Johann Christopherus Wagenseil
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Zur Zeit wenn Frühling und Winter am Scheiden stehn, in der
Nacht des Äquinoktiums, saß einer im einsamen Gemach und
hatte Johann Christoph Wagenseils Buch von der Meistersinger
holdseliger Kunst vor sich aufgeschlagen. Der Sturm räumte
draußen tosend und brausend die Felder ab, schlug die dicken
Regentropfen gegen die klirrenden Fenster und pfiff und heulte
des Winters tolles Ade durch die Rauchfänge des Hauses,
während die Strahlen des Vollmondes an den Wänden spielten
und gaukelten, wie bleiche Gespenster. Das achtete aber jener
nicht, sondern schlug das Buch zu und schaute tiefsinnend, ganz
befangen von dem Zauberbilde längst vergangener Zeit, das
sich ihm dargestellt, in die Flammen, die im Kamin knisterten
und sprühten. Da war es, als hinge ein unsichtbares Wesen
einen Schleier nach dem andern über sein Haupt, so daß alles
um ihn her in immer dichterem und dichterem Nebel
verschwamm. Das wilde Brausen des Sturms, das Knistern des
Feuers wurde zu lindem harmonischen Säuseln und Flüstern,
und eine innere Stimme sprach, das ist der Traum, dessen
Flügel so lieblich auf und nieder rauschen, wenn er wie ein
frommes Kind sich an die Brust des Menschen legt und mit
einem süßen Kuß das innere Auge weckt, daß es vermag die
anmutigsten Bilder eines höheren Lebens voll Glanz und
Herrlichkeit zu erschauen. – Ein blendendes Licht zuckte
empor wie Blitzstrahl, der Verschleierte schlug die Augen auf,
aber kein Schleier, keine Nebelwolke verhüllten mehr seinen
Blick. Er lag auf blumigen Matten in der dämmernden Nacht
eines schönen dichten Waldes. Die Quellen murmelten, die
Büsche rauschten wie in heimlichem Liebesgeplauder und
dazwischen klagte eine Nachtigall ihr süßes Weh. Der
Morgenwind erhob sich und bahnte, das Gewölk vor sich her
aufrollend, dem hellen lieblichen Sonnenschein den Weg, der
bald auf allen grünen Blättern flimmerte und die schlafenden
Vögelein weckte, die in fröhlichem Trillerieren von Zweig zu
Zweig flatterten und hüpften. Da erschallte von ferne her
lustiges Hörnergetön, das Wild rüttelte sich raschelnd auf aus
dem Schlafe, Rehe, Hirsche guckten aus dem Gebüsch den,
der auf den Matten lag, neugierig an mit klugen Augen und
sprangen scheu zurück in das Dickicht. Die Hörner schwiegen,
aber nun erhoben sich Harfenklänge und Stimmen so herrlich
zusammentönend wie Musik des Himmels. Immer näher und
näher kam der liebliche Gesang, Jäger die Jagdspieße in den
Händen, die blanken Jagdhörner um die Schulter gehängt, ritten
hervor aus der Tiefe des Waldes. Ihnen folgte auf einem
schönen goldgelben Roß ein stattlicher Herr im Fürstenmantel
nach alter deutscher Art gekleidet, ihm zur Seite ritt auf einem
Zelter eine Dame von blendender Schönheit und köstlich
geschmückt. Aber nun kamen auf sechs schönen Rossen von
verschiedner Farbe sechs Männer, deren Trachten, deren
bedeutungsvolle Gesichter auf eine längst verflossene Zeit
hinwiesen. Die hatten den Pferden die Zügel über den Hals
gelegt und spielten auf Lauten und Harfen und sangen mit
wunderbar helltönenden Stimmen, während ihre Rosse
gebändigt, gelenkt durch den Zauber der süßen Musik, den
Waldweg entlang auf anmutige Weise in kurzen Sprüngen
nachtanzten dem fürstlichen Paar. Und wenn mitunter der
Gesang einige Sekunden innehielt, stießen die Jäger in die
Hörner, und der Rosse Gewieher ertönte wie ein fröhliches
Jauchzen in übermütiger Lust. Reichgekleidete Pagen und
Diener beschlossen den festlichen Zug, der im tiefen Dickicht
des Waldes verschwand.
Der über den seltsamen, wundervollen Anblick in tiefes
Staunen Versunkene raffte sich auf von den Matten und rief
begeistert: »O Herr des Himmels: ist denn die alte prächtige
Zeit erstanden aus ihrem Grabe? – wer waren denn die
herrlichen Menschen!« Da sprach ein tiefe Stimme hinter ihm:
»Ei, lieber Herr, solltet Ihr nicht die erkennen, die Ihr fest in
Sinn und Gedanken traget?« Er schaute um sich und gewahrte
einen ernsten stattlichen Mann mit einer großen schwarzen
Lockenperücke auf dem Haupt und ganz schwarz nach der Art
gekleidet, wie man sich ums Jahr
eintausendsechshundertundachtzig tragen mochte. Er erkannte
alsbald den alten gelehrten Professor Johann Christoph
Wagenseil, der also weitersprach: »Ihr hättet ja wohl gleich
wissen können, daß der stattliche Herr im Fürstenmantel
niemand anders war, als der wackere Landgraf Hermann von
Thüringen. Neben ihm ritt der Stern des Hofes, die edle Gräfin
Mathilde, blutjunge Witwe des in hohen Jahren verstorbenen
Grafen Cuno von Falkenstein. Die sechs Männer, welche
nachritten singend und die Lauten und Harfen rührend, sind die
sechs hohen Meister des Gesanges, welche der edle Landgraf,
der holdseligen Singerkunst mit Leib und Seele zugetan, an
seinem Hofe versammelt hat. Jetzt geht das lustige Jagen auf,
aber dann versammeln sich die Meister auf einem schönen
Wiesenplan in der Mitte des Waldes und beginnen ein
Wettsingen. Da wollen wir jetzt hinschreiten, damit wir schon
dort sind, wenn die Jagd beendigt ist.« – Sie schritten fort,
während der Wald, die fernen Klüfte von den Hörnern, dem
Hundegebell, dem Hussah der Jäger widerhallten. Es geschah
so wie der Professor Wagenseil es gewollt; kaum waren sie auf
dem in goldnem Grün leuchtenden Wiesenplan angekommen,
als der Landgraf, die Gräfin, die sechs Meister aus der Ferne
sich langsam nahten: »Ich will«, begann Wagenseil, »ich will
Euch nun, lieber Herr! jeden der Meister besonders zeigen und
mit Namen nennen. Seht Ihr wohl jenen Mann, der so fröhlich
um sich schaut, der sein hellbraunes Pferd, den Zügel
angezogen, so lustig hertänzeln läßt? – seht wie der Landgraf
ihm zunickt – er schlägt eine helle Lache auf. Das ist der muntre
Walther von der Vogelweid. Der mit den breiten Schultern, mit
dem starken krausen Bart, mit den ritterlichen Waffen, auf dem
Tiger im gewichtigen Schritt daherreitend, das ist Reinhard von
Zwekhstein. – Ei ei – der dort auf seinem kleinen Schecken,
der reitet ja statt hieher waldeinwärts! Er blickt tiefsinnig vor
sich her, er lächelt, als stiegen schöne Gebilde vor ihm auf aus
der Erde. Das ist der stattliche Professor Heinrich Schreiber.
Der ist wohl ganz abwesenden Geistes und gedenkt nicht des
Wiesenplans, nicht des Wettsingens, denn seht nur, lieber Herr,
wie er in den engen Waldweg hineinschiebt, daß ihm die
Zweige um den Kopf schlagen. -- Da sprengt Johannes
Bitterolff an ihn heran. Ihr seht doch den stattlichen Herrn auf
dem Falben mit dem kurzen rötlichen Bart? Er ruft den
Professor an. Der erwacht aus dem Traume. Sie kehren beide
zurück. – Was ist das für ein tolles Gebraus dorten in dem
dichten Gebüsch? – Ei fahren denn Windsbräute so niedrig
durch den Wald? Hei! – Das ist ja ein wilder Reiter, der sein
Pferd so spornt, daß es schäumend in die Lüfte steigt. Seht nur
den schönen bleichen Jüngling, wie seine Augen flammen, wie
alle Muskeln des Gesichts zucken vor Schmerz, als quäle ihn
ein unsichtbares Wesen, das hinter ihm aufgestiegen. – Es ist
Heinrich von Ofterdingen. Was mag denn über den gekommen
sein? Erst ritt er ja so ruhig daher, mit gar herrlichen Tönen
einstimmend in den Gesang der anderen Meister! – O seht
doch, seht den prächtigen Reiter auf dem schneeweißen
arabischen Pferde. Seht wie er sich hinabschwingt, wie er, die
Zügel um den Arm geschlungen, mit gar ritterlicher Courtoisie
der Gräfin Mathilde die Hand reicht und sie hinabschweben
läßt von dem Zelter. Wie anmutig steht er da, die holde Frau
anstrahlend mit seinen hellen blauen Augen. Es ist Wolffram
von Eschenbach! – Aber nun nehmen sie alle Platz, nun beginnt
wohl das Wettsingen!« –
Jeder Meister, einer nach dem andern, sang nun ein herrliches
Lied. Leicht war es zu erkennen, daß jeder sich mühte, den zu
übertreffen, der vor ihm gesungen. Schien das aber nun auch
keinem recht gelingen zu wollen, konnte man gar nicht
entscheiden, wer von den Meistern am herrlichsten gesungen:
so neigte die Dame Mathilde sich doch zu Wolffram von
Eschenbach hin mit dem Kranz, den sie für den Sieger in den
Händen trug. Da sprang Heinrich von Ofterdingen auf von
seinem Sitze; wildes Feuer sprühte aus seinen dunklen Augen;
so wie er rasch vorschritt bis in die Mitte des Wiesenplans, riß
ihm ein Windstoß das Barett vom Kopfe, das freie Haar
spießte sich empor auf der totenbleichen Stirn. »Haltet ein«,
schrie er auf, »haltet ein! Noch ist der Preis nicht gewonnen;
mein Lied, mein Lied muß erst gesungen sein und dann mag
der Landgraf entscheiden, wem der Kranz gebührt.« Darauf
kam, man wußte nicht auf welche Weise, eine Laute von
wunderlichem Bau, beinahe anzusehen wie ein erstarrtes
unheimliches Tier, in seine Hand. Die fing er an zu rühren so
gewaltig, daß der ferne Wald davon erdröhnte. Dann sang er
drein mit starker Stimme. Das Lied lobte und pries den
fremden König, der mächtiger sei als alle andere Fürsten und
dem alle Meister demütiglich huldigen müßten, wollten sie nicht
in Schande und Schmach geraten. Einige seltsam gellende
Laute klangen recht verhöhnend dazwischen. Zornig blickte der
Landgraf den wilden Sänger an. Da erhoben sich die anderen
Meister und sangen zusammen. Ofterdingens Lied wollte
darüber verklingen, stärker und stärker griff er aber in die
Saiten, bis sie wie mit einem laut aufheulenden Angstgeschrei
zersprangen. Statt der Laute, die Ofterdingen im Arm getragen,
stand nun plötzlich eine finstre entsetzliche Gestalt vor ihm und
hielt ihn, der zu Boden sinken wollte, umfaßt und hob ihn hoch
empor in die Lüfte. Der Gesang der Meister versauste im
Widerhall, schwarze Nebel legten sich über Wald und
Wiesenplan, und hüllten alles ein in finstre Nacht. Da stieg ein in
milchweißem Licht herrlich funkelnder Stern empor aus der
Tiefe und wandelte daher auf der Himmelsbahn, und ihm nach
zogen die Meister auf glänzenden Wolken singend und ihr
Saitenspiel rührend. Ein flimmerndes Leuchten zitterte durch die
Flur, die Stimmen des Waldes erwachten aus dumpfer
Betäubung und erhoben sich und tönten lieblich hinein in die
Gesänge der Meister. –
Du gewahrst es, vielgeliebter Leser! daß der, welchem dieses
alles träumte, eben derjenige ist, der im Begriff steht, dich unter
die Meister zu führen, mit denen er durch den Professor Johann
Christoph Wagenseil bekannt wurde. –
Es begibt sich wohl, daß, sehen wir fremde Gestalten in der
dämmernden Ferne daherschreiten, uns das Herz bebt vor
Neugier, wer die wohl sein, was sie wohl treiben mögen. Und
immer näher und näher kommen sie. Wir erkennen Farbe der
Kleidung, Gesicht, wir hören ihr Gespräch, wiewohl die Worte
verhallen in den weiten Lüften. Aber nun tauchen sie unter in
die blauen Nebel eines tiefen Tals. Dann können wir es kaum
erwarten, daß sie nur wieder aufsteigen, daß sie bei uns sich
einfinden, damit wir sie erfassen, mit ihnen reden können. Denn
gar zu gern möchten wir doch wissen, wie die ganz in der Nähe
geformt und gestaltet sind, welche in der Ferne sich so
verwunderlich ausnahmen. –
Möchte der erzählte Traum in dir, geliebter Leser, ähnliche
Empfindungen erregen. Möchtest du es dem Erzähler freundlich
vergönnen, daß er dich nun gleich an den Hof des Landgrafen
Hermann von Thüringen nach der schönen Wartburg bringe.
Die Meistersänger auf der Wartburg
Es mochte wohl ums Jahr eintausendzweihundertundacht sein,
als der edle Landgraf von Thüringen, eifriger Freund, rüstiger
Beschützer der holdseligen Sängerkunst, sechs hohe Meister
des Gesanges an seinem Hofe versammelt hatte. Es befanden
sich allda Wolffram von Eschenbach, Walther von der
Vogelweid, Reinhard von Zwekhstein, Heinrich Schreiber,
Johannes Bitterolff, alle ritterlichen Ordens, und Heinrich von
Ofterdingen, Bürger zu Eisenach. Wie Priester einer Kirche
lebten die Meister in frommer Liebe und Eintracht beisammen,
und all ihr Streben ging nur dahin, den Gesang, die schönste
Gabe des Himmels, womit der Herr den Menschen gesegnet,
recht in hohen Ehren zu halten. Jeder hatte nun freilich seine
eigne Weise, aber wie jeder Ton eines Akkords anders klingt
und doch alle Töne im lieblichsten Wohllaut zusammenklingen,
so geschah es auch, daß die verschiedensten Weisen der
Meister harmonisch miteinander tönten und Strahlen schienen
eines Liebessterns. Daher kam es, daß keiner seine eigne
Weise für die beste hielt, vielmehr jede andre hoch ehrte, und
wohl meinte, daß seine Weise ja gar nicht so lieblich klingen
könne ohne die andern, wie denn der Ton dann erst sich recht
freudig erhebt und aufschwingt, wenn der ihm verwandte
erwacht und ihn liebend begrüßt.
Waren Walthers von der Vogelweid, des Landherrn, Lieder
gar vornehm und zierlich, und dabei voll kecker Lust, so sang
Reinhard von Zwekhstein dagegen derb und ritterlich mit
gewichtigen Worten. Bewies sich Heinrich Schreiber gelehrt
und tiefsinnig, so war Johannes Bitterolff voller Glanz und reich
an kunstvollen Gleichnissen und Wendungen. Heinrich von
Ofterdingens Lieder gingen durch die innerste Seele, er wußte,
selbst ganz aufgelöst in schmerzlichem Sehnen, in jedes Brust
die tiefste Wehmut zu entzünden. Aber oft schnitten grelle
häßliche Töne dazwischen, die mochten wohl aus dem wunden
zerrissenen Gemüt kommen, in dem sich böser Hohn
angesiedelt, bohrend und zehrend wie ein giftiges Insekt.
Niemand wußte, wie Heinrich von solchem Unwesen befallen.
Wolffram von Eschenbach war in der Schweiz geboren. Seine
Lieder voller süßer Anmut und Klarheit glichen dem reinen
blauen Himmel seiner Heimat, seine Weisen klangen wie
liebliches Glocken- und Schalmeiengetön. Aber dazwischen
brausten auch wilde Wasserfälle, dröhnten Donner durch die
Bergklüfte. Wunderbar wallte, wenn er sang, jeder mit ihm wie
auf den glänzenden Wogen eines schönen Stroms, bald sanft
dahergleitend, bald kämpfend mit den sturmbewegten Wellen,
bald die Gefahr überwunden, fröhlich hinsteuernd nach dem
sichern Port. Seiner Jugend unerachtet mochte Wolffram von
Eschenbach wohl für den erfahrensten von allen andern
Meistern gelten, die am Hofe versammelt. Von Kindesbeinen
an war er der Sängerkunst ganz und gar ergeben, und zog,
sowie er zum Jüngling gereift, ihr nach durch viele Lande, bis er
den großen Meister traf, Friedebrand geheißen. Dieser
unterwies ihn getreulich in der Kunst und teilte ihm viele
Meistergedichte in Schriften mit, die Licht in sein inneres Gemüt
hineinströmten, daß er das, was ihm sonst verworren und
gestaltlos geschienen, nun deutlich zu erkennen vermochte.
Vorzüglich aber zu Siegebrunnen in Schottland brachte ihm
Meister Friedebrand etliche Bücher, aus denen er die
Geschichten nahm, die er in deutsche Lieder faßte, sonderlich
von Gamurret und dessen Sohn Parcivall, von Markgraf
Wilhelm von Narben und dem starken Rennewart, welches
Gedicht hernach ein anderer Meistersänger, Ulrich von
Türkheimb, auf vornehmer Leute Bitten, die Eschenbachs
Lieder wohl nicht recht verstehen mochten, in gemeine
deutsche Reime brachte und zum dicken Buche ausdehnte. So
mußt es wohl kommen, daß Wolffram wegen seiner herrlichen
Kunst weit und breit berühmt wurde und vieler Fürsten und
großer Herren Gunst erhielt. Er besuchte viele Höfe und bekam
allenthalben stattliche Verehrungen seiner Meisterschaft, bis ihn
endlich der hocherleuchtete Landgraf Hermann von Thüringen,
der sein großes Lob an allen Enden verkünden hörte, an seinen
Hof berief. Nicht allein Wolfframs große Kunst, sondern auch
seine Milde und Demut gewannen ihm in kurzer Zeit des
Landgrafs volle Gunst und Liebe, und wohl mocht es sein, daß
Heinrich von Ofterdingen, der sonst in dem hellsten Sonnenlicht
der fürstlichen Gnade gestanden, ein wenig in den Schatten
zurücktreten mußte. Demunerachtet hing keiner von den
Meistern dem Wolffram so mit rechter inniger Liebe an, als
eben Heinrich von Ofterdingen. Wolffram erwiderte dies aus
dem tiefsten Grunde seines Gemüts, und so standen beide da,
recht in Liebe verschlungen, während die andern Meister sie
umgaben wie ein schöner lichter Kranz.
Heinrich von Ofterdingens Geheimnis
Ofterdingens unruhiges zerrissenes Wesen nahm mit jedem
Tage mehr überhand. Düstrer und unsteter wurde sein Blick,
blässer und blässer sein Antlitz. Statt daß die andern Meister,
hatten sie die erhabensten Materien der Heiligen Schrift
besungen, ihre freudigen Stimmen erhoben zum Lobe der
Damen und ihres wackern Herrn, klagten Ofterdingens Lieder
nur die unermeßliche Qual des irdischen Seins und glichen oft
dem jammernden Wehlaut des auf den Tod Wunden, der
vergebens hofft auf Erlösung im Tode. Alle glaubten, er sei in
trostloser Liebe; aber eitel blieb alles Mühen, ihm das
Geheimnis zu entlocken. Der Landgraf selbst, dem Jünglinge
mit Herz und Seele zugetan, unternahm es, ihn in einer
einsamen Stunde um die Ursache seines tiefen Leids zu
befragen. Er gab ihm sein fürstliches Wort, daß er alle seine
Macht aufbieten wolle, irgendein bedrohliches Übel zu
entfernen oder durch die Beförderung irgendeines jetzt ihm
hoffnungslos scheinenden Wunsches sein schmerzliches Leiden
zu wandeln in fröhliches Hoffen, allein so wenig wie die andern
vermochte er den Jüngling, ihm das Innerste seiner Brust
aufzutun. »Ach mein hoher Herr«, rief Ofterdingen, indem ihm
die heißen Tränen aus den Augen stürzten, »ach mein hoher
Herr, weiß ich's denn selbst, welches höllische Ungeheuer mich
mit glühenden Krallen gepackt hat und mich emporhält
zwischen Himmel und Erde, so daß ich dieser nicht mehr
angehöre und vergebens dürste nach den Freuden über mir?
Die heidnischen Dichter erzählen von den Schatten
Verstorbener, die nicht dem Elysium angehören, nicht dem
Orkus. An den Ufern des Acheron schwanken sie umher und
die finstern Lüfte, in denen nie ein Hoffnungsstern leuchtet,
tönen wider von ihren Angstseufzern, von den entsetzlichen
Wehlauten ihrer namenlosen Qual. Ihr Jammern, ihr Flehen ist
umsonst, unerbittlich stößt sie der alte Fährmann zurück, wenn
sie hinein wollen in den verhängnisvollen Kahn. Der Zustand
dieser fürchterlichen Verdammnis ist der meinige.«
Bald nachher als Heinrich von Ofterdingen auf diese Weise mit
dem Landgrafen gesprochen, verließ er, von wirklicher
Krankheit befallen, die Wartburg, und begab sich nach
Eisenach. Die Meister klagten, daß solch schöne Blume aus
ihrem Kranze so vor der Zeit wie angehaucht von giftigen
Dünsten dahinwelken müsse. Wolffram von Eschenbach gab
indessen keinesweges alle Hoffnung auf, sondern meinte sogar,
daß eben jetzt, da Ofterdingens Gemütskrankheit sich
gewendet in körperliches Leiden, Genesung nahe sein könne.
Begäbe es sich denn nicht oft, daß die ahnende Seele im
Vorgefühl körperlichen Schmerzes erkranke, und so sei es
denn auch wohl mit Ofterdingen geschehen, den er nun
getreulich trösten und pflegen wolle.
Wolffram ging auch alsbald nach Eisenach. Als er eintrat zu
Ofterdingen, lag dieser ausgestreckt auf dem Ruhebette, zum
Tode matt, mit halbgeschlossenen Augen. Die Laute hing an
der Wand ganz verstaubt, mit zum Teil zerrissenen Saiten.
Sowie er den Freund gewahrte, richtete er sich ein wenig
empor und streckte schmerzlich lächelnd ihm die Hand
entgegen. Als nun Wolffram sich zu ihm gesetzt, die herzigen
Grüße von dem Landgraf und den Meistern gebracht und sonst
noch viel freundliche Worte gesprochen, fing Heinrich mit
matter kranker Stimme also an: »Es ist mir viel Absonderliches
begegnet. Wohl mag ich mich bei euch wie ein Wahnsinniger
gebärdet haben, wohl mochtet ihr alle glauben, daß irgendein in
meiner Brust verschlossenes Geheimnis mich so verderblich hin
und her zerre. Ach! mir selbst war ja mein trostloser Zustand
ein Geheimnis. Ein wütender Schmerz zerriß meine Brust, aber
unerforschlich blieb mir seine Ursache. All mein Treiben schien
mir elend und nichtswürdig, die Lieder, die ich sonst gar hoch
gehalten, klangen mir falsch, schwach – des schlechtesten
Schülers unwert. Und doch brannte ich, von eitlem Wahn
betört, dich – alle übrigen Meister zu übertreffen. Ein
unbekanntes Glück, des Himmels höchste Wonne stand hoch
über mir, wie ein golden funkelnder Stern – zu dem mußt ich
mich hinaufschwingen, oder trostlos untergehen. Ich schaute
hinauf, ich streckte die Arme sehnsuchtsvoll empor, und dann
wehte es mich schaurig an mit eiskalten Flügeln und sprach:
›Was will all dein Sehnen, all dein Hoffen? Ist dein Auge nicht
verblindet, deine Kraft nicht gebrochen, daß du nicht vermagst
den Strahl deiner Hoffnung zu ertragen, dein Himmelsglück zu
erfassen?‹ – Nun – nun ist mein Geheimnis mir selbst
erschlossen. Es gibt mir den Tod, aber im Tode die Seligkeit
des höchsten Himmels. – Krank und siech lag ich hier im Bette.
Es mochte zur Nachtzeit sein, da ließ der Wahnsinn des
Fiebers, der mich tosend und brausend hin und her geworfen,
von mir ab. Ich fühlte mich ruhig, eine sanfte wohltuende
Wärme glitt durch mein Inneres. Es war mir, als schwämme ich
im weiten Himmelsraum daher auf dunklen Wolken. Da fuhr ein
funkelnder Blitz durch die Finsternis und ich schrie laut auf :
›Mathilde!‹ – Ich war erwacht, der Traum verrauscht. Das
Herz bebte mir vor seltsamer süßer Angst, vor
unbeschreiblicher Wonne. Ich wußte, daß ich laut gerufen:
›Mathilde!‹ Ich erschrak darüber, denn ich glaubte, daß Flur
und Wald, daß alle Berge, alle Klüfte den süßen Namen
widertönen, daß tausend Stimmen es ihr selbst sagen würden,
wie unaussprechlich bis zum Tode ich sie liebe; daß sie – sie
der funkelnde Stern sei, der in mein Innerstes strahlend allen
zehrenden Schmerz trostloser Sehnsucht geweckt, ja daß nun
die Liebesflammen hoch empor gelodert, und daß meine Seele
dürste – schmachte nach ihrer Schönheit und Holdseligkeit! –
Du hast nun, Wolffram, mein Geheimnis und magst es tief in
deiner Brust begraben. Du gewahrst, daß ich ruhig bin und
heiter, und traust mir wohl, wenn ich dich versichere, daß ich
lieber untergehen als in törichtem Treiben mich euch allen
verächtlich machen werde. Dir – dir, der Mathilden liebt, dem
sie mit gleicher Liebe hingeneigt, mußt ich ja eben alles sagen,
alles vertrauen. Sowie ich genesen, ziehe ich, die Todeswunde
in der blutenden Brust, fort in fremde Lande. Hörst du dann,
daß ich geendet, so magst du Mathilden es sagen, daß ich –«
Der Jüngling vermochte nicht weiterzusprechen, er sank wieder
in die Kissen und kehrte das Gesicht hin nach der Wand. Sein
starkes Schluchzen verriet den Kampf in seinem Innern.
Wolffram von Eschenbach war nicht wenig bestürzt über das,
was ihm Heinrich eben entdeckt hatte. Den Blick zur Erde
gesenkt saß er da und sann und sann, wie nun der Freund zu
retten von dem Wahnsinn törichter Leidenschaft, die ihn ins
Verderben stürzen mußte.
Er versuchte allerlei tröstende Worte zu sprechen, ja sogar den
kranken Jüngling zu vermögen, daß er nach der Wartburg
zurückkehre und, Hoffnung in der Brust, keck hineintrete in den
hellen Sonnenglanz, den die edle Dame Mathilde um sich
verbreite. Er meinte sogar, daß er selbst sich Mathildens Gunst
auf keine andere Weise erfreue als durch seine Lieder, und daß
ja ebensogut Ofterdingen sich in schönen Liedern aufschwingen
und so um Mathildens Gunst werben könne. Der arme Heinrich
schaute ihn aber an mit trübem Blick und sprach: – »Niemals
werdet ihr mich wohl auf der Wartburg wiedersehen. Soll ich
mich denn in die Flammen stürzen? – Sterb ich denn nicht fern
von ihr den schöneren süßeren Tod der Sehnsucht?« –
Wolffram schied und Ofterdingen blieb in Eisenach.
The Tales of Hoffmann (Penguin Classics) by E. T. A. Hoffmann, R. J. Hollingdale (Translator) (Paperback - August 1990);
Excerpt from Front Matter: "... two years later. Hoffmann came to learn of Cardillac from Wagenseil's Nuremberg Chronicle and was probably drawn ..."
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