Heinrich Schwazer
Richard und Klothilde (Teil 2)/Uhura 5


Uhura Message 5

2000


Teil 1

Die Geschichte war Schrott. Hoffnungslos verloren. Ein Fall fürs Fernsehen. Wäre ich ein cleverer Detektiv gewesen, hätte ich ein paar Spesenrechnungen zusammengeschustert und den Fall auf dem Friedhof für ungelöste Gesetzesübertretungen zu Grabe getragen. Aber da ich ein blöder Journalist war, glaubte ich noch an die Frau Holle und die ausgestorbene Kunst des Bettenklopfens. Ich würde mich Ellbogen an Ellbogen mit Lorena an eine Theke stellen und sie über die Geheimnisse des Polizeiarchivs ausquetschen. Erst wenn dabei nichts rausschaute, war wirklich Sense.
Lorena sorgte für die Ihren. Immer wenn ich auf illegalem Weg versuchte, etwas Licht in dunkle Ecken zu bringen, war sie meine erste Adresse. Sie arbeitete in der Archivabteilung der Quästur und war mir ewig dankbar seit ich sie auf einer Faschingsparty vor einem österreichischen Kellner gerettet hatte, der auf einer Kloschüssel eine von diesen neumodischen Sexsachen mit ihr ausprobieren wollte.

Ich hatte ihr das armselige Häuflein Informationen, das ich zusammengekehrt hatte, per Telefon gesteckt und sie gebeten, dieses ein bißchen zu vergrößern. Falls sich nichts Zweckdienliches an ihren Finger-nägeln festhackte, war ein Abend mit ihr an der Bar noch immer das Beste, was einem arbeitslosen Journalisten mit Hang zur Legendenbildung zustoßen konnte.
Lorena war genau der Typ Frau, bei dem die Männer anfangen zu überlegen, ob sie die richtige Zahnpasta verwenden. Das war der Ärger, wenn man mit ihr an einer Theke lehnte. Ich fühlte mich jedesmal wie ein Bordellwirt, wenn ich mit ihr unterwegs war.
Wir schmusten ein bißchen zur Begrüßung, weil uns nichts besseres einfiel und weil es immer in Ordnung ist, alte Bekanntschaften auf den neuesten Stand zu bringen. Danach zappten wir eine Weile in der Vergangenheit herum. Ich konnte mich an nichts mehr erinnern und mußte ihr in allem recht geben.
"Was hast Du erspäht?", lenkte ich die Unterhaltung aufs Geschäftliche.
"Nicht genug, fürchte ich. Deine Klientin hatte im letzten Jahr ein paar Händel mit der Polizei. Kleinere Geschichten, Schwierigkeiten mit Kunden, nichts Grobes. Hat eine Vorstrafe wegen einer Rauferei mit einer Nachbarin, der sie ein Büschel Haare ausgerissen hat. Sie wurde dazu verdonnert, ihr eine Haar-implantation zu bezahlen. Ansonsten ist sie sauber. Außer einer nebulösen Affäre mit ihrem Ex, der seit Jahren nicht mehr auffindbar ist. Solange er nicht wieder auftaucht, ist ihr aber nichts anzuhängen."
"Bißchen wenig für ihr Kaliber. Keine Anzeigen ihrerseits?"
"Nein. Außer ein paar Drohbriefen, die sie abgeliefert hat. Die weiß sich anders zu helfen."
"Mir hat mal jemand erzählt, daß alle Huren Post von Erpressern kriegen. Was sagt Dein Archiv dazu?"
"Das Archiv sagt ja. Die Abteilung für nette Post kommt mit der Arbeit nicht nach. Schaut aber wenig dabei heraus. Die Polizei nimmt die übliche Spurensicherung vor, aber nur pro forma. Führt zu nichts und kostet Geld."
"Keine Schriftexperten?"
"Haben wir nicht. Ich kann Dir aber eine Adresse von einem geben, der sich damit auskennt. Hat mir mal die Schrift von meinem Ex analysiert."
"Was dabei rausgekommen?"
"Nur was ich schon vorher wußte. Daß er ein Schwachkopf ist."
"Das hört sich ordentlich an. Wie heißt der Knabe?"
"Ich hab seine Nummer in ein Buch geschrieben. Du wirst das Lumpenfräulein begleiten müssen, um an Deine Informationen zu kommen."
Sie lächelte. Ich lächelte zurück. Von Lorena mitgenommen zu werden war besser als mit einem Stabhochsprungstock durch ihr Fenster hüpfen zu müssen. Meine Matratze konnte eine Entspannung gebrauchen und außerdem konnte es nie schaden, die Zeit mit ein bißchen Sex totzuschlagen.

Als ich Lorenas Wohnungstür hinter mir zumachte, hatte ich eine Nacht mit ein paar Sekunden Schlaf hinter mir und einen Grund mehr, mein Herz in einen Banksafe zu legen. Den Namen von dem Schriftgelehrten hatte sie mir auf einen Zettel geschrieben. Aber erst als sie aus dem Haus ging. Sie war eben nicht häßlich und nicht blöd.
Der Typ hieß Philip Morris und hatte eine Adresse in Rom. Lorena hatte mir eine Telefonnummer aufgeschrieben: Philip Morris, Graphologie und ein paar Geheimwissenschaften mehr. Bisher hatte ich nur Tschigg dieses Namens kennengelernt. Ich rief ihn von meiner Wohnung aus an.
"Wollen Sie eine genaue Analyse oder nur ein paar Hinweise?" fragte er, als ich meinen Wunschzettel deponiert hatte.
"Was ist der Unterschied?" wollte ich wissen.
"Der Preis. Kostet einen Hunderter mehr und dauert eine Stunde länger."
"Mit Rückgabegarantie?" wollte ich wissen.
"Ist nicht notwendig. Wenn ich eine ordentliche Probe bekomme, wissen Sie nachher alles, was man herauslesen kann. Mehr steckt nicht drin."
Ich gab mich geschlagen. "Ich faxe das Teil", sagte ich und legte auf.

Drei Stunden und mein Leibgericht ­ überfahrenes Katzenfutter ­ später rief er zurück. Er machte es spannend und gab mir zuerst die Zahlungsmodalitäten durch. Ich notierte und ließ den Zettel im Müll verschwinden. Wo käme man hin, wenn man jedem Kaffeesatzleser sein gutes Geld gäbe.
Er legte los. Soweit ich es mitbekam, kam praktisch jeder und jede in Frage. In erster Linie aber sah er entweder einen Pfaffen oder eine militante Ex am Werk. Ich fragte schüchtern nach, ob ein Schriftgelehrter allen Ernstes nicht einmal imstande sei, Mann und Frau zu unterscheiden.
"Lassen Sie mich ausreden und dann können Sie Ihre Fragen stellen. Es handelt sich mit 99prozentiger Sicherheit um eine Frau. Das restliche Prozent ist für die Geistlichen reserviert. Die haben in ihrer privaten Korrespondenz einen Hang zur Weiblichkeit."
Seine Buchstabenexegese wäre ein Beispiel für kriminalistisches Dilettantentum gewesen. Er laberte über den Schriftzug und die Form der Selbstlaute herum, daß es zum Gehirnerweichen war. Ich hatte es schon aufgegeben, als er endlich zur Conclusio kam.
"Mit aller professionellen Vorsicht", sagte er, "würde ich sagen, es handelt sich um eine Frau, die aus Wut über einen schmerzlichen Verlust schreibt. Wahrscheinlich jemand, der ihr sehr nahe stand. Ein Kind oder der Ehemann. Der Schriftzug drückt starke innere Spannungen, aber auch Unsicherheiten aus. Ich tippe auf ein nicht allzuweit zurückliegendes Ereignis. Ein paar Monate höchstens. Die Briefe sind sozusagen der Blitzableiter. Ich würde die Drohungen aber ernstnehmen. Sehr ernst. Wäre ich die Empfängerin, würde ich Adresse wechseln."
"Prächtig", sagte ich. "Darf ich noch eine Frage stellen? Reine Neugier: Was sagt mir, daß sie das nicht alles nur bei einem Wettbewerb für Lyriknachwuchs zusammengedichtet haben?"
Die Frage schien ihn nicht zu überraschen.
"Probieren Sie's aus", sagte er. "Erwarten Sie aber nicht, daß ich nachher Ihre Gewissensbisse entziffere."
Tüchtig, der Bursche. Er hatte mich am Schlaffitchen. Ich gab's auf. Bevor ich auflegte, hatte er noch einen guten Rat für mich auf Lager.
"Noch etwas, Herr Merz. Es gibt Zeitgenossen, die der fixen Meinung sind, daß Bezahlen sich nicht schickt. Mein Anwalt hat eine ausgeprägte Schwäche für diese Leute."
Warum bekam immer ich diese Antworten? Immer. Oh, sie schlauchten mich, diese Antworten, die so klingen, als müßte man die Büsche durchsuchen, ob einer mit aufgepflanztem Bajonet darin lauert, bevor man das Gartentor zumacht. Es drückte auf die Nerven. Die Menschheit bestand aus zwei Kategorien. Solche mit Anwalt und solche ohne.
Ich latschte ab, bevor die Trübsal ihre schauerliche Show mit mir abziehen konnte.

Die Geschichte war ausgelutscht. Ihre beste Zeit hatte sie seit Monaten hinter sich, machte Ärger, fraß meine Nerven und meine Zeit und mein Geld. Ich schlug mich durch schwitzende Touristenmassen bis ins Buco durch, um meinen Magen mit Kaffee coretto zu rösten. Das Lokal war voller Pädagogen von der Klosterschule um die Ecke. Pädagogen erkennt man daran, daß sie ein stures Kinn haben und nie etwas spendieren. Nicht einmal den kleinsten Schluck neunzigjährigen Whiskey rücken sie raus.
Nein, das Buco war heute nicht gerade der Ort, wo ich mich mit meinen Sorgen erwischen lassen wollte: ein Macho-Pädagogen-Kongreß mit schon ziemlich verkohlten Hirnen.
Zum Glück schneite Luigi herein, bevor ich etwas juridisch Folgenschweres anstellen konnte.
"Was machst Du denn bei den Kerkertypen da?" fragte er mich über die Schulter.
"Ich sterbe vor Angst", sagte ich. "Sieht man das nicht?"
"Ja, mir rollen sich auch schon die Zehen-nägel auf."
Er riß den Filter von einer geschnorrten Zigarette und steckte sie an.
"Wie geht's? Haben Dir Deine Wanzen Ausgehverbote gegeben, daß man Dich nicht mehr sieht. Ist eine Ewigkeit her."
Das war das Zeichen, daß er etwas zum Trinken brauchte. Wenn wir uns nicht mindestens zweimal am Tag sahen, bekam er sofort Entzugserscheinungen. Auf der Farm der Tiere wäre Luigi mit Sicherheit eine Ratte gewesen. Er wohnte abwechselnd in einem Ariston-Kühlschrank und einem Heizungskeller eines Knabenheims. Seine Suppe besorgte er sich mit ein paar Botengängen für diverse Hotels. Früher war er mal Schriftsteller gewesen, doch er hatte eine andere Vorstellung von diesem Job als sein Verleger. Die Feinde eines guten Schriftsteller sind Legion, sagte er manchmal, wenn er dachte, daß ihm niemand zuhört. Sie haben das Geld, sie haben die Heckenschützen, sie haben die Flugzeuge, um die Bomben auf die Schriftsteller zu schmeißen. Es machte ihm Spaß, die Schriftstellerverschwörer auszuräuchern.
Ich gab dem Barist das Okay-Zeichen. Die Zeit war eh schon ziemlich weit fortgeschritten, was sie im großen und ganzen gesehen die meiste Zeit war. Wir tranken ein paar Flaschen und dann noch ein paar bis wir wieder nüchtern waren und uns an der Skyline entlang nach Hause hangelten. Über Hurenfeinde in dieser Gegend wußte er nicht bescheid. Er kannte nur Hurenböcke. Luigi war ein exzellenter Weinexperte, aber ein lausiger Informant.

Nach dem achten Läuten zwang ich mich, den Hörer abzunehmen. "Merz", sagte eine Nachtclubstimme.
"Ich kenne Merz seit 35 Jahren und das ist er nicht."
"Hier ist Klothilde Delpian."
"Warum sagen Sie das nicht gleich?"
"Haben Sie was rausgefunden?"
"Nichts, wofür meine Chefin eine paar Scheine drauflegen würde. Wie steht's bei Ihnen?"
"Keine Neuigkeiten. Bin auch nicht scharf darauf."
"Ist Ihnen was eingefallen? Etwas, was Sie beim ersten Mal vergessen haben."
"Na ja, ich weiß nicht, ob das wichtig ist. Da war vor ein paar Monaten ein Typ bei mir. Ziemlich oft hintereinander. Danach ist er plötzlich nicht mehr aufgetaucht."
"Vielleicht hat er keine Lust mehr."
"Das ist es ja, was mir komisch vorkommt. Er war ein komischer Vogel. Hat mir ein Angebot gemacht."
"Was für ein Angebot?"
"Ein Heiratsangebot, natürlich."
"Und sie haben nein gesagt. Die Stadt braucht alle guten Huren, die sie hat."
"Ich habe Danke Nein gesagt. Das hat ihn ziemlich fertiggemacht."
"Hat er einen Namen?"
"Ich kenne nur seinen Vornamen. Richard."
"Hat er mal verraten, wie er seine Moneten verdient?"
"Er sagte, daß er Elektriker bei den Stadtwerken ist. Er war sehr schüchtern. Ich glaube, es hat ihn ziemlich viel Überwindung gekostet, mich das zu fragen."
"Klingt nach enttäuschter Liebe. Dreiviertel aller Drohbriefe werden aus diesem Grund geschrieben. Ich schau mir den Abgeblitzten mal an."
"Nicht zu grob bitte. Er war ..., äh, sympathisch. Irgendwie."

Es war knapp nach Zwölf, als ich bei den Stadtwerken ankam. Die postmoderne Glasfassade sah nach neuen Zeiten aus, in Wahrheit war da drinnen die ewig gleiche Maloche am Werk.
Ich orderte einen Kaffee und ein Brötchen in einer Bar, die mit dem Namen Lux auf Kundenfang ging. Ein Trick, auf den die Stromdealer todsicher täglich von neuem hereinfielen. Ich brauchte nicht lange zu warten, bis die Beamtenmeute aufkreuzte, um ihre Mozarellabrote zu kauen. Ihren Gesichtern war anzusehen, daß sie Fußvolk waren. Roboter, an deren Knöpfen ständig jemand rumdrehte.
Ich suchte mir einen aus, der aussah, als wollte er im nächsten Moment ein homosexuelles Outing starten und zwinkerte ihm zu. Er hatte einen geschmirgelten Halbtagesbart, seine Zähne waren abgenutzt wie das Gebiß von Ötzi.
"Kommt Richard heute nicht?" fragte ich ihn. Alter Universitätstrick. Solange um den Brei herumreden, bis den Studis die Spucke wegbleibt. Das wirkte immer.
Er blinzelte mich durch den Strahl eines grellen Lichtspots einer Budweiser-Werbung an.
"Welcher Richard?" sagte er.
"Na, der die Zähler anschraubt."
"Der einzige Richard, den ich kenne, zählt momentan die Schrauben an seinem Sarg. Und zwar von innen."
Der war gut. Das mußte ich ihm lassen. Mir fiel kein Konter ein. Zum Glück redete er weiter.
"Armer Teufel", sagte er. "Die Weiber haben ihn verrückt gemacht. Ist aber seine Schuld. Hab ich ihm immer gesagt. Laß dich nicht verrückt machen, Richard, hab ich ihm gesagt. Hat alles nichts genutzt. Er mußte auf Biegen und Brechen so eine Schlampe haben. Die haben ihn fertiggemacht. Mann, hab ich eine Scheißangst vor den Schlampen."
"Moment mal, langsam", unterbrach ich ihn. "Was soll das heißen, von innen?"
"Na, dass er abgekratzt ist. Hat das Weite gesucht. Ist tot. Mausetot. Der Depp. Man soll ja nichts Schlechtes über die Toten sagen, aber ich habe einfach eine Scheißwut. Woher kennen Sie ihn überhaupt?"
"Zufall. Haben manchmal ein paar Gläser gekippt. Wollte mal schauen, wie's ihm geht. Wie ist das passiert?"
"Strick. Hat sich aufgehängt. Gute alte Methode. Da brichst du dir nicht bloß ein Bein. Nur schade, daß es ihn erwischt hat."
"Ahnung warum?" Sein Stenostil war ansteckend.
"Na die Weiber. Was sonst. Wie ich schon sagte. Hat sich in eine verguckt. War ein Flittchen. Praktisch war die ganz allein ein Bordell. Schicksal, daß er die erwischte. Ich habe ihm gesagt, er soll sie sich mal vorknöpfen wie ein Kerl. Hat er nicht gemacht. Zu schüchtern."
"Kennst Du sie?"
"Kein Bedarf. Ich kenne den Typ. Bin mit demselben verheiratet."
"Hat er nie was gesagt, wo sie wohnt?"
Jetzt wurde er ein bißchen mißtrauisch. Er schluckte den letzten Bissen Brot hinunter und spülte mit einem Weißen nach.
"Wenn Du sie vermöbeln willst, mußt Du sie schon selber suchen. Ich weiß nur, daß sie Klothilde hieß. Oder so ähnlich. Leg ihr auch von mir eine auf. Muß abhauen."
Er stand auf, legte einen Schein auf die Theke und verschwand ohne zu grüßen. Seine mackerhafte Männersolidarität konnte einem ein Furunkel auf den Ohren bescheren, aber er hatte mir vielleicht eine wirkliche Spur aufgetan.

Der Rest war ein Klacks. Ich ging auf das Meldeamt und ließ mir von einer von unzähligen Diäten verwüsteten Dame die Verblichenen des letzten halben Jahres ausdrucken. Zwei Richards waren darunter, aber einer hatte das biblische Alter von 98 Jahren erreicht. Der andere hieß Richard Brunner. Ledig. 38 Jahre. Wohnhaft in der Palermostraße. Nummer 23.

Ich nahm den Bus und fühlte mich in die Höhlenzeit zurückversetzt. Der Fahrer machte unterwegs fünf Hunde platt, während die Fahrgäste sich mit gegenseitigen Rippenstößen unterhielten.
Die Adresse war ein Kondominium, das von außen ebenso eine Abtreibungsklinik hätte sein können. Ich drehte mich vorsichtshalber um, bevor ich auf die Klingeln losging, ob nicht vielleicht einer von den Recht-auf-Leben-Verrückten in den Büschen seinen Colt ölte.
Der Name Brunner war der 13te in der Reihe. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis zu überprüfen, ob mein Hosenschlitz zu war, als ich auch die Klingel drückte. Ich bekam keine Antwort. Einen Hausmeister gab es nicht. Das bedeutete warten, bis einer aufkreuzte, den ich ein bißchen ausfratscheln konnte.
Ich spähte die Auslage einer Videothek aus. Vollgestopft mit Ladys und Lippen in Pink. Alles in allem wurde mir keineswegs klar, ob es sich um einen Nachtclub oder ein Lifting-institut handelte. Zwei Kippen später tauchte endlich ein alter Herr auf, der eine Einkaufstasche auf Rädern nachzog. Ein paar Gemüseteile lugten heraus. Ich ging vorsichtig hinter ihm her, um ihn nicht zu erschrecken. Andererseits war es auch eine Vorsichtsmaßnahme. Die alten Knacker zitterten zwar wie chinesische Drachen im Wind, aber sie waren besser bewaffnet als General Schwarzkopf im Golfkrieg.
"Entschuldigen Sie, ich suche den Herrn Brunner. Wissen Sie ob er noch hier wohnt?"
Er hatte eben seinen Schlüssel aus der Jackentasche genestelt und schaute mich an wie einen Flitzer.
"Wenn Sie ein Sarghändler sind, können Sie wieder abhauen. Ihre Kollegen waren schneller."
Das Heiße an den Alten war, daß sie bis auf die Knochen Kapitalisten waren.
"Ich bin kein Teppichhändler", sagte ich. "Wollte nur mal schauen, wie es ihm geht. Wir waren zusammen beim Militär."
"Richard war nie beim Militär. Denken Sie sich was Besseres aus. Haben Sie einen Tschigg? Meine Frau will keine Zigaretten im Haus." Er nestelte wieder an seinen Schlüsseln herum. Ich streckte ihm mein Päckchen hin. Das gefiel ihm schon besser. Ich hackte nach.
"Wissen Sie mehr über ihn als das übliche Kondominiumsgetratsche?"
Er zog wie ein zwangsentwöhnter Raucher an der Zigarette. Man konnte beinahe den Krach hören, den seine Flimmerhärchen machten.
"Ich bin sein Onkel. Was wollen Sie wissen und wozu?"
"Reine Neugier eines alten Freundes. Jemals von einer Frau gehört, die sich Klothilde nennt?"
"Nur den Namen. War wohl seine Verlobte, soviel ich mitbekommen habe. Hat ihm übel mitgespielt. Fragen Sie Richards Mutter. Die kann Ihnen was erzählen. Aber Obacht, die spinnt seither ein bißchen."
"Seit wann?"
"Seit er unter der Erde ist. Kommt vom Friedhof gar nicht mehr weg. Schreibt irgendwelche Zettel, die sie auf das Grab legt. Wirres Zeug. Ich habs nie gelesen. Mir reicht, was mir meine Frau erzählt. Wie wär's mit einer Weinspende für die Ausfragerei?"
"Will die Frau keinen Wein im Haus?"
"Erraten. Seit unser Sohn mit dem Auto in den Bach gefahren ist, sagt sie, daß Alkohol der Große Versucher ist. Ich geb ihr recht und frag nicht warum."
Er stellte seinen Handkarren ins Foyer und wir gingen um die Ecke in ein Lokal, das wie eine Zwischenstation zur Deliriumsabteilung stank. Wir taten etwas für unser schwaches Fleisch und ich quetschte ihn ein bißchen aus.
Nachdem, was er mir erzählte, muß dieser Richard wirklich ein mit dem Schüchternheitmal Gezeichneter gewesen sein. Nicht einmal der Schnaps half bei ihm. Er konnte tanken wieviel er wollte, er brachte sein Mundwerk nicht auf, wenn ein Rock in der Nähe war. Muß seine Mutter verschuldet haben, sagte der Alte. Oder jemand anderer. Jemand muß jedenfall die Schuld haben. Gott schütze uns vor den Schüchternen, sagt der Alte.
Er hatte ihn mal in den Puff mitgenommen, damit er was lernt. Doch es war in einer halben Katastrophe geendet. Der Alte hatte die Bardame gelöhnt, doch Richard wollte sie nur auf der Stelle heiraten. Die Folge war eine Schlägerei und ein formidabler Rausschmiß gewesen. Der Puffdirektor hatte ihnen eine Bulldogge auf den Hals gehetzt. Zuhause hatte er von seiner Mutter noch eine draufbekommen. Vögeln vorm Heiraten ist für meine Schwester nicht drin, mußt du wissen, sagte er. Dabei war Richard selbst ein lediges Kind. Sie hat ihn allein aufgezogen. Der Kerl hat sich nie blicken lassen. Sie sagt immer, Richard sei die Strafe Gottes für die unkeusche Sünde, die sie begangen hatte.
Wie ich schon sagte, sie spinnt ein bißchen. Hat einen religiösen Huscher. Damit hat sie den Richard ganz verrückt gemacht. Aber wehe man sagt ihr das. Dann erwürgt sie einen mit ihrem Rosenkranz.
Er war sehr gesprächig geworden. Nach zwei Gläsern war er so gut wie sturzbetrunken. Er redete und redete und ich hob ihn zwischendurch vom Boden auf. Ich lenkte das Gespräch wieder auf Klothilde.
Er hatte keine Ahnung, wo Richard sie aufgegabelt haben könnte. Er hatte ihm nur einmal erzählt, daß er jetzt eine Verlobte habe. Aber herzeigen hatte er sie nicht wollen. Was der Mutter natürlich keine Ruhe gelassen hatte. Sie hatte ihren Sündensohn tüchtig zur Ader gelassen, damit er mit der Braut rausrückte. Sie kochte ihm nur noch Brennsuppe, damit er sich das Wixen abgewöhnte. Wenn er aus dem Haus ging oder heimkam, mußte er das Kreuz küssen.
"Sie hat ihn in die Enge getrieben, bis er auch das Nichts, das er war, nicht mehr war. Ich nehme an, dann hat er sich den Strick gekauft. Und jetzt flippt sie erst recht aus, mein Schwesterherz. Sie fasselt was von Strafe und irgendwelchen Bibelsprüchen. Auge um Auge oder weiß der Teufel was. Klingt jedenfalls gefährlich."
"Kennt sie Klothilde?" fragte ich.
"Keine Ahnung. Vielleicht hat sie sie irgendwann nach Richards Tod besucht. Hat mir nichts gesagt. Auf dem Begräbnis war sie jedenfalls nicht. Wäre mir aufgefallen. Da waren nur alte Wachteln."
"Kann man sie besuchen? Ich meine, Ihre Schwester."
"Wenn Sie unbedingt ihre Sammlung von Heiligenbildchen vergrößern wollen. Am sichersten treffen Sie sie auf dem Friedhof."

Das Ständchen mit dem Alten hatte ungefähr so lange wie eine Operette gedauert. Überhaupt kein Wunder, daß wir nachher auf der Straße eine Menge böse Blicke einfingen, weil wir den Gehsteig ziemlich malträtierten. Wir trennten uns vor seinem Gemüsefuhrwerk. Ich sah noch, wie er einen Strauß Petersilie aufaß, um seine Schnapsfahne loszuwerden.
Ich wußte nicht einmal seinen Namen. Er war einfach der Onkel. Richards Onkel. Und er hatte mir meine Geschichte praktisch serviert. Meine Geschichte, die sich schon ein bißchen gelangweilt hatte. Auch eine Geschichte will nicht ständig nur eine Geschichte sein. Sie will einmal zu Ende sein und ich hatte das Gefühl, daß ich jetzt eigentlich nur noch das Muttertier hopsnehmen mußte, um Julia Derenzo einen Scheck abzuknöpfen.
Doch vorher mußte ich meinen Leib die Ladung Weinschwere von den Schultern nehmen. Keine Frage, ich lud ihm manchmal ziemlich viel auf. Irgendwann würde mein Leib es noch dem Doktor erzählen. In der Hoffnung, daß was für ihn rausspringt.

Ich hatte keine Lust auf Krieg, aber städtische Beamte lassen einem keine andere Chance. Der Friedhofswächter, ein schnauzbärtiger Aschenbecher, sah mich an, als wollte ich in einem Tanga den Petersdom besichtigen.
Ich sagte, daß ich nicht die Kapelle sondern nur eine Kerze anzünden wolle.
"Nichts für ungut", sagte er. "Wir haben den Auftrag ein bißchen aufzupassen, seit die Liga für Betonbestattungen ins Geschäft drängt."
"Wo liegt Richard Brunner?"
"Bis zur dritten Kapelle durchgehen und dann rechts. Ist noch frisch. Das einzige Holzkreuz in der Reihe."

Ich sah sie schon von weitem. Sie stand mit zusammengepreßten Knien wie ein einbeiniger Flamingo vor dem Erdhügel. Nur die Farbe fehlte ihr ganz und gar. Eine magere Gestalt mit einem Haarknoten im Nacken, der von einem Netz zusammengehalten wurde. Um ihre Hände war ein Rosenkranz geschlungen. Ihre Haut hatte die Farbe von abgenutztem Kohlepapier.
"Frau Brunner?" sagte ich so leise, daß ich von einer Harfe locker übertönt worden wäre. Sie schreckte dennoch zusammen und schaute mich wie eine Katakomben-Christin an. Ich fühlte mich wie der Rückenpanzer einer Schildkröte, auf dem eine Ameise Blut zu saugen probierte. Friedhöfe waren mir als Arbeitsplatz völlig neu. Was sagt man zu einer gramerfüllten alten Frau, die vor dem Grab ihres Sohnes steht und Rachepläne schmiedet? Keinen blassen Schimmer. Ich probierte es mit Lügen.
"Mein Name ist Merz. Ich bin vom Komitee für die Friedhofserneuerung. Wir planen in nächster Zeit einige Veränderungen in diesem Teil des Friedhofs und brauchen ihr Einverständnis. Mein Beileid, übrigens ...!"
Das rührte sie ein bißchen. Ihre Augen flackerten kurz aus der katholischen Lethargie auf. Ich drückte noch ein bißchen auf die Tube.
"Ein schreckliches Unglück. Immer erwischt es die Besten."
Das wirkte noch ein bißchen mehr. Sie ließ ihre Handtasche sinken, die sie bei der ersten Anrede schützend vor ihre Brust gezogen hatte und steckte ein erdgrünes Gebetbuch hinein. Jedenfalls war es die sicherere Methode, als sie anzuschnauzen.
"Wie ist es passiert?" hackte ich nach.
"Sünde", sagte sie. Ihre Stimme klang wie eine Beute des Wahnsinns.
"Wie bitte?"
"Er war mit den Nerven schlecht beisammen."
"Das ist keine Sünde."
"Das muß ein Mensch verstehen, daß es den Nerven nicht gerade gut tut, wenn man sündigt."
"Was für Sünden hat Ihr Sohn denn verbrochen."
Sie schaute mich wie die Madonna von Civitavecchia aus blutunterlaufenen Augen an.
"Er hat ... "
Es kostete sie eine ungeheure Anstrengung, die Sünden ihres Sohnes über die Lippen zu bringen.
"... sich in Frauen aus Zeitungen verschaut."
"Und?"
"Das hat ihn verrückt gemacht. Ich habe es an seinen Augen gesehen. Aber er wollte nicht auf mich hören. Er war schon verdorben."
"Hatte er keine Verlobte?"
"Nein. Er konnte ja keiner in die Augen schauen, vor lauter Zeitungen."
"Auch keine Freundin?"
"So eine Schlampe halt. Eine Käufliche. Aber das wollte er nicht hören. Er glaubte, daß das eine normale Frau ist."
Beim letzten Satz fing sie zu weinen an. Ohne Tränen, man sah es nur an ihren stockfleckigen Augenrändern. Das brachte mich aus dem Gleichgewicht. Ich war einiges gewohnt, aber das Geflenne war zuviel für meine Kräfte. Ich schrumpfte um einen halben Meter ein. Nichts zu machen. Mit den Alten hatte man doch immer die gleiche Bescherung. Ich kriegte alle Hiebe ab. Ich war einfach zu arschweich.
Ich lud sie auf einen Tee ein. Wir trabten wie das Pärchen Weltverdruß in ein Cafe vor dem Friedhofseingang. Sie redete in einem fort. Das meiste verstand ich nicht, es gehörte irgendeiner nur ihr verständlichen Geheimsprache an. Ihre Nerven waren wirklich total zerrüttet. Ich glaube, sie redete überhaupt nicht mit mir, sondern zu einem Gespenst, das ihr die ganze Zeit im Nacken saß.
Der Tee beruhigte sie ein bißchen. Wenigstens hörte sie zu plärren auf. Das war schon ein Fortschritt. Die Leute an der Bar glotzten mich schon ziemlich böse an. Sie hielten mich glasklar für einen herzlosen Rohling, einen Erbschleicher, der seine alte Mutter zusammenputzt, weil sie ihm noch nicht das Familiensilber vermacht hat. Einer flüsterte mir, während ich vor dem Pissoir stand, daß man in dieser Gegend mit Dealern kurzen Prozeß mache.
Einen Vorteil hatte ihre Nervenschwäche. Sie servierte mir die Geschichte praktisch auf dem Tablett.
Ihr in Sünde gezeugter Sohn hatte sich in das Hürchen Klothilde verschaut. Sein Pech war es, daß er nicht mitgekriegt hatte, welchem Broterwerb Klothilde nachging. Er war behext. Er machte ihr Heiratsangebote bis er schwarz wurde. Klothilde muß ihn wohl eine Weile an der langen Leine gehalten haben. Jedenfalls hatte er ihr einen ziemlichen Patzen Geld hinübergeschoben. Sie hatte ihn total ausgesackelt. Und erst als sie merkte, daß nichts mehr zu holen war, hatte sie dem armen Teufel den Laufpaß gegeben. Er hatte nicht einmal mehr genug Geld auf seinem Sparbuch gehabt, damit seine Mutter das Begräbnis bezahlen konnte. Das war der Gipfel für die Mutter. Der Sohnemann hatte sein ganzes Erspartes für eine Nutte ausgegeben. Daran dachte sie immerzu. Es bereitete ihr den größten Kummer, daß er sich wie ein Esel für eine stadtbekannte Matratze verrenkt hatte.
Nach und nach faßte sie Vertrauen zu mir, obwohl ich ihr überhaupt keinen Grund dafür gab. Sie war einfach froh, quasseln zu können und über Klothilde herzuziehen. Sie erzählte mir, was sie sich alles ausgedacht hatte in ihrer Rachsucht. Es ging auf keine Kuhhaut. Die Inquisition war ein Unschuldsverein dagegen. Sie hatte nur keine Ahnung, wie sie es anstellen sollte und außerdem hatte sie Schiß.
Je länger sie palaverte, um so mehr kam sie zu der Überzeugung, daß ich ihr Mann sei. Ich kapierte zuerst nicht. Ich hörte ihr nur zu, und dann gings los.
Sie wollte mich als Killer engagieren. Ihr kam vor, daß ich dazu wie geschaffen sei, weil ich ihr so lange zugehört hatte. Ich hatte ihrer Meinung nach alle Vorteile, ich hatte als Vertreter des Friehofskomitees sicher ein miserables Einkommen und ein paar Kröten bitter nötig. Außerdem mußte ich laut ihr massenhaft Zeit haben, wenn ich nachmittags auf den Friedhof kommen konnte.
Sie verklickerte mir, wie sie sich die Rache vorstellte. Zuerst ein bißchen beschimpfen, dann ein bißchen foltern, aber nicht zu fest, damit sie Zeit hat, zu bereuen. Am Ende läpperte sich eine ganze Liste von Scheußlichkeiten zusammen. Ich sollte sie praktisch kreuzigen, vierteilen und den Ratten zum Fraß vorwerfen. In ihrem Kopf ging es nicht sehr harmlos zu. Jedesmal wenn sie eine Pause machte, dachte ich, daß es jetzt genug ist, aber ihr fiel immer noch etwas ein, wie ich die Klothilde ums Eck bringen sollte.
"Das Böse muß in Flammen aufgehen, schlagen Sie es tot, es darf nicht länger auf dieser Welt herumlaufen, in die Jauchengrube damit", sagte sie.
Der Scheiterhaufen war ihre Obsession.
Ich versuchte ihr klar zu machen, daß ich als Killer eine totale Niete war. Ich konnte nicht einmal die Katzenbrut meiner Nachbarin gegen die Wand schmeißen.
Das paßte ihr gar nicht. Sie fing wieder an zu plärren. Diesmal richtig. Sie heulte, daß das ganze Lokal sich die Ohren zuhalten mußte. Es mußte zum Skandal kommen. Es war nicht mehr aufzuhalten.
Der Typ vom Klo nahm mich von hinten in den Schwitzkasten, während mir der Kellner ein paar niederträchtige Tritte verpaßte. Ein paar andere Mistviecher mischten sich jetzt ebenfalls ein. Es war unfaßbar, in welche Wut sie die Oma mit ihrem Geplärre hineingesteigert hatte. Ich riskierte, das Lokal nicht als Killer sondern als Krüppel zu verlassen. Ich legte mich ins Zeug und im Nu war eine Massenschlägerei im Gang. Die Oma bekam richtig Geschmack daran. Sie haute mit ihrer Handtasche zu. Es war richtig spaßig. Die Lumpin drosch auf alles drauf, was sich bewegte. Sogar eine andere Omi bekam ein paar Hiebe ab.
Der Spuk war erst vorbei, als die Carabinieri anrückten. Ich hatte ein paar Hämoglobine durch die Nase verloren und ein geschwollenes Ohr. Meine Gegner waren bis auf den Kellner verduftet. Meiner Omi hatte die Prügelei ganz ausgezeichnet gefallen. Sie war plötzlich quicklebendig. Als ob die Hiebe ein Jungbrunnen gewesen wären.

Ich mußte mit zur Quästur. Die üblichen Fragen beantworten. Ob ich gewohnheitsmäßig mit den Fäusten rede, ob ich Pornograph bin, ob ich Anarchisten beherberge, ob ich in Gegenwart von Autoritäten furze, ob ich den Opferstock ausraube und ob ich den Staatsanwalt ehre.
Sie hielten mich geschlagene drei Stunden fest. Ich klemmte den Hintern zusammen und ließ es über mich ergehen. Ich hatte mit den Bullen schon Schlimmeres mitgemacht, nur weil sie sich schief angeschaut vorkamen. Ich spielte nicht lange Osterlamm. Das machte sie nur noch wilder. Sie wollten einen Sündenbock, um die ganze Angelegenheit dem Staatsanwalt zu übergeben. Das einzige, was sie interessierte, war, wie sie mich auf dem schnellsten Weg wieder loswerden konnten. Ich ging ihnen eindeutig gewaltig auf die Nerven.

Nach diesem Fiasko fühlte ich mich wie ein zerbeultes Schneemobil. Ich hatte zwar die Geschichte eingesackt, aber auch eine Anzeige wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung picken. Ich sah bereits, wie die Brieftasche meines Anwaltes ihr dreckiges Grinsen aufsetzte. Julia Derenzo würde mir das nie und nimmer als Spese anerkennen. Dazu war sie erstens zu geizig und zweitens wäre Ronald Reagan in Sachen Arbeiterklassesolidarität verglichen mit ihr in der Sowjetunion als Held der Arbeit geehrt worden. Wenn mir nichts einfiel, mußte ich mich damit abfinden, zu den Beschissenen dieser Erde zu zählen.

Die Brunnerin stand im schwach beleuchteten Flur ihrer Wohnung. Sie trug eine Küchenschürze und Haus-patschen mit einer Pirelli-Sohle. Sie fragte gar nicht, wie ich sie gefunden hatte. Christenmenschen fragen nie Warum. Das ist das Nette an ihnen. Im Hintergrund hörte ich eine Radiostimme, die das Wort zum Freitagabend verkündete.
"Tut's weh?" fragte sie mit einem Ton, der verräterisch danach klang, als wäre sie selber gerne der Schmerz in Person.
"Weh ist gar kein Ausdruck", sagte ich und folgte ihr durch den Flur in die Küche. Ich mochte den Brauch, Gäste in der Küche zu empfangen und nicht im Wohnzimmer. Er erinnerte entfernt an die Mongolei, wo der Gast die Nacht mit der Frau des Hauses verbringen darf. Ich war noch nie in der Mongolei. Muß aber ein sympathisches Land sein.
Sie stellte eine Tasse Tee auf den Küchentisch und da sie keine Anstalten machte, demselben einen Schuß Vecchia zu verpassen, holte ich ein Säckchen Kognac aus meiner Jackentasche. Das war das einzig Nützliche, das ich beim Militär gelernt hatte.
"Sie wollten mir ein Geschäft vorschlagen", sagte ich, um sie nicht wieder zum Plärren zu bringen.
"Geschäft?" sagte sie. "Ich kann keine Geschäfte machen. Habe ich nie gemacht. Das ist nichts für Leute wie mich."
"Dann schlag ich Ihnen eins vor. Sie sagen für mich vor Gericht aus, daß ich der Unschuldsengel der ganzen Schlägerei war, und ich fühle der Klothilde ein bißchen auf den Zahn."
Das kapierte sie. Der Name Klothilde brachte sie aus ihrem katholischen Nirvana zurück auf das Küchenlinoleum. Tief in ihren Augenschlitzen brannte wieder ein Scheiterhaufen. Ich mußte ihm nur ein bißchen Zunder geben.
Ich malte ihr in ein paar bunten Farben aus, wie ich der Klothilde die Brustwarzen mit einem Rasierapparatkabel schmoren würde. Das gefiel ihr ganz ausgezeichnet, überzeugte sie aber noch nicht vollständig. Sie wollte, daß ich dem Hürchen das verdorbene Herz herausreißen und es zur Warnung für alle Schlampen dieser Erde auf einer Fahnenstang durch die Stadt tragen müsse. Sogar das Messer wollte sie mir mitgeben. Ein klappbares Schnitzmesser, das Richard einmal zu Weihnachten bekommen hatte. Ihr Haß war wirklich abgrundtief. Daß ihr Sohnemann sich auf sehr unkatholische Weise davongemacht hatte, war zuviel für sie. Das mußte gesühnt werden. Ich war froh, sie nicht zum Feind zu haben.
"Ich könnte es auch selber tun", sagte sie. "Ich bin nur zu ungeschickt und ich habe Angst, daß sie mir im letzten Moment erbarmt, wenn ich vor ihr stehe. Ich bin einfach zu gut. Genauso wie es mein Richard war. Er war ein hübsches Kind. Er hatte zuviel Herz. Hat immer die Prügel bekommen in der Schule. Kein Wunder, daß die heutigen Weiber es leicht mit ihm hatten. Ich habe ihm immer gesagt, er soll bei seiner Mutter bleiben. Es gibt keine bessere Frau für ihn. Daß er ausgerechnet an die kommen mußte. Ein Unglück, eine Strafe. Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe ..."
Ich ließ sie reden. Dieses Mütterchen hatte Krallen. Bis ins Jenseits. Ihr Richard konnte froh sein, nicht als verklemmter Psychomörder herumzugeistern.
Wir trafen eine ungefähre Abmachung. Ich würde sie in den nächsten Tagen vor den Voruntersuchungsrichter zerren, um die Anzeige von meinen Schulterblättern abzuladen. Danach würde ich weitersehen.

Ich traf Klothilde eine Woche später in einem Café. Die Brunnerin hatte mich entlastet. Der Voruntersuchungsrichter hatte die Schlägereigeschichte zu den Akten gelegt.
Klothilde trug einen dieselfarbenen Anzug mit Schlaghosen, die aus unerfindlichen Gründen über Nacht wieder modern geworden waren. Sie war die Sittlichkeit in Person. Für die Rolle von Abrahms Frau wäre sie in Cinecittá nicht in Frage gekommen, doch als Pfarrhausgehilfin hätte sie eine tadellose Figur gemacht.
"Wie läuft'n das Bedrohtwerdengeschäft?" fragte ich um dem Gesetz der ewigen Wiederkehr Genüge zu tun.
"Es läßt nach", sagte sie. "Ich habe nur mehr einen Brief bekommen. Aber der war älter als die Kaffeebohnen für diesen Capuccino. Sie wissen schon, ... die Post."
"Ich weiß", sagte ich.
"Was herausgefunden?" fragte sie.
"Alles."
"Alles. Was heißt alles?"
"Das heißt, daß ich alles weiß."
"Und das wäre?"
"Das wäre die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit."
"Und? Wer ist sie?"
"Lesen Sie die Zeitung. Nächste Woche exklusiv: Wer hat Klothilde Delpian umgebracht? Sofern Sie dann noch lesen können."
"Keine Witze bitte."
"Ich scherze nie. Ich habe einen Vertrag mit der Zeitung, diese Geschichte umzuackern. Eine glückliche Fügung hat es ergeben, daß ich ihre Mörderin schon jetzt kenne. Meine Chefredakteurin wird Freudensprünge machen. Dafür bietet die mir glatt Millionen."
"Und was ist mit mir?"
"Sie sind das Opfer."
Diese Aussicht machte sie nervös. Sie leerte den Kaffee in einem Schluck hinunter. Sie hatte vom Leben schon tüchtig gekostet. Von der Kacke inbesonders. Aber das ging doch zu weit. Es kam nichts mehr aus ihr heraus. Ihr Mundwerk war hin. Der Sensenmann machte ihr Schiß. Ich sah, wie sie sich ausmalte, wie er ausschauen würde. Die Gute hatte keinen blassen Schimmer, daß er neben ihr saß. Ich spannte sie noch ein bißchen auf die Folter.
Ich erzählte ihr, daß die Briefeschreiberin ein richtiges Miststück sei. Die typische Mörderin. Beileibe keine Hochstaplerin. Eine Viper mit ausgefahrenen Zähnen wäre harmlos im Vergleich. Ich sagte ihr, daß ich sie drei Tage und zwanzig Stunden foltern mußte, damit sie mit der Wahrheit rausrückte. Klothilde machte keinen Muckser. Saß einfach da und hörte zu. Ich übertrieb so gewaltig, daß sie sich wünschte, auf der Stelle der Cholera zum Opfer zu fallen. Der Pest. Sie war nicht halb die abgebrühte Hure, die sie vorgab zu sein.
"Warum hat sie's mit mir? Ich habe ihr nichts getan. Ich kenne sie nicht einmal."
"Sie tickt nicht ganz richtig. Fühlt sich als Erzengel Gabriel. Irgendwelche Stimmen sagen ihr, daß sie alle Huren dieser Stadt ausmerzen muß. Das ist ihre Aufgabe auf dieser Welt."
"Man muß sie der Polizei übergeben. Oder der Klapsmühle."
"Zwecklos. Sie ist erst vor einem halben Jahr entlassen worden."
"Aber die spinnt doch auf Hochtouren ..."
"Das interessiert niemanden, solange sie nicht ihre Zwangsjacke anderen Leuten als Schwimmweste andrehen will."
"Was...?"
"Lesen Sie keine Zeitung? Vor zwei Monaten ist eine vom Gewerbe am Staudamm aus der Reuse gefischt worden. War irgendwie komisch gefesselt. So wie es nur Irre können."
"Und?"
"Bis jetzt hat die Polizei keinen Schimmer. Aber das ist bei Serienmorden nach dem ersten Toten nichts Ungewöhnliches."
"Sie müssen das melden."
"Nichts muß ich. Ich habe die Tante gefunden, die Ihnen die Brieflein geschrieben hat. Das war mein Auftrag. Der Rest ist Kriminal-statistik."
"Geben Sie mir ihren Namen. Dann mach ich das."
"Gerne. Aber das nutzt Ihnen ungefähr soviel wie das Wissen, was auf japanisch plötzlicher Tod heißt."
"Blödsinn. Ich werde ihr zuvorkommen."
"Sie würden ihr nur leichtes Spiel machen. Die ist um einiges gerissener als Sie, was das Umsetzen von Mordphantasien anbelangt. Ein krankes Saurierhirn, das seit Jahrzehnten in einem Korridor eines Irrenhauses darauf gewartet hat, die Krallen auszufahren."
"Warum haben Sie sie dann laufenlassen?"
"Politik. Die Linken sind der Meinung, daß man der Gesellschaft ihre Irren nicht vorenthalten darf."
Das Wort Politik machte sie vollkommen fertig. Sie faßte sich an den Hals, als hätte sie plötzlich eine heimtückische Halskrause um. Eine sehr schmierige. Die haarsträubendste, die es geben konnte. Schließlich hatte ich sie weichgeklopft. Sie zitterte wie ein Blümlein vor der Sense. Wenn ich sie nur vor der Unholdin beschützen würde, hätte ich alles haben können.
Ich schlug ihr einen Deal vor.
"Sie wechseln für eine Weile die Stadt. Die Wohnung muß morgen geräumt sein. In einem halben Jahr hören wir uns wieder."
Julia Derenzo saß in ihrem Ledersessel und las meine Geschichte, während ich mir häppchenweise ihr Dekolletè zu Gemüte führte. Irgendwann mußte es mal unschuldig gewesen sein. Irgendwann war ich ein kleiner Bub gewesen. Der Gedanke schmeckte wie Antibiotika.
"Nicht schlecht", sagte sie und legte das Manuskript zu einem Haufen anderer auf den Tisch.
"Nicht schlecht, aber anders wäre es besser."
"Wie meinen ...?"
"Na, anders. Vom Ende her erzählt."
"Das Ende ist noch offen."
"Sie habens erfaßt. Das ist das Problem. Wenn diese Brunnerin die Klothilde irgendwann doch noch schnappt, wird es eine tolle Geschichte. Bis dahin ist sie höchstens Mittelmaß."
"Sie meinen ..."
"Was ich meine, habe ich bereits gesagt. Ohne ein paar harte Tatsachen kauft uns das niemand ab. Es muß ja nicht gleich ein Mord sein, aber irgendetwas polizeilich Relevantes muß passieren. Vielleicht könnte man ein bißchen nachhelfen ..."
"Es gibt die Briefe. Die sind aktenkundig."
"Die Briefe sind ein hübsches Detail. Etwas für die Sherlock-Fans. Nicht mehr. Es braucht etwas handfestes."
"Etwas blutiges, wollen Sie sagen."
"Das haben Sie gesagt."
"Aber Sie haben es gemeint. Ich schätze Ihre Nase für gute Geschichten, aber der ganze Rest drumherum erinnert mich an eine schauerlich schlecht nachgemachte Hollywood-Saga. Stellen sie einen ihrer Sommerpraktikanten dafür an. Aber nicht mit meiner Geschichte."
"Was seid ihr Journalisten nur alle für aufgeblasene Nullen mit euren lausigen Geschichten. Führt euch auf wie Thomas Mann und habt keine Ahnung, daß man das Zeug auch verkaufen muß."
"Ich hätte eine Idee, wie ich die Geschichte verkaufen kann."
"Ich höre..."
"Es fehlt nur ein kleines Detail, und ihre Konkurrenz zahlt mir ein Vermögen dafür:. Chefredakteurin arrangiert tödliches Rendezvous zwischen Hure und fanatischer Killerin. Das fressen die mir aus der Hand."
Das Luder sackte innerlich zusammen wie ein Pfarrer, der mit einem Ministranten erwischt wird. Doch sie bewahrte Haltung. Sie drückte auf den Summer und ließ die Sekretärin antraben.
"Abschreiben," befahl sie ihr. "Und richten sie den Scheck für Herrn Merz her."
Wir waren wieder ein Herz und eine Seele.

Erster Teil: Uhura - Message 4

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