Heinrich Schwazer
Richard und Klothilde (Teil 1)/Uhura 4


Uhura Message 4

2000


Teil 2

Ich kniete gerade auf dem Fußboden und benützte die Errungenschaft des Bügeleisens, um mein Giuseppe Di Stefano-Hemd um Vergebung dafür zu bitten, daß es die vergangene Nacht unter der Pfote eines Schneeleoparden hatte verbringen müssen, als das Telefon wie eine Klapperschlange mit verstauchtem Schwanz zu rasseln anfing. Ich ließ den Krawallneurotiker eine Weile den Hammer schleudern, bevor ich beschloß, der Telecom ein paar Lire in den Hut zu werfen.
"Schwing schon den Adamsapfel oder du schuldest mir ein Hemd!"
Pause, unglücklicherweise abgekürzt durch das Zischen des Bügeleisens, das dem Hemd ein paar Kilowatt verpaßte.
"Gehst du immer so behutsam mit deinen Anrufern um?"
"Kommt auf deren Mundgeruch an."
Es war Julia Derenzo. Mein Spezialkommando in Sachen ruinierte Laune. Allein ihre Stimme zu hören, klemmte mir schon die Blutzirkulation ab. Seit ich von der Alm zurück war, meldete sie sich ab und zu, um mir eine Geschichte aufzuschwatzen, die ich für sie recherchieren sollte. Wir hatten seit meinem Rausschmiß noch keine Friedenspfeife zusammen geschmaucht, und es gab auch keine Anzeichen, daß sie mich als Schaufensterdekoration für ihren Laden einstellen wollte, aber jedenfalls hielt sie es für lohnend, mich gelegentlich mit Arbeitsangeboten zu belästigen. Sobald sie auflegte, besprühte ich den Hörer jedesmal mit einem schnellwirkenden Pestizid, um dem Ungeziefer die Laune zu verderben. Der Krieg mit meinen Küchenschaben reichte mir vollauf.

"Ich habe gehört, daß arbeitslose Journalisten früher oder später mit Arthritis in der Birne zu kämpfen haben, aber ich wußte nicht, daß es so schnell geht."
"Wollen Sie nur Ihre Kokolores loswerden oder brauchen Sie mich als Schreibunter-lage?"
"Es gibt da eine Geschichte von einer Frau, die von einem Verrückten bedroht wird. Die Polizei glaubt ihr nicht so recht oder ist einfach zu faul, ihr auf den Fersen zu bleiben, aber sie ist völlig aus dem Häuschen. Kann sich gar nicht mehr beruhigen."
"Hühnersyndrom", sagte ich.
"Was?"
"Hühnersyndrom. Wenn der Fuchs um den Hühnerstall schleicht, rennen die Gackerer in Panik raus anstatt cool auf der Stange sitzen zu bleiben und weiter Läuse zu zählen."
"Hast Du das auf der Alm gelernt?"
"Das und eine Menge mehr. Zum Beispiel, daß Sie es nie zur Landtagspräsidentin bringen werden."
"Warum?"
"Die Wählerinnen mögen keine Kandidatinnen mit null guten Nachrichten am Horizont. Versprechen Sie ihnen kostenlose Cellulitisbehandlung und Sie sind gewählt. Eine Menge Ihrer Geschlechtsgenossinen würden Sie damit auf die Idee bringen: ­ He, im Grunde ist die gar nicht so übel wie sie in ihrer Zeitung tut. ­"
"Wer sagt denn, daß ich gewählt werden will."
"Natürlich wollen Sie. Sie verbringen Ihre ganze Zeit damit, Papier zu schwärzen, anstatt gleich in die Tintenburg zu wechseln. Ich meine, Sie hauen auf den Putz mit Ihrer Postille, aber ist es Ihnen schon einmal ge-lungen, einen der fuselgetränkten Schrumpfköpfe im Landtag aufzuknüpfen? Nie, und es wird Ihnen nie gelingen. Warum wechseln Sie dann nicht einfach die Straßenseite?"
"Du bringst mir die Kopfhaut zum Kribbeln, Casper. Aber ich brauch jemanden, der sich um das freilaufende Hühnchen kümmert. Ich hab keinen frei, den ich drauf ansetzen könnte."
"Kaum zu glauben, bei Ihrem Stall."
"Hör Dir das Girl wenigstens an ..."
"Kommt auf Ihren Wimpernaufschlag an."
Kurze Pause, begleitet von einem Seufzer.
"Wenn Du Dir was verdienen willst, machst Du einfach, was ich Dir sage und fragst nicht warum", belehrte sie mich.
"Ich bin mit einem Warum auf den Lippen zur Welt gekommen."
Sie blieb bei ihrer Tour des steter-Tropfen-höhlt-den-Stein. Ich gab mich pro forma geschlagen, um sie aus der Leitung zu bekommen. Sie konnte so hartnäckig sein, wie der Reißverschluß am Kittel eines katholischen Mädchens. Ich hatte mich lange genug unter ihrer Peitsche geduckt, um einen Unabhängigkeitskomplex entwickelt zu haben. Ihr Gesülze war mir piepe, aber ich begriff, daß ein paar Scheine mehr als gewöhnlich drin waren.
"Wie lautet die oberflächliche Vermutung?"
"Keine Ahnung. Von wem werden Vier- undzwanzigjährige normalerweise bedroht? Irgendein Perverser nehm ich an."
"Also dann. Ich schau mir das Rehlein mal an. Vorher muß ich aber noch bei meinem Testamentsvollstrecker vorbeischauen. Der Knabe beschwert sich, daß ich noch nicht hin bin. Meine Erben rennen ihm die Tür ein."
"Du wirst es nicht bereuen."
"Genau das hat mein Beichtvater auch immer gesagt, bevor er mir die Ohrwascheln lang gezogen hat. Wieviel?"
"Fünfhundert, falls du etwas rausbekommst, was dem Computer die Knochen durch das Gehäuse bohrt, aber, äh ... Casper ..!"
"Ich weiß, ich soll darauf achten, daß die Spesen nicht wieder die Buchhalterin aus den Latschen werfen. Sie schulden mir übrigens bereits ein Hemd."

Ich ließ den Hörer auf die Gabel sausen, daß meine honorige Wanzenzucht unter der Kredenz zusammenzuckte. Aufregung paßte den Viechern gar nicht. Sie lebten in der fixen Einbildung, daß ich sie eines Tages zu Maggi verarbeiten würde.
Mein Hemd war endgültig hinüber, und das Fernsehen spuckte gerade die Meldung aus, daß ein Besoffener mit einer Planierraupe einen Schulbus zerquetscht hatte. Gleich danach brachten sie ein Interview mit dem Präsidenten der Alk-Lobby, daß es die Weinhändler endgültig satt hatten, jeden Blechschaden in die Schuhe geschoben zu bekommen. Das leuchtete mir ein. Ich gab auch nicht mir selbst die Schuld, wenn ich im Rausch den Asphalt abschmuste.
Die Geschichte, die Julia Derenzo mir zugeschanzt hatte, hörte sich nach kurzem Prozeß an. Neunzig Prozent der Frauenzimmer stochern mit dem Besenstiel unter der Matratze nach Unholden, bevor sie das Licht abdrehen. Aber die Perversen schissen auf Gitter und Schlösser und kamen einfach durchs Telefonnetz oder per Post herein. Normalerweise reichte es aber, den Verwandten- und Bekanntenschrottplatz abzuklappern, um dem Kamel zu Leibe zu rücken. Das war nicht gerade die bedrohlichste Freizeitgestaltung, die ich mir vorstellen konnte, aber es war eine gute Gelegenheit, meinen Bügelarm auf andere Gedanken zu bringen.

Das Haus war an einer Stelle erbaut worden, wo der Verkehr genügend Rauch ausspuckte, um den Regenwald zum Husten zu bringen. An der Eisackseite schlürfte der Stadtverkehr vorbei, auf der gegenüberliegenden rückte die Autobahn auf der Höhe des dritten Stockes dem Haus bis auf fünf Meter auf den Pelz. Es war nicht anzunehmen, daß einer der Stadtväter da drinnen seine sturmfreie Bude unterhielt.
Ich studierte das Klingelbrett. Außer ein paar Hieroglyphen war nichts zu erkennen. Der Rost war so dick, daß er mindestens seit der letzten Eiszeit dran sein mußte. Den Namen Delpian konnte ich beim besten Willen nicht entdecken. Ich drückte aufs gradewohl auf einen Knopf und da mich kein Stromstoß zu Boden streckte, probierte ich alle weiteren aus.
Ein Fenster über der Tür ging auf, dann wurde ein Starkstromkabel heruntergelassen, an dessen Enden Messingzacken befestigt waren. Ich konnte gerade noch zurückspringen, um nicht geröstet zu werden. Eine meeralte Frau schaukelte das Kabel vor und zurück, um mich zu erwischen. Mit ihren weißen Haaren wirkte sie wie ein ergrauter Gnom.
"Ruhig bleiben. Ich bin nicht von den Etschwerken", rief ich ihr zu.
"Hau ab. Ich bin nicht lieb und alt wie ich aussehe."
"Hätte ich Ihnen bei dem Stahlgebiß auch nie abgenommen."
"Was willst Du? Hier gibt es nichts zu stehlen."
"Nur jemanden besuchen."
"Hier bekommt niemand Besuch. Außer von Gaunern und Zigeunern."
"Jeder will mal seine Omi sehen."
Das mußte die alte Wachtel erst mal verdauen. Sie war bei weitem nicht so standfest, wie sie es aus der Sicherheit ihres Adler- horstes zu sein vorgab. Ich mußte mich be-eilen, solange sie noch schluckte.
"Wo wohnt das Fräulein Delpian? Auf der Klingel rostet einem das Auge zu, bevor man etwas erkennen kann."
Sie zog das Kabel ein Stück nach oben, ließ mich aber keinen Moment aus den Augen. In dieser Gegend gab es ein paar eiserne Regeln, die allesamt nicht im goldenen Benimmbuch standen.
"Eine Delpian wohnt hier, aber die ist seit ihrer Erstkommunion kein Fräulein mehr. Eine richtige Stadtmatratze ist das."
Sie zog das Kabel nach oben. Offenbar war es interessanter, meiner Klientin einen üblen Ruf zu verpassen, als mich zum Hochspannungsmast umzufunktionieren.
"Ich will nur wissen, auf welchen Knopf ich drücken muß."
"Dritter von unten. Wird aber nicht viel nutzen. Sie schläft den ganzen vormittag. Irgendwann muß sie von der Vöglerei ja auch mal ausrasten."
Ich bedankte mich. Die Alten waren heutzutage härter drauf als die Skins mit ihren Schweizermessern.

 

Klothilde Delpian war eine perfekte Version der auf die schiefe Bahn geratenen jungen Jeanne Moreau. Sie trug ein Pyjamaoberteil, das in eine Turnhose mit ausgebeulten Knien gestopft war. Embryohaltung beim Schlafen. Unverdaute Kindheitsgeschichten. Die überflüssige Last eines Büstenhalters schien sie nie zu Boden gezogen haben. Ihre Nippel waren so spitz, daß ich beinahe Mitleid mit allen Nagelfeilen dieser Welt bekommen hätte. Während ich mich in Gedanken darüber hermachte, begutachtete sie mich wie ihre Parfümtrophäen oder ihre Nagellackfläschchen, aber da ich keinerlei Ähnlichkeiten mit Chanel 19 aufwies, kam sie offenbar zum Schluß, daß es sich bei mir nur um ein Massengrab von verschossener Mannes-Power handeln könne. In diesem Fall war es angebracht, sie wenigstens schnauzemäßig sofort zu überholen.
"Wie läuft'n das Bedrohtwerdengeschäft?", fragte ich.
Sie warf mir einen garstigen Blick zu. Garstig, aber nicht so sehr, daß sich der Tag augenblicklich verfinsterte.
"Kommen Sie", sagte sie und ging voraus. "Sie müssen sich noch ein bißchen gedulden. Muß noch jemanden verschicken."
Ich folgte ihr wie ein pensionierter Rangierer durch einen mit Tändelkram vollgestopften Flur. Sie schob mich durch eine mit Milchglas versehene Tür in die Küche, die der meinigen in punkto Ordnung locker eins auf die Löffel gegeben hätte. Auf dem Küchentisch stand eine Espressomaschine, eine halbvolle Schale Kaffee und ein winziger Taschenfernseher, in dem die Vormittagsquizshow der Rai lief. Ich wollte sie schon fragen, warum es alle Nutten dieser Welt mit diesen weckergroßen Glotzen haben, aber ich widerstand der Versuchung.
"Kaffee steht auf dem Herd", sagte sie und zog die Tür zu. "Dauert nur ein paar Minuten."
Nimm dir lieber ein Glas, Casper, sagte ich mir mit einem Blick auf den Terminkalender der Mietze, der mit Klebestreifen auf die Kredenz gepickt war. Drei dates waren heute bei ihr angesagt, exklusive den, den sie gerade abfertigte. Der war nicht verzeichnet.
Ihr Kühlschrank war praktisch ein Süßigkeitsladen. Massenhaft Zuckerln, Bonbons und Konfektschachteln waren darin verstaut, nur eine sogenannte Flasche konnte ich entdecken. Ich fand nur etwas, das die Form eines Stöckelschuhs hatte und das Gesöff darin hatte so eine Pop-Art-Farbe, die einem sofort die Leichenstarre ins Gesicht jagte. Ich schlürfte ein bißchen daran, und da keine Rot-Kreuz-Sirene ums Eck jagte, holte ich eine Tasse aus der Kredenz und schenkte ein.
Auf dem Bildschirm tanzte der Rai-Mietzenhaufen und ich schaute ihnen zu, bis Klothilde Delpian den Hurenbock mit den üblichen Schlürfgeräuschen abgefertigt hatte. Als sie in die Küche hereinkam, schüttelte sie sich wie ein nasser Hund. Sie war nicht gerade eine berauschende Versuchung in ihrem Krankenhauspyjama, aber ich war mit dem Glas in der Hand auch nicht gerade der Alligator, den sich eine Frau wünscht. Wir waren ziemlich quitt was fortpflanzungsmäßige Ausstrahlung betraf.
"Hat er wenigstens seine Socken ausgezogen?" fragte ich, um das Eis zu brechen.
Sie zuckte mit ihrer rechten Schulter.
"Einer aus dem Altersheim", sagte sie. "Kommt jeden Monat einmal, damit sie ihm nicht im Heim die Rente abknöpfen können. Fällt einfach wie ein Erdäpfelsack auf mich drauf."
Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie unter einem Sack Erdäpfel ausschaut, aber ich konnte mir nur ausmalen, wie der Sack danach ausschauen mußte. Ihre Augen sahen aus wie Puderdosen, an denen ein junger Hund geknabbert hatte, um sie zu öffnen. Ich tippte auf Koks plus eine halbe Flasche Ramazotti. Sie drehte den Minifernseher zu sich und hechelte durch die Programme, bis sie wieder bei der Vormittagsshow von Rai2 angelangt war. Die Lautstärke drehte sie auf Schrotgewehrknall.
"Wenn meine Trommelfelle zu Asche verglüht sind, ist es verflucht schwierig mir komplizierte Geschichten zu erklären", brüllte ich durch die Schallmauer.
Sie drehte den Krach um ein paar Dezibel zurück.
"Ich brauche den Lärm, um den Kopf freizukriegen", sagte sie ungerührt. "Macht mich zwar wahnsinnig, ist aber das einzige was hilft."
Ich leckte mir die Trommelfelle und stocherte nach ein paar Tabakkrümmeln in meiner Tasche.
"Was dagegen?" fragte ich vorsichtshalber. Heutzutage konnte man wegen eines Tschiggs plötzlich weit davon entfernt sein, unversehrt auszuschauen.
"In meiner Familie haben Raucherbeine Tradition", gab sie zurück.
"Dann steht einer Versippung ja nichts mehr im Wege. Reden Sie von allein oder soll ich fragen?" lenkte ich das Gespräch auf den Grund meines Hierseins zurück.
"Wenn das jetzt sowas wie ein Polizeiverhör wird, können Sie gleich wieder abschieben. Davon habe ich in der Woche mehr als Sie Hundehaufen finden um reinzutreten."
"Warum sagen Sie nicht einfach, was ihnen auf dem Herzen liegt?"
Sie lehnte sich zurück und wippte auf dem Stuhl wie eine nervöse Erstklässlerin, die dem Religionslehrer sagen soll, warum Adam lieber Schnitzel als Äpfel mochte.
"Es gibt nicht viel zu sagen, nur viel zu lesen", sagte sie und zog aus einem Buch, das auf der Fensterbank lag, ein paar Briefe heraus.
"Da!"
Sie legte die Briefe auf den Tisch und ich nahm den obersten vom Stapel. Er war in ein billiges Kuvert gesteckt mit einer Sondermarke zur Fußballweltmeisterschaft. Das Schreibpapier war aus einem Rechenheft gerissen. Er war nicht datiert, die Botschaft umfaßte ganze fünf handgeschriebene und mit Lineal unterstrichene Zeilen: "Schlampe, Du. Ich werde Dein Grab den Ratten zu füttern geben, damit du schneller verfaulst. Es ist bald soweit. Der Teufel hat dich schon. Sobald ich nur ein klein wenig von Dir zu fassen bekomme, zahle ich es Dir heim. Das Denken daran, daß Du lebendig bist, kehrt mir die Eingeweide um und um."
Kein Datum, keine Unterschrift, nichts. Nur diese unsichere Schrift, die auf dem Papier eine Grimasse zu schneiden schien wie ein trockener Kuhfladen.
"Wenigstens beherrscht sie die Höflichkeitsform", sagte ich und nahm den nächsten Brief.
"Wer sie?" fragte die Delpian.
"Diese Person".
"Sie denken, es ist eine Frau. Stimmt's?"
"Statistisch gesehen werden 90 Prozent aller Drohbriefe von Frauen geschrieben. Was nur heißt, daß sich Männer seltener dabei erwischen lassen."
"Was denken Sie?"
"Noch gar nichts. Außer daß es sich um eine analfixierte Person handeln muß."
"Analfixiert? Was soll der Blödsinn heißen?"
Ich hörte wie der Bildungsbürger in mir Alarm klingelte. Aber ich ließ das Aas nicht herein. Ich konnte ihn nicht leiden. Stattdessen griff ich mir den nächsten Umschlag. Wieder dasselbe Muster. Beschimpfungen, Drohungen, dreckige Wörter, genug um einen Kardinal aus den Socken zu schmeißen, aber kein Anhaltspunkt für ein Motiv. Der letzte war gerade eine Woche alt. "Mein letzter Brief. Das ist normal. Eine Schlampe weniger auf dieser Welt. Es hilft zwar nichts. Du stirbst und zwei neue werden geboren. Es wird einige Zeit brauchen, bis dein Gestank niemanden mehr belästigen kann."
"Klingt wie ein sorgfältig vorbereitetes Todesurteil, das für den passenden Moment aufbewahrt wurde. Könnte aber auch nur das Werk eines altmodischen Religionsfanatikers sein, der den Werbespruch der Post verinnerlicht hat: 'Schreib mal wieder!' Die Typen haben einen unnachahmlichen Humor."
"Daran habe ich auch schon gedacht", sagte sie. "Aber ich habe ein komisches Gefühl dabei. Für jemanden, der sich nur einen Spaß macht, sind die Briefe zu schlecht geschrieben."
"Warum rufen Sie bei der Zeitung und nicht bei der Polizei an?"
"Habe ich gemacht. Die Bullen haben nur gesagt, wenn sie jedem Drohbrief an eine Nutte nachforschen würden, wäre das Arbeitslosenproblem gelöst."
"Haben Sie eine Ahnung, wer der Spaßvogel sein könnte?"
"Ich bin meine Kunden durchgegangen ..."
"Und?"
"Nichts besonderes. So wie Hurenböcke nun einmal sind. Hurenböcke."
"Irgendjemand, der nicht mehr kommt, dem er nicht gestanden ist, dem Sie zuviel abgeknöpft haben, der sich ruiniert hat ...?"
"Woher soll ich das wissen. Ich miste den Kerlen ihre Hosenställe aus und dann ziehen sie wieder ab."
Sie machte es einem nicht leicht. Ich nahm einen neuen Anlauf.
"Mal angenommen, jemand schlingt Ihnen ein Seil um den Hals und läßt Sie damit Bungee Jumping machen. Wen würden die Bullen verdächtigen, den Kran bedient zu haben?"
Sie stand auf, nahm eine Zigarette aus der Packung, beugte sich über den Herd und nuckelte den Tschigg an der Gasflamme an. War vor Zeiten auch eines meiner Laster gewesen. Bis ich mich einmal an meiner Fahne beinahe selbst abgefackelt hätte. Seither trug ich zum fabelhaften Reichtum von Monsieur Bic bei.
"Ich nehme an, Sie würden sämtlichen Zuhältern der Stadt einen Höflichkeitsbesuch abstatten und die Sache danach ruhenlassen, weil zur Tatzeit alle auf dem Polizeiball waren", erwiderte sie.
"Waren Sie mal verheiratet?"
"Wer nicht? Warum interessiert Sie das?"
"Vielleicht ist Ihr Ex eifersüchtig?"
"Da sind Sie auf dem Holzweg. Wenn schon, würde er abkassieren."
"Warum haben Sie geheiratet?"
"Um meiner Mutter einen Gefallen zu tun. Sie war der fixen Meinung, daß eine Frau ohne Trauschein gar nicht existiert."
"Wie lange hat es gehalten?"
"Ungefähr drei Wochen. Bis er draufkam, daß ich kein Talent habe zum Schnauze- halten. Nicht einmal, wenn er sie mir eingeschlagen hatte. Daraufhin hat er das Weite gesucht."
"Wie lange ist das her?"
"Bald fünf Jahre. Warum wollen Sie das so genau wissen?"
"Reine Neugier. Was haben Sie danach gemacht?"
"Krankenschwester. Der Beruf, den ich gelernt habe. Bis es mir zu mühsam wurde, den Herren Doktoren nach jeder Visite gratis einen abzukauen. Irgendwann habe ich mir gesagt: Wenn es schon anders nicht geht, will ich wenigstens dafür gelöhnt werden."
Sie paffte ihre Zigarette als wollte sie sich daran die Zähne ausbeißen. Ganz tief unten in ihrer Lunge sah es bestimmt nicht sehr glänzend aus. In dem Punkt machte sie mir nichts vor. Ich roch auch ständig nach Verbranntem.
"Was ist mit eifersüchtigen Ehefrauen? Vielleicht hat eine Wind davon bekommen, daß ihr Gespons seinen Blitzableiter woanders zur Revision schickt."
"Das kommt vor. Ehrlich gesagt, wäre es mir das Liebste. Mit den Ehefrauen werd ich fertig. Außer daß sie dir eine Handtasche über den Schädel ziehen, sind sie meist harmlos. Die schämen sich in Grund und Boden. Wenn Sie etwas in der Richtung rausfinden, zahl ich Ihnen was drauf. Wieviel verdienen Sie eigentlich an der Geschichte?"
"Nicht genug, um Ihnen zu nahe zu treten. Darf ich sie mitnehmen? Die Briefe, meine ich", fragte ich. Es war völlig sinnlos, sie weiter auszuquetschen. Genausogut hätte ich einen ausgestorbenen Dodo um den Weg zum Bahnhof fragen können.
"Klar. Ich will sie nicht einmal wiederhaben. Wann höre ich, was Sie rausgefunden haben?"
"Mit den Informationen, die Sie mir gegeben haben, wahrscheinlich nachdem ich eines abscheulich langsamen Tod durch Verhungern gestorben bin."
Ich süffelte mein Getränk aus, das mittlerweile schon dreimal Farbe gewechselt hatte, und ließ meine Absätze Klickerklacker machen. Sie erwiderte mein Kunststück mit Nichtbeachtung. Es war auch ein bißchen zu dick aufgetragen.
"Noch etwas. Sollte ich den oder die wider jede Wahrscheinlichkeit dennoch finden: Soll ich ihr oder ihm dann ein Bein ausreißen, damit er oder sie nicht weglaufen kann, wenn Sie ihn sich vorknöpfen?" fragte ich höflichkeitshalber noch, bevor ich mich auf Nimmerwiedersehen verabschieden wollte.
"Es reicht, wenn Sie mir sagen, wer sie ist. Den Rest mache ich allein."
"Hoffentlich lese ich dann nicht in der Zeitung, daß ich wegen Beihilfe zum Handabhacken gesucht werde", sagte ich und paffte eine letzte Rauchwolke zur Decke hoch. "Wenn Ihnen noch was einfällt, meine Nummer steht in dem großen gelben Buch, auf das sie sich draufsetzen, wenn Sie größer ausschauen wollen."

Als ich die Tür aufmachte, stand ein Sportsmann vor mir, der gerade die Klingel mit ein paar Stromstößen füttern wollte. Er hatte hängemattenartige Wangen und bekam einen Mordsschreck als er mich sah. Er war ein feiner Pinkel, das war nicht zu übersehen, und es war ihm anzusehen, daß er sich schwertat, mich als Bruder der Klasse Der-Wille-ist-stark-aber-das-Fleisch-ist-schwach zu akzeptieren.
"Suchen Sie die Schule für höhere Töchter?" blaffte ich heraus.
"Ich habe meine eben abgegeben. Mann bin ich froh, die Göre loszusein. Zahl auch eine Stange Geld dafür, daß sie in sicheren Händen ist. Heutzutage wird man als Vater ja beinahe eingesperrt, wenn einem die Mädels mißraten. Heh, ich frage Sie, wo bleibt da die Gerechtigkeit. Wenn man ihnen ab und zu eine Watsche verpaßt, damit etwas aus ihnen wird, kommt man hinter Gitter. Und wenn man sie rumhängen läßt, bekommt man Besuch vom Sozialamt. Wie soll man da als Papi noch die Kurve kriegen? Na ja, ich hab mein Bestes gegeben. Die Aufpasserin da drin ist echt scharf. Die läßt keine raus und keinen rein. Schon gar keine Kerle."

Der Bock wußte nicht, wo er hinschauen sollte. Er sah aus wie ein Wurm, der sich beeilt, die Autobahn zu überqueren. Solidarisch mit den Schamvollen, wie ich nun einmal bin, drückte für ihn auf den Klingelknopf. Wahrscheinlich köpfte er mich gerade in Gedanken. Ich konnte es ihm nachfühlen. Vor der Tür zu einem Hurenstall hat niemand Lust auf gutgemeinte Ratschläge.
Als Klothilde das Guckloch aufmachte, schob ich ab. Ich war ziemlich sicher, daß sie nicht besonders glücklich darüber gewesen wäre, mich als Wachturm vor ihrer Tür stehen zu haben.


Zweiter und letzter Teil: Uhura - Message 5

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