2007

mit Bezug zu: 1998, Marburg

 

"rede.pdf", geschrieben um den 01. Februar 2007.

 

Fotografie "Philfak. Entfernung eines Graffito '********smus tötet!'", 2016 (modifiziert). "Diese Wirtschaft tötet", klagt Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium" an, Vatikan: Vatikanische Druckerei 2013, Abschnitt 53, S. 42.

"Salve magistrae et magistres! Liebe Bachelor und Master, Kommilitoninnen und Kommilitonen, Professorinnen und Professoren, Dozenten und Dozentinnen, Liebe Eltern und Freunde...

wir haben es geschafft, sie ist nun zuende, die vielleicht schönste Zeit des Lebens, wir haben mehr oder weniger erfolgreich, mehr oder weniger intensiv bzw. zügig unser Studium absolviert. Wir stehen an der Scheide unseres Lebens, am vielleicht letzten Ausläufer der Jugend, einige werden als Lehrer bald ihre Referendariatszeit beginnen, andere werden vielleicht dort einsteigen, wo sie bereits in einem Praktikum hineinschnupperten, wir alle sollten uns auf jeden Fall den Mut nicht nehmen lassen - zu sagen: ich habe mich für das entschieden, was mich interessiert, was mich erfüllt, ich werde es nie bedauern, eine 'Kunstwissenschaft' - wie unser Fachbereich es nennt - studiert zu haben.

Der zeitgenössische italienische Philosoph und Literaturwissenschaftler Giorgio Agamben schrieb zur 'Idee des Studiums': 'Potenz ist einerseits 'potentia passiva', Passivität, reine Leidenschaft und virtuell unendlich, andererseits 'potentia activa' unaufhaltsame Spannung, die zur Vollendung drängt, Impuls des Akts. [...] Auch die Trauer des Studierenden findet so ihre Erklärung: denn wenig ist bitterer als der allzu lange Aufenthalt in der Sphäre der reinen Potenz."*

Dies hat nun wenig mit dem alten Humboldt zu tun, der für Universitäten als ihr Charakteristikum die Einheit von Forschung und Lehre angab, auch wenig mit den Vorstellungen unserer Hochschulreformer - soweit diese Vorstellungen überhaupt etwas mit den tatsächlichen Reformen zu tun haben - vielleicht aber mit der Realität unseres Studiums. Trotz Graphik und Malerei, praktischen Übungen in der Medienwissenschaft, Literaturwettbewerben, Studenten Sinfonie Orchester usf. bestand der Großteil des Studiums doch oft aus Scheinleistungen - also zum Erwerb eines so genannten Leistungsscheins, eigentlich zur Übung wissenschaftlichen Arbeitens, aber auch oft nur zum Schein zur Forschung. 'Anachronistisch' nannte bedauernd Professor [Günter] Giesenfeld aus der Medienwissenschaft das Humboldtsche Bildungskonzept, als es 2002 zu einer Diskussion von Lehrenden und Studierenden kam, inwiefern es sinnvoll sei, aufgrund der hohen Studentenzahlen in den Seminaren Listen, in denen sich rechtzeitig vor Semesterbeginn einzutragen ist, einzuführen.

Doch ist es wirklich anachronistisch, an die Worte Humboldts zu erinnern?

'Sobald man aufhört, eigentlich Wissenschaft zu suchen, oder sich einbildet, sie brauche nicht ausder Tiefe des Geistes geschaffen, sondern könne durch Sammeln extensiv aneinandergereiht werden, so ist Alles unwiederbringlich und auf ewig verloren.'**

Ähnlich apokalyptisch klang die Abschiedsvorlesung des Philosophieprofessors Reinhard Brandt im gleichen Jahr, 'Zustand und Zukunft der Geisteswissenschaften'***. Dann im Wintersemester 2003/04 wurden an vielen deutschen Universitäten studentische Streiks gegen die Einführung von Langzeitgebühren und die Pläne zu den jetzt bald kommenden Studiengebühren ausgerufen, soweit überhaupt in der 'Sphäre der reinen Potenz' sinnvoll von einem 'Streik' gesprochen werden kann. Aus dieser Zeit stammen noch einige der ästhetischen Komponenten desjenigen 1 Gebäudekomplexes, in dem viele von uns die meiste Zeit verbracht haben, der Philologischen Fakultät, unter Studenten kurz 'PhilFak'. So gemahnte morgendlich Erich Kästner an der Wand beim Kaffee- und Kakaoautomaten:

'Was auch immer geschieht, nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken'.****

Und verirrt man sich zum Turm der Geschichtswissenschaften erinnert Jack London: 'Das Wort ›Utopie‹ allein genügt zur Verurteilung einer Idee.'*****

Verschwunden ist inzwischen das Graffiti 'Wer will, daß die Welt so bleibt, wie sie ist, will nicht, daß sie bleibt'****/6. Die Säule wurde mit rot-orangenen Blubberbläschen übermalt, unter die jemand die Worte 'Besser so!' geschrieben hat. Und bis zu einer Renovierung des Haupteingangsbereiches konnte die Studentin wie der Student vor der Schwelle der Gelehrsamkeit eine kritische Umwertung der Losung der Platonischen Akademie lesen: 'Der Ware, Den Schönen, Dem Gute'. Allein das erhalten gebliebene Wort 'Phantasie' an der Tür zum Innenhof war schon da, als ich mit meinem Studium im Wintersemester 2000/01 angefangen hatte. Es bleibt zu hoffen, daß das, wofür dieses Wort steht, nicht nur ein Relikt aus vergangenen Zeiten ist. Und das gilt für uns alle, gleich für welchen Lebensweg wir uns in nächster Zeit entscheiden bzw. bereits entschieden haben.

Denn die Zeit unseres Studiums scheint eine Zeit des Übergangs gewesen zu sein. Wir konnten uns gerade noch vor den nun eingeführten Studiengebühren retten, ein Großteil von uns konnte sich selbständig in Wissensgebiete eigener Wahl vertiefen - nach dem idealistischen Bildungsideal, welches mit dem Jahre 1968 versuchte, allen einen möglichst freien und gleichen Zugang zum Wissen zu ermöglichen. Bereits damals - im Oktober auf einer Veranstaltung in Gießen - gab es Stimmen wie die des späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidt:

'Wir haben zu viele Soziologen und Politologen. Wir brauchen viel mehr Studenten, die sich für anständige Berufe entscheiden, die der Gesellschaft auch nützen'****/7.

Fraglich, inwiefern Germanistik und Kunstwissenschaften in einer solchen Perspektive noch unanständiger sind als Soziologie und Politologie. Und vielleicht ist es nicht nur kulturkonservativ, wenn der Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann seine 2006 erschienene 'Theorie der Unbildung' beschließt:

'Bildung hatte einst mit dem Anspruch zu tun, die vermeintlichen Gewißheiten einer Zeit ihres illusionären Charakters zu überführen. Eine Gesellschaft, die im Namen vermeintlicher Effizienz und geblendet von der Vorstellung, alles der Kontrolle des ökonomischen Blicks unterwerfen zu können, die Freiheit des Denkens beschneidet und sich damit die Möglichkeit nimmt, Illusionen als solche zu erkennen, hat sich der Unbildung verschrieben, wieviel an Wissen sich in ihren Speichern auch angesammelt haben mag.'****/8

Ich halte das Ideal der Freiheit des Denkens nicht für eine konservative oder anachronistische Idee. Im Gegenteil. Und zumindest in einem Interview mit der Kölnischen Rundschau wurde dies auch von unserer Bildungsministerin Annette Schavan für das aktuelle Jahr der Geisteswissenschaften 2007 angedacht:

'Es ist wichtig, dass wir die kleinen geisteswissenschaftlichen Fächer vor dem Ausdünnen bewahren. Gerade in Zeiten, da die Globalisierung auch die akademischen Debatten prägt, ist es falsch, vor allem die Institute zu schließen, die wesentlich zum Verständnis anderer Kulturen und Welten beitragen'****/9

Dieses Verstehenwollen anderer Kulturen und Welten führte viele von uns zu der Wahl eines kunstwissenschaftlichen Studiums, mich persönlich auch zu meinen Nebenfächern vergleichende Religionswissenschaft und Philosophie. 'Unanständig' wäre es, damit endgültig abzuschließen, diesen anderen Welten den Rücken zuzukehren, selbst wenn noch so viele Argumente dafür sprechen, daß Freiheit des Denkens ein Luxus sei. Genauso falsch wäre es, das 'Verstehen', welches nach Wilhelm Dilthey einst der Zweck der Geisteswissenschaften sein sollte, nur noch als unkritische Akzeptanz, gleichgültige Toleranz, zynischen Witz oder konsequente Ablehnung zu praktizieren****/10.

Ob wir nun Lehrer, Journalisten, Dozenten, Filmemacher, Verleger, Musiker, Maler oder Schriftsteller oder etwas völlig anderes werden - wo auch immer auf diesem Planeten, irrelevant nach wie vielen Brüchen im beruflichen Lebenslauf und unter welchen politischen, finanziellen und sozialen Umständen - WIR sind es letztlich, die in jeder Situation unseres Lebens immer wieder entscheiden, ob die Kunst des Verstehens uns als auch unserem Umfeld bei der Arbeit wie im Privaten etwas Sinn- und Nutzvolles ist oder nicht****/11! Ich danke Euch allen für die schöne Zeit und wünsche allen einen guten Start****/12 ins Leben nach der Uni".

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Georgio Agamben: "Idee der Prosa", übersetzt von Dagmar Leupold und Clemens-Carl Härle, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 52f.

** Wilhelm von Humboldt: "Schriften zur Politik und zum Bildungswesen", in: "Werke", Bd. IV, Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften 1964, S. 257f.

*** Vgl. Reinhard Brandt: "Zustand und Zukunft der Geisteswissenschaften", in: "Deutsche Zeitschrift für Philosophie", Berlin, Band 51, Heft 1 / 2003, S. 115-131.

S. 115: "Natürlich kann keine schulgerechte Definition der Geistes- oder der in sie integrierten Kultur- und Sozialwissenschaften vorgeführt werden; sie liefe Gefahr, mit der faktischen komplexen, sich wandelnden Institution, auf die wir uns beziehen, nichts zu tun zu haben. Wir benutzen daher einen bei uns üblichen Umweg und fragen: Geisteswissenschaften - und nicht? Die Antwort lautet: nicht Naturwissenschaften. Wir beginnen also mit einem komparatistischen Verfahren und bestimmen unseren Gegenstand durch die Kontrastierung mit dem, was er dezidiert und konstitutiv nicht ist. Wir gehen vergleichend, gegenüberstellend vor, während der Naturwissenschaftler und Mathematiker seinen funktionalen Zusammenhang direkt fokussiert. Der Naturwissenschaftler braucht einen Projektor, in den Hörsälen der Kunstgeschichte stehen dagegen zwei, weil man Bildwerke in ihrer Eigentümlichkeit dadurch bestimmt, dass man sie mit geeigneten Kontrastwerken vergleicht. Und zweitens: Die Naturwissenschaften vergessen ihre Geschichte und brauchen nur die Literatur der letzten zwei bis drei Jahre oder Monate oder Wochen. Wir dagegen begreifen unsere Gegenstände genetisch und beginnen unsere Untersuchungen und Vorträge grundsätzlich mit dem ersten Gesang der Ilias und noch früher, ab ovo, oder mit dem Buch der Bücher, der Bibel.

Der Gott des Alten Testaments, Jahwe, war Geistes- und Naturwissenschaftler, denn 'Am Anfang war das Wort', der Geisteslogos, und Gott verfasste entsprechend die Bibel, in der dieses Wort vom Wort verkündet wird (Johannesevangelium I 1: 'In principio erat verbum'). Aber auch: 'Du schufst alles nach Maß, Zahl und Gewicht' (Buch der Weisheit 11, 21: 'Sed omnia mensura et numero et pondere disposuisti'), und, so ergänzen wir, nach den Funktionen in der materiellen Welt: Immer wenn x, dann notwendig y, so funktioniert die Natur bis in unser Gehirn hinein. Geistlogos also und Natur, 'Les mots et les choses', eine biblische Ur-Teilung zweier Kulturen. Aber beide Stücke beziehen sich trotz der Teilung in komplizierter Weise aufeinander, denn der 'logos' schwebt nicht über den Wassern [...]".

**** Erich Kästners Gedicht "Was auch geschieht" erschien zuerst in: "Gesang zwischen den Stühlen", Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1932.

***** Das Zitat wurde wahrscheinlich Jack London nur zugeschrieben, scheinbar in deutschsprachigen anarchistischen Kreisen, z.B. Horst Stowasser: "Anarchie! Idee - Geschichte - Perspektiven", Hamburg: Edition Nautilus 2020.

****/6 Soll von Erich Fried in einem Hörsaal gesagt worden sein und wurde als Graffiti an der Berliner Mauer bekannt.

****/7 Zitiert nach Wilhelm Bleek: "Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland", München: Beck 2001, S. 365.

****/8 Konrad Paul Liessmann: "Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft", Wien: Zsolnay 2006, S. 175.

****/9 Bildungsministerin Annette Schavan (CDU****/13) in einem Interview, befragt von Norbert Wallet, in der Kölnischen Rundschau Nr. 8 vom Mittwoch, 10. Januar 2007, S. 4. Vgl. "Wie viel Religion verträgt die Öffentlichkeit?", 30-Jahre-REMID-Feier & Podiumsdiskussion, 2019.

****/10 "T[...]" an "A[...] N[...]", Freitag, 27. Oktober 2006: "[Wilhelm] Dilthey prägte um 1900 den Begriff, Geisteswissenschaften würden 'verstehen' wollen, Naturwissenschaften 'erklären'. [...] Ich betrachte die Geisteswissenschaften als ein sich selbst entropisierendes Normierungs-Projekt, ein Auslaufen der theologischen Idee, verbindliche Normen zu entwickeln (etwa, wie irgendwas zu verstehen sei) [...]. [...] Die Nachtseite des Endes der Geisteswissenschaften dabei: Verstehen wird ein Mythos".

****/11 "antwort.odt", 27. August 2006, Kurzgeschichte: "Es war wohl der trübste August, an den ich mich erinnern konnte. Ich hatte gerade mein Studium der Psychologie beendet, und es war mein Glück, daß ich bereits eine befristete Stelle gefunden hatte - in einem naheliegenden Gefängnis. [...] Neu jedoch - und hier beginnt die Geschichte, die ich erzählen will - war einer der Mörder, der in derselben Abteilung untergebracht war. Während ich über den letzten Prüfungen saß und lernte, muß er seine Tat vollbracht haben, muß er hier die Zelle im Block D erhalten haben. [...] Dieses wie ein LSD-Trip klingende Protokoll mit all dem in ihm enthaltenen Wahnsinn hatte dazu geführt, daß Häftling 13074 vom Wachpersonal nur scherzhaft 'Der Illuminat' genannt wurde. [...] Die Akten ergaben also keinerlei stringente Geschichte; sie waren vielmehr - wie ich alsbald feststellte - eher eine Art Stichwortregister für ein Lexikon derjenigen akademischen Disziplin, die 'Der Illuminat' vorgab, studiert zu haben. [...] 'Um Ihre Frage vom Schluß der letzten Sitzung aufzugreifen - mein Geständnis hängt damit zusammen, daß ich erkannte, wie sehr wir beide irrten. Es ist gar nicht zu entscheiden, welcher Irrtum schwerer wiegt. Jedenfalls hatte meine Tat die möglichen Interpretationen bereits in eine gewisse Richtung festgeschrieben. Die Tat war das Problem. Nicht weil sie ein Verbrechen war - vielmehr weil sie eine Tat war... Aber ich sehe schon, daß ich anders ansetzen muß, bis wir diese höchst philosophische Ebene wieder betreten sollten. Wenn es auch so ziemlich unmöglich ist, nicht zu handeln, so scheint mir doch diese freiwillige ›Klausur‹, wie Sie es das letzte Mal nannten, erst einmal die sinnvollste Alternative. Zu Nachrichten und guten Büchern kommt man ja durchaus, allein das Internet****/14 vermisse ich etwas.' [Abbruch]".

****/12 Kommentare zur Weltwirtschaftskrise 2007ff.: "Finanzmärkte stützen sich auf Vertrauen, und dieses Vertrauen ist erschüttert", "Financial markets hinge on trust, and that trust has eroded" (Joseph Stiglitz, Wirtschaftswissenschaftler, in: "The Guardian", 16. September 2008, "The fruit of hypocrisy"); der "'Wirtschaftsflügel' der Partei" sei "'mit der Bewältigung dieser Finanzkrise überfordert', da er nicht einsehen wolle, 'dass die Marktgläubigkeit die Todsünde des Kapitalismus war. Man muss den Mut haben, den Kapitalismus, der nie die Philosophie der CDU war, als Ursache der Krise zu benennen'" (Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, in: "Der Spiegel", 10.03.2009, zitiert nach Ulrich Thielemann: "Die Krise der Marktwirtschaft als Ausgangspunkt ihrer ethischen Erneuerung", in: "Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftsssicherheit in Europa", hrsg. von Europäische Akademie für Lebensforschung, Integration und Zivilgesellschaft - EALIZ, Krems 2011, S. 1); "Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass in der Wallstreet, der Hochburg des Kapitalismus, die Verstaatlichung der letzte Rettungsanker ist" (Stefan Reinecke im Interview mit Oskar Lafontaine, Die Linke, "Bundesregierung hat Krise verschärft", taz.de, 10. Oktober 2008).

Department of Economic and Social Affairs, Population Division, United Nations Expert Group Meeting on Population Distribution, Urbanization, Internal Migration and Development, New York, 21.-23. January 2008, un.org, März 2008, S. iii: "In 2008, the world is reaching an important milestone: for the first time in history, half of the world population will be living in urban areas".

David Harvey: "Das Rätsel des Kapitals entschlüsseln. Den Kapitalismus und seine Krisen überwinden", aus dem Amerikanischen von Christian Frings, Hamburg: VSA 2014, S. 252: "In diesem Buch habe ich versucht, die Gründe für den krisenhaften Charakter des Kapitalismus, die Rolle von Krisen (wie der aktuellen) in der Reproduktion des Kapitalismus und die langfristigen systemischen Risiken, die das Kapital für das Leben auf dem Planeten darstellt, so deutlich herauszuarbeiten, wie es mir möglich war".

Aus einer Rezension von Hans Schäppi, theoriekritik.ch, 2. Februar 2015: "Dieses Buch [David Harvey: "Das Rätsel des Kapitals entschlüsseln. Den Kapitalismus und seine Krisen überwinden", aus dem Amerikanischen von Christian Frings, Hamburg: VSA 2014, EA "The Enigma of Capital. And the Crises of Capitalism", Oxford: University Press 2010] erklärt also nicht nur die Krise 2006-2009, sondern enthält auch eine Zusammenfassung seiner historisch-geographischen Theorie der Kapitalakkumulation in einer für das breitere Publikum verständlicheren und vereinfachten Weise als im theoretischen Hauptwerk Limits of Capital. [...] Harvey stützt sich auf Berechnungen von Agnus Maddison (Contours of World Economy, Oxford 2007): Die durchschnittliche Wachstumsrate der Weltökonomie in der Geschichte des industriellen Kapitalismus betrug 2,25%. In den 1930er-Jahren war sie negativ, 1945-1973 betrug sie knapp 5%, seither liegt sie bei etwa 3%. Deutlich darunter heisst, dass die Weltwirtschaft stagniert, und unter 1%, dass sie in einer Krise ist. Harveys Schlussfolgerungen: Damit der Kapitalismus heute 'normal' funktioniert, braucht es ein durchschnittliches Wachstum von 3%, wofür 3% reale Reinvestitionen nötig sind. [...] Das Kapital erträgt keine Grenzen. Eine Grenze ist eine zu überwindende Schranke. Harvey behandelt 6 mögliche Schranken: [...]".

Abb. "Abandoned construction project, Cyprus", Category "Economic crisis from 2007" / "Abgebrochenes Bauprojekt, Zypern", Kategorie "Ökonomische Krise von 2007", von Roger Kriens, 7. Mai 2013, unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0 NL (modifiziert, Ausschnitt).

****/13 Parteiprogramm der Christlich-Demokratischen Union vom 21. Parteitag in Hannover, 03.-04.12.2007, S. 4f. ("Das christliche Menschenbild"): "Diese Einsicht [in die Fehlbarkeit] bewahrt uns vor ideologischen Heilslehren und einem totalitären Politikverständnis. Sie schafft Bereitschaft zur Versöhnung".

S. 6: "Auf diesem Menschenbild beruhen die Grundlagen der demokratischen Rechts- und Verfassungsstaaten. Das gilt auch für diejenigen, die Würde, Gleichheit und Freiheit des Menschen nicht aus dem christlichen Glauben herleiten".

S. 9: "Wer auf die Solidarität des Staates baut, hat auch Pflichten dem Staat gegenüber. Die soziale Sicherung hat befriedende und befreiende Wirkung. Solidarität verbietet es, das System der sozialen Sicherung zu missbrauchen".

"Christdemokraten beschließen Grundwertecharta", tagesschau.de, 10.09.2022: "Das Papier soll die Leitlinien für das Grundsatzprogramm vorgeben, dass zehn Fachkommissionen bis Anfang 2024 erarbeiten sollen. Nach der Wahlniederlage bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr will sich die Partei künftig ein klareres Profil geben. Das letzte Grundsatzprogramm der CDU stammt aus dem Jahr 2007. Laut dem Vorsitzenden der federführenden Fachkommission, dem Mainzer Historiker Andreas Rödder, halte die Charta am Dreiklang von 'christlich, sozial und konservativ' fest. Entsprechend sei sie geprägt von den Kerngedanken der katholischen Soziallehre von Personalität, Subsidiarität und Solidarität sowie von der 'anti-ideologischen Feststellung, dass Politik immer nur vorletzte Antworten gebe'. [...] Neu hinzugekommen ist demnach der Zusatz '- und im besten Sinne bürgerlich'".

****/14 the.red.box, 17.09.2020: "Eines der ersten Dinge, die ich im frühen Internet vor zwanzig Jahren fand, neben Ufo-Akten und dem Anarchy-Cook-Book, das waren die beiden Bände 'Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert' von Jan van Helsing [d.i. der Holocaustleugner Jan Udo Haley, die Bücher erschienen 1993 im Ewertverlag, 1996 indiziert von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften]. Ein Besteller der 1990er, bevor die Mischung aus Verschwörungsmythen und Esoterik wegen Antisemitismus indiziert wurde. [...] Das Problem, das mir damals noch absolut gar nicht bewusst war, ist, dass dieser Weltanschauung die Virtualität genügt, das: es könnte doch sein. Und sie erlaubt, potenziell alles beliebig beiseite zu schieben, Apokalypse zu machen und wieder einen Heldenepos leben, wo mensch handlungsfähig eine Herausforderung meistert. Dieses 'als ob' framed als Rahmenerzählung die Entspannung bei den Übungen spirituellen Gesundheitssports genauso wie eine Runde eines Computerspiels".

 

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