Uhura Message 5
2000
Teil 1
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Die Geschichte war Schrott. Hoffnungslos
verloren. Ein Fall fürs Fernsehen. Wäre ich ein cleverer
Detektiv gewesen, hätte ich ein paar Spesenrechnungen zusammengeschustert
und den Fall auf dem Friedhof für ungelöste Gesetzesübertretungen
zu Grabe getragen. Aber da ich ein blöder Journalist war,
glaubte ich noch an die Frau Holle und die ausgestorbene Kunst
des Bettenklopfens. Ich würde mich Ellbogen an Ellbogen
mit Lorena an eine Theke stellen und sie über die Geheimnisse
des Polizeiarchivs ausquetschen. Erst wenn dabei nichts rausschaute,
war wirklich Sense.
Lorena sorgte für die Ihren. Immer wenn ich auf illegalem
Weg versuchte, etwas Licht in dunkle Ecken zu bringen, war sie
meine erste Adresse. Sie arbeitete in der Archivabteilung der
Quästur und war mir ewig dankbar seit ich sie auf einer
Faschingsparty vor einem österreichischen Kellner gerettet
hatte, der auf einer Kloschüssel eine von diesen neumodischen
Sexsachen mit ihr ausprobieren wollte.
Ich hatte ihr das armselige Häuflein
Informationen, das ich zusammengekehrt hatte, per Telefon gesteckt
und sie gebeten, dieses ein bißchen zu vergrößern.
Falls sich nichts Zweckdienliches an ihren Finger-nägeln
festhackte, war ein Abend mit ihr an der Bar noch immer das Beste,
was einem arbeitslosen Journalisten mit Hang zur Legendenbildung
zustoßen konnte.
Lorena war genau der Typ Frau, bei dem die Männer anfangen
zu überlegen, ob sie die richtige Zahnpasta verwenden. Das
war der Ärger, wenn man mit ihr an einer Theke lehnte. Ich
fühlte mich jedesmal wie ein Bordellwirt, wenn ich mit ihr
unterwegs war.
Wir schmusten ein bißchen zur Begrüßung, weil
uns nichts besseres einfiel und weil es immer in Ordnung ist,
alte Bekanntschaften auf den neuesten Stand zu bringen. Danach
zappten wir eine Weile in der Vergangenheit herum. Ich konnte
mich an nichts mehr erinnern und mußte ihr in allem recht
geben.
"Was hast Du erspäht?", lenkte ich die Unterhaltung
aufs Geschäftliche.
"Nicht genug, fürchte ich. Deine Klientin hatte im
letzten Jahr ein paar Händel mit der Polizei. Kleinere Geschichten,
Schwierigkeiten mit Kunden, nichts Grobes. Hat eine Vorstrafe
wegen einer Rauferei mit einer Nachbarin, der sie ein Büschel
Haare ausgerissen hat. Sie wurde dazu verdonnert, ihr eine Haar-implantation
zu bezahlen. Ansonsten ist sie sauber. Außer einer nebulösen
Affäre mit ihrem Ex, der seit Jahren nicht mehr auffindbar
ist. Solange er nicht wieder auftaucht, ist ihr aber nichts anzuhängen."
"Bißchen wenig für ihr Kaliber. Keine Anzeigen
ihrerseits?"
"Nein. Außer ein paar Drohbriefen, die sie abgeliefert
hat. Die weiß sich anders zu helfen."
"Mir hat mal jemand erzählt, daß alle Huren Post
von Erpressern kriegen. Was sagt Dein Archiv dazu?"
"Das Archiv sagt ja. Die Abteilung für nette Post kommt
mit der Arbeit nicht nach. Schaut aber wenig dabei heraus. Die
Polizei nimmt die übliche Spurensicherung vor, aber nur
pro forma. Führt zu nichts und kostet Geld."
"Keine Schriftexperten?"
"Haben wir nicht. Ich kann Dir aber eine Adresse von einem
geben, der sich damit auskennt. Hat mir mal die Schrift von meinem
Ex analysiert."
"Was dabei rausgekommen?"
"Nur was ich schon vorher wußte. Daß er ein
Schwachkopf ist."
"Das hört sich ordentlich an. Wie heißt der Knabe?"
"Ich hab seine Nummer in ein Buch geschrieben. Du wirst
das Lumpenfräulein begleiten müssen, um an Deine Informationen
zu kommen."
Sie lächelte. Ich lächelte zurück. Von Lorena
mitgenommen zu werden war besser als mit einem Stabhochsprungstock
durch ihr Fenster hüpfen zu müssen. Meine Matratze
konnte eine Entspannung gebrauchen und außerdem konnte
es nie schaden, die Zeit mit ein bißchen Sex totzuschlagen.
Als ich Lorenas Wohnungstür hinter
mir zumachte, hatte ich eine Nacht mit ein paar Sekunden Schlaf
hinter mir und einen Grund mehr, mein Herz in einen Banksafe
zu legen. Den Namen von dem Schriftgelehrten hatte sie mir auf
einen Zettel geschrieben. Aber erst als sie aus dem Haus ging.
Sie war eben nicht häßlich und nicht blöd.
Der Typ hieß Philip Morris und hatte eine Adresse in Rom.
Lorena hatte mir eine Telefonnummer aufgeschrieben: Philip Morris,
Graphologie und ein paar Geheimwissenschaften mehr. Bisher hatte
ich nur Tschigg dieses Namens kennengelernt. Ich rief ihn von
meiner Wohnung aus an.
"Wollen Sie eine genaue Analyse oder nur ein paar Hinweise?"
fragte er, als ich meinen Wunschzettel deponiert hatte.
"Was ist der Unterschied?" wollte ich wissen.
"Der Preis. Kostet einen Hunderter mehr und dauert eine
Stunde länger."
"Mit Rückgabegarantie?" wollte ich wissen.
"Ist nicht notwendig. Wenn ich eine ordentliche Probe bekomme,
wissen Sie nachher alles, was man herauslesen kann. Mehr steckt
nicht drin."
Ich gab mich geschlagen. "Ich faxe das Teil", sagte
ich und legte auf.
Drei Stunden und mein Leibgericht
überfahrenes Katzenfutter später rief er zurück.
Er machte es spannend und gab mir zuerst die Zahlungsmodalitäten
durch. Ich notierte und ließ den Zettel im Müll verschwinden.
Wo käme man hin, wenn man jedem Kaffeesatzleser sein gutes
Geld gäbe.
Er legte los. Soweit ich es mitbekam, kam praktisch jeder und
jede in Frage. In erster Linie aber sah er entweder einen Pfaffen
oder eine militante Ex am Werk. Ich fragte schüchtern nach,
ob ein Schriftgelehrter allen Ernstes nicht einmal imstande sei,
Mann und Frau zu unterscheiden.
"Lassen Sie mich ausreden und dann können Sie Ihre
Fragen stellen. Es handelt sich mit 99prozentiger Sicherheit
um eine Frau. Das restliche Prozent ist für die Geistlichen
reserviert. Die haben in ihrer privaten Korrespondenz einen Hang
zur Weiblichkeit."
Seine Buchstabenexegese wäre ein Beispiel für kriminalistisches
Dilettantentum gewesen. Er laberte über den Schriftzug und
die Form der Selbstlaute herum, daß es zum Gehirnerweichen
war. Ich hatte es schon aufgegeben, als er endlich zur Conclusio
kam.
"Mit aller professionellen Vorsicht", sagte er, "würde
ich sagen, es handelt sich um eine Frau, die aus Wut über
einen schmerzlichen Verlust schreibt. Wahrscheinlich jemand,
der ihr sehr nahe stand. Ein Kind oder der Ehemann. Der Schriftzug
drückt starke innere Spannungen, aber auch Unsicherheiten
aus. Ich tippe auf ein nicht allzuweit zurückliegendes Ereignis.
Ein paar Monate höchstens. Die Briefe sind sozusagen der
Blitzableiter. Ich würde die Drohungen aber ernstnehmen.
Sehr ernst. Wäre ich die Empfängerin, würde ich
Adresse wechseln."
"Prächtig", sagte ich. "Darf ich noch eine
Frage stellen? Reine Neugier: Was sagt mir, daß sie das
nicht alles nur bei einem Wettbewerb für Lyriknachwuchs
zusammengedichtet haben?"
Die Frage schien ihn nicht zu überraschen.
"Probieren Sie's aus", sagte er. "Erwarten Sie
aber nicht, daß ich nachher Ihre Gewissensbisse entziffere."
Tüchtig, der Bursche. Er hatte mich am Schlaffitchen. Ich
gab's auf. Bevor ich auflegte, hatte er noch einen guten Rat
für mich auf Lager.
"Noch etwas, Herr Merz. Es gibt Zeitgenossen, die der fixen
Meinung sind, daß Bezahlen sich nicht schickt. Mein Anwalt
hat eine ausgeprägte Schwäche für diese Leute."
Warum bekam immer ich diese Antworten? Immer. Oh, sie schlauchten
mich, diese Antworten, die so klingen, als müßte man
die Büsche durchsuchen, ob einer mit aufgepflanztem Bajonet
darin lauert, bevor man das Gartentor zumacht. Es drückte
auf die Nerven. Die Menschheit bestand aus zwei Kategorien. Solche
mit Anwalt und solche ohne.
Ich latschte ab, bevor die Trübsal ihre schauerliche Show
mit mir abziehen konnte.
Die Geschichte war ausgelutscht. Ihre beste Zeit hatte sie seit
Monaten hinter sich, machte Ärger, fraß meine Nerven
und meine Zeit und mein Geld. Ich schlug mich durch schwitzende
Touristenmassen bis ins Buco durch, um meinen Magen mit Kaffee
coretto zu rösten. Das Lokal war voller Pädagogen von
der Klosterschule um die Ecke. Pädagogen erkennt man daran,
daß sie ein stures Kinn haben und nie etwas spendieren.
Nicht einmal den kleinsten Schluck neunzigjährigen Whiskey
rücken sie raus.
Nein, das Buco war heute nicht gerade der Ort, wo ich mich mit
meinen Sorgen erwischen lassen wollte: ein Macho-Pädagogen-Kongreß
mit schon ziemlich verkohlten Hirnen.
Zum Glück schneite Luigi herein, bevor ich etwas juridisch
Folgenschweres anstellen konnte.
"Was machst Du denn bei den Kerkertypen da?" fragte
er mich über die Schulter.
"Ich sterbe vor Angst", sagte ich. "Sieht man
das nicht?"
"Ja, mir rollen sich auch schon die Zehen-nägel auf."
Er riß den Filter von einer geschnorrten Zigarette und
steckte sie an.
"Wie geht's? Haben Dir Deine Wanzen Ausgehverbote gegeben,
daß man Dich nicht mehr sieht. Ist eine Ewigkeit her."
Das war das Zeichen, daß er etwas zum Trinken brauchte.
Wenn wir uns nicht mindestens zweimal am Tag sahen, bekam er
sofort Entzugserscheinungen. Auf der Farm der Tiere wäre
Luigi mit Sicherheit eine Ratte gewesen. Er wohnte abwechselnd
in einem Ariston-Kühlschrank und einem Heizungskeller eines
Knabenheims. Seine Suppe besorgte er sich mit ein paar Botengängen
für diverse Hotels. Früher war er mal Schriftsteller
gewesen, doch er hatte eine andere Vorstellung von diesem Job
als sein Verleger. Die Feinde eines guten Schriftsteller sind
Legion, sagte er manchmal, wenn er dachte, daß ihm niemand
zuhört. Sie haben das Geld, sie haben die Heckenschützen,
sie haben die Flugzeuge, um die Bomben auf die Schriftsteller
zu schmeißen. Es machte ihm Spaß, die Schriftstellerverschwörer
auszuräuchern.
Ich gab dem Barist das Okay-Zeichen. Die Zeit war eh schon ziemlich
weit fortgeschritten, was sie im großen und ganzen gesehen
die meiste Zeit war. Wir tranken ein paar Flaschen und dann noch
ein paar bis wir wieder nüchtern waren und uns an der Skyline
entlang nach Hause hangelten. Über Hurenfeinde in dieser
Gegend wußte er nicht bescheid. Er kannte nur Hurenböcke.
Luigi war ein exzellenter Weinexperte, aber ein lausiger Informant.
Nach dem achten Läuten zwang ich
mich, den Hörer abzunehmen. "Merz", sagte eine
Nachtclubstimme.
"Ich kenne Merz seit 35 Jahren und das ist er nicht."
"Hier ist Klothilde Delpian."
"Warum sagen Sie das nicht gleich?"
"Haben Sie was rausgefunden?"
"Nichts, wofür meine Chefin eine paar Scheine drauflegen
würde. Wie steht's bei Ihnen?"
"Keine Neuigkeiten. Bin auch nicht scharf darauf."
"Ist Ihnen was eingefallen? Etwas, was Sie beim ersten Mal
vergessen haben."
"Na ja, ich weiß nicht, ob das wichtig ist. Da war
vor ein paar Monaten ein Typ bei mir. Ziemlich oft hintereinander.
Danach ist er plötzlich nicht mehr aufgetaucht."
"Vielleicht hat er keine Lust mehr."
"Das ist es ja, was mir komisch vorkommt. Er war ein komischer
Vogel. Hat mir ein Angebot gemacht."
"Was für ein Angebot?"
"Ein Heiratsangebot, natürlich."
"Und sie haben nein gesagt. Die Stadt braucht alle guten
Huren, die sie hat."
"Ich habe Danke Nein gesagt. Das hat ihn ziemlich fertiggemacht."
"Hat er einen Namen?"
"Ich kenne nur seinen Vornamen. Richard."
"Hat er mal verraten, wie er seine Moneten verdient?"
"Er sagte, daß er Elektriker bei den Stadtwerken ist.
Er war sehr schüchtern. Ich glaube, es hat ihn ziemlich
viel Überwindung gekostet, mich das zu fragen."
"Klingt nach enttäuschter Liebe. Dreiviertel aller
Drohbriefe werden aus diesem Grund geschrieben. Ich schau mir
den Abgeblitzten mal an."
"Nicht zu grob bitte. Er war ..., äh, sympathisch.
Irgendwie."
Es war knapp nach Zwölf, als ich
bei den Stadtwerken ankam. Die postmoderne Glasfassade sah nach
neuen Zeiten aus, in Wahrheit war da drinnen die ewig gleiche
Maloche am Werk.
Ich orderte einen Kaffee und ein Brötchen in einer Bar,
die mit dem Namen Lux auf Kundenfang ging. Ein Trick, auf den
die Stromdealer todsicher täglich von neuem hereinfielen.
Ich brauchte nicht lange zu warten, bis die Beamtenmeute aufkreuzte,
um ihre Mozarellabrote zu kauen. Ihren Gesichtern war anzusehen,
daß sie Fußvolk waren. Roboter, an deren Knöpfen
ständig jemand rumdrehte.
Ich suchte mir einen aus, der aussah, als wollte er im nächsten
Moment ein homosexuelles Outing starten und zwinkerte ihm zu.
Er hatte einen geschmirgelten Halbtagesbart, seine Zähne
waren abgenutzt wie das Gebiß von Ötzi.
"Kommt Richard heute nicht?" fragte ich ihn. Alter
Universitätstrick. Solange um den Brei herumreden, bis den
Studis die Spucke wegbleibt. Das wirkte immer.
Er blinzelte mich durch den Strahl eines grellen Lichtspots einer
Budweiser-Werbung an.
"Welcher Richard?" sagte er.
"Na, der die Zähler anschraubt."
"Der einzige Richard, den ich kenne, zählt momentan
die Schrauben an seinem Sarg. Und zwar von innen."
Der war gut. Das mußte ich ihm lassen. Mir fiel kein Konter
ein. Zum Glück redete er weiter.
"Armer Teufel", sagte er. "Die Weiber haben ihn
verrückt gemacht. Ist aber seine Schuld. Hab ich ihm immer
gesagt. Laß dich nicht verrückt machen, Richard, hab
ich ihm gesagt. Hat alles nichts genutzt. Er mußte auf
Biegen und Brechen so eine Schlampe haben. Die haben ihn fertiggemacht.
Mann, hab ich eine Scheißangst vor den Schlampen."
"Moment mal, langsam", unterbrach ich ihn. "Was
soll das heißen, von innen?"
"Na, dass er abgekratzt ist. Hat das Weite gesucht. Ist
tot. Mausetot. Der Depp. Man soll ja nichts Schlechtes über
die Toten sagen, aber ich habe einfach eine Scheißwut.
Woher kennen Sie ihn überhaupt?"
"Zufall. Haben manchmal ein paar Gläser gekippt. Wollte
mal schauen, wie's ihm geht. Wie ist das passiert?"
"Strick. Hat sich aufgehängt. Gute alte Methode. Da
brichst du dir nicht bloß ein Bein. Nur schade, daß
es ihn erwischt hat."
"Ahnung warum?" Sein Stenostil war ansteckend.
"Na die Weiber. Was sonst. Wie ich schon sagte. Hat sich
in eine verguckt. War ein Flittchen. Praktisch war die ganz allein
ein Bordell. Schicksal, daß er die erwischte. Ich habe
ihm gesagt, er soll sie sich mal vorknöpfen wie ein Kerl.
Hat er nicht gemacht. Zu schüchtern."
"Kennst Du sie?"
"Kein Bedarf. Ich kenne den Typ. Bin mit demselben verheiratet."
"Hat er nie was gesagt, wo sie wohnt?"
Jetzt wurde er ein bißchen mißtrauisch. Er schluckte
den letzten Bissen Brot hinunter und spülte mit einem Weißen
nach.
"Wenn Du sie vermöbeln willst, mußt Du sie schon
selber suchen. Ich weiß nur, daß sie Klothilde hieß.
Oder so ähnlich. Leg ihr auch von mir eine auf. Muß
abhauen."
Er stand auf, legte einen Schein auf die Theke und verschwand
ohne zu grüßen. Seine mackerhafte Männersolidarität
konnte einem ein Furunkel auf den Ohren bescheren, aber er hatte
mir vielleicht eine wirkliche Spur aufgetan.
Der Rest war ein Klacks. Ich ging auf das Meldeamt und ließ
mir von einer von unzähligen Diäten verwüsteten
Dame die Verblichenen des letzten halben Jahres ausdrucken. Zwei
Richards waren darunter, aber einer hatte das biblische Alter
von 98 Jahren erreicht. Der andere hieß Richard Brunner.
Ledig. 38 Jahre. Wohnhaft in der Palermostraße. Nummer
23.
Ich nahm den Bus und fühlte mich
in die Höhlenzeit zurückversetzt. Der Fahrer machte
unterwegs fünf Hunde platt, während die Fahrgäste
sich mit gegenseitigen Rippenstößen unterhielten.
Die Adresse war ein Kondominium, das von außen ebenso eine
Abtreibungsklinik hätte sein können. Ich drehte mich
vorsichtshalber um, bevor ich auf die Klingeln losging, ob nicht
vielleicht einer von den Recht-auf-Leben-Verrückten in den
Büschen seinen Colt ölte.
Der Name Brunner war der 13te in der Reihe. Ich hatte plötzlich
das Bedürfnis zu überprüfen, ob mein Hosenschlitz
zu war, als ich auch die Klingel drückte. Ich bekam keine
Antwort. Einen Hausmeister gab es nicht. Das bedeutete warten,
bis einer aufkreuzte, den ich ein bißchen ausfratscheln
konnte.
Ich spähte die Auslage einer Videothek aus. Vollgestopft
mit Ladys und Lippen in Pink. Alles in allem wurde mir keineswegs
klar, ob es sich um einen Nachtclub oder ein Lifting-institut
handelte. Zwei Kippen später tauchte endlich ein alter Herr
auf, der eine Einkaufstasche auf Rädern nachzog. Ein paar
Gemüseteile lugten heraus. Ich ging vorsichtig hinter ihm
her, um ihn nicht zu erschrecken. Andererseits war es auch eine
Vorsichtsmaßnahme. Die alten Knacker zitterten zwar wie
chinesische Drachen im Wind, aber sie waren besser bewaffnet
als General Schwarzkopf im Golfkrieg.
"Entschuldigen Sie, ich suche den Herrn Brunner. Wissen
Sie ob er noch hier wohnt?"
Er hatte eben seinen Schlüssel aus der Jackentasche genestelt
und schaute mich an wie einen Flitzer.
"Wenn Sie ein Sarghändler sind, können Sie wieder
abhauen. Ihre Kollegen waren schneller."
Das Heiße an den Alten war, daß sie bis auf die Knochen
Kapitalisten waren.
"Ich bin kein Teppichhändler", sagte ich. "Wollte
nur mal schauen, wie es ihm geht. Wir waren zusammen beim Militär."
"Richard war nie beim Militär. Denken Sie sich was
Besseres aus. Haben Sie einen Tschigg? Meine Frau will keine
Zigaretten im Haus." Er nestelte wieder an seinen Schlüsseln
herum. Ich streckte ihm mein Päckchen hin. Das gefiel ihm
schon besser. Ich hackte nach.
"Wissen Sie mehr über ihn als das übliche Kondominiumsgetratsche?"
Er zog wie ein zwangsentwöhnter Raucher an der Zigarette.
Man konnte beinahe den Krach hören, den seine Flimmerhärchen
machten.
"Ich bin sein Onkel. Was wollen Sie wissen und wozu?"
"Reine Neugier eines alten Freundes. Jemals von einer Frau
gehört, die sich Klothilde nennt?"
"Nur den Namen. War wohl seine Verlobte, soviel ich mitbekommen
habe. Hat ihm übel mitgespielt. Fragen Sie Richards Mutter.
Die kann Ihnen was erzählen. Aber Obacht, die spinnt seither
ein bißchen."
"Seit wann?"
"Seit er unter der Erde ist. Kommt vom Friedhof gar nicht
mehr weg. Schreibt irgendwelche Zettel, die sie auf das Grab
legt. Wirres Zeug. Ich habs nie gelesen. Mir reicht, was mir
meine Frau erzählt. Wie wär's mit einer Weinspende
für die Ausfragerei?"
"Will die Frau keinen Wein im Haus?"
"Erraten. Seit unser Sohn mit dem Auto in den Bach gefahren
ist, sagt sie, daß Alkohol der Große Versucher ist.
Ich geb ihr recht und frag nicht warum."
Er stellte seinen Handkarren ins Foyer und wir gingen um die
Ecke in ein Lokal, das wie eine Zwischenstation zur Deliriumsabteilung
stank. Wir taten etwas für unser schwaches Fleisch und ich
quetschte ihn ein bißchen aus.
Nachdem, was er mir erzählte, muß dieser Richard wirklich
ein mit dem Schüchternheitmal Gezeichneter gewesen sein.
Nicht einmal der Schnaps half bei ihm. Er konnte tanken wieviel
er wollte, er brachte sein Mundwerk nicht auf, wenn ein Rock
in der Nähe war. Muß seine Mutter verschuldet haben,
sagte der Alte. Oder jemand anderer. Jemand muß jedenfall
die Schuld haben. Gott schütze uns vor den Schüchternen,
sagt der Alte.
Er hatte ihn mal in den Puff mitgenommen, damit er was lernt.
Doch es war in einer halben Katastrophe geendet. Der Alte hatte
die Bardame gelöhnt, doch Richard wollte sie nur auf der
Stelle heiraten. Die Folge war eine Schlägerei und ein formidabler
Rausschmiß gewesen. Der Puffdirektor hatte ihnen eine Bulldogge
auf den Hals gehetzt. Zuhause hatte er von seiner Mutter noch
eine draufbekommen. Vögeln vorm Heiraten ist für meine
Schwester nicht drin, mußt du wissen, sagte er. Dabei war
Richard selbst ein lediges Kind. Sie hat ihn allein aufgezogen.
Der Kerl hat sich nie blicken lassen. Sie sagt immer, Richard
sei die Strafe Gottes für die unkeusche Sünde, die
sie begangen hatte.
Wie ich schon sagte, sie spinnt ein bißchen. Hat einen
religiösen Huscher. Damit hat sie den Richard ganz verrückt
gemacht. Aber wehe man sagt ihr das. Dann erwürgt sie einen
mit ihrem Rosenkranz.
Er war sehr gesprächig geworden. Nach zwei Gläsern
war er so gut wie sturzbetrunken. Er redete und redete und ich
hob ihn zwischendurch vom Boden auf. Ich lenkte das Gespräch
wieder auf Klothilde.
Er hatte keine Ahnung, wo Richard sie aufgegabelt haben könnte.
Er hatte ihm nur einmal erzählt, daß er jetzt eine
Verlobte habe. Aber herzeigen hatte er sie nicht wollen. Was
der Mutter natürlich keine Ruhe gelassen hatte. Sie hatte
ihren Sündensohn tüchtig zur Ader gelassen, damit er
mit der Braut rausrückte. Sie kochte ihm nur noch Brennsuppe,
damit er sich das Wixen abgewöhnte. Wenn er aus dem Haus
ging oder heimkam, mußte er das Kreuz küssen.
"Sie hat ihn in die Enge getrieben, bis er auch das Nichts,
das er war, nicht mehr war. Ich nehme an, dann hat er sich den
Strick gekauft. Und jetzt flippt sie erst recht aus, mein Schwesterherz.
Sie fasselt was von Strafe und irgendwelchen Bibelsprüchen.
Auge um Auge oder weiß der Teufel was. Klingt jedenfalls
gefährlich."
"Kennt sie Klothilde?" fragte ich.
"Keine Ahnung. Vielleicht hat sie sie irgendwann nach Richards
Tod besucht. Hat mir nichts gesagt. Auf dem Begräbnis war
sie jedenfalls nicht. Wäre mir aufgefallen. Da waren nur
alte Wachteln."
"Kann man sie besuchen? Ich meine, Ihre Schwester."
"Wenn Sie unbedingt ihre Sammlung von Heiligenbildchen vergrößern
wollen. Am sichersten treffen Sie sie auf dem Friedhof."
Das Ständchen mit dem Alten hatte ungefähr so lange
wie eine Operette gedauert. Überhaupt kein Wunder, daß
wir nachher auf der Straße eine Menge böse Blicke
einfingen, weil wir den Gehsteig ziemlich malträtierten.
Wir trennten uns vor seinem Gemüsefuhrwerk. Ich sah noch,
wie er einen Strauß Petersilie aufaß, um seine Schnapsfahne
loszuwerden.
Ich wußte nicht einmal seinen Namen. Er war einfach der
Onkel. Richards Onkel. Und er hatte mir meine Geschichte praktisch
serviert. Meine Geschichte, die sich schon ein bißchen
gelangweilt hatte. Auch eine Geschichte will nicht ständig
nur eine Geschichte sein. Sie will einmal zu Ende sein und ich
hatte das Gefühl, daß ich jetzt eigentlich nur noch
das Muttertier hopsnehmen mußte, um Julia Derenzo einen
Scheck abzuknöpfen.
Doch vorher mußte ich meinen Leib die Ladung Weinschwere
von den Schultern nehmen. Keine Frage, ich lud ihm manchmal ziemlich
viel auf. Irgendwann würde mein Leib es noch dem Doktor
erzählen. In der Hoffnung, daß was für ihn rausspringt.
Ich hatte keine Lust auf Krieg, aber städtische
Beamte lassen einem keine andere Chance. Der Friedhofswächter,
ein schnauzbärtiger Aschenbecher, sah mich an, als wollte
ich in einem Tanga den Petersdom besichtigen.
Ich sagte, daß ich nicht die Kapelle sondern nur eine Kerze
anzünden wolle.
"Nichts für ungut", sagte er. "Wir haben
den Auftrag ein bißchen aufzupassen, seit die Liga für
Betonbestattungen ins Geschäft drängt."
"Wo liegt Richard Brunner?"
"Bis zur dritten Kapelle durchgehen und dann rechts. Ist
noch frisch. Das einzige Holzkreuz in der Reihe."
Ich sah sie schon von weitem. Sie stand
mit zusammengepreßten Knien wie ein einbeiniger Flamingo
vor dem Erdhügel. Nur die Farbe fehlte ihr ganz und gar.
Eine magere Gestalt mit einem Haarknoten im Nacken, der von einem
Netz zusammengehalten wurde. Um ihre Hände war ein Rosenkranz
geschlungen. Ihre Haut hatte die Farbe von abgenutztem Kohlepapier.
"Frau Brunner?" sagte ich so leise, daß ich von
einer Harfe locker übertönt worden wäre. Sie schreckte
dennoch zusammen und schaute mich wie eine Katakomben-Christin
an. Ich fühlte mich wie der Rückenpanzer einer Schildkröte,
auf dem eine Ameise Blut zu saugen probierte. Friedhöfe
waren mir als Arbeitsplatz völlig neu. Was sagt man zu einer
gramerfüllten alten Frau, die vor dem Grab ihres Sohnes
steht und Rachepläne schmiedet? Keinen blassen Schimmer.
Ich probierte es mit Lügen.
"Mein Name ist Merz. Ich bin vom Komitee für die Friedhofserneuerung.
Wir planen in nächster Zeit einige Veränderungen in
diesem Teil des Friedhofs und brauchen ihr Einverständnis.
Mein Beileid, übrigens ...!"
Das rührte sie ein bißchen. Ihre Augen flackerten
kurz aus der katholischen Lethargie auf. Ich drückte noch
ein bißchen auf die Tube.
"Ein schreckliches Unglück. Immer erwischt es die Besten."
Das wirkte noch ein bißchen mehr. Sie ließ ihre Handtasche
sinken, die sie bei der ersten Anrede schützend vor ihre
Brust gezogen hatte und steckte ein erdgrünes Gebetbuch
hinein. Jedenfalls war es die sicherere Methode, als sie anzuschnauzen.
"Wie ist es passiert?" hackte ich nach.
"Sünde", sagte sie. Ihre Stimme klang wie eine
Beute des Wahnsinns.
"Wie bitte?"
"Er war mit den Nerven schlecht beisammen."
"Das ist keine Sünde."
"Das muß ein Mensch verstehen, daß es den Nerven
nicht gerade gut tut, wenn man sündigt."
"Was für Sünden hat Ihr Sohn denn verbrochen."
Sie schaute mich wie die Madonna von Civitavecchia aus blutunterlaufenen
Augen an.
"Er hat ... "
Es kostete sie eine ungeheure Anstrengung, die Sünden ihres
Sohnes über die Lippen zu bringen.
"... sich in Frauen aus Zeitungen verschaut."
"Und?"
"Das hat ihn verrückt gemacht. Ich habe es an seinen
Augen gesehen. Aber er wollte nicht auf mich hören. Er war
schon verdorben."
"Hatte er keine Verlobte?"
"Nein. Er konnte ja keiner in die Augen schauen, vor lauter
Zeitungen."
"Auch keine Freundin?"
"So eine Schlampe halt. Eine Käufliche. Aber das wollte
er nicht hören. Er glaubte, daß das eine normale Frau
ist."
Beim letzten Satz fing sie zu weinen an. Ohne Tränen, man
sah es nur an ihren stockfleckigen Augenrändern. Das brachte
mich aus dem Gleichgewicht. Ich war einiges gewohnt, aber das
Geflenne war zuviel für meine Kräfte. Ich schrumpfte
um einen halben Meter ein. Nichts zu machen. Mit den Alten hatte
man doch immer die gleiche Bescherung. Ich kriegte alle Hiebe
ab. Ich war einfach zu arschweich.
Ich lud sie auf einen Tee ein. Wir trabten wie das Pärchen
Weltverdruß in ein Cafe vor dem Friedhofseingang. Sie redete
in einem fort. Das meiste verstand ich nicht, es gehörte
irgendeiner nur ihr verständlichen Geheimsprache an. Ihre
Nerven waren wirklich total zerrüttet. Ich glaube, sie redete
überhaupt nicht mit mir, sondern zu einem Gespenst, das
ihr die ganze Zeit im Nacken saß.
Der Tee beruhigte sie ein bißchen. Wenigstens hörte
sie zu plärren auf. Das war schon ein Fortschritt. Die Leute
an der Bar glotzten mich schon ziemlich böse an. Sie hielten
mich glasklar für einen herzlosen Rohling, einen Erbschleicher,
der seine alte Mutter zusammenputzt, weil sie ihm noch nicht
das Familiensilber vermacht hat. Einer flüsterte mir, während
ich vor dem Pissoir stand, daß man in dieser Gegend mit
Dealern kurzen Prozeß mache.
Einen Vorteil hatte ihre Nervenschwäche. Sie servierte mir
die Geschichte praktisch auf dem Tablett.
Ihr in Sünde gezeugter Sohn hatte sich in das Hürchen
Klothilde verschaut. Sein Pech war es, daß er nicht mitgekriegt
hatte, welchem Broterwerb Klothilde nachging. Er war behext.
Er machte ihr Heiratsangebote bis er schwarz wurde. Klothilde
muß ihn wohl eine Weile an der langen Leine gehalten haben.
Jedenfalls hatte er ihr einen ziemlichen Patzen Geld hinübergeschoben.
Sie hatte ihn total ausgesackelt. Und erst als sie merkte, daß
nichts mehr zu holen war, hatte sie dem armen Teufel den Laufpaß
gegeben. Er hatte nicht einmal mehr genug Geld auf seinem Sparbuch
gehabt, damit seine Mutter das Begräbnis bezahlen konnte.
Das war der Gipfel für die Mutter. Der Sohnemann hatte sein
ganzes Erspartes für eine Nutte ausgegeben. Daran dachte
sie immerzu. Es bereitete ihr den größten Kummer,
daß er sich wie ein Esel für eine stadtbekannte Matratze
verrenkt hatte.
Nach und nach faßte sie Vertrauen zu mir, obwohl ich ihr
überhaupt keinen Grund dafür gab. Sie war einfach froh,
quasseln zu können und über Klothilde herzuziehen.
Sie erzählte mir, was sie sich alles ausgedacht hatte in
ihrer Rachsucht. Es ging auf keine Kuhhaut. Die Inquisition war
ein Unschuldsverein dagegen. Sie hatte nur keine Ahnung, wie
sie es anstellen sollte und außerdem hatte sie Schiß.
Je länger sie palaverte, um so mehr kam sie zu der Überzeugung,
daß ich ihr Mann sei. Ich kapierte zuerst nicht. Ich hörte
ihr nur zu, und dann gings los.
Sie wollte mich als Killer engagieren. Ihr kam vor, daß
ich dazu wie geschaffen sei, weil ich ihr so lange zugehört
hatte. Ich hatte ihrer Meinung nach alle Vorteile, ich hatte
als Vertreter des Friehofskomitees sicher ein miserables Einkommen
und ein paar Kröten bitter nötig. Außerdem mußte
ich laut ihr massenhaft Zeit haben, wenn ich nachmittags auf
den Friedhof kommen konnte.
Sie verklickerte mir, wie sie sich die Rache vorstellte. Zuerst
ein bißchen beschimpfen, dann ein bißchen foltern,
aber nicht zu fest, damit sie Zeit hat, zu bereuen. Am Ende läpperte
sich eine ganze Liste von Scheußlichkeiten zusammen. Ich
sollte sie praktisch kreuzigen, vierteilen und den Ratten zum
Fraß vorwerfen. In ihrem Kopf ging es nicht sehr harmlos
zu. Jedesmal wenn sie eine Pause machte, dachte ich, daß
es jetzt genug ist, aber ihr fiel immer noch etwas ein, wie ich
die Klothilde ums Eck bringen sollte.
"Das Böse muß in Flammen aufgehen, schlagen Sie
es tot, es darf nicht länger auf dieser Welt herumlaufen,
in die Jauchengrube damit", sagte sie.
Der Scheiterhaufen war ihre Obsession.
Ich versuchte ihr klar zu machen, daß ich als Killer eine
totale Niete war. Ich konnte nicht einmal die Katzenbrut meiner
Nachbarin gegen die Wand schmeißen.
Das paßte ihr gar nicht. Sie fing wieder an zu plärren.
Diesmal richtig. Sie heulte, daß das ganze Lokal sich die
Ohren zuhalten mußte. Es mußte zum Skandal kommen.
Es war nicht mehr aufzuhalten.
Der Typ vom Klo nahm mich von hinten in den Schwitzkasten, während
mir der Kellner ein paar niederträchtige Tritte verpaßte.
Ein paar andere Mistviecher mischten sich jetzt ebenfalls ein.
Es war unfaßbar, in welche Wut sie die Oma mit ihrem Geplärre
hineingesteigert hatte. Ich riskierte, das Lokal nicht als Killer
sondern als Krüppel zu verlassen. Ich legte mich ins Zeug
und im Nu war eine Massenschlägerei im Gang. Die Oma bekam
richtig Geschmack daran. Sie haute mit ihrer Handtasche zu. Es
war richtig spaßig. Die Lumpin drosch auf alles drauf,
was sich bewegte. Sogar eine andere Omi bekam ein paar Hiebe
ab.
Der Spuk war erst vorbei, als die Carabinieri anrückten.
Ich hatte ein paar Hämoglobine durch die Nase verloren und
ein geschwollenes Ohr. Meine Gegner waren bis auf den Kellner
verduftet. Meiner Omi hatte die Prügelei ganz ausgezeichnet
gefallen. Sie war plötzlich quicklebendig. Als ob die Hiebe
ein Jungbrunnen gewesen wären.
Ich mußte mit zur Quästur.
Die üblichen Fragen beantworten. Ob ich gewohnheitsmäßig
mit den Fäusten rede, ob ich Pornograph bin, ob ich Anarchisten
beherberge, ob ich in Gegenwart von Autoritäten furze, ob
ich den Opferstock ausraube und ob ich den Staatsanwalt ehre.
Sie hielten mich geschlagene drei Stunden fest. Ich klemmte den
Hintern zusammen und ließ es über mich ergehen. Ich
hatte mit den Bullen schon Schlimmeres mitgemacht, nur weil sie
sich schief angeschaut vorkamen. Ich spielte nicht lange Osterlamm.
Das machte sie nur noch wilder. Sie wollten einen Sündenbock,
um die ganze Angelegenheit dem Staatsanwalt zu übergeben.
Das einzige, was sie interessierte, war, wie sie mich auf dem
schnellsten Weg wieder loswerden konnten. Ich ging ihnen eindeutig
gewaltig auf die Nerven.
Nach diesem Fiasko fühlte ich mich
wie ein zerbeultes Schneemobil. Ich hatte zwar die Geschichte
eingesackt, aber auch eine Anzeige wegen Körperverletzung
und Sachbeschädigung picken. Ich sah bereits, wie die Brieftasche
meines Anwaltes ihr dreckiges Grinsen aufsetzte. Julia Derenzo
würde mir das nie und nimmer als Spese anerkennen. Dazu
war sie erstens zu geizig und zweitens wäre Ronald Reagan
in Sachen Arbeiterklassesolidarität verglichen mit ihr in
der Sowjetunion als Held der Arbeit geehrt worden. Wenn mir nichts
einfiel, mußte ich mich damit abfinden, zu den Beschissenen
dieser Erde zu zählen.
Die Brunnerin stand im schwach beleuchteten
Flur ihrer Wohnung. Sie trug eine Küchenschürze und
Haus-patschen mit einer Pirelli-Sohle. Sie fragte gar nicht,
wie ich sie gefunden hatte. Christenmenschen fragen nie Warum.
Das ist das Nette an ihnen. Im Hintergrund hörte ich eine
Radiostimme, die das Wort zum Freitagabend verkündete.
"Tut's weh?" fragte sie mit einem Ton, der verräterisch
danach klang, als wäre sie selber gerne der Schmerz in Person.
"Weh ist gar kein Ausdruck", sagte ich und folgte ihr
durch den Flur in die Küche. Ich mochte den Brauch, Gäste
in der Küche zu empfangen und nicht im Wohnzimmer. Er erinnerte
entfernt an die Mongolei, wo der Gast die Nacht mit der Frau
des Hauses verbringen darf. Ich war noch nie in der Mongolei.
Muß aber ein sympathisches Land sein.
Sie stellte eine Tasse Tee auf den Küchentisch und da sie
keine Anstalten machte, demselben einen Schuß Vecchia zu
verpassen, holte ich ein Säckchen Kognac aus meiner Jackentasche.
Das war das einzig Nützliche, das ich beim Militär
gelernt hatte.
"Sie wollten mir ein Geschäft vorschlagen", sagte
ich, um sie nicht wieder zum Plärren zu bringen.
"Geschäft?" sagte sie. "Ich kann keine Geschäfte
machen. Habe ich nie gemacht. Das ist nichts für Leute wie
mich."
"Dann schlag ich Ihnen eins vor. Sie sagen für mich
vor Gericht aus, daß ich der Unschuldsengel der ganzen
Schlägerei war, und ich fühle der Klothilde ein bißchen
auf den Zahn."
Das kapierte sie. Der Name Klothilde brachte sie aus ihrem katholischen
Nirvana zurück auf das Küchenlinoleum. Tief in ihren
Augenschlitzen brannte wieder ein Scheiterhaufen. Ich mußte
ihm nur ein bißchen Zunder geben.
Ich malte ihr in ein paar bunten Farben aus, wie ich der Klothilde
die Brustwarzen mit einem Rasierapparatkabel schmoren würde.
Das gefiel ihr ganz ausgezeichnet, überzeugte sie aber noch
nicht vollständig. Sie wollte, daß ich dem Hürchen
das verdorbene Herz herausreißen und es zur Warnung für
alle Schlampen dieser Erde auf einer Fahnenstang durch die Stadt
tragen müsse. Sogar das Messer wollte sie mir mitgeben.
Ein klappbares Schnitzmesser, das Richard einmal zu Weihnachten
bekommen hatte. Ihr Haß war wirklich abgrundtief. Daß
ihr Sohnemann sich auf sehr unkatholische Weise davongemacht
hatte, war zuviel für sie. Das mußte gesühnt
werden. Ich war froh, sie nicht zum Feind zu haben.
"Ich könnte es auch selber tun", sagte sie. "Ich
bin nur zu ungeschickt und ich habe Angst, daß sie mir
im letzten Moment erbarmt, wenn ich vor ihr stehe. Ich bin einfach
zu gut. Genauso wie es mein Richard war. Er war ein hübsches
Kind. Er hatte zuviel Herz. Hat immer die Prügel bekommen
in der Schule. Kein Wunder, daß die heutigen Weiber es
leicht mit ihm hatten. Ich habe ihm immer gesagt, er soll bei
seiner Mutter bleiben. Es gibt keine bessere Frau für ihn.
Daß er ausgerechnet an die kommen mußte. Ein Unglück,
eine Strafe. Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe
..."
Ich ließ sie reden. Dieses Mütterchen hatte Krallen.
Bis ins Jenseits. Ihr Richard konnte froh sein, nicht als verklemmter
Psychomörder herumzugeistern.
Wir trafen eine ungefähre Abmachung. Ich würde sie
in den nächsten Tagen vor den Voruntersuchungsrichter zerren,
um die Anzeige von meinen Schulterblättern abzuladen. Danach
würde ich weitersehen.
Ich traf Klothilde eine Woche später
in einem Café. Die Brunnerin hatte mich entlastet. Der
Voruntersuchungsrichter hatte die Schlägereigeschichte zu
den Akten gelegt.
Klothilde trug einen dieselfarbenen Anzug mit Schlaghosen, die
aus unerfindlichen Gründen über Nacht wieder modern
geworden waren. Sie war die Sittlichkeit in Person. Für
die Rolle von Abrahms Frau wäre sie in Cinecittá
nicht in Frage gekommen, doch als Pfarrhausgehilfin hätte
sie eine tadellose Figur gemacht.
"Wie läuft'n das Bedrohtwerdengeschäft?"
fragte ich um dem Gesetz der ewigen Wiederkehr Genüge zu
tun.
"Es läßt nach", sagte sie. "Ich habe
nur mehr einen Brief bekommen. Aber der war älter als die
Kaffeebohnen für diesen Capuccino. Sie wissen schon, ...
die Post."
"Ich weiß", sagte ich.
"Was herausgefunden?" fragte sie.
"Alles."
"Alles. Was heißt alles?"
"Das heißt, daß ich alles weiß."
"Und das wäre?"
"Das wäre die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit."
"Und? Wer ist sie?"
"Lesen Sie die Zeitung. Nächste Woche exklusiv: Wer
hat Klothilde Delpian umgebracht? Sofern Sie dann noch lesen
können."
"Keine Witze bitte."
"Ich scherze nie. Ich habe einen Vertrag mit der Zeitung,
diese Geschichte umzuackern. Eine glückliche Fügung
hat es ergeben, daß ich ihre Mörderin schon jetzt
kenne. Meine Chefredakteurin wird Freudensprünge machen.
Dafür bietet die mir glatt Millionen."
"Und was ist mit mir?"
"Sie sind das Opfer."
Diese Aussicht machte sie nervös. Sie leerte den Kaffee
in einem Schluck hinunter. Sie hatte vom Leben schon tüchtig
gekostet. Von der Kacke inbesonders. Aber das ging doch zu weit.
Es kam nichts mehr aus ihr heraus. Ihr Mundwerk war hin. Der
Sensenmann machte ihr Schiß. Ich sah, wie sie sich ausmalte,
wie er ausschauen würde. Die Gute hatte keinen blassen Schimmer,
daß er neben ihr saß. Ich spannte sie noch ein bißchen
auf die Folter.
Ich erzählte ihr, daß die Briefeschreiberin ein richtiges
Miststück sei. Die typische Mörderin. Beileibe keine
Hochstaplerin. Eine Viper mit ausgefahrenen Zähnen wäre
harmlos im Vergleich. Ich sagte ihr, daß ich sie drei Tage
und zwanzig Stunden foltern mußte, damit sie mit der Wahrheit
rausrückte. Klothilde machte keinen Muckser. Saß einfach
da und hörte zu. Ich übertrieb so gewaltig, daß
sie sich wünschte, auf der Stelle der Cholera zum Opfer
zu fallen. Der Pest. Sie war nicht halb die abgebrühte Hure,
die sie vorgab zu sein.
"Warum hat sie's mit mir? Ich habe ihr nichts getan. Ich
kenne sie nicht einmal."
"Sie tickt nicht ganz richtig. Fühlt sich als Erzengel
Gabriel. Irgendwelche Stimmen sagen ihr, daß sie alle Huren
dieser Stadt ausmerzen muß. Das ist ihre Aufgabe auf dieser
Welt."
"Man muß sie der Polizei übergeben. Oder der
Klapsmühle."
"Zwecklos. Sie ist erst vor einem halben Jahr entlassen
worden."
"Aber die spinnt doch auf Hochtouren ..."
"Das interessiert niemanden, solange sie nicht ihre Zwangsjacke
anderen Leuten als Schwimmweste andrehen will."
"Was...?"
"Lesen Sie keine Zeitung? Vor zwei Monaten ist eine vom
Gewerbe am Staudamm aus der Reuse gefischt worden. War irgendwie
komisch gefesselt. So wie es nur Irre können."
"Und?"
"Bis jetzt hat die Polizei keinen Schimmer. Aber das ist
bei Serienmorden nach dem ersten Toten nichts Ungewöhnliches."
"Sie müssen das melden."
"Nichts muß ich. Ich habe die Tante gefunden, die
Ihnen die Brieflein geschrieben hat. Das war mein Auftrag. Der
Rest ist Kriminal-statistik."
"Geben Sie mir ihren Namen. Dann mach ich das."
"Gerne. Aber das nutzt Ihnen ungefähr soviel wie das
Wissen, was auf japanisch plötzlicher Tod heißt."
"Blödsinn. Ich werde ihr zuvorkommen."
"Sie würden ihr nur leichtes Spiel machen. Die ist
um einiges gerissener als Sie, was das Umsetzen von Mordphantasien
anbelangt. Ein krankes Saurierhirn, das seit Jahrzehnten in einem
Korridor eines Irrenhauses darauf gewartet hat, die Krallen auszufahren."
"Warum haben Sie sie dann laufenlassen?"
"Politik. Die Linken sind der Meinung, daß man der
Gesellschaft ihre Irren nicht vorenthalten darf."
Das Wort Politik machte sie vollkommen fertig. Sie faßte
sich an den Hals, als hätte sie plötzlich eine heimtückische
Halskrause um. Eine sehr schmierige. Die haarsträubendste,
die es geben konnte. Schließlich hatte ich sie weichgeklopft.
Sie zitterte wie ein Blümlein vor der Sense. Wenn ich sie
nur vor der Unholdin beschützen würde, hätte ich
alles haben können.
Ich schlug ihr einen Deal vor.
"Sie wechseln für eine Weile die Stadt. Die Wohnung
muß morgen geräumt sein. In einem halben Jahr hören
wir uns wieder."
Julia Derenzo saß in ihrem Ledersessel und las meine Geschichte,
während ich mir häppchenweise ihr Dekolletè
zu Gemüte führte. Irgendwann mußte es mal unschuldig
gewesen sein. Irgendwann war ich ein kleiner Bub gewesen. Der
Gedanke schmeckte wie Antibiotika.
"Nicht schlecht", sagte sie und legte das Manuskript
zu einem Haufen anderer auf den Tisch.
"Nicht schlecht, aber anders wäre es besser."
"Wie meinen ...?"
"Na, anders. Vom Ende her erzählt."
"Das Ende ist noch offen."
"Sie habens erfaßt. Das ist das Problem. Wenn diese
Brunnerin die Klothilde irgendwann doch noch schnappt, wird es
eine tolle Geschichte. Bis dahin ist sie höchstens Mittelmaß."
"Sie meinen ..."
"Was ich meine, habe ich bereits gesagt. Ohne ein paar harte
Tatsachen kauft uns das niemand ab. Es muß ja nicht gleich
ein Mord sein, aber irgendetwas polizeilich Relevantes muß
passieren. Vielleicht könnte man ein bißchen nachhelfen
..."
"Es gibt die Briefe. Die sind aktenkundig."
"Die Briefe sind ein hübsches Detail. Etwas für
die Sherlock-Fans. Nicht mehr. Es braucht etwas handfestes."
"Etwas blutiges, wollen Sie sagen."
"Das haben Sie gesagt."
"Aber Sie haben es gemeint. Ich schätze Ihre Nase für
gute Geschichten, aber der ganze Rest drumherum erinnert mich
an eine schauerlich schlecht nachgemachte Hollywood-Saga. Stellen
sie einen ihrer Sommerpraktikanten dafür an. Aber nicht
mit meiner Geschichte."
"Was seid ihr Journalisten nur alle für aufgeblasene
Nullen mit euren lausigen Geschichten. Führt euch auf wie
Thomas Mann und habt keine Ahnung, daß man das Zeug auch
verkaufen muß."
"Ich hätte eine Idee, wie ich die Geschichte verkaufen
kann."
"Ich höre..."
"Es fehlt nur ein kleines Detail, und ihre Konkurrenz zahlt
mir ein Vermögen dafür:. Chefredakteurin arrangiert
tödliches Rendezvous zwischen Hure und fanatischer Killerin.
Das fressen die mir aus der Hand."
Das Luder sackte innerlich zusammen wie ein Pfarrer, der mit
einem Ministranten erwischt wird. Doch sie bewahrte Haltung.
Sie drückte auf den Summer und ließ die Sekretärin
antraben.
"Abschreiben," befahl sie ihr. "Und richten sie
den Scheck für Herrn Merz her."
Wir waren wieder ein Herz und eine Seele.
Erster Teil: Uhura - Message 4
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