Hans Wogau, "Unheimliche Nacht", Die Woche, Bd. 26, Heft 34 (30. August), 1924, S. 854f.

mit Bezug zu: Hans B. Wagenseil (Pseudonym)

Zeichnungen von Kirchbach.

Als in diskreter Mahnung die Lichter geblendet wurden, begann sich das Vestibül des großen Hotels langsam zu [sperren?]. Die Strahlenkegel, die aus der langen Front des komfortablen Wohnpalastes ihre Stollen in die Nacht trieben, brachen in berechenbaren Abständen einer nach dem anderen in sich zusammen, und statt ihrer hockte sich Dunkel in die Nischen. Endlich blickten nur noch zwei stete Lichte, von einer langen Zeile erloschener Fensterkreuze weit auseinander gerückt, hochmütig wie ein Auge, das sich von keinem Lid schließen lassen will, hinunter auf die asphaltspiegelnde Straße. Da die seichte [leichte?] Kunst den Lärm liebt und die breiteste Öffentlichkeit, so ist es längst kein Geheimnis mehr, wer das fünfzehnte Zimmer im ersten Stock bewohnt. Auch jetzt noch riefen den verspäteten Bummler Plakate und Lichtreklame den Namen in so schreienden Farben zu, daß er ihn im Gedächtnis tragen muß wie eine Karussellmelodie. Denn Juana Lazarraga* ist ein Varieté-Stern. Sie war irgendwie aus den Staaten gekommen und hatte einen frappierenden Apparat, Aufhebens von sich zu machen, mitgebracht. Ihre Nummer, geschickt zusammengestellt, begann beim Können einer Ballerina. Dann, den Nacken bis zu den Fersen hintenüber gebogen, zerschoß sie mit Hilfe einer vernickelten Trommelrevolvers sechs schillernde Glaskugeln, die über einer Fontäne tanzten. Sie sottierte [?] einen Cowboyritt. Kutschierte [...] sechs blütenweiße Araberhengste. Stand als vergoldete Göttin in Apotheose von Flammenwerfern in grellste Plastik gerückt und schoß mit einem sensationellen Absprung aus Masthöhe in ein eiförmig gebogenes Bambusgitter.

Wer jetzt eben hätte durchs Fenster sehen und im Ausdruck ihrer Augen lesen können, der würde nicht länger in Zweifel gewesen sein, auf welch edle Pfeiler sich die Macht ihrer Anziehungskraft und ihres Selbstbewußtseins stützte. In einer entzückend gedankenlosen Pose zurück in den Sessel gelehnt, ließ sie die Füße in das laue Naß eines Beckens baumeln, um sie vom Kerb des Drahtseils zu erholen, auf dem sie - mit beiden Händen das Sternenbanner schwingend - noch vor einer kurzen Weile über die Bühne balanziert war. Diese Beine waren es, über deren Schönheit die Zeitungen lange Berichte schrieben. Dies Stück Griechenland, demzuliebe manche Loge Abend um Abend das gleiche Profil zeigte und für das ein Strumpffabrikant in Chikago 5000 Dollar bezahlt hatte, um es auf seine Ware als Marke zu setzen.

Aber ihre Manie fraß heimlich immer tiefer. Bald gelangte sie dahin, daß ihrem Innersten jedes Lob als zu gering und Profanisierung erschien. ...

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* Den Namen "Lazarraga" verwendete Olga Zimmermann, verh. Reichel, als Tänzerin (s. Artikel Grete Lichtenstein).

Register der Überlieferung der Übersetzungen bis 1950
Personenregister (Übersetzungen etc.)
Adressregister
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