18 Er steht mit herabhängenden Armen in der Mitte der
Bühne. Das ist
nicht richtig, was du mit mir machst, Mutter. Du behandelst mich immer noch
wie ein kleines Kind. Wie einen Säugling behandelst du mich. Ich bin achtzehn,
und du badest mich, wie einen Säugling. Warum kann ich denn nicht allein baden?
Die andern in meinem Alter baden doch auch allein... Freitag ist Badetag, und
du krempelst dir die Ärmel hoch. Das hängt mir zum Hals raus, Mutter. Die ganze
Woche hab ich Angst vor diesem Tag. Du verdirbst mir die ganze Woche damit.
Immer muß ich an Freitag denken. Dein Sauberkeitsfimmel geht mir auf die
Nerven, Mutter. Es ist doch genug, wenn du dauernd den Fußboden scheuerst und
überall Staub wischst, zweimal am Tag. Rauch nicht soviel, Jürgen, die Gardinen
werden sonst schmutzig. Ich kann das nicht mehr hörn, Mutter. Du mit deiner
Sauberkeit. Und Ordnung. Quengelnd: Das Wasser ist wieder zu heiß. Wie
Säure brennt das auf der Haut. Siehst du denn nicht, ich bin schon krebsrot. Mit zusammengekniffenen Augen: Mir ist
wieder Seifenschaum in die Augen gekommen! Kannst du denn nicht aufpassen?
Und der Geruch von dieser Seife, ich kann ihn nicht mehr ertragen. Ist es nicht
möglich, daß du mal eine andre Seife kaufst? Diese Seife hat doch einen so
ekelhaften Geruch. Flüsternd: Ich ekle
mich vor dir, Mutter. Wenn du mich mit deinen Händen anfaßt, die so rauh sind
und rissig. Mit denen du den ganzen Tag Fleisch verkaufst. Ich mag deine alten
Hände nicht. Mein Körper ist zu schade für deine widerlichen Hände. Dazu ist
meine Haut zu weich. Deine Hände sind so widerlich. Und wenn du mir zwischen
den Beinen herumfummelst, dann könnte ich dich umbringen. In dem Augenblick
könnte ich dich umbringen, jawohl, umbringen... Deine Augen! Du kannst es ja
nicht sehn, aber ich, ich seh es ganz genau, wie deine Augen zu glänzen
anfangen, so seltsam und fremd. 19 Er schaut neugierig herum: Jemand, der in einer
fremden Wohnung ist. Warum
wollen Sie's denn vorher haben?... Hab ich nicht gewußt. Entschuldigen Sie...
Ja, zum ersten Mal. Hat mich 'ne große Überwindung gekostet, ehrlich gesagt.
Ich weiß schon lange, daß das hi er ist. Von Bekannten. Aber ich hab mich nicht
getraut bisher. Warum lachen Sie denn? Da gibt's doch nichts zu lachen. Komisch,
es sieht genauso aus, wie ich's mir vorgestellt hab, und wie man's im Kino
sieht, mit rotem Licht und so... Christa. Christa ist'n schöner Name...
Wieviel wollen Sie... willst du haben? Dreißig? Erst hast du zwanzig gesagt.
Aber wegen mir, ich bin nicht so. Er setzt sich auf die Pritsche. Warum
ziehst du dich nicht ganz aus?... Ist 'ne ganze Menge, zwanzig Freier am Tag.
Und an Lohntagen sicher noch mehr. Muß schnell gehn, versteh ich. Ist ja auch
nicht Liebe, sondern nur so... Tut mir leid, aber klappt bei mir nicht, im
Moment. Zwingen kann man das nicht. Entweder es geht oder es geht nicht... Sag
mal: machst du's auch andersrum? Du kriegst zwanzig Mark extra... Warum regst
du dich denn auf? Ist'n Grund vorhanden, sich so aufzuregen? Er springt auf, läuft hin und her. Ja, ich
bin schwul, wenn du's genau wissen willst. Schwul. Eine schwule Drecksau. Jetzt
weißt du's, verdammt noch mal. Als ob du noch nie 'n. Schwulen im Bett gehabt
hast! ... Ich versuch alles Mögliche und Unmögliche, mich selbst u m z u d r e h n. Mich umzukrempeln um hundertachtzig
Grad. Vor einiger Zeit hatt' ich mir 'ne Freundin zugelegt. Das Mädchen hat
mich sogar gemocht. Ich hab auch dran gedacht, mit ihr ins Bett zu gehn. Nicht
so sehr wegen dem Mädchen als vielmehr, weil ich dachte: es muß doch möglich
sein, daß du normal wirst. Das Mädchen hat aber nicht gewollt. Nehm ich ihr
nicht übel... 'em Freund, der gut malen kann, hab ich den Auftrag gegeben, mir
nackte Fraun zu zeichnen. In verschiedenen Stellungen. Hat mich völlig kalt
gelassen... Ich hab dir doch gesagt, daß ich darauf nicht steh. Auch nicht auf
Fotos. So was kann mich nicht reizen. Er setzt sich wieder auf die
Pritsche. Hast du's dir inzwischen überlegt? Zimperlich wie 'ne Nonne
bist du. Scheint ja 'n richtiger Nonnenpuff zu sein, hier... Wozu hast du denn
die Peitsche da hängen? Tut ihr damit Buße? Du beschissene Fotze, du. Ihr
Frauen seid doch alle ganz beschissene Fotzen. Wegen eurer Fotze glaubt ihr,
daß euch die Welt zu Füßen liegt. Na los, schlag mich doch. Hundert, wenn du
mich schlägst. Hast du etwa Hemmungen? Du kannst dir hundert Mark verdienen.
Denk an das Geld, an das Geld sollst du denken... Gut, ja, ja, ja, gut. 20 Er steht an der Wand. Wenn
du nicht mitmachst, dreh ich dir die Luft ab, Viktor. Wo sollen wir hin, auf
'en Boden oder in 'nen Keller? Willst du Geld haben? Ich geb dir zehn Mark, wie
immer. Ich kann eben zaubern, ich hab da meinen Kassentrick. Mit 'em Taschengeld
würd ich nie auskommen... Kommst du mit einen saufen, Viktor? Ich lad dich ein,
kostet dich keinen Pfennig. Für'n
guten Freund tu ich alles... Jürgen, dieser Viktor, das ist kein Umgang für
dich. Er ist mir einfach nicht sauber genug. Ich will nicht, daß ihr wie die
Kletten aneinanderhängt. Und rauchen tut er wie ein Schlot. Möchte nur wissen,
wo er das Geld dafür her hat mit seinen fünfzehn Jahren... Viktor, hier hast du
zwanzig Mark. Du bist doch mein Freund, oder? Sollen wir 'ne Kneipentour
machen?... Was sagst du, Viktor? Schluß, aus, fertig? Was soll ich denn ohne
dich anfangen?... Ich will dir ein Geheimnis anvertraun. Ob du's glaubst oder
nicht: Ich hab einen Jungen umgebracht. In dem Luftschutzkeller, den kennst du
ja auch. Hältst du das etwa für'n Witz? Du hältst mich für einen Angeber,
Viktor. Wir können ja hingehn, du kannst dich selbst überzeugen von. Ich
spinne? Ja, vielleicht hast du recht. Vielleicht spinn ich wirklich... Aber
wir könnten doch mal andre Jungs umbringen, wär das nichts? Wir entführen
einfach einen von der Kirmes und bringen ihn dann um. Ja, ja, ich hör schon auf
damit... Was hast du denn mit der BILD-Zeitung vor, Viktor? Steht da was
Besondres drin? „Junge von der Kirmes verschwunden", na und? Der soll
damit zu tun haben? Fünftausend Mark Belohnung? Ziemlich unscharf, das Foto...
Hat zufällig 'n Schmalfilmer gemacht, ist rausgeschnitten aus 'nem Film... Ich
glaub, du hast nicht alle Tassen im Schrank, Viktor. Der sieht mir doch nicht
ähnlich. Wohin willst du? Fünf Mille verdienen? Geh doch, geh doch, wohin du
willst. Wenn du dich unbedingt lächerlich machen willst!... Komm, Viktor, wir
schmeißen uns in 'n Taxi und fahren einen saufen. O. K.?... Viktor, wenn du
nicht länger mitmachst, dann dreh ich durch. Dann garantier ich für nichts
mehr. Hier hast du fünfzig Mark. Mehr kann ich dir heute nicht geben. Viktor,
du machst doch nicht Schluß? Drei Jahre sind 'ne lange Zeit. Da gewöhnt man
sich aneinander. Mach keinen Mist, Viktor. Du kannst mich doch nicht so einfach
im Stich lassen. 21 Er liegt auf der Pritsche. Tonband: Aufstehn,
Jürgen. Ist sechs Uhr. Du kannst ins Badezimmer... Ich komm sofo-ort... Na
los, wird's bald? Draußen scheint schon die Sonne... da steht 'n Peterwagen vor
der Tür... Die wollen sich sicher was zum Frühstück holen, aus 'em Automaten...
Aber sie kommen die Treppe rauf. Er steht auf. Ungefähr zehn
verschiedene Türklingeln läuten. Guten Morgen. Polizeimeister Rüdiger. Können wir Sie 'n
Augenblick sprechen? ... Ja, gern, um was geht's denn? ... Haben Sie einen Sohn
namens Jürgen? ... Ja, der ist grade im Bad. Was ist denn los mit ihm? Hat er
was ausgefressen?... Tja, wir müssen den Jungen mal mitnehmen... Komm mal raus,
Jürgen. Du sollst mit der Polizei mit. Sei ganz ehrlich: hast du was
ausgefressen? Soll ich mitfahrn, Jürgen? ... Du kannst nicht mitfahrn, Frau,
wir müssen den Laden aufmachen... Also, Herr Wachtmeister, sagen Sie mal, was
ist denn eigentlich los?... Das wissen wir auch nicht. Wir kriegen von der
Kripo einen Auftrag, und den führn wir aus. Die sagt uns auch nicht, worum's
eigentlich geht... Jürgen, hier sind fünf Mark. Kauf dir was zu essen von,
wenn's länger dauert. Du hast doch nichts ausgefressen? Nun zieh dich fertig
an, Jürgen, damit's losgehn kann. Also: bis bald. 22 Er sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem
Stuhl. Ich bin nach Feierabend von unserm Geschäft sofort nach
Hause gefahrn, mit dem Bus. Ich kann überhaupt nicht der sein, der um dieselbe
Zeit in der Stadt 'nen Jungen angesprochen hat und ihn mitgenommen hat. Ich
weiß nicht, wieso Sie grade auf mich kommen. Ich hab mit der ganzen Sache
nichts zu tun. Tut mir leid. Das muß alles 'n Irrtum sein. Aber davon ab, wie
lange soll ich hier noch rumhängen?... Das haben Sie mich jetzt schon
tausendmal gefragt. Wie oft soll ich Ihnen noch sagen: ich hab damit gar nichts
zu tun, Herrgott noch mal. Nun lassen Sie mich gefälligst gehn. Wir leben doch
schließlich in einem freien Lande, oder nicht?... 'ne Gegenüberstellung? Von
mir aus. Wenn Sie glauben, daß das was bringt. An mir soll's nicht liegen. Ich
hab kein schlechtes Gewissen. Ich bin mir keiner Schuld bewußt. . . Er springt auf. Ich
geb's zu. Ich bin es gewesen. 23 Er sitzt auf dem Stuhl. Er raucht. Nach der ersten Tat kam eine lange Pause. Ich hatte einen echten Schock
gekriegt und hab mich ehrlich bemüht, davon loszukommen, aber 'n paar Monate
später, kurz nach der Beichte, da kam es wieder, und ich hab wieder angefangen
zu suchen. -Inzwischen hatte ich mir ein paar andre Methoden
ausgedacht, wie ich an Jungen rankommen könnte. Ich beschaffte mir Äther und
hatte vor, Kinder damit zu betäuben und sie dann in 'nem Koffer im Taxi zur Höhle zu bringen. Aber das mit dem Äther war so
eine Sache, ich hab gestunken wie'n ganzes Krankenhaus. Und mit meinem Koffer
war ich inzwischen stadtbekannt, die Leute drehten sich schon auf der Straße
nach mir um. Aufgegeben hab ich das, als 'n Mann mir zurief: 'Was willst du
eigentlich hier mit deinem Kindersarg?' Ich mußte mir was Neues einfallen
lassen. Ich hab Inserate aufgegeben. 'Balljungen gesucht', hat aber auch nicht
geklappt. Oder ich hab ganz auffällig Zettel in der Nähe von Jungen verloren,
wo draufstand: Wenn du in fünf Minuten an dieser Stelle bist, kannst du fünfzig
Mark verdienen.' War auch 'n Reinfall. Dann hab ich Kinder ansprechen wollen,
wenn die Schule aus war, ungefähr so: 'Komm sofort mit, zu Hause ist was
Furchtbares passiert.' Dazu war ich aber zu feige. Erst drei Jahre später, Herr Professor, ist es dann zur nächsten Tat
gekommen. Ich war mit dem roten VW-Bus von meinen Eltern unterwegs. Vom
Fahrzeug aus sah ich einen Jungen, etwa dreizehn Jahre alt. Er machte einen
hilflosen Eindruck. Er kam von Verwandten und hatte sich verlaufen. Ich hab dem
Jungen gesagt, ich hätte ein Auto und könnte ihn schnell nach Hause bringen.
Wir sind losgefahrn, und an einem Ort, den ich nicht mehr beschreiben kann,
hab ich auf einem Feldweg angehalten. Ich hab den Jungen im Wagen mit Gewalt
ausgezogen. Er hat sich zwar gewehrt, hat aber keine Chance gegen mich gehabt.
Dann hab ich ihn gefesselt mit einer Kordel, die ich dafür immer bei mir
hatte, und geknebelt. Ich habe den Jungen zum Stollen geschafft und ihn da erwürgt. Acht Tage später las ich an 'ner Anschlagsäule, daß in 'ner Nachbarstadt
Kirmes war. Ich beschloß hinzufahrn und wieder zu versuchen, jemand zu finden.
Auf der Kirmes bin ich Auto-Scooter gefahrn. Und dann stand da der Junge, der
Ulrich. Ich hab ihm die Detektivgeschichte erzählt, und er ist mitgef ahrn.
Als ich an 'ner dunklen Ecke anhielt, wollte der Junge weglaufen. Aber er
kriegte die Tür nicht auf. Er hätte den Griff nach oben drehn müssen, aber das
konnte er nicht wissen. Da war es natürlich aus, da hatte ich ihn in der Hand.
Ich weiß nicht wie, aber er wußte genau, was ihm blühte. Ich hab's ja geahnt,
ich hab's ja geahnt!, hat er geschrien. Dann hab ich ihn ausgezogen und gefesselt.
Er hat gejammert, er müßte um sieben zu Hause sein. Ich hab zu ihm gesagt:'Ganz
still jetzt! Dreh dich nach vorn!' Und dann hab ich ihm von hinten mit einem
schweren Hammer auf den Kopf geschlagen. Zuerst hat er ganz furchtbar
geschrien, dann war er ab. Das war eine furchtbare Angelegenheit. Der Junge lag
auf dem Boden und hat bald kein Blut mehr gehabt. Der ganze Boden vom Wagen,
war alles voll Blut. Auf einmal fing das Getriebe an zu brüllen. Es muß
irgendetwas da reingelaufen sein. Die Kupplung war durchgedreht. Ich schaffte
einfach keine Steigung mehr. Ich mußte umdrehn und zurück. Das hat mich
natürlich ziemlich mitgenommen. Ich bin dann auf einen Parkplatz gefahrn. Ich
habe natürlich gedacht, daß der Junge tot war, nachdem er soviel Blut verloren
hatte, aber auf einmal, am Parkplatz, kam er wieder hoch. Da hab ich wieder
drauflosgeschlagen, aber diesmal wirklich bloß aus Entsetzen. Er bewegte sich
noch, aber dann war es natürlich aus. Ich war selber fix und fertig. Hin zur
Höhle und dann schnell den Wagen waschen, um nicht zu spät nach Hause zu kommen. In der Nacht bin ich dann heimlich wieder zum Stollen
hin. Schon früher hatte ich'n Schlachtermesser mitgenommen. Im Gegensatz zu den
meisten Menschen, Herr Professor, hab ich schon seit Jahren nicht mehr den
geringsten Grund, zu lügen. Ich hab die Leiche zu einem Loch getragen, das ich
gegraben habe, und dort zerschnitten. Ich hab den Kopf abgetrennt und beide
Arme und die Beine. 24 Er wühlt mit beiden Händen in den
Hosentaschen. Er krümmt sich wie jemand, der Schmerzen hat. Die Szene soll eine
Minute dauern. Kurz vor Ende: Kaputtmachen ... kaputt ... kaputt... ich lieb dich doch. 25 Er schreibt einen Brief. „Es hat bis heute nicht aufgehört (mit dem Druck des Triebes).
Der Drang, das Verlangen, das Begehren, das alles ist nach wie vor da. Und das
ist es, was mir so weh tut; trotz aller Reue, die so groß und bitter ist, wie
sie nur sein kann, bringe ich es nicht fertig, diese Gefühle zu unterdrücken.
Ich kann Euch sagen, das reißt schön an den Nerven. Ob Ihr es glaubt oder
nicht, es genügt, wenn ich ein Bild sehe, auf dem ein Junge abgebildet ist.
Schon ist es da. Wenn es mich so richtig gepackt hat, komme ich immer in
Versuchung, mit den bloßen Händen an den Gitterstäben zu rütteln... Euer Jürgen." 26 Er weint. Es ist bestimmt nicht von mir zu verantworten... aber
trotzdem bitt ich euch: verzeiht mir. .. ich hab doch so bereut... obwohl ich
weitergemacht habe... ja, und ich hätte nie aufhörn können damit... aber
einmal muß Schluß sein... mit allem... Er versucht, mit einer Scherbe sich die Pulsadern zu
öffnen. 27 Er sitzt auf dem Stuhl und springt ganz plötzlich
auf. Tonband: Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil... Der Angeklagte ist für
schuldig befunden worden. Er ist für seine Taten voll verantwortlich. Das
Gericht erkennt daher auf eine lebenslängliche Zuchthausstrafe... Live: Wär euch was
andres nicht viel lieber? Erschießen? Den Bauch aufschlitzen? Vergasen? Alles
wie gehabt? Welches Jahr schreiben wir? Warum steckt noch soviel Mittelalter in
uns?... Warum hilft mir denn keiner? Ich bin doch krank. Krank, krank. Der
Mensch ist frei? Daß ich nicht lache. Wenn eure Scheißwissenschaft noch nicht w
e i t e r ist . . . Und dafür dieses Rudel von Psychiatern. Professorenpack.
Ihr lebt doch alle auf einem andern Planeten. Wer versteht euch überhaupt, eure
Sprache?... Kopf hoch; Junge, wir gehen in die Revision. Es wird schon werden
... Tonband: Im Namen des Volkes... Der Angeklagte ist schuldig des vierfachen
Mordes, tateinheitlich begangen mit Kindesraub und Unzucht mit Kindern, in drei
Fällen auch in Tateinheit mit Gewaltunzucht zwischen Männern sowie des
versuchten Mordes, tateinheitlich begangen mit Kindesraub und Gewaltunzucht mit
Männern. Er wird zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt, auf die die
Untersuchungshaft angerechnet wird. Die Unterbringung des Angeklagten in
einer Heil- und Pflegeanstalt wird angeordnet... 28 Er phantasiert. Mutter,
das darfst du nicht tun. Ich bin doch kein Stück Vieh, das man einfach verkauft,
wenn man's loswerden will. Wieviel haben sie dir geboten, Mutter? Aber der
Preis ist doch lächerlich. Versprich mir, du wirst es nicht tun, versprich es
mir, Mutter... Warum
lauft ihr denn hinter mir her? Bin ich der Rattenfänger... ? Ich will nicht,
daß ihr hinter mir herlauft, ich hab euch nicht gebeten drum. Los, haut ab,
haut ab. Wenn ihr mich fangen wollt, ihr kriegt mich nicht, ich bin schneller
wie ihr, mein Vorsprung ist zu groß, das schafft ihr nicht, niemals, auch wenn
ihr euch noch so anstrengt. Ja, ich weiß es, ihr wollt mich erledigen. Aber da
müßt ihr schon früher aufstehn, ihr Zwerge... Siebenmeilenstiefel, da staunt
ihr, was? Er lacht. Ich bin schneller
weg wie 'n Düsenflugzeug. Er lacht noch
mehr. Der Bus
muß gleich kommen, Mutter. Da, da ist er schon. Warum hält er denn nicht? Warum
fährt er denn durch? Das gibt 'n Unglück Mutter, wie der rast. Der kriegt die
Kurve nicht. Da, das Haus. Mein Gott, was für ein Krach... Da schreien welche,
Mutter. Wir müssen ihnen helfen. Laß mich los. Ich will ihnen helfen. Muß ihnen
helfen. Laß mich los, Mutter, laß mich los. Er beruhigt sich etwas. Darf's
sonst noch was sein? Ist alles frisch, wie immer. Schnitzel, ist heute
besonders gut. Ganz mager, hier können Sie sehn... Mein Gott, ich kann mich
nicht mehr bewegen. Alles ist wie gelähmt, meine Arme, meine Beine, in den
Händen hab ich überhaupt kein Gefühl mehr... Haben Sie
neue Zaubertricks da? Den kenn ich schon. Aber der, der ist neu, nicht? Den
nehm ich, den können Sie aufschreiben... Verkauf mir den Trick, Mutter, das
ist meine Sache, ganz allein meine Sache. Ich bin Kunde wie jeder andre, bei
denen sagst du doch auch nichts. Ich verplemper mein Geld nicht... Hängt ihn
auf... für so eine Bestie sollte man wieder die Todesstrafe einführn... der ist
ja fast so schlimm wie Hitler... vierteilen wär besser... Hackfleisch machen
aus ihm... Fahrn Sie langsamer! Da stehn Tausende an der Straße. Ich will sie
alle sehn, wie sie winken. Muß ich auch winken? Natürlich wink ich. Sie winken
zurück und sehen glücklich aus... Nein, nein. Sie fressen mich auf. Da, da
krabbeln lauter so große Käfer rum! 29 Er steht hinter dem Stuhl und stützt sich mit beiden
Beinen auf die Lehne. Ich möchte
schon in eine Heilanstalt, Herr Rechtsanwalt. Aber ich hab auch Angst davor. In
den Gefängnissen gibt es heute keine Ratten und Mäuse mehr, aber bei den
Heilanstalten ist das oft noch nicht der Fall. Unsre Heilanstalten sind oft
älter wie die Gefängnisse und daher auch unsauberer. Ja, und oft sollen sie in
einem gradezu menschenunwürdigen Zustand sein... Herr
Rechtsanwalt, im SPIEGEL hab ich gelesen, daß die Neuen erst mal einen Tag
splitternackt in einen Gitterkäfig gesperrt werden. Und die Wärter prügeln
angeblich Insassen bis zur Bewußtslosigkeit, ohne jeden Grund. Und dann essen
sie ihnen auch noch die Hälfte von ihrem Essen weg. Und Post gibt's auch nur
selten, wenn überhaupt... Da fragen Sie mich, warum ich nicht gern in eine
Heilanstalt möchte. Es ist allgemein bekannt, daß Homosexuelle große Angst vor
körperlicher Gewalt haben', hab ich irgendwo mal gelesen. Aber zwischen Angst
und Gewalt` und Wehrlosigkeit` besteht immerhin ein Unterschied, Herr
Rechtsanwalt. Ich glaube, daß ich im Leben genug geschlagen worden bin und
getreten. Wenn die Schauergeschichten über unsre Heilanstalten der Wahrheit
entsprechen, dann lieber lebenslänglich. Allein um zu über-le-ben. G a n z so schlimm ist es nicht,
meinen Sie?... Sie sind Napoleon? Napoleon der Große? Nein, ich spiel keine Karten.
Spielen Sie doch Karten mit Hitler. Oder mit Stalin... Ich bin der Kaiser von
China. 30 Er geht verstört im Kreis herum. Warum
sprecht ihr nicht mit mir? Warum hört ihr denn auf zu reden, wenn ich in die
Nähe komm? Wir stecken doch alle in derselben Scheiße... Wie blau der Himmel
ist. Sie lassen uns täglich eine halbe Stunde an die Luft, damit wir fit bleiben.
Damit wir nicht ersticken und abkratzen. Damit sie uns noch lange quälen können. Le-bens-läng-lich... Warum macht ihr einen
Bogen um mich? Warum dreht ihr euch um, wenn ich vorbei bin? Ich spür es, ich
fühl es ganz genau. Das bild ich mir nicht nur ein... In den Fenstern gegenüber
liegen sie wieder mit ihren Ferngläsern. Auf ihren Kameras sind Teleobjektive. Er streckt die Zunge heraus und
schneidet eine Grimasse. Warum verfolgt ihr mich? Laßt
mich endlich in Frieden... Damals, die Fotografen, wie ein Tier bin ich
vorgeführt worden. Aber nicht doch, Junge, nicht so ein Gesicht, lächeln, lächeln,
lächeln. Jetzt aber schön die Handschellen hoch, Junge. Heb mal die Pfoten.
Tanz auf den Hinterbeinen. Tanz, tanz. Aber ich bin doch kein Tier. Wenn man
geboren wird, ist man nicht gut und nicht schlecht. Nichts. Schlecht wird man
erst auf der Welt. Glotzt mich nicht so an! Bin ich ein Mensch für den Zoo?
Ich, ich... 31 „Er betete viel und hatte im
Grunde seines Herzens große Angst. " Mein Gott, mit soviel Sünden und Fehlern steh ich vor Dir
und will sie ehrlich bereun. Dazu brauche ich Deine Liebe und Hilfe. Herr,
meine Sünden sind so zahlreich, daß mir schwindlig wird. Deine Liebe und Güte
habe ich mit Undank vergolten. Ich habe immer nur an mich gedacht und niemals
an andre. Herr, hilf mir dabei, in Zukunft nach Deinem Willen zu leben, und
vergib mir meine Schuld... Das rotweiße Meßdienerkleid. . .Et introibo ad altare Dei... Antwortend: Ad Deum qui laetificat iuventutem meam... Auditorium nostrum in nomine Domini... Warum flackern die Kerzen so? Antwortend: Qui fecit caelum et terram... Dieser Weihrauch stinkt wie die Pest. Mea culpa, mea culpa, mea maxima
culpa... Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie
eleison. . . Nun geht er zum Altar, gleich muß das
Gloria kommen... Qui tollis peccata mundi, suscipe deprecationem nostrum, quoniam Tu solus
Sanctus, Tu solus Dominus, Tu solus Altissimus. . . Die Glocken schlagen, jetzt? Das lern ich nie... ich laß erst den andern... et conglorificatur, Qui locutus est per
prophetas . . . Suscipiat... suscipiat... verflixt, an
dieser Stelle weiß ich nie weiter. Bei jeder Messe passiert mir das. Kann man
nichts machen. Einfach brummen, bis zum Schluß... Jetzt das Buch nehmen, runter, in der Mitte vor dem Altar Kniebeuge
machen, an der andern Seite rauf und schräg hinstellen. Mein Gott, ist das
schwer, eines Tages werd ich mitsamt dem Ding mal fürchterlich auf die Nase
fallen... Singen: Kommt alle, die auf Erden von Not bedränget werden, so
spricht Dein eigner Mund. Ich will euch wiedergeben, mit meinem Blut das Leben,
das ist der neue ew'ge Bund!... Zur Kommunionsbank. . . Wo ist die Schale? Ich muß sie unter den Kelch
halten. Gold; ob sie echt ist? Na ja, egal.. . Ich will nicht erwachsen werden.
Niemals. Die Zeit, sie soll stehnbleiben. 32 Er hat einen
Brief in der Hand und ist sehr erregt. Wie gemein von dir, Mutter, daß du ausgerechnet jetzt den
Brief irgendwo ausgekramt hast. Ausgerechnet jetzt, wo's mir doch so
schlechtgeht. Natürlich erinner ich mich, ganz genau: ich hab ihn damals aus
dem Ferienlager geschrieben... „Liebe Mutter! Ich danke Dir für alles Gute, das Du mir getan hast. Für
die Stunden, die Du an meinem Bett zugebracht hast, als ich krank war. Ich
danke Dir für das Geld, das Du für mich bis heute ausgegeben hast an Kleidung,
Essen usw. Und auch für die Liebe, mit der Du schon so lange für mich sorgst.
Ich danke Dir auch, weil Du mich aufgezogen hast, als ich noch klein war. Ich bitte
Dich um Verzeihung wegen des Zeugnisses, das nicht ganz so gut war, wie Du
geglaubt hast. Ich bitte Dich auch um Verzeihung wegen all meiner kleineren
und größeren Schandtaten, die ich begangen habe. Ich verspreche Dir, daß mein Abschlußzeugnis viel besser wird als das
letzte. Ich verspreche Dir auch, daß ich mich anstrengen werde, brav und
anständig zu sein! Ich habe Dich sehr lieb, weil Du schon so viel für mich
getan hast! Ich will Dir Freude bereiten mit einem guten Zeugnis, mit anständigem
Benehmen und Hilfsbereitschaft! Ich wünsche Dir ein noch sehr langes Leben mit Heiterkeit und Gesundheit.
Da wir an Deinem Ehrentag nicht beisammen sein können, werde ich an Dich
im Gebet denken. Dein Dich liebender Jürgen!" Er zerknüllt
den Brief. 33 Er steht im
Kegel eines Scheinwerfers. Der Rest der Bühne liegt im Dunkeln. Wie ein
Zirkusausrufer: Meine Damen und Herrn, Sie sehen den großen Bellachini, den einmaligen
Magier, der nicht seinesgleichen hat. Bellachini, den einzigartigen Künstler,
der die Welt vom Nordpol bis zum Südpol bezaubert. Was immer Sie gesehen haben,
Sie werden es vergessen. Schenken Sie Ihre Aufmerksamkeit einer noch nie
dagewesenen Weltsensation. Und hier kommt er: der große Bellachini. Das Licht des
Scheinwerfers wird farbig. Eine zarte, schwebende Musik, verfremdet durch die
falsche Umdrehungszahl des Plattenspielers. - Er zeigt eine Miniatur-Guillotine
vor, legt eine Zigarette unter das Fallbeil und zerhackt sie. Dann legt er
einen Finger unter das Beil, der Finger bleibt unversehrt. Beifall,
Verbeugung. Er führt den Chicago-BillardTrick vor. Zwischen seinen Fingern
tauchen blitzschnell vier Kugeln auf und verschwinden wieder. Beifall,
Verbeugung. 34 Er sitzt auf
dem Tisch und baumelt mit den Beinen. Ich will dir das alles mal in Ruhe erklärn, Junge. Damit
du weißt, wie das gewesen ist. Also, paß auf... Nach'em Krieg war Mutter mal
schwer krank und mußte ins Krankenhaus, wegen 'ner Operation. Da hat sie dich
das erste Mal gesehen. Du warst grade 'n halbes Jahr alt. Die Schwestern haben
dich oft zu ihr gebracht und so auf's Bett gesetzt. Und deine Mutter hat dann
mit dir gespielt. Bei dieser Gelegenheit hat sie erfahrn, daß deine leibliche
Mutter dich nicht haben wollte und dich einfach im Krankenhaus gelassen hat.
Später hat es dann geheißen, sie wär gestorben...' Die Schwestern haben regelrecht für dich geschwärmt. So ein nettes Kind
warst du. Und der Oberarzt hat immer gesagt: 'Dies Kind kommt nicht in ein
Waisenhaus. Wir wollen ver suchen, daß es in eine gute Familie kommt.' Ich hab
dich damals auch oft gesehn, wenn ich Mutter besuchen kam, nach Feierabend. Du
warst wirklich der Liebling der ganzen Klinik, Junge. Mit elf Monaten hatten
dich die Schwestern schon sauber. Ein Arzt hatte Mutter gesagt, daß wir keine Kinder bekommen würden. Da
hatten wir längere Zeit schon mit dem Gedanken gespielt, eins zu adoptieren.
Na ja, und dieser Gedanke ist immer stärker geworden. Und dann glaubten wir,
daß du der richtige Junge für uns wärst. Allerdings warn da noch mehr Familien,
die dich adoptieren wollten, aber der Oberarzt hat von Anfang an gesagt: 'Wenn
das Kind wegkommt, dann kommt es zu Ihnen.' 'Warum denn, warum denn grade zu
uns?' hab ich ihn gefragt. Seine Antwort ist gewesen: 'Weil der Junge einfach
zu Ihnen paßt. Ein bißchen sieht er Ihnen nämlich ähnlich. Außerdem kann ich
mir nicht vorstellen, daß das Kind anderswo hinkäme.' Dann bin ich zum Jugendamt hin, und der Leiter hat in den Papieren
nachgesehn und mir die Auskunft gegeben: 'Da ist normalerweise nichts zu
befürchten. Die Mutter ist tot; der Vater lebt zwar noch, aber ist verheiratet
und hat gar keinen Anspruch auf den Jungen.' So ist die Sache ins Rollen gekommen.
Als nächstes bin ich an den Direktor der Klinik herangetreten und hab ihn
gebeten: 'Tun Sie mir einen Gefallen, und schreiben Sie die Rechnung für den
Jungen aus. Wir bezahlen das, wenn wir den Jungen mitnehmen, damit alles
verschwindet aus den Büchern. Damit wir klare Bahn haben.' So haben wir auch
noch die Rechnung für deine Geburt bezahlt. Alles in allem ... so an die
zweihundert Mark. Das war damals viel Geld... Und dann war es eines Tages so
weit. Auf dem Jugendamt sagte man: 'Ihr könnt den Jungen holen! Aber seine
Erziehung, die wird nicht ganz leicht sein. Das sag ich Ihnen jetzt schon. Sie
müssen sehr auf ihn aufpassen. Bei den Eltern, von denen er stammt. Die Stimmes
des Blutes. Verstehn Sie: die Stimme des Blutes!'... Du warst damals noch nicht
getauft, und nun klappte das zeitlich so, daß wir dich genau an deinem ersten
Geburtstag taufen lassen konnten. Deinen Namen Karlheinz mußten wir zwar
behalten, aber wir haben dich dann J ü r g e n Karlheinz taufen lassen, na ja,
und daraus ist dann Jürgen geworden... Mutter wollte, daß alles aus der
Vergangenheit, was nichts mit uns zu tun hatte, verschwinden sollte... Damals
waren wir gerade dabei, das Geschäft aufzubaun, und du bist unsre beste
Reklame gewesen. Alle Welt sprach von unserm netten Jungen. Wenn du den Kunden
die Hand gabst und 'en Diener gemacht hast, dann hättest du sehen sollen, wie
die gleich geschmolzen sind... Für mich seid ihr meine richtigen Eltern,
Vater... Ich hab's ganz zufällig rausgekriegt. Als ich mal was in dem großen
Schrank suchte, hab ich die Akten gefunden. War am Anfang 'n ziemlicher Schock
für mich, Vater. Hat sich aber schnell gelegt mit der Zeit. Ich bin euch sehr
dankbar, daß ihr mich aufgenommen habt. Für mich seid ihr meine Eltern... Jürgen, warum sagst du wildfremden Leuten, daß wir nicht
deine richtigen Eltern sind?... Mutter... So was von Undankbarkeit! Da opfert man
sein Leben, um eine Schlange großzuziehn. 35 Er träumt. W i e lange hat das gedauert? Fünfzehn Jahre? Zwanzig Jahre? Oder
fünfundzwanzig? Nein, nein, das ist alles nur ein böser Traum gewesen. Das hab
ich alles nur geträumt. Und jetzt ist der Spuk vorbei... Es ist so still
geworden. Früher war alles so laut. Unerträglich war das viele Geschrei. Wie
das in den Ohren brüllte... Die Welt ist alt geworden. Aber sie sehen
freundlich aus, die Menschen. In ihren Gesichtern gibt's keine Angst mehr. Und
sie sind schön... In den Zeitungen steht, daß die Ausbeutung des Menschen durch
den Menschen vorbei ist. Es gibt keinen Neid mehr... Die Welt ist alt
geworden. Oder erwachsen?... Niemand starrt mir nach. Vielleicht bin ich auch
erwachsen geworden? Ich will arbeiten. Ich werde nützlich sein. 36 Er sitzt auf dem Stuhl. Er
raucht. Dann kam wieder eine Pause. Bis zum nächsten Mal. Der Führerschein war
mir abgenommen worden, wegen Trunkenheit am Steuer. Hat mir drei Wochen Arrest
eingebracht. Aber irgendwann mußte es ja weitergehn. Das ist immer mein erster
Gedanke gewesen. Und wenn es noch viele Jahre weitergehn kann, muß man
natürlich mal ein paar Wochen Pause machen können. Zu der Zeit bin ich
unheimlich viel mit 'em Taxi unterwegs gewesen. Auch ins Geschäft bin ich immer
im Taxi. Meine Eltern haben gedacht, ich würde immer mit der Straßenbahn fahrn
oder mit 'em Bus. Aber sie haben ja auch nicht gewußt, wieviel ich jede Woche
aus der Kasse klaute, um die Taxifahrerei zu bezahlen und das andre. Im Lauf
der Jahre ist das ein ganz nettes Sümmchen geworden. Ich hab genau Buch
geführt: siebenundzwanzigtausend Mark. Und sie haben nichts von gemerkt. Den vierten Jungen hab ich in der Stadt aufgegabelt. Ich hab ihn
eingeladen, mit mir was zu trinken und einen zu flippern. In dem Lokal ließ ich
dann die Wirtin 'n Taxi rufen. Dann erst in 'ne falsche Richtung, Wagen
gewechselt und zum Ziel. Unter 'nem Vorwand hab ich diesen Jungen auch in den
Stollen gelockt. Da mußte er sich ausziehn, was er aus Angst sofort getan hat.
Danach hab ich an seinem Geschlechtsteil gespielt und bin in sexuelle Erregung
gekommen. Ich hab ihn gefesselt, und mein Rausch ist immer größer geworden.
Dann hab ich angefangen zu schneiden. Er hat noch gelebt, Herr Professor.
Schließlich hab ich ihn erwürgt, mit beiden Händen hab ich von vorn den Hals
umfaßt und dann zugedrückt... Vielleicht hätte mir jemand helfen können. Aber wer? Heute heißt es: ich
bin ein Fall für die Wissenschaft. Wissenschaft. Wissenschaft, damit kann ich
nichts anfangen, hat mein Vater immer gesagt. Dafür hab ich keine Zeit, und
außerdem versteht unsereins das sowieso nicht. Wir mußten Geld verdienen, von
frühster Jugend an, wie soll man sich dann um so was kümmern. Wissenschaft, die
ist nicht für unsereins gemacht. - Mein Gott, manchmal glaub ich, sie halten uns absichtlich dumm, damit sie
mit uns machen können, was sie wollen... Der letzte, mit dem's dann schiefging, war fünfzehn Jahre alt. Der Tag,
an dem ich den Peter fand, da hat's furchtbar geregnet. Ich war in der Stadt
und stellte mich irgendwo unter. Er auch. An sich war er gar nicht mein Typ. Er
war nicht dick und hatte auch keine Sommersprossen, aber es war doch mehr der
Not gehorchend. Ich mußte damit rechnen, daß er mir vielleicht ein paar knallen
würde. Was ich aber vorher nicht wissen konnte, der Junge war derart ängstlich,
in keiner Sekunde hat er sich gewehrt, so daß ich ihn anschrie: 'So,
du Arschloch, nun wehr dich doch endlich mal!' Nur um seine neue Jacke hat er
geheult. Es war das erste Mal, daß ich mich ganz ausgezogen hab. Ich hab ihn
geschlagen wie ein Wilder, und dann hab ich ihn geküßt. Ich mußte
ihn festgebunden da in der Höhle lassen, um pünktlich zu Hause zu sein. Aber
ich ließ 'ne Kerze brennen, weil er so 'ne Angst hatte. Er war schlauer wie
ich, die Kerze hat ihm das Leben gerettet. Ich hatte immer Kerzen dabei,
ungeheure Mengen von Kerzen hab ich verbraucht. Zu Hause, in meinem Zimmer,
durfte ich keine Kerze aufstellen. Meine Mutter sagte, das würde alles dreckig
machen. Als ich später in die Höhle zurückkam und sah, daß er weg war, war das
ein ganz unglaublich enttäuschendes Gefühl. Ich habe immer bloß gedacht, das
kann doch nicht wahr sein. Ich hab ziemlich logisch nachdenken können.
Minutenlang hab ich das Gefühl gehabt, da müßte nun doch eigentlich ein Wunder
geschehn. Später hab ich natürlich gedacht: was ist nun, was wird er machen?
Ist er vielleicht sofort zur Polizei gegangen? Als ich da in der Höhle stand,
bin ich wirklich sehr enttäuscht gewesen. Da war mein Herz unten. 37 Er steht sehr hilflos
in der Mitte der Bühne. Kreisende Scheinwerfer blenden wie ein Leuchtturm
abwechselnd ihn und das Publikum. Tonband: Tut mir
leid, es klappt bei mir nicht, im Moment. Zwingen kann man das nicht. Entweder
es geht oder es geht nicht... Mir ist wieder Seifenschaum in die Augen
gekommen. Kannst du nicht aufpassen? Der Geruch von dieser Seife, ich kann ihn
nicht mehr ertragen... Wenn ich dich jetzt an den Schultern pack, genügt ein
kleiner Schubs, und du liegst drunter... In die Leberwurst muß mehr Lunge, und
vergiß die Lorbeerblätter nicht... Ich hab noch 'ne ganze Hand voll Chips. Die
reichen für mindestens zehnmal. In der Tasche sind Edelsteine. Ein ganzes
Pfund Edelsteine... Mach keinen Mist, Viktor. Du kannst mich doch nicht so
einfach im Stich lassen... Meine Damen und Herrn, Sie sehen den großen
Bellachini, den einmaligen Magier, der nicht seinesgleichen hat... Warum kommst
du so spät nach Hause, Jürgen? Das Essen ist schon ganz kalt. Und dabei gibt es
heute Nieren... Kaputtmachen, kaputt... dann hab ich ihn geküßt... Du warst
wirklich der Liebling der ganzen Klinik, Junge. Die Schwestern haben
regelrecht für dich geschwärmt... Sie sind Napoleon? Ich bin der Kaiser von
China... Da, da krabbeln lauter so große Käfer rum... Wir müssen mal über deine
Zukunft reden, Junge... Ich will nicht erwachsen werden... Mutter, ich schaff
das schon. Ich werd mir auch alle Mühe geben... Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa... Dann hab ich angefangen zu
schneiden, Herr Professor. Der Junge hat noch gelebt... Nein, nein, das ist
alles nur ein böser Traum gewesen... Die Geschichte von diesem Franzosen,
können Sie die noch mal erzählen?... Einfach den Schwanz in ihre Pflaume
stecken... Achtzwanzig? Ich hab nur fünfzig Mark. Können Sie wechseln?...
Kommst du mit einen flippern? Du bist ja 'n richtiger Flipperkönig... Heb mal
die Pfoten. Tanz auf den Hinterbeinen. Tanz, tanz. Aber ich bin doch kein
Tier... Im Namen des Volkes ... angeklagt... angeklagt ... angeklagt... Live: Irgendein
Teufel flüstert mir zu: Das war nicht allein deine Schuld ... nicht allein
deine Schuld... Ich hab es nicht gewollt. Ich-hab-es-nicht-gewollt. Bonn, Januar-April 1972 Anmerkung: Jürgen Bartsch starb
am 28. 4. 1976 bei einer Operation, die zu seiner Kastration führen sollte.
Angeblich war es ein 'ärztlicher Kunstfehler'. NH-1979 (Gedruckt
in: Schauspiel Frankfurt Nr.2/ 1972; auch in: Niels Höpfner, Die Hintertreppe
der Südsee, Köln: Braun 1979. Uraufführung: 3.10.1972 Städtische Bühnen
Frankfurt, Regie: Hans Neuenfels; Inszenierungen an ca. 20 Theatern.
© by the Author, 1972; Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag/ Frankfurt
am Main) III
*Der Regisseur sollte versuchen, alle Briefe in dem Stück
als Zitate deutlich zu machen.
„Von der Stirne heiß
ZSCHOKKE · EIN SANFTER REBELL
SÜDSEE · GROTESKE
ZU LANDE, ZU WASSER UND IN DER LUFT · HÖRSPIEL
DER HUMMELFORSCHER
STALLKNECHTE DES PEGASUS
THOMAS CHATTERTON
DER ALKOHOL, DIE DICHTER & DIE LITERATUR
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KARL MARX, SEIN VATER UND PEGASUS
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