"Hexen- und Zauberkrieg"

mit Bezug zu: "Nominalismusproblem", Samuel Salzborn

 

Wolfgang Behringer: "Der 'Bayerische Hexenkrieg'. Die Debatte am Ende der Hexenprozesse in Deutschland", in: "Das Ende der Hexsenverfolgung", hrsg. von Sönke Lorenz und Dieter R. Bauer, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1995, S. 287-313, Zitate S. 287ff.

 

"I. Literarische Impression von einem Konflikt

Als der junge Faustin, angelockt vom vermeintlichen Licht dieser Metropole der Aufklärung, nach München zieht, wird er in der Abenddämmerung Zeuge einer erschreckenden Szene: Eine Menge Volk, darunter Geistliche und Angehörige höherer Stände, war versammelt vor einem mittelmäßigen Haus, brüllte Drohun- gen und warf mit Steinen die Fenster ein. Erst nach dem Erscheinen des Militärs zerstreute sich die Menge. [...] Am nächsten Tag war der Vorfall Hauptgesprächsstoff in der Residenzstadt. In zwo Parteyen teilte sich der große und der kleine Pöbel, man schwadronierte pro und contra. Faustin fragte seinen Wirt, worum es denn eigentlich gehe. Und dieser zog sofort vom Leder: Viel zu gnädig ists abgelaufen; ganz niederreißen hätten sie's sollen, das Satansnest, und seinen Besitzer darunter begraben; denn er ist auch einer von den neugebaknen Aufklärern und Verbesserern und Vielwissern und Alleinklugen, kurz, einer von der Akademie und vom geistlichen Rath mit der weltlichen Bank. Er hat das Evangelium nach der neuen Orthographie zugedrechselt, will jetzt die Schulen reformieren [...] [Anm. 2: Johann Pezzl: 'Faustin oder das philosophische Jahrhundert', Zürich 1783, 27f.].

Der Aufklärungsroman Faustin oder das philosophische Jahrhundert, verfaßt von Johann Pezzl (1756-1838), dem sogenannten 'österreichischen Voltaire', widmet sich in mehreren Passagen bayerischen Verhältnissen. Sein Held Faustin geriet nach dem beschriebenen Vorfall natürlich in Zweifel über den Zustand der Aufklärung. Doch als er eine Schrift des berühmten Münchner Theatinerpaters Sterzinger entdeckte, erfaßte ihn von neuem das Vertrauen in den Sieg der Vernunft in seinem, dem philosophischen Jahrhundert. Als Faustin noch grübelnd spazierenging, kam ihm in einer Querstraße eben jener Gelehrte - Sterzinger - entgegen, und hinter ihm ein Haufen Leute drein, die aus vollem Halse riefen: 'Hexenstürmer! Höllenstürmer!' Aus allen Fenstern widerhallte es: 'Höllenstürmer'. Und den andern Tag erschienen zwanzig Pasquille gegen ihn.

[...]

II. Name und Bedeutung der Debatte

Nachdem in den ersten drei Monaten des Jahres 1767 nicht weniger als zwölf gedruckte Streitschriften erschienen waren, begann sich abzuzeichnen, daß hier etwas für das katholische Deutschland außerordentliches vor sich ging. Das Churbayerische Intelligenzblatt spottete bereits am 18. Februar 1767 über das ungewohnte Author-Fieber. Ähnliches hatte es zuvor noch nicht gegeben, und so bekam die Erscheinung einen Namen. Ein anonymer Anhänger des erwähnten Don Ferdinand Sterzinger (1721-1786), der die große Debatte ausgelöst hatte, sprach Anfang März 1767 von Hexereykrieg, und Gegner Sterzingers wie der Würzburger Prämonstratenser-Abt Oswald Loschert verwandten denselben Begriff, vermutlich war er in aller Munde [Anm. 7: Anonym = Oswald Loschert: 'Vorgängiger Versuch zur Erwirkung eines Vertrages zwischen den in dem bisherigen Hexereykriege verwickelten Gelehrten', Würzburg 1767]. Der aufgeklärte Augustiner-Chorherr Gerhoh Steigenberger (1741-1787) bezeichnete in einem Brief aus Rom an den Abt seines Heimatklosters Polling vom 11. März 1767 die Debatte als Guerres des Sorcières, in einem anderen Brief als Controversiae de magia ex Italia nunc in Bavariam translatae [Anm. 8: Richard van Dülmen: 'Aufklärung und Reform in Bayern I. Das Tagebuch des Pollinger Prälaten Franz Töpsl (1744-1752) und seine Korrespondenz mit Gerhoh Steigenberger (1763-1768)', in: ZBLG 32, 1969, S. 606-747 und 886-961]. Andere Zeitgenossen sprachen von Hexerey- und Zaubereystreit. Der Begriff 'Bayerischer Hexenkrieg' fällt erstmals 1776 in einer Zusammenstellung der Schriften für ein norddeutsches Publikum, die im Zusammenhang mit dem aktuellen Gassner-Streit - der nächsten großen Aufklärungsdebatte um Magie - herausgegeben wurde. Der süddeutsche Aufklärer Johann Pezzl, später Mitglied in Kaiser Josephs II. Bücherzensurkollegium, spricht in seinem Schlüsselroman Faustin oder das philosophische Jahrhundert, dem wir die einleitenden Zitate entnommen haben, von Hexen- und Zauberkrieg [Anm. 12: Johann Pezzl, a.a.O., S. 45].

Der 'Hexenkrieg' bildet einen bisher zu wenig beachteten Aktivposten jenes Innovationsprozesses, der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts das mentale und ideologische Klima im katholischen Deutschland veränderte. Er gehört zu den größten Aufklärungsdebatten im deutschsprachigen Raum. Ausgehend von München wurden binnen weniger Wochen Dutzende von Traktaten im ganzen katholischen Süddeutschland gedruckt. Monat für Monat inserierten die Buchhändler neue Schriften im offiziösen Churbayerischen Intelligenzblatt. Die Nachfrage danach schien nicht zu verebben, einige Schriften mußten mehrmals nachgedruckt werden. Bald wuchs die Anteilnahme über Süddeutschland hinaus. Von Hamburg bis Wien und von Zürich bis Prag nahm die kritische Öffentlichkeit Anteil".

 

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