Baron von Caldiff
Der Weinsurfer von Pinzon/Uhura 3


Uhura Message 3

1998

 


 

 

Hallo Reinhold!
Wie geht's denn so? Mir geht's ganz gut, ich schlage mich durch und mache mir so meine Gedanken. Gerade in letzter Zeit habe ich wieder einmal darüber nachgedacht, wie die verschiedenen Abschnitte in meinem Leben sich zueinander verhalten.
Es gab früher eine Zeit, da ist mir hier alles zu klein und zu eng geworden, und ich hatte das Gefühl, ich müsse hinaus in die weite oder große Welt, um das wirkliche Leben zu erleben.
Nachdem ich mir von meiner Abstammung her und in der Folge bestimmter Erlebnisse hierzulande mehr Hindernisse als Vorteile erwartete, bin ich weggegangen.
Aber erst seit ich zurück bin, haben die wahren Erlebnisse, die atemberaubenden Abenteuer, die unerwarteten Begegnungen angefangen, in den letzten Jahren hat sich in meinem Leben mehr ereignet als in den Jahrzehnten davor, in denen ich auf der Suche nach Selbstverwirklichung war, während mein Leben seinen ureigensten Lauf nahm und, wie es scheint, nicht viel Einfluß meinerseits zuließ.
Ich habe nun einige von meinen Erlebnissen der letzten Jahre aufgezeichnet, und wenn Du willst, kannst Du sie in Deiner Fanzine "Uhura" abdrucken.
Es wäre mir ganz recht, wenn auf diesem Wege vielleicht einige Leute, die mich früher gekannt haben, sehen, wie es mir in der Zwischenzeit ergangen ist, und ich denke auch, daß meine Erzählungen für manchen Leser ein Denkanstoß in die Richtung sein können, daßdas Gute, das Abenteuerliche, das Bewegende in unserem Leben nicht unbedingt in der Ferne zu suchen sind, sondern daß bemerkenswerte Situationen genausogut hier bei uns im Lande oder in der Provinz, wie es heute oft heißt, sich ergeben können.
Nun, ich weiß zwar, daß meine Erzählungen eigentlich nicht in Deine Fanzine gehören, da es sich bei diesen nicht um die Fiction handelt, die Du auf das Banner Deines Blattes geschrieben hast. Es sind allesamt Aufzeichnungen aus meinen Tagen hier im Lande, was ich bei der Arbeit und in der Freizeit erlebt und beobachtet habe.
Ich habe allerdings versucht, meine Aufzeichnungen flüssig und leicht leserlich zu gestalten, so daß sie sich der eine oder andere Leser Deiner Fanzine vielleicht ganz gerne zur Unterhaltung anschauen wird, auch wenn sie nicht Fiction sind.

Neumarkt, 12. Dezember1998

 

Anmerkung der Redaktion:
Begleitbrief zu den Geschichten
Der Maschinenbauer von Terlan

Der Weinsurfer von Pinzon
Der Kartenspieler von Gmund
Der Höhlentaucher vom Karer See

Auch ein Baron hat's nicht leicht, und um über die Runden zu kommen, übte ich in den letzten Jahren verschiedene Berufe aus, die meiner Natur am ehesten entsprechen. So war ich eine Zeitlang Kellerführer für Touristen in der neuen Privatkellerei Urmann in Pinzon. Die Kellerei Urmann besteht schon seit Generationen und hat immer an die tausend Hektoliter eingekellert. Vor acht Jahren hat der Juniorchef, der junge Franz Urmann, mit einem großen Kredit der Mediobanca neu gebaut und eine riesige Anlage für fünfundzwanzigtausend Hektoliter, zu dreiviertel Teilen unterirdisch, alles auf dem Gelände seiner Hofstelle erstellt.
Bei der Ausführung des Baues und der Einrichtung der Gerätschaften sind die neuesten Erkenntnisse der Weinkultur und die modernsten Techniken zur Anwendung gekommen.
Die oberirdischen Gebäude dienen als Lager plus Verkaufsraum, als Abladestelle und als Ausgangspunkt für die unterirdischen Konstruktionen. Im ersten Untergeschoß befindet sich der vollcomputerisierte Steuerraum, in dem die gesamten Vorgänge in der Kellerei vom Rebeln übers Pressen bis hin zur Abfüllung geregelt sind und überwacht werden. In diesem Raum arbeiten drei Personen: der Chef, der Oberkellermeister und ein Computerfachmann für die laufenden Neuerungen. Nebenan arbeitet der Laborfachmann an den Mischungen.
In weiteren sechs Untergeschossen sind die eigentlichen Kellereieinrichtungen mit den Weinbehältern untergebracht.
Meine Aufgabe bestand anfangs in einem Überbleibsel aus der traditionellen Kellereiarbeit, ich hatte hauptsächlich die Schläuche für die Abfüllungen und die verschiedenen Verschnitte umzustecken, die Reinigungen zu erledigen und dafür zu sorgen, daß zwischen der gesamten Maschinerie auch ein menschliches Wesen auftaucht.
Bei dieser Arbeit blieb genügend Zeit für meine eingangs erwähnte Tätigkeit: Ich führte im Sommer und im Herbst deutsche, österreichische und italienische Touristen durch die Kellereiräume, anfangs waren auch Einheimische darunter, welche allerdings weniger wurden, als der Reiz des Neuen nachließ.
Man muß nun wissen, daß die Kellerei in einen "alten" und in einen neuen Teil unterteilt ist. Neu sind eigentlich beide Teile, aber Franz Urmann hat es sich nicht nehmen lassen, ein Drittel seiner Kellerei, den untersten Teil, im traditionellen Stil nachbauen zu lassen, mit Gewölbe und Holzfässern.
Ich wurde als Kellereiarbeiter für den alten Teil angestellt, aber die Führungen nahmen bald einen solchen Umfang an, daß ich im Sommer und im Herbst für diese Tätigkeit komplett abkommandiert wurde.
Der alte Teil liegt unter dem neuen und ist mit diesem direkt verbunden. Der alte Teil wurde auch mit Gerätschaften an den Wänden ausgestattet, die aus der Geschichte des Weinbaues und der Landwirtschaft hierzulande stammen: Schwefelspritzen, Saltnerausrüstungen, Teile des Geschirrs von Fuhrwerken, alte Rebeln und Pressen usw. Meinen inneren Vorlieben nach hatte ich für das Getue mit dem alten Krimskrams nicht viel übrig, ich hatte im Leben zu oft erleben müssen, daß von den alten Dingen nicht viel zu holen ist.
Ich durfte meine Abneigung natürlich nicht zeigen, im Gegenteil ich hatte den Auftrag, die Besichtigung von oben nach unten sozusagen in einem umgekehrten Crescendo abzuwickeln: Den Touristen sollte, nachdem sie von den modernsten Techniken beeindruckt worden waren, die Ehrfurcht vor der Tradition und - nach schrittweisen Verkostungen - vor der Naturkraft des Produktes selber vermittelt werden; die Verarbeitung sollte nur als den arbeitstechnischen Erfordernissen der Zeit folgende hingestellt werden und nicht ein Eigeninteresse wecken. Die Idee ist ja an und für sich nicht schlecht.
In einem sollte sich meine Abneigung gegen die Gestaltung des "alten" Teils auch nicht als richtig erweisen, wie sich gleich zeigen wird.
Es war im zweiten Herbst meiner Anstellung, schon gegen Ende November, wir hatten ziemlich viel Zeug eingekellert, und der junge Wein reifte bereits gemütlich dahin. Ich hatte eine meiner letzten Gruppen zu führen, die Belegschaft einer Transport- und Speditionsfirma aus Wasserburg a.d. Donau, Bayern, Fahrer, Sekretärinnen, Buchhalter, Personalchefs, Chefs, alles war mit an jenem Freitag.
Ein paar Leute im mittleren Alter waren nach der Besichtigung des neuen Teils bereits so enthusiastisch über die technische Wunderwelt unserer Anlage, daß sie gar nicht in den "alten" Teil hinunter wollten, sondern sie erbaten sich, zurück in die Schaltzentrale zu gehen, die wir bei der Führung nur von außen gestreift hatten, ohne ins Detail zu gehen.
Dort ließen sie sich erklären, wie die Steuerung der Anlage vor sich geht.
Nun ließ unser Computerfachmann die Truppe unvorsichtigerweise einen Augenblick allein, einer von ihnen wollte "nur kurz etwas schauen", und er hatte wohl keine Ahnung, daß sich mit Menübefehlen etwas anderes als Drucker und Modems u.a. aktivieren lassen, und das Malheur nahm seinen Lauf:
Riesige Mengen von neuem und altem Wein strömten mit einem Schlag aus hunderten Spünden in die Stiegenhäuser und als dem Mann und seinen Begleitern an der Konsole etwas schwante, wollten sie schnell Abhilfe schaffen und dabei blockierten sie das gesamte Programm ... Spünde, Notschleusen, nichts ging mehr.
Wir standen in Nullkommanichts bis zum Bauch im Wein, und der Strom wurde schnell stärker. Ich wollte mich sogleich mit den Leuten nach oben durchkämpfen, aber nicht alle schaffen es, mitzukommen, ich ging trotzdem los, um zu schauen, was sich machen ließ. In der Schaltzentrale herrschte Panik, auch unserem Computerfachmann gelang es einfach nicht, die Klappe zu schließen.
Ich ging wieder nach unten, ich stapfte und rutschte in einem Schwall von Wein über die Stufen und holte nach und nach eine Person am Arm herauf. Das dauerte mir schließlich zu lange, ich wurde auch müde, und die Weindämpfe nahmen eine bedenkliche Intensität an, da hatte ich eine Idee.
Ich hatte in unseren Umkleideräumen meine Sportsachen abgestellt, darunter auch das Surfbrett. Als ich wieder eine Frau oben angebracht hatte - sechs Personen waren noch unten -, holte ich mein Brett und stürzte mich damit an der zweiten Stiege auf die roten Wellen.
Bevor in den untersten Bereichen alles angefüllt war, wollte ich, mußte ich die Leute durch eine Sicherheitstür in einem Seitengang, der etwa 10 Meter über dem tiefsten Punkt ins Freie führt, in Sicherheit bringen. Die Zeit drängte. Während ich auf meinem Brett in die Tiefe schoß, wurde mir bewußt, daß wir nicht alle auf dem Brett Platz haben dürften und es mit sieben Personen auch nicht mehr zum Manövrieren in flotter Fahrt gehen würde. Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken, da sah ich vor mir ein Kummet mit einem Lederstrick, das als eine der vorher erwähnten Dekorationen an der Wand hing. Ich riß es im Vorübersausen an mich, und als ich zu den gleichermaßen erstaunten wie entsetzten Leuten kam, warf ich ihnen den Strick zu und legte mir selber das Kummet um. Ich hieß die Leute sich am Strick festzuhalten, stellte mich wieder aufs Brett, und mit meinen Schützlingen im Schlepptau ging's in rasender Fahrt auf dem gurgelnden platschenden Wein der Rettung zu. Ich mußte sakrisch aufpassen, die Abzweigung zu dem besagten Seitengang nicht zu verpassen, denn auf der anderen Seite ging's ohne Rettung in den bereits angefüllten tiefsten Teil.
Ich stemmte mit allerletzter Kraftanstrengung in die schwierigen Kurven, das Kummetholz drückte mir auf Nacken und Hals, immer wieder krachte das Surfbrett gegen Ecken und Stiegengeländer. Hinter mir hörte ich immer wieder erschreckte Ausrufe, vor allem als wir über Treppenabsätze wieder einen steilen Sprung machten, aber es hielten sich alle fest, auch wenn es manchen blauen Fleck und auch Abschürfungen gab. Schließlich bog ich in den Gang ein, zum Glück kannte ich den ganzen Bau ziemlich genau, und mit großen Schwung ging's auf die Tür zu. Nun war auch hier schon viel vom Wein eingedrungen, ich glitt auf der Oberfläche mit dem Kopf bereits hart am Oberboden dahin, und ich sah mich nicht mehr in der Lage, Halt zu machen und mich erst lange ans Öffnen der versperrten Tür zu machen. So sauste ich auf die Tür zu, ein Krach und Splittern, alles purzelte und kugelte übereinande und der Weinschwall rauschte über uns hinweg. Wir waren im Freien, und wir waren gerettet. Wer konnte, rollte sich zur Seite, während sich aus der Tür immer noch Ströme von Wein über die Wiese und die darunter liegenden Apfelanlagen ergossen.
Die Geschichte war also noch einmal gut und glimpflich abgegangen, der Schaden an den Menschen und an der Kellerei selber war durch Versicherung gedeckt, bloß hatte Franz Urmann natürlich große Schwierigkeiten, soviel Wein zu bekommen, um doch noch abfüllen und seinen Kunden liefern zu können.
Ein besonderes Problem zeigte sich aber als Nebenerscheinung zu diesem Weinunfall erst eine Weile danach: In den Obstanlagen, die fast den gesamte Wein abgekriegt hatten, gab es in den nächsten Jahren nur mehr einen geringen Ertrag, die roten Sorten zeigten nur mehr eine schwache bis gar keine Färbung der Früchte, die Golden Delicious hingen gar nur mehr in einem schmutzigen Weiß an den Bäumen. Man wußte einfach nicht, was tun, auch der Beratungsring war ratlos, die Bauern wollten schon aufgeben, es gab sogar Überlegungen, komplett zu roden, das gesamte Erdreich ab- und neu aufzutragen.
Andererseits zeigten alle Boden- und Blattanalysen normale Werte.
Auch ich beteiligte mich an den Überlegungen, ich dachte darüber nach, ob wohl ein Zusammenhang mit den Auswirkungen der riesigen Weingabe bestünde. Da hatte ich die Idee, im Frühsommer mit Wein zu düngen, und zwar genau mit jener Gabe, die der Boden beim Weinunfall abbekommen hat: Bei jedem Bäumchen der roten Sorten wurde ca. 3/4 Liter Merlot und Vernatsch und bei jedem Golden Delicious 1/2 Liter Riesling mit der Lanze eingeschossen. Und tatsächlich zeigten sich bis zur Ernte wieder die gewohnten idealen Fruchtwerte. Auch die Spesen hielten sich mit ca. 6 Millionen Lire/ha bei den Golden und mit 8 Millionen Lire /ha bei den Red Chief in Grenzen, wenn man bedenkt, daß es sich bei dem Produkt um hervorragende Hügelware handelte, die sonst verloren gewesen wäre. Den Wein besorgte natürlich Franz Urmann zu allerbeste En-Gros-Preisen.


(1998)

  zurück