Grete Lichtenstein, geb. Reichel (1891-1948)

mit Bezug zu: Kurt Wagenseil, Hans B. Wagenseil

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In Gauting wuchsen die Wagenseilbrüder in der Villa an der Waldpromenade 4 auf, im Nachbarhaus wohnte die Familie Reichel, unter den Kindern der spätere Maler Hans Reichel und seine Schwester Grete Lichtenberg. Hans B. Wagenseil und Hans Reichel waren im gleichen Alter. Mindestens gingen sie gemeinsam 1904 auf die Realschule in Wasserburg am Inn im Landkreis Rosenheim. Alle drei besuchten im entsprechenden Alter das Café Stephanie, Wagenseil und Reichel lernten dort ihre Ehefrauen kennen und beide verweigerten den Militärdienst. Alle Personen gerieten hinein in die Ereignisse der Novemberrevolution 1918/19. Später wird Grete Lichtenstein von Kurt Wagenseil, dem Bruder von Hans B., als Nachbarin in Starnberg und gute Freundin von Ellen Wagenseil in den Jahren 1946-48 genannt. Ihre Biographie ist leider größtenteils unbekannt. Sie streift die Biographien und damit die Forschungsliteratur von Hans Reichel, Rainer Maria Rilke und Ernst Toller. Weiteren Kontext liefern u.a. die Schriften Oskar Maria Grafs und die Tagebücher Erich Mühsams.

In Gauting, the Wagenseil brothers grew up in the villa at Waldpromenade 4. The Reichel family lived in the neighbouring house, among the children the later painter Hans Reichel and his sister Grete Lichtenberg. Hans B. Wagenseil and Hans Reichel were the same age. At least in 1904 they went to secondary school together in Wasserburg am Inn in the district of Rosenheim. All three frequented some years later the Café Stephanie, Wagenseil and Reichel met their wives there and both refused military service. All of them were caught up in the events of the November Revolution of 1918/19. Later, Grete Lichtenstein is mentioned by Kurt Wagenseil, Hans B.'s brother, as a neighbour in Starnberg and a good friend of Ellen Wagenseil in the years 1946-48. Unfortunately, her biography is largely unknown. She touches on the biographies and thus the research literature of Hans Reichel, Rainer Maria Rilke and Ernst Toller. Further context is provided by the writings of Oskar Maria Graf and the diaries of Erich Mühsam, among others.

 

I. Forschungsliteratur Hans Reichel (papers about Hans Reichel)

(1) Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt: "Hans Reichel 1892-1958. Im Spannungsfeld von Bauhaus und École de Paris", 2005, S. 201: "1892[:] Hans Reichel wird am 8. August 1892 als zweites Kind [fechenbach.de: 1. Kind Margarethe*, genannt Grethe] des Vertreters der Stuttgarter Letterngießerei Bauer, Ernst Reichel, und seiner Frau Auguste [...] in Würzburg geboren. [...] 1899[:] Im Februar heiratet die Mutter den Kinder- und Zahnarzt Alfred Lichtenstein"; ebenda (vor 1904): "Grethe bekommt Klavierunterricht von der Pianistin Lily Klee, der Frau Paul Klees"; S. 202: "1915[:] Im Januar heiratet er [Hans Reichel] die in Spanien geborene und aufgewachsene Olga Zimmermann**, die er im Café Stephanie kennengelernt hat, und zieht mit ihr nach Schwabing in die Giselastraße. Die Eltern entziehen ihm die finanzielle Unterstützung"; S. 202 (vor 1918): "Reichel wohnt mit Olga, die abends im Cabaret Benz*** unter dem Namen Lazarraga**** als spanische Kastagnettentänzerin auftritt, in einer Atelierwohnung in der Blütenstraße 3. Er kritisiert in einem Brief an Ret Marut dessen neu herausgegebene Zeitschrift 'Der Ziegelbrenner'*****"; S. 202 ([1919]): "Reichel lernt Rainer Maria Rilke kennen, mit dem seine Schwester befreundet ist. Sie beherbergt im Mai Ernst Toller"; S. 208 (vor 1950 [1948]): "Es stirbt in Starnberg seine Schwester Grethe. Reichel tritt sein Erbe an Olga ab".

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Es gibt mehrere Trägerinnen dieses Namens, z.B. "Margarete Lichtenstein (geb. Kantorowicz, 1888-1939)[,...] die Schwester des Historikers Ernst Kantorowicz. Ihre Schwester Sophie war mit dem Nationalökonomen Arthur Salz verheiratet. Arthur Schnitzler: Tagebuch 1920-1922, Wien 1993, S. 442" (George-Jahrbuch, Band 11, 2016/2017, S. 256). Grete Ly (1885-1942) wurde als Grete Lichtenstein in Beuthen geboren. Die Soubrette, Schauspielerin und Filmproduzentin ist bekannt für ihre Arbeit an "Menschen" (1920), "Sturm" (1920) und "Todesurteil" (1919). Stolpersteine erzählen von Grete Lichtenstein, geb. Smetana (1911-1958) in Graz, Margarethe Lichtenstein, Tochter von David und Bertha, in Magdeburg (ermordet nach dem 14. April 1942 im Ghetto Warschau), Datenbanken listen Margarete Lichtenstein, geb. Seligsohn, aus Berlin-Wilmersdorf (geb. 08.02.1872; ermordet am 01.09.1942 in Theresienstadt) und Margarethe Lichtenstein, geb. Braun (geb. 26.06.1872; ermordet nach dem 18.03.1943 in Terezín).

** Die Hochzeit mit Olga Zimmermann, "eine[r] frühere[n] Tänzerin aus Malaga", war nach anderer Quelle erst 1916 (Dirk Heißerer: "Wo die Geister wandern. Literarische Spaziergänge durch Schwabing", München: Beck 2017).

*** Josef Friedrich "Papa" Benz, geb. am 19. Oktober 1863 in Gengenbach, gest. am 9. Februar 1928 in München, "war ein deutscher Opernsänger (Tenor), Gastwirt, Kabarettdirektor und Bohèmevater"; "1900 zog er sich jedoch von der Bühne zurück und gründete das Café Benz in der Leopoldstraße 50 in München. Dort traten u. a. Elise und Julius Beck, Liesl Karlstadt und Karl Valentin auf. Verheiratet war er mit der Sängerin Mathilde Benz (1880-1967), seine Tochter war die Schauspielerin Lee Parry (1901-1977)" (WP 2023 unter Bezug auf Gunna Wendt: "München, Leopoldstraße 50: Café Benz", literaturportal-bayern.de).

**** Unter dem Pseudonym "Hans Wogau" veröffentlicht Hans B. Wagenseil 1924 in "Die Woche" eine Kurzgeschichte "Unheimliche Nacht", in der es um den "Varieté-Stern", die Hochseilkünstlerin Joana Lazarraga geht.

***** Für den "Ziegelbrenner" [archive.org] findet sich eine Werbung auf der letzten Seite der zweiten Ausgabe der "Süddeutschen Freiheit", vom 25. Nov. 1918, Schriftleitung Hans B. Wagenseil, unter dem Schluss eines Texts "Der Tod des Colonel Clarmont", gezeichnet "Wagenseil": "Es dämmert der Tag Der neue Ziegelbrenner ist da!".

 

(2) Helmut Friedel, Justin Hoffmann: "Süddeutsche Freiheit. Kunst der Revolution in München 1919", München: Lenbachhaus 1993, S. 34: "Rilke war nach Aussage Felix Klees mit Reichels Schwester Grete Lichtenstein befreundet".

(3) Raph Friedman: "Life of a Poet. Rainer Maria Rilke", Evanston / Illinois: Northwestern University Press 1996, S. 413: "There [in the Alberti House] he [Rilke] met Grete Lichtenstein, a member of the art circle who attached herself to Rilke. Their warm friendship, which would last until his departure for Switzerland nearly three years later, began with an invitation in his apartment and continued with many exchanges of letters and visits during the following months".

(4) Bei Brassaï: "The Artists of My Life", New York City: Viking Press 1982, S. 190, heißt es aber ("May 1928"): "Reichel's wife was a violinist, and Grete, her [sic!] elder sister, was studying piano with Klee's wife".

Brassaï erinnert sich wahrscheinlich nicht richtig. Die Begegnung war wahrscheinlich erst 1929, und Grete ist die Schwester von Hans Reichel (vgl. Deborah L. Browning: "The Scandal and Betrayal at Stade Colombes. The September 1939 Internment of German-Speaking Men in France", in: "French Politics, Culture & Society", Vol. 40, No. 3, Winter 2022, S. 1-27, insb. S. 3f.).

(5) Kunsthaus Lempertz: Künstlerverzeichnis, 2020: "Hans Reichel wurde am 9. August 1892 in Würzburg geboren. Seine Kindheits- und Jugendjahre waren von privaten wie politischen Unruhen geprägt: Die Eltern trennten sich bereits zwei Jahre nach der Geburt des Malers, der leibliche Vater starb 1897, worauf die Mutter eine kurzzeitige Ehe mit einem Ingenieur einging, nach deren baldiger Scheidung sie einen Zahnarzt heiratete. Hans Reichel fühlte sich schon früh zur Kunst hingezogen, schwankte aber zwischen Literatur und Malerei. Noch während seiner Schulzeit entdeckte er außerdem die Natur als wichtige Inspiration. Nach einer befristeten Tätigkeit als Reiseleiter in Ägypten beschäftigte er sich in München mit der Literatur der Romantik, verdiente seinen Unterhalt durch das Abfassen von Feuilleton-Artikeln und konnte aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen der Verpflichtung zum Militärdienst entgehen. Als Beruf gab er in dieser Zeit Schriftsteller an, doch kurz nach seiner endgültigen Entlassung aus der Armee besuchte er die Malschule von Hans Hoffmann [eigentlich: Hans Hofmann]. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits mit Olga Zimmermann verheiratet, von der er sich 1928 wieder trennte. [...]

Nachdem [Paul] Klee Lehrer am Bauhaus in Dessau geworden war, vermittelte er seinem Freund Reichel auch die Bekanntschaft mit Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger und Walter Gropius. Zeitweilig wurde Hans Reichel mit Festungshaft belegt, weil er dem polizeilich gesuchten linkssozialistischen Revolutionär Ernst Toller Unterschlupf gewährte. Nach seiner Entlassung trieb Reichel seine Malerlaufbahn voran und unternahm Reisen nach Italien und in die Schweiz, unter anderem mit dem befreundeten Maler Carl Holty und dessen Frau Tootie*; an seinem Verhältnis zu Tootie zerbrach die Ehe mit Olga***."

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Stiftung Moritzburg, a.a.O., S. 203f.: "1927[:] Er befreundet sich mit Carl Holty und dessen Frau Tootie. [...] 1928: Zu Ostern hält sich Reichel gemeinsam mit Carl und Tootie Holty drei Wochen in Orselina auf". Carl Robert Holty (geb. 1900 in Freiburg im Breisgau; gest. 22. März 1973 in New York City) war "ein deutschstämmiger amerikanischer abstrakter Maler" (WP, 09.03.2023), nach dem Aufwachsen in Milwaukee, dem Studium an der Art Institute of Chicago und der Parsons School of Design in New York, heiratete er 1925. Das Paar ging nach München. Der Freund Vaclav Vytlacil** überzeugte Holty, "der 'Schule für Bildende Kunst' von Hans Hofmann beizutreten", "[n]ach dem Tod seiner Frau 1930 zog Holty nach Paris".

** "Vaclav Vytlacil was an American artist and art instructor, and was among the earliest and most influential advocates of Hans Hofmann's teachings in the United States. Vaclav '"Vyt' Vytlacil was born in New York City to Czech immigrant parents on November 1, 1892. [...] He also spent time in Europe, working as an assistant to Hans Hofmann and studying the Cubist movement" (WP, 09.03.2023). Virginia M. Mecklenburg: "Artist Vaclav Vytlacil. Born New York City 1892 - died New York City 1984", "The Patricia and Phillip Frost Collection. American Abstraction 1930-1945", Washington, D.C.: Smithsonian Institution Press for the National Museum of American Art 1989, americanart.si.edu: "Vytlacil saved enough money to go to Europe in 1921. He hoped to study [Paul] Céanne's paintings and the work of Old Masters. He spent a month in Paris, then went to Prague (his parents were Czechoslovakian). He toured Dresden, Berlin, and Munich. [...] In Munich, Vytlacil enrolled at the Royal Academy of Art, where Worth Ryder and Ernest Thurn were fellow students. When Thurn left the Academy for Hofmann's school, Vytlacil soon followed [3: Lawrence Campbell, 'Introduction. Vaclav Vytlacil: Paintings and Constructions from 1930', Montclair, N.J.: Montclair Art Museum, 1975, S. 3]. Vytlacil worked with Hofmann throughout the mid 1920s, first as a student, and subsequently as a teaching assistant. With Thurn, he organized Hofmann's 1924 summer school on the island of Capri. The contact with Hofmann made Vytlacil reconsider his own artistic approach. 'More and more I realize that drawing is the bottom of it all and to paint without being able to draw leads only to grief.' [4: Vytlacil, letter to Elizabeth Foster, January 1925, Vytlacil Papers, Archives of American Art, roll D-295: 288] Vytlacil returned to the United States in 1928".

*** Die These, Hans Reichel hätte etwas mit Tootie gehabt, ist wahrscheinlich falsch: "The 1928 work was painted while Reichel's marriage was falling apart and he was on an extended visit from Munich to Orselina, where he was staying with his friends, the American painter Carl Holty and his wife, Tootie, who was being treated for tuberculosis at the same Kurhaus Victoria that Klee would visit during his final illness" (Deborah L. Browning: "The Scandal and Betrayal at Stade Colombes. The September 1939 Internment of German-Speaking Men in France", in: "French Politics, Culture & Society", Vol. 40, No. 3, Winter 2022, S. 1-27, Zitat S. 8).

 

(6) Deborah L . Browning: "Life and Death in Sublimation. The Artistic Survival of Hans Reichel in World War II France", in: American Imago, Volume 75, Number 4, Winter 2018, S. 563-609, insb. S. 569f.: "Johannes Reichel was born in Wuerzburg, Germany in 1892, a second child, with a sister one year older. His father, an alcoholic, left the family to move in with his own mother when Reichel was 18 months old. Soon afterward, Reichel's mother took the children to Munich where she moved in with a new man and gave birth to a third child. Over the course of the winter of 1897, when he was five and a half, Reichel's grandmother, birth-father, and new baby sister all died - in his father's case, from alcoholism. We often make inferences about the impact of death on children; here with three, one from each generation, hypotheses about the trauma of loss may abound. Reichel's mother then left the deceased baby's father in order to marry a well-respected Munich pediatrician. [...] Along with his sister, Reichel participated in the exuberant cultural life of the Munich suburb of Schwabing, becoming a regular at the well-known Café Stephanie".

Abb.: Fotografie von Olga Reichel 1925. Fig.: Photography of Olga Reichel in 1925. Courtesy of Deborah Browning-Schimek; copyright, Hans Reichel Project, LLC.

(7) Henk van Gelre: "Hans Reichel 1892-1958", in: "Raam", Jaargang 1966, nr. 30, S. 35ff. Übersetzt aus dem Niederländischen: "Was ist mir von ihm in Erinnerung? Er war klein und stämmig mit dicken Tränensäcken unter den Augen. Und lange Arme. Was mich jedoch besonders besessen hat, war die seltsame, abwesende Art, in der er sprach, solange er malte. Hat er mit mir gesprochen? Immer wieder erweckte er den Eindruck, mit sich selbst eine Art Monolog zu führen, einen Monolog, der aus einem ununterbrochenen, halb gemurmelten Kommentar zum vorliegenden Werk bestand. - Erst viel später verstand ich, dass seine ganze Arbeit ein 'Gespräch' mit sich selbst war, das - sicherlich nachdem er seine eigene 'Stimme' gefunden hatte - keiner anderen Kontakte mehr bedurfte. Es war eine seltsame, bedrückende Situation. Sein Atelier war kaum größer als eine Mönchszelle, und die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Wasserfarben bedeckt, was dem Atelier den Eindruck eines großen Gemäldes vermittelte, das aus Dutzenden kleinerer Gemälde zusammengesetzt war. [...] Niemand sonst hatte Zugang zu der Welt, in der Reichel lebte. In der Welt, die wir Gesellschaft nennen, war er dazu verdammt, die Rolle eines Narren zu spielen... [...] Sobald er den Pinsel in die Hand nahm, ging es nur noch ums Übersetzen. [...] So widersprüchlich das auch erscheinen mag, dieser engelhafte Mensch war besessen. Sein verzauberter Garten, der scheinbar von keiner Gefahr bedroht war, wurde tatsächlich von einem schlafenden Vulkan untergraben, der sogar unter dem klarsten Himmel ausbrechen und Lava und Asche ausspucken konnte ... Man konnte es nie wissen! Ohne Übergang oder Omen und ohne ersichtlichen Grund - ein Glas oder gar einen Tropfen zu viel? - Die Menschen waren bereits in einen Kampf auf Leben und Tod mit ihrem Dämon verwickelt. Alle Freunde Reichels haben diesen Dämon gekannt und gefürchtet. [...] Zweifellos hatte Reichel sein Geheimnis. Er, der oft so kommunikativ wirken konnte, hat sich in Wirklichkeit niemandem geöffnet. Er sprach nie über seine Vergangenheit, und dieser ganze Teil seines Lebens bis zu seiner Zeit in Paris blieb selbst für seine engsten Freunde in Dunkelheit gehüllt. Er sprach weder von seiner Frau noch von dem Haus, das er in Bayern zurückgelassen hatte. Auch nicht über seine Eltern, seine Kindheit und Begegnungen mit Klee, Rilke und Kandinsky. [...] Doch kaum vier Jahre alt verlor er [Reichel] seinen Vater, dessen Selbstmord sein Leben für immer überschattete. [...] Das Internat in Wasserburg lag oberhalb des Inntales. In jeder freien Minute eilte er durch die engen Gassen der mittelalterlichen Stadt zu den ausgedehnten Wäldern, die den Fluss säumten. Dort stand er stundenlang über das fließende Wasser gebeugt, unter dessen Spiegel er jene wunderbare Welt der Fische und Pflanzen entdeckte, von der er später in seinen Aquarellen erzählen sollte. [...] Seine Frau Olga, von der sich Reichel später scheiden ließ, war eine schlanke Blondine mit etwas rauer Stimme. Sie war sehr temperamentvoll und neigte zu Heftigkeit. Wenn sie Geige spielte, brach sie vielleicht mitten in einem Arioso ab, weil ihr plötzlich etwas Unangenehmes einfiel oder sie sich über einen Stuhl oder eine Vase im Zimmer ärgerte, die nicht gut stand. Sie war entweder sehr beschwingt oder ausgesprochen deprimiert. Im letzteren Fall empfand Reichel ihre Anwesenheit als ständige Bedrohung. [...] Reichel, der unter den deutschen Romantikern besonders Hölderlin und Novalis verehrte, hatte deren Poesie im Blut. [...] Nach einem kurzen Aufenthalt in Weimar lernte Reichel auf einer Reise ins Tessin einen ehemaligen Schulfreund kennen, der eine Amerikanerin geheiratet hatte. Sie wurde die große Liebe seines Lebens, aber ihr Glück war nur von kurzer Dauer, denn sie starb bald*. Auf der Suche nach sich selbst reiste er nach Italien, Algier und Paris [...]".

Mit Dank an Deborah L. Browning für ihre Hinweise.

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Diese Angaben sind teilweise falsch, siehe hier unter (5), Anmerkung ***. Zusätzlich war Holty kein Schulfreund von Reichel. Sie lernten sich erst in der Malausbildung bei Hofmann kennen.

 

(8) Zu Hans Reichel und Henry Miller vgl. Anaïs Nin: 'Diaries', Auszüge / Excerpts.

(9) Gerhard Weber: "Hans Reichel. Malerpoet der kreisenden Sonnen", in: "Herzattacke" 1/1992, hrsg. von Maximilian Barck, IV. Jahrgang, Berlin, S. 9-15.

S. 9: "Ursprünglich hatte er Schriftsteller werden wollen, entschied sich dann aber im Künstlerviertel Schwabing für die Malerei und zwar bei Hans Hofmann, der später in den Staaten als 'Meister der kontrollierten Explosionen' galt. Im Grunde war Reichel Autodidakt: nie besuchte er eine Akademie. Zu einer Zeit, da nach dem zweiten Weltkrieg in Paris die abstrakte Malerei Mode wurde, sagte er: "Ich ahme nicht die Form einer Blume nach - sondern ich schaffe sie als Ecriture. Also ich schreibe eine Blume.'".

S. 10: "Lassen wir Ernst Toller erzählen. '[...] Endlich, am Abend, ist eine junge Frau bereit, mich für eine Nacht in der Wohnung ihrer Eltern zu beherbergen.' Sie ruft Rilke herbei, in der Hoffnung, der Dichter könne Toller verstecken. Rilke erklärt, bei ihm habe die Polizei schon zweimal das Haus durchsucht, Detektive hätten beim Photographen eine Mappe gefunden mit seinem eigenen neben Tollers Bild, was Anlaß zu neuer Verfolgung gewesen sei. 'Endlich', sagt Toller, 'ist ein Mensch bereit, mich aufzunehmen, der Maler Lech.' (Offensichtlich ist das Reichel, die letzten vier Buchstaben von hinten gelesen.) [...] Der Maler Lech wohnt in einem Gartenhaus Schwabings. Drei Wochen bleibe ich dort verborgen. [...]'".

S. 12f.: "Bereits 1914 hatte man Reichel, den Kriegsdienstverweigerer, für drei Monate inhaftiert und von 1940-1944 wurde er von den Franzosen als deutscher Staatsbürger interniert. [...] In einem der ersten Briefe aus dem Jahre 1939 schreibt er auf französisch: 'Ich bin völlig desinteressiert an allen politischen Fragen.' Auf deutsch notiert er: 'Vor mir sitzt eine weiß-schwarze Katze und sagt nix. Goldig! Innerlich vertrage ich alles schlechter, als ich dachte.' Er beobachtet das 'Sternbild des Orion, den ich den Ring des lieben Gottes getauft habe". Er träumt von 'Heu und Quelle, von einer Morgenblume und einem Vogelruf'. Um vier Uhr morgens sieht er 'die Mondsichel wie eine zarte Schale an einem riesigen Stern hängen'; er beschreibt, wie die Sonne auf- und untergeht, "dunkelrot-braungrau ... schwefelgelb ... lichtblau'. Er beschwert sich über den 'Lärm von Menschen, Holzschuhen, Radio, Streit', läßt uns am 30.7.42 wissen, 'mir geht es gut. Ich male den ganzen Tag ... ein Bilderbuch für jung und alt'. (Es sind die Aquarelle, die nach Reichels Tod unter dem Titel "Camp de Gurs" in Buchform erscheinen.)".

 

II. Forschungsliteratur Rainer Maria Rilke (papers about Rainer Maria Rilke)

(1) Klaus E. Bohnenkamp: "Hugo von Hofmannsthal, Rudolf Kassner und Rainer Maria Rilke im Briefwechsel mit Elsa und Hugo Bruckmann 1893-1941", Göttingen: Wallstein, 2014, S. 644: "293. Caroline Fürstin Cantacuzène an Rilke, in München [...] 15. Mai 1918[:...] Frau König [...] für den schönen Abend gedankt", S. 645, Anm. 3: "Fürstin Caroline Cantacuzène* bezieht sich möglicherweise auf den Leseabend des 13. Mai in der Wohnung Hertha Koenigs, im 3. Stock des Hauses Leopoldstraße 8, zu dem Rilke auch Grete Lichtenstein und Wilhelm Hausenstein gebeten hatte, um 'dort im Saal, in dem die Picasso-Bilder hängen, einige Gedichte von Alfred Wolfenstein zu lesen' (Rilke-Katalog, S. 223, Rilke-Chronik, S. 592). Am '10. May' teilt er auch Erwein von Aretin mit: 'Am Montag Abend lese ich im Picasso-Saal bei Frau König einige Gedichte von Wolfenstein. Frau König hätte Freude, Sie bei dieser Gelegenheit bei sich zu sehen und ich bitte Sie herzlichst zu kommen (etwa 3/4 9, nach dem Essen)' (Rilke - Aretin, S. 82). Wolfenstein selbst schreibt am 2. Januar 1927 in seinem Kondolenzbrief zu Rilkes Tod an Anton Kippenberg: '...bei Frau König veranstaltete er einen Vorlesungsabend, an dem er meine Gedichte las' (Rilke-Katalog, S. 224)".

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Fürstin Caroline von Cantacuzène, "geb. Gräfin von Střitež (Mutter)" (Klaus E. Bohnenkamp: "Hugo von Hofmannsthal, Rudolf Kassner und Rainer Maria Rilke im Briefwechsel mit Elsa und Hugo Bruckmann 1893-1941", Göttingen: Wallstein 2014, S. 686), "1842-1920" (Bernhard Blume: "Rainer Maria Rilke. Briefe an Sidonie Nádherný von Borutin", Berlin: Insel 1973, S. 367) ist Mutter von Elsa Bruckmann-Cantacuzène (1865-1946).

 

(2) Ingeborg Schnack: "Rainer Maria Rilke. Chronik seines Lebens und seines Werks 1875-1926", erweiterte Neuausgabe hrsg. von Renate Scharffenberg, Frankfurt: Suhrkamp / Insel 2009.

S. 1147: "Lichtenstein, Grete ([gest.] 1948), gehörte teilnehmend zum Münchner Kunstleben, ohne selbst künstlerisch hervorzutreten 539f., 563, 567, 578, 592, 602, 611, 635".

S. 539 (1916): "1. Oktober: Beginn des freundschaftlichen Umgangs mit Grete Lichtenstein, die zum Münchner Kunstleben gehört, ohne selbst produktiv zu sein.

10. Oktober: Alfred Wolfenstein liest in der Buch- und Kunsthandlung von Hans Goltz in der Briennerstraße 8 auf einem von deren 'Abenden für neuere Literatur'. R., der Grete Lichtenstein 'zur Teezeit' besucht hat, ist unter den Zuhörern.

11. Oktober: R. lädt Grete Lichtenstein für Freitagabend um neun Uhr zu sich ein, Wolfenstein werde lesen: 'ich hoffe, ich bringe W. dazu, uns auch noch Einiges Seine besser zu lesen, als er's am gestrigen Abend gethan hat. Schließlich war ich doch sehr unzufrieden, wenn ichs nachträglich bedenke.' R. hat 'Ernsthaftes und Schönes' erhofft."

S. 563 (1917): "18. August: Der Fürstin Taxis berichtet er von Böckel, den Nachbargütern und den Nachbarn, 'meistens Geschwister einer zahlreichen Generation Ledebur, deren ich einige Schwestern von früher kenne', ein Bruder ist mit einer Prinzessin Solms verheiratet, die R. besonders schätzt. Er schließt: 'Ich habe inzwischen noch einmal aus Wien gehört, daß ich sehr gut gethan habe, in Deutschland zu bleiben, das tröstet mich ein wenig, sooft ich mir Lautschin vorstelle...' 'Auch für mich war hier... das lebendigste Ereignis -: Beeren, warme oder thaunasse Himbeeren und Stachelbeeren aus den beständig hervorbringenden Sträuchern zu holen', heißt es an Grete Lichtenstein nach Ebenhausen: 'Für dieses Vergnügen reicht die Spannkraft meines Herzens gerade noch aus.'

S. 567: "[vor dem 28. September:] An Grete Lichtenstein nach München berichtet R.: 'Ich habe außer den sich nur in Abständen sich ergänzenden oder wechselnden Hausgenossen, fast niemanden gesehen... Auch Lektüre spielt gerade keine große Rolle, ein biologischer bedeutender Aufsatz im Augustheft der 'Rundschau' hat uns viel beschäftigt [= Adolf Koelsch 'Der Einzelne und das Erlebnis'], sonst liegt Goethe zwischen uns aufgeschlagen; gestern abend las ich im kleinen, gut verständigten Kreise die 'Pandora', und war wieder einmal ganz erfüllt von dem außerordentlich sicheren und glücklichen Vermögen dieser kleinen, aus dem Vollen wirkenden Dichtung...'"

S. 578: "'Weihnachten': An Grete Lichtenstein: 'es ist noch nicht der [...] Angelus Silesius, den ich mir seit einem Jahr für Sie gewünscht hab[...,] aber mindestens eine Station auf dem Wege, Ihnen einen zu finden.' In der Nachschrift heißt es: 'Die Lotte Pritzel-Puppen sind erstaunlich diesmal, wirklich mehr als alle früheren, auf eine unsagbare Art [...] irgendein Unbeschreibliches mehr. Nicht? Und die Glasbilder im '[...]' nicht zu vergessen!'"

S. 592 (1918, "München: Ainmillerstraße 34 IV"): "Am 8. Mai bezieht R. seine Wohnung in der Ainmillerstraße 34 IV in München, wo ihn seine Haushälterin Rosa Schmid versorgt. [...] Für den 13. Mai lädt R. Grete Lichtenstein und Wilhelm Hausenstein in die Wohnung von Frau Koenig ein, Leopoldstraße 8: 'Nun trifft es sich so, daß ich am Montag Abend dort im Saal, in dem die Picasso-Bilder hängen, einige Gedichte von Alfred Wolfenstein zu lesen gedenke' - Wolfenstein ist Herausgeber des Jahrbuchs 'Die Erhebung'."

S. 602: "15. Oktober: Im Zusammenhang mit der kritischen politischen Lage schreibt R. an Grete Lichtenstein: 'Sie werden schon wissen, daß das gestrige Gerücht, das in den Abendstunden überall verbreitet war, sich nicht bestätigt hat? Muß ich mich meiner Leichtgläubigkeit schämen? Man hätte es so gern geglaubt. Aber wenn es auch nur aus dem allgemeinen Wunsch und der Spannung dieser Tage hervorgebrochen war, vielleicht darf man doch sagen, daß es in der Luft liegt und mit Rückhaltung hoffen...' Anfang Oktober ist das Waffenstillstandsangebot der deutschen Regierung an Präsident Wilson abgegangen (3./4.10.18)."

S. 611: "24. Dezember: R. schenkt Grete Lichtenstein [München, Giselastraße 2] die 'große vollständige Ausgabe der 'Carolinen-Briefe''; er sagt dazu: 'Mir sind sie immer besonders tröstlich und gut gewesen, im Lesen sowohl wie in der längeren Nachwirkung...'"

S. 635 (1919, "Anfänge in der Schweiz"): "11. Juni: An Grete Lichtenstein schreibt R. am 14.3.1921: 'Wie lange, wie lange seit jenem Juny-Tag, da ich frühmorgens München verließ, mit einer Erlaubnis für 10 Tage(!); im Zuge traf ich Anne-Marie Seidel, die mir durch ihre Protektion über die Grenze half...' Durch die Bekanntschaft Anne-Marie Seidels, damals Schauspielerin an den Münchner Kammerspielen, mit dem Bezirkshauptmann in Lindau, Dr. Rolf Schreiber, ist es ihr möglich, R. zu einem fehlenden Grenzdokument zu verhelfen."

 

III. Forschungsliteratur Ernst Toller (papers about Ernst Toller)

(1) Frederik Steven Louis Schouten: "Ernst Toller. An Intellectual Youth Biography, 1893-1918", Florence: European University Institute 2008, S. 120f.: "In his autobiography Toller writes that he established contact with 'friends' in Munich, including a girlfriend, but he does not mention any names. Dove suggests that this girlfriend was Grete Lichtenstein, but it is difficult to trace the source on which he relies [456: Dove, He was a German <1990>, 27. It is not impossible that this girlfriend was Sophie Steinhaus instead; in any case, if indeed we are dealing with Lichtenstein, as Dove writes, then her father might have been Max Lichtenstein*, a local doctor and dentist who lived in the Eiselzstrasse 21-T, see: Handelskammer München (HkM) (ed.), Adreßbuch für München und Umgebung 1917, hergestellt nach dem Stande vom 31.Okt 1916 (Munich, 1917).]. Toller also writes that he esteemed contact with these 'friends' [457: Toller, GW, IV, 75] which might point to intimate contacts and sincere horizontal bonds of fraternal community [458: Toller also had a relative residing in Munich, in the Klenzestrasse 41-II, e.g. Else (Rosalie) Toller, a sister of Willy Toller and daughter of Josephine and Max Toller from Memmingen (chapter 2, footnote 1; chapter 5, footnote 10). As the only relative in town (who also had warm thoughts about Toller), we may assume that Toller took up contact with her after his arrival in Munich and it may have been in this way that he also met Netty Katzenstein, Else's cousin and an intimate friend of Toller by 1918 (chapter 2, footnote 1). See: HkM (ed.), Adresbuch (1917); HStAM, IV, Personalakte Willy Toller.]. Most of these bonds, as we shall later see, were moulded by the 'secret' of the war, and centred on the need to find new values in a world that had been severly uprooted by the war." (GW = "Gesammelte Werke", ed. John M. Spalek u. Wolfgang Frühwald, Frankfurt a/Main 1978).

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Diese These ist irrig. Der zitierte Autor ist leider nicht über die Forschungsliteratur zu Hans Reichel gestolpert. Grete hatte den Nachnamen des (eigentl. dritten) Ehemanns ihrer Mutter, des Kinder- und Zahnarztes Alfred Lichtenstein, angenommen (Stiftung Moritzburg, a.a.O., S. 201).

 

(2) Den Kontext stellt der Artikel Wolfgang Frühwald: "Der Traum von einer besseren Welt. Zum 75. Todestag des Dramatikers Ernst Toller", in: "Stimmen der Zeit" 139 (2014), Herder Verlag, S. 363-372, dar: "Im Münchner Stadtteil Schwabing steht im Park der Katholischen Akademie das kleine Schloss Suresnes. In den Jahren 1716/18 - nach dem Vorbild des Château de Suresnes bei Paris - erbaut für Franz Xaver Ignaz von Wilhelm, den vertrauten Kabinettsekretär des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel, spiegeln sich in seiner wechselvollen Nutzung 300 Jahre der Stadtgeschichte Münchens. [...] Das Schlösschen an der Werneckstraße blieb bis 1756 im Besitz der zuletzt hoch verschuldeten Familie Wilhelm und wechselte dann achtundzwanzigmal den Besitzer, ehe es im Jahr 1937 vom Korbiniansverein der Erzdiözese München und Freising erworben und nach Bombenschaden und Wiederaufbau 1969 der Katholischen Akademie zur Nutzung überlassen wurde. [...] In den in Atelierwohnungen unterteilten Räumen arbeiteten Musiker wie Christian Lahusen, der Kapellmeister und Komponist an den Münchner Kammerspielen war, der Komponist Harburger und im ersten Stock der Maler Hans Reichel, neben dessen Wohnung Paul Klee einen Atelierraum gemietet hatte. [...] Nur wer die Daten von Levinés Prozess und Hinrichtung neben die Daten der Verhaftung Tollers stellt, wird eine Ahnung von der aufgeregten und brutalisierten Atmosphäre dieser Tage bekommen. Tollers Versteck im Schloss Suresnes, wo er seit Mitte Mai Unterschlupf gefunden hatte, wurde am 3. Juni in einer schriftlichen Denunziation bei der Polizeidirektion München sehr genau beschrieben. So umstellten am nächsten Tag, gegen 4:00 Uhr morgens, berittene Polizei und Soldaten das Haus an der Werneckstraße. Um 4:30 Uhr wurde Toller bei einer Durchsuchung der Wohnung von Hans und Olga Reichel hinter einer Tapetentüre entdeckt und verhaftet. Die Vorführungsnote zu seinem ersten Verhör ist datiert: "München, den 4. Juni 1919. Vormittags 5 Uhr 45 Minuten."

(3) Laut E. J. Gumbel: "Vier Jahre politischer Mord", Berlin-Fichtenau: Verlag der neuen Gesellschaft 1922, S. 104f., wurden im Kontext der Münchner Räterepublik 1919 festgenommen: "24. Hans Reichel, Beihilfe z. Flucht Tollers, 4 Mon. Festung", "23. Frau Reichel, Beihilfe z. Flucht Tollers, 2 Mon. Festung", "E. Trautner, Beihilfe z. Flucht Tollers, 5 M. Gefängnis", gemeinsam mit "30. Erich Mühsam, Propagandist, 15 J. Festung", als "Militärs der Räteregierung" u.a. "4) Ernst Toller, Kommand. im Abschnitt Dachau, 5 J. Festung"; "[d]emnach sind gegen die Anhänger der bayrischen Räterepublik Strafen von insgesamt 616 Jahren Einsperrung verhängt worden".

Die Haftzeiten nutzt Ernst Toller literarisch und vollendet bereits im Februar und März 1918 in der Haft des Militärgefängnisses das 1917 begonnene Stück "Die Wandlung. Das Ringen eines Menschen" (EA 1919; Potsdam: Gustav Kipenheuer 1922, ds.ub.uni-bielefeld.de, S. [2]), dann nach der Niederschlagung der Räterepublik in der Haft vom 3. Februar 1920 bis 15. Juli 1924 u.a. "Masse-Mensch. Ein Stück aus der sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts" (EA 1921; Potsdam: Gustav Kiepenheuer 1922, digitale-sammlungen.de, S. 6: Vorwort zur 2. Auflage, "Festung Niederschönenfeld, Oktober 1921"), außerdem "Die Rache des verhöhnten Liebhabers" (1920), "Deutsche Revolution" (1921), "Bilder aus der großen französischen Revolution" (1922), "Die Maschinenstürmer" (Leipzig, Wien, Zürich: Tal 1922, archive.org), "Der deutsche Hinkemann" (EA 1922; archive.org: Potsdam: Gustav Kiepenheuer 1925), "Der entfesselte Wotan" (1923).

Siehe auch Erich Mühsam, Niederschönenfeld: "Eine Chronik in Eingaben", 1924 (über Ernst Müller-Meiningen, "Pimperl Wichtig").

 

IV. Kontextualisierung der Wagenseil-Brüder I (context: Wagenseil brothers I)

(1) Am 7. Feb. 1949 erwähnt Kurt Wagenseil gegenüber Henry Miller den Tod der Schwester des Malers Hans Reichel, "who lived in the house next to ours in Starnberg [...]. She was a great friend of Ellen". Zuvor war Kurt im Sommer 1938 aus dem englischen Exil zurückgekehrt und in der Georgenstraße 40 untergekommen, im Schwabinger Bohème-Viertel, im Gebäude der 1934 geschlossenen "Münchner Expressionistischen Werkstätten" von Hans Hofmann, wo Gretes Bruder Hans Reichel seine Malausbildung erhielt. Der wiederum besuchte mit Hans B. Wagenseil gemeinsam die Schule und beide schlossen sich 1918/19 der revolutionären Bewegung in München an. Oskar Maria Graf, der 1920 die Presseabteilung der Malschule machte (vgl. Adressregister: "Brief der Münchener Expressionistischen Werkstätten gez. Hans Hofmann an Hannah Höch. München", 28. Juni 1920), taucht 1919 am 5. Dezember in einem Artikel der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr. 614, gemeinsam mit Wagenseil und Erich Mühsam auf, der Autor wollte es sich "verbitten, von Leuten wie Herrn Erich Mühsam, Sontheimer*, oder Dienstverweigerern wie Herrn Wagenseil oder Oskar Maria Graf über die politische Lage belehrt zu werden", 1920 erwähnt Zenzl Mühsam in einem Brief an ihren inhaftierten Mann, "ein sehr nettes Stoff-Figürchen, das mir der liebe Hans Wagenseil schenkte" (Kreszentia Mühsam, Christlieb Hirte, Uschi Otten: "Zenzl Mühsam. Eine Auswahl aus ihren Briefen", Schriften der Erich-Mühsam-Gesellschaft, Heft 9, Lübeck 1995, S. 29 [15. Febr. 1920]). Nach dessen Freilassung 1924 erschienen noch Texte von Hans B. Wagenseil und Erich Mühsam 1925 in der Zeitschrift "Das Gesindel. Zeitschrift für Menschlichkeit". 1938 waren aber Mühsam ermordet, Graf, Toller, Reichel und Hofmann im Exil, Olga Reichel ging nach Positano, Italien, später Malaga (fechenbach.de), und nur bei Grete Lichtenstein ist unklar, wo sie sich im Sommer 1938 aufgehalten hat.

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Zu Josef Sontheimer vgl. Ulrich Linse: Artikel "Anarchismus" im "Historischen Lexikon Bayerns", Bayerische Staatsbibliothek, 2006: "Einen zweiten Block bildete eine mit dem Anarchismus sympathisierende Gruppe innerhalb der Münchner Freidenkvereinigung, an deren Spitze der Vereinsvorsitzende Josef Sontheimer (geb. 1867), ein Kaufmann, stand"; "4. Mai 1919[,] München-Au[:] Josef Sontheimer wird von einer Abteilung des aus Thule-Kampfbündlern bestehenden Freikorps Oberland verhaftet und im Franziskaner-Keller hinterrücks ermordet, nachdem man ihm zuvor - scheinheilig - die Möglichkeit zur Flucht gegeben hat. Sontheimer war ein führendes Mitglied der Münchner Arbeiter- und Soldatenräte" (Gerhard Willhalm u. Rudolf Hartbrunner: "Münchner Zeitsprünge", 2022).

 

V. Schriften Oskar Maria Grafs (und Tagebücher Erich Mühsams) (writings of Oskar Maria Graf and diaries of Erich Mühsam)

(1) Oskar Maria Graf: "Gelächter von außen. 1918-1933", München: Desch 1966, S. 50: "Ich entsann mich der Vorkriegsjahre 1911 und 1912, als ich über den anarchistischen Kreis* um Erich Mühsam und Gustav Landauer allmählich in die Boheme hineinglitt"; S. 92: "Niemand ahnte, daß sich die aktivsten Gegenrevolutionäre als exklusive, etwas mystisch anmutende 'Thule'-Gesellschaft im international berühmten Münchner Hotel Vier Jahreszeiten etabliert hatten, in der richtigen Annahme, daß kein Prolet je die Scheu verlor, ein derart hochelegantes Hotel auch nur zu betreten. Dieser obskure Geheimbund, eine Art germanischer Freimaurerorden von 'rassisch einwandfreien, arischen' Adeligen und Offizieren, schleuste in jede revolutionäre Organisation seine Spione"; S. 97ff.: "Ich ging nicht mehr zum Holländer** und traf auch den Anhang Mariettas [di Monaco] nur hin und wieder zufällig im Simpl. Ich dichtete wieder***, und [Georg] Schrimpf malte wieder. In den Schwabinger Ateliers fanden nach und nach wieder schüchterne Diskussionen über Kunst statt. Die Volksgerichte verurteilten die 'Geiselmörder' und den kommunistischen Führer [Eugene] Levine-Nissen zum Tode. Bei seiner Einlieferung ins Gefängnis Stadelheim wurde Gustav Landauer von den Wachsoldaten viehisch erschlagen. Ernst Toller, [Ernst] Niekisch, Erich Mühsam und Hunderte von Arbeitern wurden zu langjährigen Festungs- und Zuchthausstrafen verurteilt. Aber das interessierte nur die 'Politischen', die Künstler und Intellektuellen orientieren sich über Kierkegaard und diskutierten über [Oswald] Spenglers Untergang des Abendlandes, von dem Professor Wörner einmal eigentümlich augenzwinkernd sagte: [es folgt etwas Antisemitisches und dann ein kurzer Disput...]. Seitdem antwortete er mir zwar noch nach jeder Gedichtsendung anerkennend, doch er lud mich nie wieder zu einer Aussprache ein. Wir sahen uns nur noch zufällig und flüchtig. Bei seiner Frau, der Dichterin Hertha König, von der er getrennt lebte, hatte er mir ein besseres Stipendium verschafft, nachdem sein Stipendiat vom Krieg heimgekehrt war. In der großen Wohnung von Frau König hingen die blauen Harlekine und der Blinde von Picasso. Es wehte hier eine andere Luft. Junge expressionistische Dichter verkehrten bei ihr, und mit Rilke, Wolfskehl, Bernus und vielen bedeutenden Menschen war sie bekannt. Nie fiel Wörners Name bei ihr. Sie interessierte sich für das Soziale an der Revolution, und das nicht nur so nebenher. Auf meine Veranlassung gab sie Alfred Kurella - jetzt in führender Position in Ostdeutschland - und seinen Genossen eine größere Summe, damit sie ihren Plan, auf einem Bauernhof eine Kommune aufzurichten, durchführen konnten. Sie versagten jämmerlich, doch Frau König verlor nie ein Wort über ihren Geldverlust. Achja, und da war Rilke, den man überall für einen in sich zurückgezogenen Esoteriker hielt. Zu meiner nicht geringen Verblüffung stieß ich öfter in Massenversammlungen in der ersten Revolutionszeit auf ihn"; S. 103: "In diesem Zusammenhang möchte ich nur noch schnell erzählen, daß der kommunistische Führer Levin und der Kultusminister der Räterepublik, Red Marut [eigentlich Ret Marut, d.i. B. Traven****], den weißen Häschern entkamen. Man erzählte, daß sie in Frauenkleidern die Stadt verlassen hätten. Red Marut war eine der seltsamsten Erscheinungen jener Zeit. Er brachte noch im Laufe des Krieges das Kunststück fertig, eine höchst provokante Anti-Kriegszeitschrift***** unter dem Titel Der Ziegelbrenner trotz der verschärften Zensur herauszubringen"; S. 104: "1930, in New York, schrieb ich einen Artikel 'Die Kampfleistung der deutschen antifaschistischen Schriftsteller', der folgenden Passus über Red Marut enthielt: '...Red Marut gilt als verschollen. Die Legende aber will wissen, daß er mit dem inzwischen weltbekannt gewordenen antifaschistischen Schriftsteller Bruno Traven identisch ist...'"; S. 112: "Jeden Tag kam er [Kurt Thiele, impressionistischer Maler] gegen fünf Uhr nachmittags ins Café Stefanie****/6, setzte sich an einen Tisch zu Bekannten, hörte erst eine Weile stumm zu, und wenn ihn das Thema interessierte, warf er ab und zu eine gescheite Bemerkung dazwischen. Behagte ihm aber das Gerede nicht [...], dann stand er unvermittelt auf, nahm seine Kaffeetasse, um an einen anderen Tisch zu gehen, und sagte wegwerfend: 'Sinnlose Lufterschütterung'".

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Oskar Maria Graf: "Das Leben meiner Mutter", München: dtv 1995, S. 405: "Zeitweise würgte dieser Verrat in mir, doch ich dämmerte immer tiefer in das Verlorensein hinein. Ich geriet auch in Kreise, die dieses Absinken eher förderten als aufhielten. Durch meinen Zimmernachbar bekam ich Zutritt zu dem kleinen anarchistischen Zirkel, den Erich Mühsam leitete. 'Anarchisten' - das Wort lockte mich, und ich stellte mir eine finstere Verschwörergruppe in tiefen Kellern, mit Bomben und anderen Mordgeräten vor. Doch ich traf nur einen kleinen, harmlosen Verein von Arbeitern und Intellektuellen, die in einem Gasthausnebenraum über anarchistische Gesellschaftsordnung diskutierten. Sie musterten mich zunächst sehr mißtrauisch und fragten hin und her. Ich gab die einfältigsten Antworten, und mein Zimmernachbar empfahl mich immerzu als absolut zuverlässig."****/7

** Hansjörg Viesel: "Literaten an die Wand. Die Münchner Räterepublik und die Schriftsteller", Frankfurt: Büchergilde 1980, S. 126: "Die 'Walhalla' war die von O.M. Graf in 'Wir sind Gefangene' ausführlich geschilderte Villa des holländischen Mäzens Anton von Hoboken, die während der Revolutionszeit ein interner Treffpunkt der Schwabinger Künstler und Literaten war".

*** Oskar Maria Graf: "Wir sind Gefangene", München: dtv 1982, S. 61: "Eine illustrierte Zeitung brachte unerwartet einmal acht Aphorismen von mir und bezahlte fünf Mark. Ich war wie betrunken. Hoffnungen stiegen auf. Pläne wurden wild. Ich schrieb sofort eine Anzahl Gedankensplitter, Aphorismen, Gedichte und schickte sie an alle möglichen Redaktionen. Nichts wurde genommen. Auch das Essen wurde jetzt immer knapper, Maurus' Geld war völlig dahin".

**** Karl S. Guthke: "B. Traven. Biographie eines Rätsels", Frankfurt am Main u.a.: Büchergilde Gutenberg, 1987, S. 476: "Am 21. Dezember 1932, wenige Wochen also vor den Ereignissen, die ihn zum Umdenken zwingen sollten, setzte er einen Herrn Kurt Wagenseil in München davon in Kenntnis, 'dass ich weder in einem englischen noch einen americanischen Verleger meiner Buecher interessiert bin, und ich habe Niemand beauftragt oder ersucht, sich für mich um einen englischen oder americanischen Verleger zu bemuehen' (Durchschlag im Nachlaß)". Zu B. Traven, aber auch Ernst Toller und Oskar Maria Graf siehe auch New York: Alfred A. Knopf.

***** Vgl. auch zur Kriegsdienstverweigerung Oskar Maria Graf: "Frühzeit. Jugenderlebnisse", Berlin-Halensee: Malik-Verlag 1922, S. 131f.: "Weil ich [im Lazarett] immer guter Dinge war, und jedem Anlaß zum Lachen gab, wurde ich auch demgemäß behandelt. Aber das gefiel mir ausgezeichnet. 'Ein Vieh, dieser Graf', sagten die Hessen und die Preußen oder Brandenburger stießen sich verständnisvoll und lachten: 'Junge, Junge, eine Nulpe!' So ging es Tage. Ich schrieb nun auch Briefe. Hauptsächlich an meine Freunde in Berlin. Und eines Tages kam Richard Ohring aus Berlin an. Sofort wurde er vom Arzt abgefangen und einem eingehenden Verhör unterzogen. Hernach, als ich mit ihm im Garten spazieren gehen durfte, erzählte er mir mit todernstem Gesicht die merkwürdigsten Dinge. 'Du wirst hier als Minderwertiger behandelt. Aber jetzt ist es mit dir geschehen. Mach' dich gefaßt auf eine längere Internierung. Ich wußte nicht, was du hier für eine Krankenrolle spieltest und habe dem Arzt ganz frei weg alles erzählt, was ich von dir wußte', sagte er zu mir und sah mich dabei unablässig an. Ziemlich deprimiert verließ er mich. Am Abend noch mußte ich zum Arzt. 'Also, Graf, Sie sind ja ein ganz intelligenter Mensch', sagte der, als ich zur Tür hereinkam, 'Sie sind ja ein Dichter und haben schon in Zeitschriften veröffentlicht, sagt Ihr Freund.' 'Stimmt nicht, Herr Doktor, der bin ich nicht, sagte ich hölzern. [...] 'Sehen Sie mich doch an, ich bin ein Mensch wie Sie. Meine Aufgabe ist, Sie baldmöglichst zu heilen, weiter nichts', sagte der Doktor noch eindringlicher. Plötzlich beugte ich mich ganz nah an sein Gesicht: 'Sie sind der größte Verbrecher! Sie heilen nur, damit man uns wieder als Kanonenfutter brauchen kann. Sie sind schlimmer als jeder General und Kaiser, denn Sie benützen Ihre Wissenschaft nur, damit es wieder Leute zum Umbringen gibt. Die Generale, der Kaiser, die ganzen Kriegsherren handeln, wie sie es gelernt haben, aber Sie - Sie, Sie haben etwas anderes gelernt und lassen sich zur größten Schandtat benützen. Sie machen zu Tode Geschundene wieder lebendig, damit man sie wieder morden, wieder zersetzen kann...!' schrie ich immer lauter, bis der bestürzte Doktor aufstand und mich anfaßte. 'Beruhigen Sie sich Graf, Sie sind krank, schwer krank' sagte er."

****/6 Oskar Maria Graf: "Wir sind Gefangene", München: dtv 1982, S. 73: "Gegen Abend zogen wir dann ins Künstler-Cafe Stephanie [Amalienstraße 25****/8] und pumpten Bekannte an". WP (11.03.2023): "Stammgäste beziehungsweise regelmäßige Gäste während ihrer München-Aufenthalte waren: Johannes R. Becher, Hanns Bolz, Hans Carossa, Theodor Däubler, Kurt Eisner, Hanns Heinz Ewers, Leonhard Frank, Otto Gross, Emmy Hennings, Arthur Holitscher, Eduard Graf von Keyserling, Paul Klee, Alfred Kubin, Gustav Landauer, Heinrich Mann, Gustav Meyrink, Erich Mühsam, Max Nonnenbruch, Erwin Piscator, Franziska zu Reventlow, Alexander Roda Roda, Ernst Toller, B. Traven und Frank Wedekind. Das Oberhaupt der Stammgäste war Major August Hoffmann von Vestenhof, an seinem Schachtisch im Nebensaal rechts hinten versammelten sich alle zu den Partien". Auch Ludwig Bäumer war dort regelmäßiger Gast. Hans B. Wagenseil schrieb an Armin T. Wegner am 6. Juni 1921: "ich habe ein so tiefes Misstrauen gegen München - den Ton, das 'Aroma' oder wie Sie's nennen wollen dieser Stadt [...]. Nirgends ist es so schwer, aus ernst-Gewolltem kein Café-Stefanie-Geschwätz zu machen!".

In den Tagebüchern von Erich Mühsam (Berlin: Verbrecher Verlag 2014) taucht das Café Stefanie zwischen Heft 5 (1911) und Heft 41 (1924) auf, nicht aber in Heft 17 (1916), die Hefte 18-21 sind verschollen, und nicht in Heft 22-30 (1919-21), 33-38 (1922/23) und 40 (1923/24).

15. Mai 1912 (Heft 9): "Professor v. Stieler brachte den Geheimrat [Friedrich] v. Thiersch an den Tisch; den berühmten Architekten. Ein sehr sympathischer alter Herr mit einem feinen klugen Kopf". Thiersch ist derjenige, bei dem Romaine Taylor-Wagenseil am 23.03.1918 ("Nacht zum Palmsonntag", laut Beilage Nr. 87 des Pforzheimer Anzeigers vom 15.04.1918) in der Georgenstraße das Ateliersfest "Neuer Pathos" veranstaltet hatte, während Hans B. seine Gefängnisstrafe wegen Kriegsdienstverweigerung absaß (vgl. die diversen im Artikel von Hans B. Wagenseil abgebildeten Zeitungsausschnitte aus der reaktionären Presse).

8. Nov. 1914 (Heft 12): "Seit längerer Zeit beobachte ich im Café Stefanie zwei junge Damen, von denen die eine die Schwester der verrückten Lola Zimmermann****/9 ist (um deren Entjungferung ich mich seinerzeit eine Stunde lang vergeblich bemühte, obwohl wir nackt zusammen im Bett lagen), die andre mich aber viel mehr interessierte, da sie mich im ganzen Habitus sehr an das Puma gemahnt. Die sprach mich also heut mittag direkt an, angeblich, um von mir die Adresse von Leonhard Frank zu erfahren, in Wahrheit wohl, um Bekanntschaft zu machen. Sie heißt Rosa Josepha Lachmann und wird mich morgen nachmittag besuchen".

9. Juni 1919 (Heft 22): "Nun hat man auch Toller gefaßt. Er war bei dem Malerehepaar Reich [sic!] - die Frau ist Lola Zimmermanns hübsche Schwester Olga - in der Werneckstraße versteckt. Ihr Quartiergeber scheint Harburger gewesen zu sein, jedenfalls sind außer Toller alle drei verhaftet".

3. Dez. 1920 (Heft 25): "Vorgestern ist Zenzl von der Georgenstrasse 105 weggezogen nach der Adalbertstrasse 37. Wieviel Glück, Freude, Liebe war in der alten Wohnung - und wieviel Jammer hat sie erlebt! Es gibt mir doch einen Stich zu denken, daß ich mein erstes eigenes wirkliches Heim nicht wiedersehn werde".

27. März 1922 (Heft 31): "Dann erfahre ich, daß auch Professor v. Stieler tot ist, unser 'Vater Rhein' vom Schachtisch im Stefanie. Auch ihm ist ein gutes Andenken bei mir gesichert: unsre amüsante Kutschenfahrt am Tage der Beerdigung des alten Prinzregenten; und dann die Geschichte, die mir Zenzl einmal bei einem Ansbacher Besuch erzählte. Als die Weißgardisten im Mai 19 ins Café Stefanie kamen und die Wirtsleute ihnen alle Gäste denunzierten, die mit mir oder Levien dort verkehrt hatten, sprang der alte Herr wütend auf und rief: 'Und hier - ich auch. Ich habe mit Mühsam 100mal Schach gespielt. Denunzieren Sie mich nur auch gleich! Ich bin der Syndikus der Kunstakademie Geheimrat v. Stieler - und jetzt geh ich, und mich sehn Sie hier nicht mehr wieder!' Und damit verließ der prächtige Alte sein Stammlokal, in dem er fast 20 Jahre lang täglich gesessen hatte und kam nicht mehr wieder. Das will ich ihm nie vergessen".

15. Okt. 1923 (Heft 39): "Wir sprachen vom Café Stefanie, meinen Bekannten, die dort wieder wegen des billigeren Kaffees verkehren und den Wirtsleuten, die ihre Praxis von 1919 gern verleugnen möchten".

21. Juni 1924 (Heft 41): "Ich aber hatte heute außer den Sensationen, die mit erregenden Eventualitäten verbunden sind, noch eine kleine Separatfreude: eine Ansichtskarte aus dem Café Stefanie von - Lily Schmidkunz, der bildschönen Frau, die ich vor etwa 15 Jahren verehrte, von der ich seither nie wieder das geringste gehört habe und die mich fragt, ob ich mich ihrer noch erinnere. Eine solche Virtuosin im Küssen habe ich kaum je wieder getroffen. Diese Erinnerung stirbt nicht vor mir selbst".

****/7 Erich Mühsam an Otto Thomas, Niederschönenfeld, Ende Oktober / Anfang November 1920: "Lieber Genosse Thomas! Oskar Maria Graf hat in der 'Neuen Zeitung' (vom 12. Okt.) mein Gedichtbuch 'Brennende Erde' einer längeren Besprechung gewürdigt. Das ehrt und freut mich, und es ist nicht meine Art, meine Bücher gegen unzufriedene Kritiker zu verteidigen (ich hab's noch nie getan). Nichts, was Graf an meinen Versen bemängelt, soll von mir gerettet werden. Es ist ein unumstößliches Recht, sie so miserabel zu finden wie denkbar, und Gott sei davor, daß ich Oskar Maria graf etwa seiner Unlustgefühle wegen, die erregt zu haben ich beklage, totschlagen, aufhängen oder gar hassen möchte! Dennoch bitte ich Sie, mir ein paar Zeilen zur Replik zu öffnen, nicht um meine armen Gedichte besser zu machen als Graf sie findet, sondern eines revolutionären Prinzips wegen. [...] Graf lehnt, mich als Dichter und mithin meine Gedichte ab, weil hier 'hantiert und paktiert' wird, 'mit der Unwichtigkeit einer momentanen Strömung'. Zum Teufel! Dichter hin, Dichter her - mir ist diese 'momentane Strömung' verdammt nicht unwichtig. Sie ist mir Inhalt meines Lebens, Wert meines Seins, Schlag meines Herzens! Diese 'momentane Strömung' - nämlich der inbrünstige Kampf für die Befreiung des Proletariats - darf nicht Antrieb künstlerischen Schaffens sein - denn der wahrhaft revolutionäre Künstler hat ja die Kunst selbst zu revolutionieren und nicht die Gesellschaft! [...] Mit revolutionären Grüßen" (Erich Mühsam: "Briefe an Zeitgenossen", Band 1, hrsg. von Gerd W. Jungblut, Berlin: Klaus Guhl 1978, S. 176f.).

****/8 Michael Stephan, Willibald Karl: "Schwabing. Zeitreise ins alte München", München: Volk Verlag 2015, S. 59: "Als berühmte, in Memoiren und in der Literatur über das geistige und künstlerische Schwabing****/10 immer wieder genannte Beispiele seien hier das 'Café Luitpold' (Brienner Straße 8), das "Café Stefanie" (Amalienstraße 25), die Bühne der 'Elf Scharfrichter' (Türkenstraße 28), die Künstlerkneipe 'Simplicissimus' (Türkenstraße 57) oder Lokale wie die 'Dichtelei' (Türkenstraße 81) genannt"; S. 87: "Ein augenfälliger Prototyp war das Atelierhaus Georgenstraße 40 des erfolgreichen Bildhauers und Stuckateurs Carl Fischer (Architekt: Eugen Behles, Türkenstraße; Pläne 1889/90; Bauzeit: 1890/91). Umnummeriert auf Konradstraße 8 und 10, luftkriegszerstört (ca. 1943). Nach dem frühen Tod von Carl Fischer (1891) war die Witwe Frieda Fischer 35 Jahre lang Eigentümerin. Namhafte Künstler wie Ritter von Schnaedel, Anton Azbe, Louis Braun, Landschaftsmaler Erich Kubierschky und andere mehr mieteten hier Ateliers und Wohnungen oder betrieben Malschulen. Aufnahme 1910".

****/9 Zu Lola Zimmermann vgl. J. P. Muller [d.i. Jørgen Peter Müller, 1866-1938]: "My System For Ladies" [EA Danish edition 1904, English edition 1905], London: Ewart, Seymour 1911, S. 85 (Appendix): "Malaga (Spain), September 19th, 1909[.] Dear Mr. Muller, I thank you herewith most heartily for all the good you have done me by your System. I am quite enthusiastic about it, and am proud of being a participant in your great work. Until three months ago I suffered dreadfully from constipation, and was very wretched and feeble. I began secretly (you know what prejudices prevail here!) to practise your System, and to follow all your rules (excepting the sunbaths). Now, three months later, my digestion is completely in order, and my muscles are well developed... In the beginning I sometimes got a slight stich in the heart, particulary after Exs. 3 and 7, although my heart is quite sound. But now I do the excercises without the slightest discomfort [...] (Signed) Lola Zimmermann".

****/10 Kristian Baethe: "Wer wohnte wo in Schwabing?", München: Süddeutscher Verlag 1965. S.a. Künstlerkommunen - artists' communities.

 

VI. Kontextualisierung der Wagenseil-Brüder II (context: Wagenseil brothers II)

(1) Der Großvater von Kurt und Hans. B. Wagenseil mütterlicherseits, Emil Ulrich Schäfer, gehörte zu den Eigentümern der Bankfirma Frey & Schäfer, die 1913 insolvent ging im Zuge einer größeren Wirtschaftskrise, vgl. dazu das satirische Stück von Carnifex: "Bankbrüche" in: "März. Eine Wochenschrift", Jg. 7, Bd. 1, gegr. von Albert Langen, hrsg. von Ludwig Thoma und Hermann Hesse, Stuttgart: März-Verl. 1913, S. 474f. (S. 415: "München, 22. März 1913"): "Der Börse wird die Sache schon langweilig. Woche für Woche Bankpleiten. Man gewöhnt sich schnell daran und kümmert sich nicht mehr drum. Wenn aus dem Portefeuille des Insolventen ein Papierregen auf die Börse flattert, wird der Spekulant ängstlich. Sonst zuckt er kaum die Achseln. Wer durch den Resignationsnebel sieht, erblickt ein besätes Schlachtfeld. An allen Ecken liegen Schuldige und Opfer. Im September vorigen Jahres einige Vorstürzer: [...]. Dann kam der erste Balkanschuß und das Engrospurzeln begann. [...] Die Großbanken stützen, d.h. sie setzen sich wie die Aasgeier auf die Leichen und fressen sie mit allen Debitoren und Kreditoren. [...] Das Bankgeschäft Gerhauser in Kaufbeuren muß in Konkurs gehen. Ebenda schließt die Bankfirma Frey & Schäfer die Kassen. Viele Millionen sind verloren [...]". Diesen Ereignissen im März folgt im Mai die Episode, nach der Hans B. Wagenseil sich mit 19 Jahren in einem Zug versteckt haben soll, da er nicht die vorgesehene kaufmännische Ausbildung in einer Schweizer Wirtschaftssschule beginnen oder fortsetzen wollte. Der Vater Armin Wagenseil, von schwerer Krankheit gezeichnet, durchsuchte den Zug erfolglos, eigentlich - so wird erzählt - nur um sich zu verabschieden. Er starb wenige Tage später am 31. Mai. Hans B. ging wahrscheinlich nach diesem Vorfall, nach anderer Darstellung aber bereits mit sechszehn Jahren, zu einem Zirkus, dem er sich mit einer Fahrradnummer angeschlossen haben soll.

Möglicherweise auch diese Erfahrungen motivierten die verbliebene Familie, dem im Jahr des Todes seines Vaters gerade erst neun Jahre alten Kurt einen gesetzlichen Vormund beizustellen. Die einzige Quelle für diese Vormundschaft ist der Brief von Franzi Schneidhuber, geb. Wassermann (Prozessakten 1951, München I, EK 28/51, Landgerichte_36490, Bl. 12). Sie ist die Schwester des zu Kurts gesetzlichen Vormund bestellten Paul Wassermann. Der Sohn einer jüdischen Unternehmerfamilie ist konservativ eingestellt und tritt 1920 der "Schützenbrigade 21" bei, die aus dem Freikorps Epp unter der Leitung von Oberst Franz Xaver Ritter von Epp (1868-1947) hervorgegangen war, der 1919 bei der Niederschlagung der Revolution in München beteiligt war*. Dem Freikorps gehörten auch Ernst Röhm, Rudolf Heß sowie die Brüder Gregor und Otto Strasser an. Franzi selbst hatte den aus diesem Milieu kommenden späteren SA-Führer August Schneidhuber geheiratet, die Scheidung war allerdings bereits 1920, Schneidhuber, Röhm und Gregor Strasser sterben in der "Röhm-Putsch" genannten Mordserie 1934 (Bruno Thoß: Artikel "Freikorps Epp" im "Historischen Lexikon Bayerns", 2012). Paul Wassermann wurde am 20. Nov. 1941 deportiert und am 25. November in Vilijampole in Kaunas, Litauen, ermordet (Projekt Gedenkbuch München: 4859). Wahrscheinlich geschah durch Paul Wassermann auch die Vermittlung an Karl Adler, bei dem Kurt 1923-1926 eine Ausbildung machte. Die Angaben zur Familie Adler stammen ausschließlich aus den Briefen von Franzi Schneidhuber (1948) und Wally Wolff (1946) in den Prozessakten (München I, EK 28/51, Landgerichte_36490, Bl. 8-12). "Karl Adler wurde am 10.11.1938 von der Gestapo verhaftet und ins KZ Dachau gebracht. Dort starb er unter nicht geklärten Umständen. Das Dachauer Totenbuch verzeichnet ihn bei den Häftlingen, die eines gewaltsamen Todes starben" (Projekt Gedenkbuch München: 11070). Da Karl Adler eine von den Nazis im November 1938 gestohlene, bedeutende Kunstsammlung besaß, wäre denkbar, dass wiederum er Kurt an die Galerie Justin Thannhauser vermittelte, für die Kurt 1928-31 als Kunsthändler tätig war. Die Galerie mit wechselnden Standorten gehörte zu den frühen Unterstützern von Pablo Picasso und stellte auch Paul Klee aus (vgl. Konstanze Schmeltzer: "Die 'Moderne Galerie' Thannhauser. Schaufenster der internationalen Moderne in München", MunichArtToGo, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, 2022).

Den Ansprüchen des Vormunds Paul Wassermann und wahrscheinlich der Mutter Malwine gemäß erschienen 1925 unter Kurts Namen die Erinnerungen der Prinzessin Olga Valerianowna Palej, vermittelt offenbar über die Mutter, der die Palej ein Exemplar des französischen Originals persönlich widmete, über die "Blutherrschaft der Bolschewiki", "denen nichts heilig, die nach den zwei Wahlsprüchen Lenins 'Friede den Hütten, Krieg den Palästen!', 'S[t]iehlt, was gestohlen ist!' handeln" (Anzeige im Börsenblatt für den dt. Buchhandel, 28. Apr. 1925). Allerdings, wie die wohl aus Marketinggründen beigefügten falschen Leninsprüche sowie manche zwielichtige Biographie (Otto Larsen**, eine Art malender Karl May; die wegen Diebstahl verurteilte Gräfin Elinor von Bothmer) im Umfeld des Ava-Verlages vermuten lassen***, als Anfang eines Doppellebens. Der Hamburger Verlag brachte hauptsächlich eine "Kunst-Rundschau. Zeitschrift für Theater, Musik, Bildende Kunst und Literatur" heraus (2.1925, H.8-11) und seine letzten Veröffentlichungen scheinen in das Jahr 1926 zu fallen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen hatte Kurt bis Kriegsende nur 1925-28 unter seinem Namen veröffentlicht, eine dieser wenigen Übersetzungen vor 1945 ist ein Text von Jean Cocteau, "Selbstbildnis junger Dichter. Ein Fragment", im Hamburger Anzeiger, 26. Nov. 1926. Das übersetzte Fragment endet mit der Frage: "War dies wohl das Milieu, das eine besorgte Mutter für ihren Sohn erträumen möchte, eine Mutter, die sich vor Bazillen und vor dem Luftzug fürchtete?". Offenbar hatte das Konsequenzen. Jedenfalls wäre das ein möglicher Grund dafür, dass er 1927 ein halbes Jahr ausgerechnet in dem Hotel Vier Jahreszeiten, wo früher die rechtsnationale Thule-Gesellschaft residiert hatte (wie oben von Oskar Maria Graf beschrieben), den Sekretär machte, obwohl er, wie er noch in seinem Lebenslauf [nach Sommer 1957] schreibt, "die Hotellaufbahn nicht einschlagen wollte". Außerdem vertauscht er in dem späteren Dokument die Reihenfolge, setzte das Hotel vor das Studium in Paris, als ob es sich um eine erste Orientierungsphase in einem gradlinigen Curriculum handelte (der Brief an Marcel Jouhandeau, mit dem Hotel als Absender, ist vom 7. Dez. 1927). Die zweiten Auflagen von Palejs 'Erinnerungen' und Alain Gerbaults Atlantikbuch erscheinen 1927/28 im Hamburger Falken-Verlag, der dem nationalistischen Fichte-Bund nahesteht. Klarerweise bleibt offen, inwiefern diese Dinge nur als Teil einer Tarnung betrachtet werden sollten. Jedenfalls demgegenüber steht, dass Briefe (mit Ephraim Frisch 1925, mit T.S. Elliot 1926) aufzeigen, dass Kurt begonnen hat, mit seinem Bruder Hans B. zusammenzuarbeiten - und wahrscheinlich auch bereits, dass Kurt Übersetzungen unter dem Namen des Bruders publiziert, vielleicht angefangen mit Marcel Jouhandeau: "Die unheilige Pietà" im März 1927 - ein Text, der nach dem Krieg in der Werksausgabe unter dem Namen Kurt Wagenseil erscheinen wird. In den Prozessakten von 1951 gibt Kurt zu, unter dem Namen seines Bruders publiziert zu haben (München I, EK 28/51, Landgerichte_36490, Bl. 5). Jedenfalls erscheint dann auch innerhalb Deutschlands fast nichts mehr unter dem Namen Kurts bis 1945. Gleichzeitig sind die Brüder offenbar damit ziemlich erfolgreich, wenn Kurt sich 1932 traut, sich selbständig zu machen, mit einer "literarischen Press-Korrespondenz".

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Vgl. Ernst Toller: "Man verhaftet meinen Vetter, obschon er als Leutnant der weißen Garde im Freikorps Epp dient und geschworen hat, er werde mich erbarmungslos niederknallen, wenn er mich träfe. Mein Steckbrief ist selbst in den kleinsten Weilern Deutschlands plakatiert. Arbeiter und Arbeiterinnen versuchen mir zu helfen, sie zerstören mein Bild im Steckbrief. Man sucht mich im Atelier des Malers [Karli] Sohn-Rethel, dem Enkel des Totentanzzeichners. Rethel muß mit erhobenen Händen der Haussuchung folgen, da man mich nicht findet, wird er geohrfeigt und mißhandelt" ("Prosa, Briefe, Dramen, Gedichte. Mit einem Vorwort von Kurt Hiller", Hamburg: Rowohlt 1961, S. 138-40, zitiert in: Kristian Baethe: "Wer wohnte wo in Schwabing?", München: Süddeutscher Verlag 1965, S. 111ff.; EA "Eine Jugend in Deutschland", Amsterdam: Querido-Verlag 1933).

** "Für die lebendige Erinnerung an Otto Larsen gibt es drei Gründe: 1. seine Erscheinung - 'Wo er kam, wehte sein offener Mantel um ihn rum, er hatte seinen großen schwarzen Künstlerhut auf und sang so vor sich hin. [...] Otto war wirklich ein Original. [...] An der Klappe am Bahnhof standen morgens immer sieben gefüllte Schnapsgläser, die sich Otto Larsen und andere vor dem Einsteigen hinter die Binde kippten.'", erinnert sich Günther Schünzel ["Damals in Holm-Seppensen ..." Menschen erzählen von früher, Regina Spandau-Mylius, 2001]. 2. die Reisen, die sein Werk prägten - Larsen ging erstmals 1927 im Auftrag der HAPAG mit einem Dampfschiff auf Weltreise, weitere Reisen folgten und als er 1942 nach Holm-Seppensen zog, wurde er auch Otto der Weltenbummler genannt. 3. seine Medienpräsenz - die sich wahrscheinlich auf Max Ribau, seinen Stiefsohn zurückführen lässt, der für den Spiegel und das Hamburger Abendblatt schrieb" (sammeltobstkerne.de). Er war Redakteur der "Kunst-Rundschau" (Dietzel et al.: "Deutsche literarische Zeitschriften 1880-1945: Ein Repertorium", S. 702, Nr. 1721).

*** Walter Neckel schreibt in "Die Kartellformen im Buchhandel. Eine Untersuchung über die Kartellierung im Buchhandel unter besonderer Berücksichtigung genossenschaftlicher Gegenwehr" (1934, Dissertation, Rückumschlag), dass er [vor 1930] Geschäftsführer des AVA-Verlages wurde: "Ich bin am 30. März 1904 in München als Sohn des amerikanischen Zahnarztes Fritz Neckel geboren. [...] Nach Beendigung meiner Lehrzeit [mit 19] war ich in einer führenden Hamburger Announcen-Expedition erst als Angestellter, zuletzt in leitender Stellung als Proikurist tätig. Anschließend daran trat ich in die AVA, Allgemeine Verlagsanstalt Hamburg, als Geschäftsführer ein".

Laut Börsenblatt 28.4.1925, S. 7022f., ist die Adresse "Südseehaus", Kommission über K.F.Köhler, Leipzig. Andere Publikationen sind: "Das bunte Buch des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Erinnerungsblätter aus Anlaß der 25jährigen Bestehens (1900-1925)", hrsg. von Fritz Ph. Baader (1925); E. Utke, "Forscherschicksal (Russisch - Turkestan)" (1925); Erwin Stranik, "Koko Irregang. Roman" (1926); Ellinor von Dirke, geschiedene Gräfin von Bothmer, "Potsdam mein Golgatha" (1926). "Koko Irregang" wird von einem Antiquariat beschrieben: "Früher Roman des österreichischen Schriftstellers und Journalisten Erwin Stranik (1898-1948), der nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 als Wien-Korrespondent für das 'Berliner Tageblatt' tätig war". Laut Dietzel et al.: "Deutsche literarische Zeitschriften 1880-1945: Ein Repertorium", S. 702, Nr. 1721, wurde der zweite Jahrgang der "Kunst-Rundschau. Zeitschrift für Theater, Musik, Bildende Kunst und Literatur" 1924/25 im Ava-Verlag Hamburg gedruckt (2.1925, H.8-11). Redakteur war Otto Larsen, Heft 12.1925 wurde von Anton Lettenbauer gedruckt, "Beiträger in Auswahl Theodor Lessing, Hans Reimann, Carl Sternheim" (außerdem: "Der Kunstmarkt. Halbmonatsschrift für den gesamten Kunsthandel"). Ein "Catalog of Copyright Entries" (1927) listet drei Musikstücke, u.a. "Hamburger funken; waltzer", from Walter Schütt" [...] Oct. 23, 1925" als Nr. 4721. Im Geheimen Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz, ist: I. HA Rep. 84a, Nr. 57178, "Diebstahl, Betrug und Urkundenfälschung durch die Gräfin Ellinor Bothmer, geb. von Direke, aus Potsdam dann wohnhaft in Berlin", 1925 - 1926; Smith Archive bietet eine Fotografie zur Lizenzierung an, "Gräfin zu 12 Monaten Gefängnis verurteilt. Eine eindrucksvolle Porträtstudie der Gräfin Elinor von Bothmer, die wegen Diebstahls zu 12 Monaten Haft verurteilt wurde. 21. November 1925".

Die beiden falschen Leninsprüche der zitierten Anzeige im Börsenblatt stammen tatsächlich von dem Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon und von Georg Büchner (vgl. Artikel Moishe Postone).

 

Die Illustrationen auf der Rechten, "Monochromer Raum, Lily Klee unterrichtet junges Mädchen im Klavierspiel, 1904", "Leseabend 13. Mai 1918, art nouveau style", "Gebäude der ehem. Münchner Expressionistische Werkstätten im Sommer 1938, modern style", "Fahrradkünstler im Zirkus 1913, expressionist style" sind ai-basiert, unter Verwendung von craiyon.com, DALL-E mini, 2023. Diese Bilder sind Fiktionen. Weder ist bekannt, wie Hertha Königs Picasso-Saal aussah, noch entspricht das im Luftkrieg zerstörte Gebäude in der Georgenstraße 40 in München dieser Darstellung. Das Bild "Schloss Suressnes, Schwabing" (2017, modifiziert) auf der Linken ist von Fentriss unter Creative-Commons-Lizenz CC0 1.0 (Verzicht auf Copyright). Titelblatt von Oskar Maria Graf: "Die Revolutionäre", "Das neuste Gedicht" Heft IV, Dresdner Verlag von 1917, 1918, Collage aus S. [3] u. 7. Das Bild "Café Stefanie" ist von 1905 (modifiziert) und gemeinfrei. Das Bild "Erich Mühsam, 1928", Bundesarchiv Bild 146-1981-003-08, ist unter Creativ-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0.

 

Register der Überlieferung der Übersetzungen bis 1950
Personenregister (Übersetzungen etc.)
Adressregister
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