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2. "Femme in Fatale"

"Bonjour! Etwas in der Post für mich, Madame Lapin?" fragte Diane.
"Hier, Madame de Beauvarnier." Die Concierge gab ihr ein paar Briefe.
"Merci." Diane reichte ihr 10 Franc Trinkgeld. Sie wusste, was sich gehörte, und wie gut es war, seine Post zuverlässig ausgehändigt zu bekommen.

Dann ging sie zum Aufzug, stieg ein und schaute dabei die Post durch: Ein paar Rechnungen, pünktlich zum neuen Jahr, die Unterhaltszahlungen von Francois - ein Rechtsanwalt hält sich an die Gesetze - und der übliche monatliche Scheck von Lionel Hastings, ihrem ersten Mann. Und ein paar Einladungen zu den besten Partys, Bällen und Empfängen.

Der Aufzug hielt, und Diane betrat ihre Wohnung. Ihre Siamkatze kam ihr entgegen und strich ihr um die Beine.
"Hallo, Miou-Miou", begrüßte sie Diane und streichelte sie sanft. Sie setzte sich auf das Sofa, ließ die schnurrende Miou-Miou auf ihren Schoß und nahm sich die Einladungen vor.
Die erste Karte kam von Monsieur Parangon, dem Direktor der zweitgrößten Versicherungsgesellschaft Frankreichs. Diane legte sie beiseite. Vielleicht würde sie hingehen, wenn es sonst nichts Besseres zu tun gab.
Die zweite Einladung hatten Monsieur und Madame Linguet geschickt, die demnächst einen Ball auf ihrem Schloss von Ludwig XIII. veranstalteten. Diane war sich nicht sicher. Die alte Madame Linguet mochte sie nicht und traute Diane glatt zu, ihren Mann auszuspannen. Dabei hatte Diane nie ernsthaft daran gedacht, etwas mit Monsieur Linguet anzufangen.
Die dritte war eine Einladung zu einer Vernissage in der Galerie Dupont. Diane warf sie sofort weg. Mit moderner Kunst und modernen Künstlern hatte sie einfach noch nie soviel anfangen können.
Die vierte Einladung klang dagegen sehr vielversprechend:

"Sehr geehrte Madame de Beauvarnier!

Sie kennen mich nicht, und ich kenne Sie auch nicht, aber meine Freunde in Paris haben mir viel von Ihnen erzählt. Ich würde Sie gerne kennenlernen, denn nach dem, was ich über Sie gehört habe, sind Sie eine unvergleichliche Bereicherung für jede Veranstaltung.
Demnächst, am 14. Januar, veranstalte ich eine Feier auf meiner Motoryacht.
Würden Sie mir die Ehre ihrer Anwesenheit erweisen?

Ihr Josê Giuvevra (Um Antwort wird gebeten)

Adresse: Nizza, Yachthafen, Pier 18. Beginn 21 Uhr."

In der Einladung lag noch ein Foto: Ein großer Mann auf einer Luxusjacht, an die Reling gelehnt. Mit seinen schwarzen Haaren und braunen Augen wirkte er unglaublich verführerisch. Er hatte ein bisschen Ähnlichkeit mit Antonio Banderas, aber eigentlich sah er fast schon wie ein echter Märchenprinz aus.

Es klang wirklich verlockend. Und eigentlich hatte Diane auch nichts gegen einen Kurzurlaub an der Côte d'Azur einzuwenden. Der Winter in Paris war noch immer nichts für sie. Das Geld war kein Problem - sie würde sicher einen Mann finden, der sie einlud, auf seine Kosten länger zu bleiben. Auch wenn es nicht Josê sein musste.

Dann setzte sie sich ans Telefon, wählte eine Nummer und verlangte Direktor Parangon.
"Monsieur Parangon ist gerade in einer Konferenz", antwortete die Sekretärin. "Kann ich ihm etwas ausrichten?"
"Sagen Sie ihm, Diane de Beauvarnier ist am Apparat."
Die Sekretärin bat Diane, einen Moment zu warten, und zehn Sekunden später war sie mit ihm verbunden.
"Bonjour, Monsieur Direktor", begann sie höflich. "Wie geht es Ihnen?"
"Vielen Dank, sehr gut." Und der Direktor hörte sich auch ganz so an, als ob er das Gespräch mit ihr ganz besonders genoss. "Und Ihnen? Was machen Sie?"
"Nichts besonderes", antwortete Diane. "Ich sitze nur gerade hier zu Hause bei meiner Katze." Sie streichelte Miou-Miou, die darauf miaute. "Ich wollte mit Ihnen wegen Ihrer Einladung für nächste Woche sprechen."
"Ah, Sie haben sie schon bekommen? Das freut mich." Ihm fiel gerade nichts Besseres ein, er war wohl zu aufgeregt. Und Diane merkte es, obwohl sie ihn gar nicht sehen konnte.
"Oh, ich freue mich genauso." Sie lächelte nicht, als sie das sagte. "Ich habe ihre Karte gerade nicht da; könnten Sie mir sagen, für wann Sie die Einladung festgesetzt haben?"
"Selbstverständlich. Sie ist am Sonntag, dem Neunten."
"Oh, richtig, pardon." Sie spielte absichtlich die Schlechtinformierte.
"Sie werden doch sicher kommen?" Er konnte es wohl kaum noch erwarten.
"Es tut mir Leid, aber ich weiß noch nicht, ob ich da auch kommen kann."
"Sie können nicht kommen?" Er hörte sich ziemlich ernüchtert an.
"Möglicherweise, es könnte nämlich sein, dass ich nach England fahren muss. Ein entfernter Onkel von mir hat beschlossen, sein Testament aufzusetzen, und man hat mir gesagt, ich werde als Zeugin benötigt", erklärte sie. (Sie hatte gar keinen entfernten Onkel.) "Es geht dabei auch um eine gewisse Summe an Geld. Sie werden mich verstehen, wenn ich mich darum kümmern muss."
Das klang so überzeugend, dass Direktor Parangon einfach nichts einfiel, was er dagegen noch sagen sollte. Und so legte er auf, ziemlich enttäuscht.
Dann rief Diane noch bei den Linguets und der Galerie Dupont an und sagte genauso höflich und mit tausend Entschuldigungen, dass sie leider nicht kommen könnte.

Danach stand sie auf, steckte die Karte von Josê in ihre Handtasche und machte sich auf den Weg zum Einkaufsbummel.

Im alten Bastilleviertel von Paris gab es seit ein paar Jahren viele schicke Läden: Chanel, Saint-Laurent, Louis Vuitton, und so weiter, alles, was sich eine Frau an Kleidern wünschen konnte. Diane ging die Straßen entlang und sah sich die Auslagen an. Schließlich entdeckte sie in einem Schaufenster ein feuerrotes Kleid mit geschlitztem Rock. Es gefiel ihr soweit ganz gut, und sie betrat das Geschäft. Der Chefverkäufer hatte sie schon gesehen und kam ihr extra entgegen.

"Bonjour, Madame", begrüßte er sie. "Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?"
"Ich bin zu einer Feier eingeladen und suche noch ein passendes Kleid", erklärte Diane. "In ihrem Schaufenster habe ich eins gesehen, das mir sehr gut gefällt."
"Einen Moment, bitte." Der Chef drehte sich um. "Julie! Helfen Sie Madame!"
Julie, die Verkäuferin, kam sofort. "Was kann ich für sie tun, Madame?"
"Ich hätte gern das rote Abendkleid aus dem Schaufenster, und ich suche außerdem noch ein passendes Oberteil", erklärte Diane. Und Julie ging los und brachte ihr gleich darauf das gewünschte rote Kleid und ein paar dazu passende Capes und Jäckchen.

Dann probierte Diane vor dem großen Spiegel die diversen Oberteile an, und Julie half ihr und beriet sie dabei. So vergingen ein bis zwei Stunden; Diane war kritisch und ließ sich Zeit.
"Vielleicht möchten Sie noch dieses Bolerojäckchen probieren?" schlug Julie vor.
"Nein", entgegnete Diane. "Ich nehme das hier." Und sie nahm sich ein ziemlich großes Cape, ganz in Weiß.
"Wollen Sie nicht noch unsere restlichen Modelle anprobieren, Madame?" fragte Julie. "Vielleicht ein etwas kürzer geschnittenes Cape? Es würde Ihnen sehr gut stehen."
"Ich möchte dieses Cape", entschied Diane. "Ich vertrage keine Kälte, ich brauche etwas Längeres."
Dann gingen sie zur Kasse, und Julie verpackte die Sachen. Diane bezahlte, nahm die Tüte mit den Kleidern und verließ das Geschäft wieder.

Julie sah ihr noch hinterher. 'So würde ich auch gern leben', dachte sie.

In der Nacht hatte Diane wieder einmal denselben Traum, der sie nicht los ließ. Sie träumte davon, wie sie da lag - und wie dann das Gesicht des Manns über ihr auftauchte. Es war immer dasselbe Gesicht mit den gefletschten Zähnen, den schwarzen Haaren und der braunen Haut. Und dasselbe schmutzige, verrostete Messer, das er in der Hand hielt.

Sie wollte nur noch weg von hier, aber sie konnte nicht. Es war so, als ob sie unsichtbare Hände fest hielten. Der Mann hatte das Messer erhoben, und nun passierte alles ganz schnell. Er stieß zu, genau zwischen ihre Beine. Und zum tausendsten Mal fühlte sie den unerträglichen Schmerz, der sie nie loslassen würde.

Diane wachte auf, schweißgebadet, und ihr Herz raste vor Angst. Langsam beruhigte sie sich wieder. Der Mann und sein Messer waren nicht mehr da. Aber der Schmerz zwischen ihren Beinen war geblieben.

Weil sie sonst nichts dagegen tun konnte, legte sie ihre Hand auf die schmerzende Stelle. Die Wärme half etwas gegen den Schmerz. Dann schlief sie doch wieder ein, einfach von der Erschöpfung.

Ziemlich spät am Vormittag wachte Diane auf. Langsam stieg sie aus ihrem Bett, legte das Nachthemd ab und ging unter die Dusche. Niemand außer ihrer Katze schaute dabei zu, obwohl viele Männer das gerne getan hätten.

Diane frühstückte Croissants und Café au lait, dann ging sie zu Madame Lapin und bat die Concierge, für ein paar Tage auf ihre Wohnung und die Katze aufzupassen. "Hier haben sie 100 Franc im Voraus, für das Futter und für Ihre Mühe."

Dann packte Diane ein paar Sachen für ihren Kurzurlaub zusammen. Sie steckte auch eine ganze Menge von ihrem Schmuck ein. Dann machte sie sich auf den Weg zum Friseur, und eine Stunde später war sie bereit zur Abfahrt.

Sie stellte sich einfach hin, winkte kurz, und sofort fuhr ein Taxi zu ihr an den Straßenrand. Diane hatte nie Probleme, ein Taxi zu kriegen. Der Fahrer machte ihr sogar noch die Tür auf.

"Wohin, Madame?"
"Zum Bahnhof Gare de Lyon, s'il vous plait", verlangte Diane.

Er fuhr los. Diane lehnte sich leicht gelangweilt in den Sitz zurück, als ihr auffiel, dass der Fahrer immer weiter in die Nebenstraßen fuhr, weg vom Bahnhof. Das war ihr dann doch zu unheimlich. Sie öffnete ihre Handtasche, um im Notfall an den Revolver heranzukommen.

"Pardon, Monsieur, aber wohin fahren Sie?" fragte sie ihn streng.
Er antwortete nicht und fuhr weiter. Im Rückspiegel sah sie, dass er grinste - und zwar ziemlich unanständig. Diane konnte sich sofort denken, was er wollte.
"Ich habe nicht vor, mich mit Ihnen einzulassen!" machte sie ihm mit eiskalter Stimme klar. Sie nahm ihren Revolver aus der Tasche und entsicherte ihn.

Eine halbe Stunde später saß Diane dann ungestört in ihrem Erste-Klasse-Abteil im TGV nach Marseille. Bis Dijon war sie allein, dann bekam sie Gesellschaft.

"Ist hier noch frei?" fragte er.
Diane schaute ihn an. Er wirkte schon höflich und schien nicht nur daran zu denken, wie er sie herumkriegen könnte.
"Bitte, setzen Sie sich."
"Vielen Dank, Mademoiselle."
"Madame!" verbesserte sie ihn.
"Sie sind verheiratet?" Er schien doch ein bisschen enttäuscht zu sein.
"Nein, seit zwei Monaten glücklich geschieden", sagte sie lächelnd.
"Und - woher kommen Sie?" wollte er wissen.
"Aus Paris. Ich wohne im XI. Departement."
"Leben Sie schon länger dort?"
"Oh ja. Ich kann mir gar nicht vorstellen, woanders zu leben. Und woher kommen Sie?" Sie lächelte freundlich.
"Aus Amerika. Ich bin Außenhandelskaufmann. Und was machen Sie beruflich?"
Das war für eine Frau in Dianes Lage eigentlich eine schwierige Frage, aber Diane wusste auf jede Frage eine Antwort.
"Nun, ich würde sagen, im Moment bin ich auf dem Weg in eine glückliche Zukunft", sagte sie mit hintergründigem Lächeln.
"Sorry, aber was meinen Sie damit?"
Diane sagte nichts und lächelte ihn nur an. Langsam wurde er etwas nervös und wusste nicht mal, warum.
"Ich fahre übrigens nach Marseille", wechselte er das Thema. "Und Sie?"
"Ich fahre an die Côte d'Azur", verriet Diane. "Was ich danach gehen werde, weiß ich noch nicht."
Er war irgendwie enttäuscht, und jetzt wusste er auch nicht mehr weiter. Diane war einfach eine Frau, die ihn sprachlos machte. "Es wäre schön, wenn wir uns irgendwann wiedersehen könnten. Glauben Sie?"
"Vielleicht, man kann nie wissen", sagte Diane zum Abschied.

In Marseille stieg Diane nach Nizza um, und von dort aus waren es mit dem Taxi nur noch ein paar Minuten bis zum Yachthafen.

"Wo soll ich Sie absetzen, Madame?"
Diane schaute aus dem Fenster und sah sofort, was sie gesucht hatte. Es war auch nicht zu übersehen: Josês Yacht war mindestens 100 Meter lang, voll beleuchtet, und von überall her kamen schon die Gäste an.

Diane betrat das Schiff über die Gangway. Oben empfing ein Araber in Kapitänsuniform die ankommenden Leute.

"Ist Monsieur Giuvevra schon da?" wollte Diane wissen.
"Monsieur Giuvevra spricht im Moment mit ein paar sehr wichtigen Geschäftspartnern, aber er wird in einer Stunde da sein", antwortete er. "Ich darf Sie in seinem Namen hier willkommen heißen."
"Merci beaucoup." Diane lächelte leicht spöttisch und ging weiter.

Der Partysaal war nicht nur riesengroß, sondern auch luxuriös eingerichtet. Diane staunte, obwohl sie schon auf vielen luxuriösen Partys gewesen war, von denen manche sogar in echten Schlössern stattgefunden hatten. Aber das hier übertraf alles, was sie kannte. Hunderte von Leuten waren bereits da, bedienten sich am Büfett mit Kaviar, Lachs, Artischocken, Krabben und Trüffelpastete oder tranken Sekt und unterhielten sich.

Diane schaute sich die Gäste an. Ein paar in der Menge kannte sie schon: Da war zum Beispiel Jean-Marie Mégret, der als Kriminaldirektor bei der Pariser Polizei arbeitete. Außerdem einige Direktoren von wichtigen Unternehmen, ein paar Schauspieler und Schauspielerinnen, viele andere Leute aus der Crème de la Crème, und noch mehr Leute, über die weniger bekannt war.

"Sind Sie nicht Diane de Beauvarnier?" fragte ein dicker Mann. Diane schaute ihm ins Gesicht und sah, dass es Direktor Lebeque war. Sie hatten sich zum ersten Mal auf einer Veranstaltung in Paris getroffen, als sie noch mit Francois zusammen gewesen war. "Möchten Sie uns Gesellschaft leisten?" fragte er.
Gerade kam ein Kellner an Diane vorbei, und sie nahm sich ein Glas Sekt von seinem Tablett. "Einverstanden. Trinken wir auf unseren Gastgeber!"

Sie stießen an. Er nahm das ganze Glas in einem Schluck, aber Diane tat nur so, als ob sie trank. Sie war schon auf vielen Partys und Empfängen gewesen und wusste, worauf sie aufpassen musste. Dann unterhielt sie sich mit den anderen Gästen darüber, was für ein großzügiger Gastgeber Josê war, fragte sie auch, was sie sonst über ihn wussten, und redete dann noch über Mode und alle möglichen anderen Themen, aber über nichts, was für die Leute zu aufregend gewesen wäre.

Nach einer halben Stunde Smalltalk fing Diane an, sich zu langweilen und beschloss, einen Rundgang im Schiff zu machen. Sie hatte schon die Treppen, die nach unten führten, bemerkt, und sie wollte wissen, was dort war.

Unten an der Treppe standen zwei große Topfpalmen. Diane nutzte die Gelegenheit und schüttete ihr Sektglas aus. Dann ging sie weiter den Gang entlang. Hier war nicht viel von einer Party zu merken. Sie hörte im Vorbeigehen, dass in ein paar Räumen Leute saßen und redeten, ohne dass sie etwas verstehen konnte. Außerdem gab es eine ganze Menge Schlafzimmer - und Diane sah auch, wie ein Mann mit einem Mädchen in einem der Zimmer verschwand. Den Rest konnte sie sich vorstellen.

Sie ging weiter. Der Gang schien einmal rund um die ganze Yacht zu führen. Dann kam Diane zum Heck des Schiffes. Hier gab es eine große Suite mit der Aufschrift "Privat". Gegenüber davon war ein großes Panoramafenster. Diane versuchte sich vorzustellen, was wohl hinter der Tür lag, dann zog sie den Vorhang zur Seite und schaute auf das schwarze Meer hinaus, über dem der Mond hing. Es war wie in einem Traum.

Dann wurde sie gestört. "Wer sind Sie denn?" Neben ihr stand eine Frau, und sie hatte gar nicht gemerkt, wie sie gekommen war. Diane schaute sie sich genauer an: Lange blondierte Haare, volle blutrote Lippen, sehr tiefer Ausschnitt, knappes nabelfreies Kleid, dazu ein Modepelz.
"Ich bin hier eingeladen", antwortete Diane. Sie war überrascht, aber blieb höflich.
"Und ich wohne hier!" erklärte die Frau, etwas eingebildet.
"Aha." Diane verschränkte die Arme vor der Brust. "Und was machen Sie hier?"
"Ich bin Schauspielerin! Ich habe schon dreizehn Filme mit Josês Freunden gedreht. Und bald machen wir den Vierzehnten!"
"Sie haben in Filmen mitgespielt?" Diane konnte sich die Frau nur in einer Sorte von Filmen vorstellen, und so wie sie fragte, konnte man auch merken, was sie jetzt dachte.
Aber das beeindruckte die Frau überhaupt nicht. "Ja, ich bin Pornodarstellerin, da ist gar nichts dabei. Ich habe in dreizehn Filmen mitgespielt, alle Leute kennen mich, und meine Videos sind ein paar Millionen Mal verkauft worden! Sowas kann nicht jede Schauspielerin!"
Diane hielt weiter auf Abstand zu der Frau. Sie merkte, dass sie sie nicht besonders sympatisch fand, vielleicht, weil sie auch eifersüchtig wegen Josê war. Und Diane ging es da genauso. "Und wie geht es Ihnen sonst? Und wie heißen Sie eigentlich?" fragte sie, höflich, aber kühl.
"Ich heiße Cybil, und mir geht es gut", antwortete Cybil. "Josê hat mich hierher geholt, weil meine Filme so erfolgreich waren. Wir sind jetzt schon seit einem halben Jahr zusammen, und bald bekommen wir ein Baby."
"Bald?!" Das war keine angenehme Nachricht für Diane. Sie wusste nicht, auf wen sie wütender sein sollte, auf Josê oder Cybil.
"Ja", antwortete die Frau. "In ein paar Monaten ist es soweit." Sie strich sich über den Bauch, und Diane musste zugeben, dass sie wohl Recht hatte. Bis jetzt war ihr die kleine Wölbung unter Cybils Busen gar nicht aufgefallen.
"Ich muss jetzt leider zurückgehen", entschuldigte sie sich. Hier wollte sie nicht länger bleiben.
"Okay, gehen Sie!" rief Cybil ihr noch hinterher. "Ich bleibe hier und warte auf Josê!"

Diane kehrte in den großen Partysaal zurück. Hier hatte sich die Stimmung inzwischen deutlich gesteigert. Sie bemerkte zufällig, dass ein Mann, der ihr über den Weg lief, noch leichte Kokainspuren an der Nase hatte. Das erklärte einiges. Was sie nicht verstand, war nur, warum Leute wie Mégret auch hier waren.

Aber dann kam Josê, und Dianes Laune änderte sich wie mit einem Schlag. Jetzt, wo sie ihn in Echt sah, wirkte er noch viel schöner als Antonio Banderas. Und mit seinem Auftreten schien er alle zu beeindrucken. Es war so, als ob er der Herr von allen wäre. Und sie dachte gar nicht mehr daran, dass er Kokainsüchtige und Pornodarstellerinnen als Freunde hatte. Ihr Ärger von gerade eben war wie ausgelöscht.

Jetzt hatte er sie auch bemerkt. Er kam auf sie zu und lächelte sie an. "Sie müssen Diane de Beauvarnier sein!"
"Sie haben es erraten!" Diane lächelte zurück.
"Sind Sie Französin?" wollte er wissen. Er hatte ihren leichten Akzent bemerkt.
"Nein", antwortete sie. "Eigentlich komme ich aus England, aber ich lebe schon seit einigen Jahren hier. Mein Vater ist Engländer, und meine Mutter ist Portugiesin." Sie strich sich über die dunklen Locken.
"Also ist Ihr Name eigentlich 'Dei-änn'?" fragte er.
"Eigentlich ja. Aber nennen sie mich 'Di-ahn', das ist schöner." Und so, wie sie es sagte, klang es auch schön.
Gerade kam wieder einer von den vielen Kellnern vorbei. Josê winkte ihn zu sich heran. "Bitte bring uns eine Flasche vom besten Champagner, den wir da haben", befahl er.
Der Champagner kam, und Josê goss zwei Gläser für sie ein.
"Und, wie gefällt es Ihnen?"
"Es ist ganz sicher die beeindruckendste Party, auf der ich jemals gewesen bin."
Das war ausnahmsweise ehrlich gemeint. "Aus welchem Land kommen Sie eigentlich?"
"Oh, meine Heimat ist jetzt hier", antwortete er charmant. "Kümmern Sie sich nicht darum, wo ich wirklich herkomme." Er lächelte und betrachtete sie weiter. "Sie haben wunderschöne Augen", schmeichelte er. "Und Ihr Teint ist einmalig auf dieser Welt." Er fasste sie zart ans Kinn.
Sie lächelte und spielte die Verlegene.
"Sie haben einfach wundervolle Haare", schwärmte er und strich ihr dabei über die Locken. Und Diane ließ es sich gefallen.

Die beiden hätten, von Diane aus, noch ewig weiterreden können, aber jetzt wurden sie unterbrochen, als der arabische Sekretär kam und Josê etwas ins Ohr flüsterte.
"Bitte entschuldigen Sie", wendete er sich an Diane. "Ich muss leider für einen Moment weg. Warten Sie hier solange auf mich."
Er ging weg, und Diane wartete brav. Er gefiel ihr zu gut, als dass sie ihn jetzt einfach stehen lassen wollte. Noch nie hatte sie jemand so stark beeindruckt.

Ein paar Sekunden lang stand sie nur da und träumte von Josê, aber dann wurde sie leider gestört.
"Madame de Beauvarnier?" Diane schaute sich um. Hinter ihr stand ein Mann mit schwarzem Schnauzbart. Und jetzt erinnerte sie sich auch, dass er schon vorhin die ganze Zeit in ihrer Nähe herum gestanden war. Er war ihr überhaupt nicht sympatisch.
"Ich bin ein Freund von Monsieur de Giuvevra", stellte er sich vor. "Ich arbeite für ihn." Er hielt ihr die Hand hin, aber Diane wollte sie nicht nehmen.
"Ich würde Sie gerne etwas näher kennenlernen, Madame", redete er weiter. "Möchten Sie, dass ich Ihnen die Yacht zeige?"
Darauf konnte Diane verzichten. "Nein, danke. Ich warte nur auf Josê."
"Warum begleiten Sie mich nicht einfach? Wir setzen uns in den großen Salon und warten dort auf Josê."
"Davon halte ich überhaupt nichts!" entgegnete Diane scharf. "Lassen Sie mich in Ruhe!"
"In welchem Ton reden Sie mit mir?" Der Kerl schien sich nichts gefallen lassen zu wollen. "Wenn Josê hier wäre, würde er Ihnen sagen, dass er es nicht mag, wenn man so mit seinen Freunden umgeht!"
"Dann richten Sie Josê aus, er soll mir das bitte selber sagen!" Diane ging, wütend. Dieser Kerl hätte besser Josês blonde Freundin anmachen sollen, die würde besser zu ihm passen. Sie war so wütend, dass sie den guten Champagner einfach wegschüttete.

Dann verzog sich Diane wieder nach hinten, wo die Salons lagen. Viele von den "diskreten" Zimmern waren schon belegt, und man konnte von draußen auch gut hören, wie es da drinnen zuging. Am Ende fand sie einen leeren Salon, ging rein und ließ sich in einen Sessel fallen.

Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, dachte sie darüber nach, ob sie nicht doch in den Partysaal zurückgehen sollte. Vielleicht war Josê wieder da und wartete auf sie. Und gerade, wie sie aufstehen wollte, hörte sie jemanden.

"Hallo! Willst du mir Gesellschaft leisten? Weißt, du, ob Josê kommt?"
Es war Cybil, und Diane merkte sofort, dass irgend etwas mit ihr nicht stimmte. Sie war unglaublich aufgedreht, ganz anders als vorhin, so als wenn sie gerade die ganze Welt geschenkt bekommen hätte. Diane schaute sie sich genauer an. Das weiße Pulver an Cybils Nase war unmöglich zu übersehen, und dementsprechend benahm sie sich auch.

Diane wollte etwas sagen, aber Cybil ließ ihr gar nicht erst die Zeit dazu. "Ich war die ganze Zeit allein und hab mich gelangweilt, wie Josê nicht da war, da hab ich mir ein Näschen genommen. Willst du auch eine Line?"
"Nein, danke", lehnte Diane ab. Cybil ließ sich ihre gute Laune dadurch nicht verderben.
"Komm, ich zeig dir unsere Suite!"

Diane fragte sich natürlich, ob es stimmte, wenn Cybil "unsere" sagte, aber Josês Suite interessierte sie doch. Cybil schloss die Tür auf, und sie gingen hinein.
"Wie gefällt es dir?" Cybil breitete stolz die Arme aus und lächelte wie wahnsinnig. "Hier schlafen wir zusammen! Ist es nicht fantastisch?" Und Diane musste zugeben, damit hatte Cybil Recht. Der Raum war ein echter Schlafsaal, und das Himmelbett allein war größer als ein normales Schlafzimmer. Alles war elegant und luxuriös, so wie die ganze Yacht, aber Diane fragte sich, was es sonst noch in diesem Zimmer gab, in den Schränken zum Beispiel. Langsam wurde sie misstrauisch.

Auf einmal brach Cybil zusammen und fiel zu Boden. Sie brüllte wie wahnsinnig, während sie ihren Bauch hielt. Diane kniete sich erschrocken zu ihr hin.
"Was ist mit dir?"
"Mein Baby!" brüllte Cybil. "Es kommt!"
Diane fing an, verzweifelt nachzudenken, was sie tun sollte, aber jetzt passierte alles so schnell, dass kein Mensch noch etwas hätte tun können. Unter Cybils Rock begann Blut hervorzufließen und breitete sich langsam auf dem Fußboden aus. Diane erinnerte das alles entfernt an ihren Alptraum. Das Blut floß weiter und verschmierte ihr weißes Cape, das ihr von den Schultern gerutscht war.

Dann schrie Cybil noch lauter als vorher und krampfte ihren Leib zusammen. Diane konnte das nicht mehr mit ansehen und schloss die Augen. Aber als sie sie wieder aufmachte, war der Anblick noch viel schlimmer.
Cybil lag wie halbtot da, stöhnte nur noch leise vor Schmerz. Zwischen ihren Beinen, in einer großen Blutlache, lag, auch völlig von Blut überzogen -

Diane hatte jetzt natürlich eine Frühgeburt erwartet, aber das hier konnte unmöglich ein Baby sein. Das hier war überhaupt nicht mit einem Baby vergleichbar, das hier war - ein Monster. ES hatte ein entsetzlich hässliches, völlig verformtes Gesicht mit riesigen Zähnen, die aus seinem Maul herausragten, und an Händen und Füßen hatte ES scharfe Krallen, mit denen es Cybil den Unterleib zerfleischt hatte.

Diane war in Panik. So etwas Fürchterliches hatte sie noch niemals gesehen. Sie war vor Angst wie gelähmt. Cybil bewegte sich jetzt nicht mehr und gab auch keinen Ton mehr von sich. Und Diane wurde klar, dass sie tot war.

Dann hörte sie Schritte und Stimmen, die sich schnell näherten. Sie bekam Angst, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Schnell stand sie auf, wickelte das blutige Cape zusammen, lief aus dem Zimmer zum Aussichtsfenster und warf das Cape ins Wasser. Dann zog sie den Vorhang zu und versteckte sich dahinter, ließ aber einen winzigen Spalt offen, um durch schauen zu können. Zum Glück war soviel Platz hinter dem Vorhang, dass sie niemand bemerken konnte.

Dann kamen einige von Josês Sicherheitsleuten ins Zimmer. Ihr Anführer befahl seinen Leuten, Josê und einen Arzt zu holen und die Leute, die jetzt angerannt kamen, draußen zu halten.

Hinter dem Vorhang bekam Diane große Angst. Sie wollte nicht wissen, was passierte, wenn die Leute sie fanden. Irgend etwas stimmte nicht mit ihnen. Sie wirkten unheimlich und machten ihr noch mehr Angst, als sie schon hatte. Hier auf dem Schiff stimmte einfach nichts mehr, hier war die Welt endgültig pervers geworden. Sie ließ ihren Revolver in der Tasche, denn ihr war klar, dass sie hier damit nicht viel ausrichten konnte. Zum Glück standen die Männer jetzt so, dass sie nur den Gang beobachteten und Diane nicht bemerken konnten.

Dann kam Josê, und mit ihm kam der Arzt, der sich gleich neben Cybil kniete. Josê stand direkt neben Diane, aber er bemerkte sie gar nicht. Dafür war sie sich seiner Anwesenheit entsetzlich stark bewusst. Noch nie hatte sie so einen Menschen getroffen, und noch nie hatte sie soviel Bosheit an jemandem bemerkt. Es war so deutlich, dass sie sich fragte, warum sie so dumm gewesen war und es nicht schon vorhin gemerkt hatte.

"Was ist passiert?" fragte Josê eiskalt.
"Es ist eindeutig: Sie hat durch die Fehlgeburt einen Schock erlitten, und ist dann an den Blutungen gestorben", erklärte der Arzt.
Und Diane konnte kaum glauben, was sie jetzt sah: In seinen Händen hielt er die Fehlgeburt, aber jetzt sah sie aus wie ein normales, nur eben zu früh geborenes Baby. Einen Augenblick dachte Diane, dass sie verrückt geworden war. Aber sie war sich ganz sicher, was sie vorhin gesehen hatte.
"Bringt die Leiche weg, so wie immer, und sorgt dafür, dass möglichst wenig Leute etwas mitbekommen!" befahl Josê den Sicherheitsleuten um sich herum.
Einer holte schnell einen Leichensack, und sie packten Cybil hinein, zogen den Reißverschluss zu und trugen sie weg. Kurz danach hörte Diane etwas in Meer platschen.

Diane wartete ein paar Minuten, und dann, als sie sicher war, dass alle weg waren, ging sie in Richtung Partysaal zurück. Dort, unten an der Treppe, standen ein paar Leute (wahrscheinlich waren es die Zuschauer von vorhin) und redeten über das, was passiert war.

Ein Mann bemerkte Diane. "Pardon, Madame, sind Sie dabei gewesen, als - hm - dieses Unglück passiert ist?"
"Nein, ich habe nichts gesehen", antwortete sie. "Ich habe jemanden schreien gehört, aber was passiert ist, weiß ich nicht." Diesmal log sie nicht absichtlich. Sie war so geschockt, dass sie einfach nicht mehr in der Lage war, die Wahrheit zu sagen.
"Wo haben Sie Ihr Cape gelassen?" wollte jemand wissen.
"Unten, im Partysaal", antwortete sie kurz. "Ich wollte es gerade holen." Und sie verließ die Gruppe.

Diane ging so schnell wie möglich zum Ausgang. Nach dem, was passiert war, wollte sie mit Josê endgültig nichts mehr zu tun haben. Aber das hieß nicht, dass sie ihn ungestraft davon kommen lassen wollte.

In dem Gedränge bemerkte keiner, dass sie das Schiff verließ. Draußen atmete sie erst einmal tief durch. Es war ziemlich kalt hier, aber die Kälte war ihr lieber als die Wärme auf dieser höllischen Yacht.

Sie schaute sich vorsichtshalber noch einmal um, dann verschwand sie in Richtung Hafen.

Fortsetzung folgt - demnächst in Story Nr. 14, "Wahrheit und Lügen"!
 

Weiter zur KULT-Geschichte Nr. 3: "Sex and Drugs and Rock'n'Roll"

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