Hans B. Wagenseil: Die Perle

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Generation 12: Ende 19. Jahrh./ Beginn 20. Jahrh.
Hans B. Wagenseil

Während wenige Frühtexte von Hans B. Wagenseil dem Expressionismus zugerechnet werden könnten (1917, 1921, 1925), blieben seine Kurzgeschichten in Folge zwar bis Kriegsende eine Konstante, hatten aber weniger Erfolg als die Übersetzungen aus dem Amerikanischen, Englischen und Französischen. Dabei wurden Texte offensichtlich auch NS-Zeitungen angeboten. Allerdings unterscheidet sich das Angebot oder die Nachfrage deutlich von den vielen anderen Zeitungen, die von der "literarischen Press-Korrespondenz" der Wagenseils beliefert worden sind. Bei einigen finden sich, insbesondere nach 1940, noch Übersetzungen aus dem Schwedischen, Ungarischen oder Italienischen. Aber daneben gibt es den Typ Zeitungen, in dem ausschließlich die Kurzgeschichten von Hans erschienen - und einer der häufigsten Texte ist die Erzählung von der Perle, mit Belegstellen von 1934 bis 1966. Die wohlwollende Lesart ist, dass sozusagen auf eine literaturpädagogische Wirkung gehofft wurde - wo nicht durch Übersetzungen moderner Literatur möglich, da durch Fabeln wie diese.

Versionen
Essener Anzeiger, 09.09.1934: "Die Perle"
Altenaer Kreisblatt, 13.10.1934: "Die Perle"
Bodensee-Rundschau, 13.10.1934: "Die Perle"; 10.03.1944: "Die Perle"
Hagener Zeitung, 19.10.1934: "Die Perle"
Münsterischer Anzeiger, 26.10.1934: "Die Perle"
Hallische Nachrichten, 27.10.1934: "Die Perle"
Bremer Zeitung, 27.11.1934 (Nr. 328): "Die kostbare Perle"
Obermosel-Zeitung, Vendredi, 14 août 1936: "Die Perle"
Der Führer am Sonntag, Baden, Nr. 50 (11.12.1938): "Die Perle"; Nr. 273 (3.10.1942): "Die Perle"
Badische Presse, 18.3.1942 (No. 65): "Die Perle"
HKB Mannheim, 82 (23.3.1942) Montag-Ausgabe: "Die Perle"
Generalanzeiger Bonn, 9.5.1942: "Der Meister und die Perle"
Alpenzeitung, 21.06.1942: "Die Perle"
Banater Deutsche Zeitung, Timisoara (Temeschwar), 18.7. 1942: "Die Perle"
Straßburger neueste Nachrichten, 14.8.1942 (No. 223): "Die Perle"
Neues Wiener Tagblatt, 16.8.1942: "Die Perle"
Das kleine Volksblatt, Wien, 21.9.1942: "Perle in Gefahr"
OVB Rosenheim, 22.1.1955, S. 9: "Die Perle der Krone"
Borkener Zeitung, 29.12.1956, S. 6: "Die Perle"; 12.09.1958, S. 10: "Die Perle der Krone"
Nordwestzeitung Oldenburg, 25.07.1959: "Die Perle der Krone"
Rheiderland-Zeitung, 21.03.1966, S. 6: "Die wertvolle Perle"

Zu dem berühmtesten Goldschmied seiner Zeit kam einmal ein Abgesandter des Königs und brachte ihm eine Perle, die war größer als ein Taubenei. Diese Perle sollte der Meister so fassen, daß sie aufrecht und wie ein schwebender Stern mit einem goldenen Reifen zu sitzen käme, um das Haupt der Königin zu zieren. Der Meister hielt das unschätzbare Juwel in der einen Hand und kraulte sich mit der anderen bedenklich den Kopf. Um so zu verfahren, sei nötig, die Perle anzubohren, um sie fein artig auf ein Stiftlein oder einen Dorn zu nadeln. Hier aber liege, mit Verlaub zu sagen, der Hund begraben! Denn eine Perle von solcher Größe habe leicht ihre Mucken und könne im Augenblick, wo ihr der Stahlbohrer ins Herz fahre, auch in der geschicktesten Hand zerspringen.

So aber wollte der Abgesandte das Geschäft nicht wahrhaben. Er habe, sagte er, und ließ ein wenig die Mundwinkel fallen, wohl zu Unrecht so viel des Lobes von des Meisters Kunst und Können gehört, Wer sein Geschäft verstehe, der sei des Erfolges auch gewiß. Kurz und gut: entweder sei der Meister mit Haupt und Habe Bürge, oder er solle auch den Preis und die Ehre nicht haben.

Den Meister schoß das Blut in den Kopf. Erst wollte er den Handel abschlagen. Dann aber ging er um der Ehre seiner Zunft willen dennoch darauf ein. Kaum aber war der Abgesandte fort, da bereute er seine Eiligkeit bitter und raufte sich den Bart und hatte von Stund an nicht Ruhe mehr noch Rast. Die Meisterin hatte bald heraus, wo ihrem Mann der Schuh drückte. Sie sann, wie sie ihm helfen könnte. Eines Tages holte sie entschlossen die Perle aus den Behältnis und ging hinüber in die Werkstatt. Dort stand gerade der Lehrbub an der Drehbank und hatte vor sich eine Schachtel mit allerhand Tand stehen, Japanperlen und böhmischen Glaskugeln und Zierart aus Italien. Die Meisterin warf ihm so, als sei es billiger Tand, die kostbare Perle hin und sagte leichthin: "Geh, Theodor, bohr mir mal eben den Klunker an!" Damit drehte sie sich um und schlug ein Kreuz.

Der Bub griff zu, es knirschte und splitterte ein wenig - und das Werk war getan. Der Bub wunderte sich nicht wenig, als ihm die Meisterin um den Hals fiel. Als der Meister heimkam, lag die Perle fein säuberlich auf einem roten Samtkissen. Vor Stannen konnte er kein Wort hervorbringen. Da lachte die Meisterin und sagte, ihn am Ohr zupfend: "So musst du denn wieder beim Lehrbuben in die Schul' gehen, oder weißt du nicht mehr, daß zu einem guten Handwerk vor allem eins gehört: munteres Drangehen und eine frohe Unbefangenheit?!"

Kurt Wagenseil (1904-1988)
Hans B. Wagenseil (1894-1975)

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