armin peter zH Armer Seelentag - Ein Dienstag |
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Uhura Message 3 1998 |
Beschleunigt mit einem energischen Druck auf das Gaspedal und setzt die Fahrt mit Erleichterung fort. Sein Ziel Brixen, das mäßige Verkehrsaufkommen zur frühen Stunde willkommen, um eine etwas rasantere Fahrweise als sonst zu genießen. Aber auch wieder so, daß andere, gestreßtere Arbeitnehmer, Freiberufler, ja sogar eilige Staaatsdiener, ihn überholen können; langsame Gedankengänge, untermalt mit Morgenjournal auf Ö1. Augenlider entspannt, in der rechten Nasenhöhle, am Ansatz zur selben, lästig ein getrocknetes Staubwerk; mit Zeigefinger rasch und problemlos entfernt und dann zwischen Daumen und Finger rundgedreht, ein kritischer Blick, nein den nicht. Das Innere des Wagens durch das tourige Beschleunigen warm, ja fast unangenehm, als er auf der Höhe der Ausfahrt der Brennerautobahn ist. Der Louis vier halb erfrorene arme Staatsseelen im Vorbeifahren erblickt; ein Lacher, schadenfroh und billigend, aber das Rauschen des Radios lenkt schnell ab, sekundär das eben Erlebte werden läßt. Poppig aber leicht beschwingt das, was die nun eingestellte Radiofrequenz spielt; die Gurte baumelt locker an der Linken, er fühlt sich frei, freie Fahrt für eine freie Seele. Kilometer folgen, an beiden Seiten Wald, bis endlich der Blick frei wird, frei auf die Stadt, die Stätte seiner Werktätigkeit. Gewerkschaftlich organisiert ist er, vom Arbeitgeber nicht so gerne gesehen, aber wegen der Steuererklärung, hatte er einmal im Gasthaus nach dem sonntäglichen Kirchgang gesagt. Die Berechnungen und das Ausfüllen der diversen Moduli, Unterverzeichnisse und Kommas für einen Laien, wie er es ist, kann zum Kreuzweg werden. Auch Depressionen in Folge dessen seien im Monat Mai eines jeden Jahres die Ursache für so manche Familientragödie mit tödlichem Ausgang, hatte er kürzlich auf Seite drei im Volksboten gelesen. Mit diesem Grundwissen ausgestattet, waren ihm die mißbilligenden Worte seines Chefs egal, denn die Verantwortung seiner Familie gegenüber war ihm wichtiger. Die Arbeit als CNC-Fräser in einem mittelständischen Betrieb, der unter anderem auch Zulieferer für einige deutsche Autokonzerne ist, sie bereitet ihm Spaß. Zwar ist die tägliche Konfrontation mit Hundertstel von Millimetern an Präzision ein ambivalentes Verhältnis, aber er beschränkt dies auf seinen Beruf und ist im Privatleben ein toleranter Ehegatte und Familienvater. Die erste Kreuzung der Stadt naht, auf den Verkehr achtend überquert er sie, schaltet blitzartig in einen höheren Gang und rettet sich, ohne die Richtungsänderung hinter ihm Fahrenden mitzuteilen, zur Linken auf den Parkplatz einer Bar. Ein Dutzend ärmlicher Seelen stechen in seine Augäpfel, wirken wie eine Mauer auf der Fahrbahn, der es auszuweichen galt, um einen Totalschaden am Vehikel zu vermeiden. Steigt aus dem Auto, ein Hupen, anscheinend mißbilligt jemand sein Manöver, und betritt das Innere der Rettungsinsel. Frequentiert von Berufsfahrern aller Kategorien, dominiert vom Rauschen der Kaffeemahlmaschine, rauch- und weißweindurchtränkt zur frühen Stunde. Louis bestellt Kaffee und Brioche, was auf Druckerschwärze serviert wird; schnelles Essen und Trinken, die Gedanken bei den der Bar vorgelagerten Seelenschändern und hastig einige Schlagzeilen. Es steht nichts, kein Wort der Warnung oder ein Kommentar des "X" bzw. seines Schuhputzers zum Seelentag. Schließlich, denn die Arbeit wartet nicht, wagt er es, zahlt die Konsumation und schiebt sich durch den Rauchschleier ins Freie. Im Augenwinkel eine Horde präpotenten, phantasielosen Unverstandes, aggressiv agierend durch das frühmorgendliche auferlegte Lauern am Straßenrand. Etwas nervös steigt er in den Wagen, fährt los; er reiht sich in den Verkehrsfluß problemlos ein, und schon ist's passiert und wird zur Seite gewunken. Schweißperlen auf der Stirn und in den Achselhöhlen treten aus; ein demonstrativ unschuldig wirkender Gesichtsausdruck mit nach oben gezogenen Brauen, fängt aber einen italienischen Gruß ein. Louis in patriotischer Selbstsicherheit erwidert mit einem "Grüß Gott, guten Morgen", von dem aber nur das nahe Hochplateau etwas hat; es wird ignoriert. Strahlt nun noch mehr Schleimigkeit aus, "patente e libretto" wird obligat verlangt, ohne ein "prego". Die Hoffnung in Louis ist groß, daß es sich nur um eine Routinekontrolle handelt, bekommt aber schon ein "cento mila" zu hören. Ist Opfer wegen verbotenem Rechtseinbiegen in die Hauptstraße, auf der sich obendrein auch noch ein durchgezogener Doppelstrich befindet. Die von ihm so gefürchteten armen Seelen sind wieder einmal drauf und dran, ein Stück seines Seelenheils zu entreißen. Schweigend und mit Groll nach Erklärungen suchend bleibt er im Auto sitzen, das Radio spielt Klassik; die Mühlen des Gesetzes nehmen ihren Lauf. Halb aus dem Fenster gelehnt schweift der Blick nach Nordost, wo sich Hänge mit Äpfel- und Rebkulturen befinden; betrachtet das Panorama, und die Vielzahl von Farben des Spätherbstes ihm Minuten der Entspannung geben. Die linke Ohrmuschel einer Geräuschkulisse aus quietschenden Bremsen, untertourig laufenden Motoren und Unschuldsbeteuerungen Gleichgesinnter ausgesetzt. Erfreut sich aber auch an denen, die unbescholten vorbeikommen, denn die ihre Tarnung hat Erfolg. Mit einem "mi raccomando" wird Louis aus seiner Zwangsmuse, der er aber mit Wonne frönte, geschreckt; "la prossima volta, cento mila!" Bekommt die Papiere von oben in den Wagen gereicht, "krazzie, la salutto" entspringt seinen verwunderten Lippen und schaut, daß er schleunigst davonkommt. |