Über dieses Buch
Kurz nach Erscheinen seines Erstlings Max
(1982) hatte ich den schicksalhaften Wunsch - wie sich später herausstellte -,
Matthias Zschokke kennenzulernen. Daraus entwickelte sich eine Lebensfreundschaft.
Wir waren und sind beide exzessive
Kommunikatoren: ungefähr 3000 Briefe & Faxe von 1982-2002 und 2000 E-Mails von
2002-2009 liegen mir von ihm vor.
Nun habe ich ihn überredet, seine Mails, die
mich über Jahre entzückten, zu sozialisieren & zu publizieren. Den Grobschnitt
habe ich vorgenommen, er hat den Feinschliff besorgt und autorisiert -
naturgemäß voller Skrupel, da er durch keinerlei Fiktion mehr geschützt ist
- den vorliegenden Text. Durch die gründliche Bearbeitung hat er eine andere
Qualität gewonnen: er ist Literatur geworden. Es handelt sich also nicht um eine
bloße Aneinanderreihung von E-Mails.
Selbstverständlich wurden die Mails auch
formal geglättet und orthographisch gebügelt. Selbstverständlich wurden sie auf
ihren Kern konzentriert & destilliert und manchmal auch in bewährter
Elisabeth-Förster-Nietzsche-Manier gekürzt. Ich hoffe, dass noch genügend
Invektiven erhalten geblieben sind.
Zur Poetologie dieses Buches gehört
sein unziemlicher Umfang. Eine hagere Anthologie wäre ein episches Rinnsal und
bildete nicht den Mahlstrom der Zeit ab.
Das Buch gönnt dem
traditionellen Genre
Roman
eine Pause. Es ist,
allein durch sein anderes Format, quantitativ & qualitativ, ein Erzählband
sui generis - vielleicht eine neue Art von Roman. Es ist exzentrisch, egoman
& extravagant.
Es ist ein Überfall auf
die Leserschaft.
Dieser Band ist prallste bunteste Wundertüte
& realitätsecht. Was gibt’s zu lesen? Sehr irdische Befindlichkeiten eines
Poeten-Ichs (Künstlerverzweiflungen, die grauenvolle Jagd nach dem Euro,
Behausungsprobleme, den grotesken Kampf mit dem PC: Mensch & Maschine),
kritischste (und ebenso liebevolle) Auseinandersetzungen mit Literatur, Theater,
Kunst, herrliche Kollegenbeschimpfungen, hinreißende Reiseberichte, sogar
politische Marginalien - und alles von einem sehr wachen, immer neugierigen
Dichter-Kopf und bei allen Ups & Downs nicht ohne Witz & Humor.
Ach, lesen Sie doch selbst! Wie sähe denn ein
Idealleser aus? Er schmökert mal hier, er schmökert mal da. Allerdings,
versprochen, das Lesespringen dürfte sehr schwierig werden: wegen des
Lesesogs…
Neuerdings bringen Autoren ihre zur
Veröffentlichung verabredeten E-Mail-Wechsel oder gar E-Mail-Romane zwischen
zwei Buchdeckel. Die Mails von Matthias Zschokke sind niemals zur Publikation
geschrieben worden. Das erklärt auch ihre Spontaneität und Frische (selbst alles
Hobeln & Feilen verursachte keinen Verlust). Frisch & spontan: im Gegensatz zum
ausgeklügelten Blog, das vorsätzlich & absichtsvoll fürs Internetpublikum
geschrieben wird. Und auch zum Tagebuch besteht ein Unterschied (selbst wenn es
insgeheim vielleicht auf spätere Veröffentlichung spekuliert): es ist
monologisch und hat kein Du. Die Mails von Zschokke sind der Königsweg, auf dem
er als ingeniöser Re-Mailer wandelt: wenn ich mit Ping aufschlage, retourniert
er mit Ping-Pong - so erübrigen sich meine Mails für Fremdleser.
Auf dem Giebelbalken des Königlichen
Schauspielhauses in Potsdam stand einst die Inschrift DEM VERGNÜGEN DER
EINWOHNER. Leicht abgewandelt möge das Motto auch für dieses Buch gelten:
Dem Vergnügen der Leser.
Köln MMX