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Tonfeld

Arbeit am Tonfeld - Angebot einer pädagogischen Einzelförderung

 

„Matschen“ mit Ton  in einem Gymnasium? Steht nicht gerade in dieser Schulform das fachliche Lernen ganz im Vordergrund?

Die Richtlinien geben eine klare Antwort :“ Erziehung und Unterricht umfassen die personale, soziale und eine auf die Ziele des Bildungsgangs bezogene fachliche Bildung. Sie finden im Rahmen eines ganzheitlichen Prozesses statt, der die Persönlichkeit des Kindes und Jugendlichen ernst nimmt,....“(Richtlinien und Lehrpläne Deutsch, Sek.I,S.12). Auch unsere Schulform hat den SchülerInnen einen Lebensraum zu bieten, in dem ihre Individualität gesehen und gefördert wird, und so eine pädagogische Hilfestellung zur selbstbestimmten Entfaltung ihrer besonderen Fähigkeiten und Neigungen zu leisten (vgl.S.12).

Bildung in diesem Sinne meint ein verantwortliches Gestalten der eigenen Möglichkeiten.

Erfahrungen und Beobachtungen im Schulalltag zeigen, daß eine zunehmende Zahl unserer SchülerInnen auffällig werden. Hier ist die Hilfestellung und menschliche Begleitung des Pädagogen gefragt. Eine Hilfe für diese Kinder im Klassenverband mit 30 Kindern ist nur sehr begrenzt möglich. Deshalb bietet unsere Schule seit zwei Jahren eine pädagogische Einzelförderung an.

In diesen beiden Jahren habe ich mit hochbegabten Kindern gearbeitet, die im Klassenverband wenig Chancen hatten, ihr besonderes Potential zu entfalten, aus Frustration den Unterricht störten, sogar Leistungen verweigerten. Andere hatten Beziehungsschwierigkeiten im Umgang mit ihren MitschülerInnen und LehrerInnen, gravierende Probleme im Umgang mit sozialen Normen, Lernschwierigkeiten und Streßgefühle in Bezug auf Schule. Begleitet worden sind auch Kinder, die sich aufgrund gravierender Veränderungen ihres Familienrahmens neu orientieren mußten.

Wie sieht die Arbeit am Tonfeld konkret aus? Der Schüler sitzt bzw. steht vor einem Tonfeld,einem flachen hölzernen Kasten von 38 mal 42 Zentimetern Tiefe, gefüllt mit sechs Kilogramm feuchem ausgestrichenem Ton. Neben dem Tonfeld steht eine Schale mit Wasser.

Schon der erste Kontakt zwischen dem Schüler und mir, die Art und Weise, wie er den Raum betritt, und vor allem das erste Greifen in den Ton geben Aufschluß darüber, wie der Schüler sich selbst und seiner Welt begegnet.So schaut der eine mich erwartungsvoll an, ein anderer guckt schüchern oder gehemmt auf den Boden.Einer betritt selbstbewußt den Raum, ein anderer in gebückter , angestrengter Haltung.Der Ton wird kraftvoll mit der ganzen Hand gegriffen oder nur ganz vorsichtig mit einem Finger geprüft. Manche Kinder streichen auch mit der ganzen Handfläche über das Tonfeld, die sinnliche Qualität des Tuns genießend.

Das Kind wird ermutigt, den Ton zu gestalten. Das lustvolle Dürfen, die Freude am eigenen Tun, die zunehmende Erfahrung eigener Kompetenz beim Gestalten stehen bei dieser Arbeit im Vordergrund, nicht mehr das Leistenmüssen und die Angst vor Bewertung.

Die innere (seelische) und äußere Bewegung des Kindes finden einen Ausdruck in einer ersten Gestalt (Primärgestalt). So brauchen einige Kinder erst einmal einen Schutzraum und bauen eine Höhle, andere räumen das Feld aus, um einen eigenen Raum zu schaffen, formen ein Flugzeug, um wegzufliegen. Die Primärgestalt gibt Einblick in die Lebensbedingungen und möglichen Blockaden des Kindes. Aufgabe des Pädagogen ist es nicht, diese Bedingungen  aus ihren biographischen Ursprüngen heraus zu erforschen. Das wäre Aufgabe des Therapeuten. Der Pädagoge sieht vielmehr die Bedingungen als Ausgangspunkte für neue Möglichkeiten des persönlichen Wachstums.So kann ein sehr verkopftes, in seinen Bewegungen in den ersten Stunden sehr verkrampftes Kind durch diese Arbeit zunehmend eine Stärkung und ein Sichfühlen in all seinen Sinnen erfahren. Aus anfänglichem Ekel vor dem kalten Ton kann so ein lustvolles Streichen unter Hinzunahme von Wasser werden, Freude an Geräuschen beim Gestalten taucht auf, die Bewegung der Hände kann zunehmend durch den ganzen Körper fließen.

Im Verlauf mehrerer Stunden findet das Kind  Gestalten, die ein Ausdruck seiner neugewonnenen Möglichkeiten sind. Ein verkopftes Kind kann   vielleicht lustvoll  einen Swimmingpool anlegen, der dann mit Wasser gefüllt wird und in dem das Kind seine Hände oder eine Figur zunehmend selbstverständlich bewegt. Die neue Möglichkeit besteht hier also darin, daß die sinnliche Seite immer mehr integriert werden kann.

Was hat das mit Schulproblemen und Beziehungsfähigkeit zu tun, könnte man fragen. Viel!! Erst wenn ich mit all meinen Möglichkeiten in Kontakt bin (in den Sinnen, im Erleben, in meinen Gefühlen), kann ich dem anderen wirklich begegnen.

Die Aufgabe des Lehrers ist es bei diesem Prozeß das Kind zu begleiten. Das meint einmal, dem Kind durch Impulse Mut zu machen, damit es Neues ausprobieren und wagen kann und so seine ganz eigenen Möglichkeiten findet. Ein weiterer entscheidender Aspekt ist, daß das Kind eine Stärkung erfährt, indem es als Mensch durch  den Pädagogen  gesehen wird. Oft erfahre ich, daß die Kinder in dieser Förderstunde die menschliche Zuwendung eines Erwachsenen genießen, der keine Noten und Ermahnungen verteilt.

Zum Gelingen dieser Förderung gehören ganz wesentlich Gespräche mit den Eltern des Kindes, dem Klassenlehrer und den Fachlehrern. Auch die Zusammenarbeit mit der schulpsychologischen Beratungsstelle ist in einigen Fällen konstruktiv gewesen.

Die Arbeit am Tonfeld wurde in den 70ger Jahren von Heinz Deuser, Professor an der Fachhochschule für Kunsttherapie in Nürtingen entwickelt. Sie basiert auf der Tiefenpsychologie nach C.G. Jung und seines Schülers Erich Neumann, auf V. von Weizsäckers „Gestaltkreislehre“ und den Arbeiten F.Sanders und J.Krügers im Bereich der Wahrnehmungs-und Gestaltpsychologie.