Verbreitung der antisemitischen "Protokolle"

mit Bezug zu: IHRA Definition Antisemitismus 2016, Grenzbegriffe "Indien", "Orient", "Japan-China", "Es waren materialistische Menschen", Ça ira Verlag (u.a. Reprint Binjamin W. Segel: "Die Protokolle der Weisen von Zion kritisch beleuchtet. Eine Erledigung", Berlin: Philo-Verlag 1924)

 

Eva Horn: "Das Gespenst der Arkana. Verschwörungsfiktion und Textstruktur der 'Protokolle der Weisen von Zion'", in: "Die Fiktion von der jüdischen Weltverschwörung. Zu Text und Kontext der 'Protokolle der Weisen von Zion'", hrsg. von Eva Horn und Michael Hagemeister, Göttingen: Wallstein 2012 [e-bookshelf.de], 1-25, Zitat S. 4: "Die fatale Verbreitungs- und Rezeptionsgeschichte der Protokolle, so meine These, hat nicht trotz dieser seltsamen Bruchstückhaftigkeit stattgefunden, sondern verdankt sich ihr gerade. Sie ist es, die die Rezeption ohne Lektüre überhaupt erst ermöglicht hat. Aber diese Rezeption wäre nicht möglich ohne die Art und Weise, wie der Text von seinen Paratexten gerahmt und in Szene gesetzt worden ist. Die Paratexte - angefangen vom Titel, den Publikumskontexten, Herausgebervorworten und Ankündigungen bis hin zu den Zwischentiteln - sind es, die die fatale Rezeption des Textes steuern. Sie erzeugen einen Erwartungsraum, in den der Text dann stoßen kann und in dem er seine Bedeutung überhaupt erst entfaltet, auch wenn er sie gar nicht enthält".

Die fiktiven antisemitischen "Protokolle der Weisen von Zion", eine böswillige Fälschung, suggerieren geheime Treffen einer jüdisch vorgestellten Elite, die ihre sinistren Pläne besprechen.

 

01) "Das jüdische Programm zur Welteroberung", in: Zeitung Snamja, "Das Banner", 6. August bis zum 7. September 1903, neun Folgen, Sankt Petersburg 1903.*
02) Sergei Nilus: "Welikoje w malom i Antichrist kak bliskaja polititscheskaja wosmoschnost" ["Das Große im Kleinen, oder die Ankunft des Antichrist und die herannahende Herrschaft des Teufels auf der Erde"], Anhang in der 2. Auflage, 1905.
03) "The Red Bible", in: Zeitung Public Ledger, Philadelphia, 27. und 28. Oktober 1919.
04) Gottfried zur Beek (d.i. Ludwig Müller von Hausen): "Die Geheimnisse der Weisen von Zion", Berlin-Charlottenburg: "Auf Vorposten" 1920.
05) The Protocols of the Elders of Zion, London: Eyre & Spottiswoode 1920.
06) Henry Ford: "The International Jew", in: Zeitung "Dearborn Independent", Detroit, zweijährige Serie, beginnend am 22.05.1920.
07) "The Protocols and World Revolution", Boston: Small, Maynard & Company 1920.
08) [Protocole], in: Zeitschrift Revue Internationale des Sociétés Secrètes, übers. von Ernest Jouin, Paris 1920.
09) "Protocols of the Meetings of the Learned Elders of Zion", translated from the Russian Text by Victor E. Marsden, London: Britons Publishing Society 1923.
10) Alfred Rosenberg: "Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik", München: "Boepple" (= "Deutscher Volksverlag") 1923.**
11) "Die Zionistischen Protokolle. Das Programm der internationalen Geheimregierung. Aus dem Englischen übersetzt nach dem [nicht existenten] im Britischen Museum befindlichen Original", mit einem Vor- und Nachwort von Theodor Fritsch, Leipzig: Hammer-Verlag 1924.
12) Hô Kôshi (d.i. Yasue Norihiro, 安江仙弘): 『世界革命之裏面』 Sekai kakumei no rimen, "Die andere Seite der Weltrevolution", Tokyo 1924.
13) Nesta Helen Webster: "Secret Societies and Subversive Movements", London, Boswell Printing & Publishing Co. 1924***.
14) [بروتوكول], translated by an Arab Christian, Kairo 1927/28.****
15) "The protocols of the learned Elders of Zion. With Text and Commentary", 1934.
16) [Protokol], in: Zeitschrift Millî İnkılâp, "National Revolution", Türkei 1934.
17) Ulrich Fleischhauer: "Die echten Protokolle der Weisen von Zion. Sachverständigengutachten erstattet im Auftrag des Richteramtes 5 in Bern", Erfurt: U. Bodung-Verlag 1935.
18) Karl Bergmeister (d.i. Hans Jonak von Freyenwald): "Der jüdische Weltverschwörungsplan. Die Protokolle der Weisen von Zion vor dem Strafgerichte in Bern", Erfurt: U. Bodung-Verlag 1937.
19) Iwan Heilbutt: "Die öffentlichen Verleumder. Die 'Protokolle der Weisen von Zion' und ihre Anwendung in der heutigen Weltpolitik", Zürich: Europa-Verlag 1937.
20) [بروتوكول], translated by an Arab Muslim, Kairo 1951.
21) William Guy Carr: "The Red Fog Over America", Toronto: National Federation of Christian Laymen 1957.
22) Salah Dasuqi: [بروتوكول], in: Zeitschrift al-Majallaaa, Kairo 1960.
23) Sayyid Qutb: معالم في الطريق (Maʿālim fī aṭ Ṭarīq, "Milestones"), Kairo: Kazi Publications 1964.*****
24) Muhammad Sayyid Tantawy: [doctoral thesis on the children of Israel in the al-Quran and al-Sunnah], Ägypten 1966.
25) "Jewish conspiracy and the Muslim world", edited by Misbahul Islam Faruqi, Kuwait: Social Reform Society, late 1960s.
26) [پروتوکول], Teheran: Islamic Propagation Organization 1978.
27) Henry Lincoln, Michael Baigent und Richard Leigh: "The Holy Blood and the Holy Grail", London: Jonathan Cape 1982.
28) [پروتوکول], new edition, Teheran: Islamic Propagation Organization 1985.
29) Masami Umo: 『ユダヤが解ると世界が見えてくる』 Yudaya ga wakaruto sekai ga mietekuru, "If You Understand Judea You Can Comprehend the World. 1990 Scenario for the 'Final Economic War'", Japan 1986.
30) حماس, Ḥamās: [Gründungscharta], 18.08.1988****/6.
31) "Jewish conspiracy and the Muslim world", edited by Misbahul Islam Faruqi, Batu Caves, Selangor, Malaysia: Thinker's Library 1991, Kuala Lumpur: Saba Islamic Media 1991.
32) "Protocoalele înțelepților Sionului", Rumänien, early 1990s.
33) Jan van Helsing (d.i. Jan Udo Haley): "Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert", 2 Teile, Lingen: Ewertverlag 1993.
34) [Протоколы], in: Anthologie Россия перед вторым пришествием, "Russland vor der zweiten Ankunft", 1993.
35) [پروتوکول], new edition, Mashhad, Iran: Astan Quds Razavi Foundation 1994.
36) "The Smell of Blood, Zionist Schemes", in: Zeitung Jomhouri-e Eslami, Teheran 1994.
37) 'Ajaj Nuwaihed: [بروتوكول], Syria: Mustafa Tlass 1997.
38) Fritz Springmeier: "Bloodlines of the Illuminati", Westminister, Colorado / Lockhart, Texas: Ambassador House 1998.
39) "The text of the Protocols of the Elders of Zion for establishing the Jewish global rule", in: Zeitung Sobh, Teheran, Ausgabe Dez. 1998/Jan. 1999.
40) [Protocols], South Africa: The Palestinian Solidarity Committee 2001.
41) "Horseman Without a Horse", 30-part television miniseries, Saudi-Arabia: Arab Radio and Television 2001/02.
42) الشتات Ash-Shatat, "The Diaspora", 29-part television series, Syria 2003.
43) [Protokol, Yahudi Internasional = "The International Jew"], Indonesien: Mizan, Hikmah division 2006.
44) Johannes Rothkranz: "Die 'Protokolle der Weisen von Zion' - erfüllt!", Band 1 "Die unsichtbare Macht", Band 2 "Die Verschuldung der Staaten", Durach: Schmidt 2011 ("A. Was genau ist das eigentlich: 'Geld'?", "B. Schulden und Zinsen", "C. Inflation", "D. Wo kommt das Geld eigentlich her?", "E. Die systematische Verschuldung der Staaten", "F. Die Verschuldung der Staaten im Ausland", "G. Die Verschuldung der Staaten als Druckmittel", "H. Rothschilds und Co. als Staatsverschulder", "I. Ausblicke").
45) Renaud Camus: "Le grand remplacement. Introduction au remplacisme global", Paris: Reinharc 2011.****/7

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Verwendetes literarisches Material umfasst [Maurice Joly]: "Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu" ("Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu"), Brüssel: A. Mertens et fils 1864 (ermittelt 1921, vgl. James Webb: "Das Zeitalter des Irrationalen. Politik, Kultur & Okkultismus im 20. Jahrhundert", Wiesbaden: Marix 2008. S. 261) und Sir John Retcliffe (d. i. Hermann Goedsche): "Biarritz", Berlin: Liebrecht 1868, das eine geheime Versammlung auf dem Prager Friedhof vorstellt, Neuausgaben unter Titeln wie John Retcliffe: "Das Geheimnis der jüdischen Weltherrschaft. Aus einem Werke des vorigen Jahrunderts, das von den Juden aufgekauft wurde und aus dem Buchhandel verschwand", Berlin-Friedenau: "Deutsches Wochenblatt" 1919; "Auf dem Judenkirchhof in Prag", Berlin: Steegemann, 1933; "Die Geheimnisse des Judenkirchhofes in Prag", Großdeuben (Leipzig): Meiner 1934, Volks- u. Schulausgabe mit dem Bild vom Grabe des Rabbi Löw.

** Unmittelbar erfolgten Kritiken bzw. Faktenchecks wie z.B. Binjamin W. Segel: "Die Protokolle der Weisen von Zion kritisch beleuchtet. Eine Erledigung", Berlin: Philo-Verlag 1924.

Kapitel: "Der erste Eindruck der Protokolle", "Wie die Protokolle ans Licht kamen", "Das Weltreich der Juden und der Zionismus", "Juden und Freimaurer", "Sprache und Herkunft der Protokolle", "Zion und die Zionisten", "Die Protokolle als Dokumente unserer Zeit", "Kritische Analyse der Protokolle", "Das Plagiat und seine Urschrift. Gegenüberstellung der in den Protokollen vorkommenden Stellen, welche den Dialogen des Maurice Joly entnommen und der Tendenz der Protokolle entsprechend zugestutzt und entstellt sind, mit dem Wortlaut des Urtextes", "Ein Blick in die Werkstatt der Diebe und Fälscher. Die vergessenen Hosenknöpfe und die verräterische Weckuhr", "Das prophetische Element in den Protokollen", "Die Beweise für die Echtheit der Protokolle", "Die Eideshelfer des heiligen Nilus. Graf Reventlow - Henry Ford - General Ludendorff - Der polnische Episkopat - Der Edelmann Alfred Rosenberg", "Die religionsphilosophische und geschichtsphilosophische Grundlage der Protokolle. Nilus als Denker", Entstehungs- und Abfassungszeit der Protokolle", "Die Psychopathologie des Antisemitismus".

Das Kapitel "Die Psychopathologie des Antisemitismus", S. 226-233, hat folgende Untergliederung: "Die Legende von dem König, der minderwertige Feinde besiegt", "Die ewige Wiederkehr", "Die Protokolle und ihre Vorgänger", "Warum die Protokolle eine unausweichliche Notwendigkeit waren", "Hinfälligkeit der landläufigen antisemitischen Anklagen", "Der Durchschnittsjude und die Weltverschwörung", "Geschickte Technik der Verleumdung", "Rückwirkung antisemitischer Verleumdungen auf die Juden", "Automatische Selbstvernichtung antisemitischer Verleumdungen", "Befreiende Wirkung der Protokolle".

Ein anderes Beispiel ist Felix Langer: "Die Protokolle der Weisen von Zion. Rassenhaß und Rassenhetze. Ein Vortrag", Wien: Saturn-Verlag 1934.

*** Zitiert auch das "Toledot Yeshu, or the Sepher Toldos Jeschu" der "Tela Ignea Satanae" des Hebraisten Joh. Chr. Wagenseil von 1681.

**** "Die Sache mit Israel. Gewollt oder ungewollt. Über die Mechanismen eines Vorurteils", ein Film von Richard C. Schneider, BR, 2021: "Ahmad A. Omeirate, Wirtschafts- und Islamwissenschaftler: 'Historische Ereignisse wie Chaibar [ein Feldzug Mohammeds gegen Chaibar, eine damals von Juden besiedelte Oase, im Frühjahr 628], das sind diejenigen, die aus dem Kontext gerissen werden und in die heutige Zeit übertragen werden, um quasi aufzuzeigen, wir können es nochmal' [...] Ahmed Mansour, Extremismusexperte und Autor: 'Aber das, was ja der christliche, der europäische Antisemitismus mitgebracht hat, war diese Übermacht der Juden, die Fähigkeit der Juden, die Welt zu beherrschen. Diese Kontrolle, diese Ursache für alles Übel in der Welt, das ist definitiv europäisch'".

***** [بروتوكول], translated by an Arab Christian, Kairo 1927/28: "[The Jews'] aim is clearly shown by the Protocols [of the Elders of Zion]. The Jews are behind materialism, animal sexuality, the destruction of the family and the dissolution of society", (zitiert nach Amir Darmish: "Fascistic Tendencies in the Muslim Brotherhood", fairobserver.com, 18.11.2022).

****/6 Robert Kurz: "Die Kindermörder von Gaza", in: "EXIT! Krise und Kritik der Warengesellschaft", Heft 6, 2009 [exit-online.org]: "Die antisemitische Projektion machte die Juden als das nicht unterwertige, sondern bedrohlich überwertige 'Andere' zum Abstoßungsobjekt von Nationsbildungen und einer phantasmatisch-aggressiven Interpretation kapitalistischer Modernisierung über Europa hinaus. Gerade deshalb konnte sich der Judenhass im Zuge der Weltmarktentwicklung durch ganz verschiedene kulturelle Kontexte hindurch auch im kollektiven Unbewussten verankern. Aufgrund dieser Geschichte ist das Verhältnis der jüdischen Staats- und Nationsbildung zum Kapitalismus objektiv und einschließlich der unbewussten Momente ein gebrochenes. Der Staat Israel gewinnt so einen Doppelcharakter. Er kann einerseits als Staat nur das Kapitalverhältnis reproduzieren wie jeder andere und dessen Widersprüche nach innen und außen durchlaufen; und andererseits repräsentiert er als Jude unter den Staaten" den immanenten Gegensatz zum antisemitischen Syndrom der Moderne, auch wenn die Juden selber in ihrer staatlichen Existenz eigentlich nur normal unter Normalen im Sinne kapitalistischer Subjektivität sein wollen. Ihre volle Durchschlagskraft hat diese Staatsbildung in ihrem Doppelcharakter erst durch den Holocaust gewonnen. [...] Im übrigen kann sich die Situation auch in Westeuropa und anderswo schnell ändern, wenn weitere schwere Kriseneinbrüche die antisemitische Mordideologie abrufen".

****/7 Ulrich Wyrwa: "Ein neues altes Problem", in: "Politik & Kultur", "Dossier Judentum und Kultur", kulturrat.de [PDF], 2016, S. 14f. "Neben dem antizionistischen Kodex, der Negierung des Existenzrechtes des Staates Israel und dessen Dämonisierung, wirkungsmächtige Elemente des antisemitischen Vokabulars der Gegenwart, besteht der Grundwortschatz der aktuellen Sprache des Antisemitismus aber noch immer aus den Wörtern, Chiffren und Bildern, die im 19. Jahrhundert gelegt worden sind. So findet sich in der aktuellen Situation das Motiv 'des reichen Juden' und 'des jüdischen Wuchers' ebenso wie das 'der jüdischen Weltverschwörung' oder 'der Macht der Juden'. In gleicher Weise bedient sich die Sprache des gegenwärtigen Antisemitismus der aus dem 19. Jahrhundert stammenden und mit dem Börsen- und Bankwesen oder dem Journalismus verknüpften antisemitischen Motive. Der Antisemitismus des 21. Jahrhunderts ist nicht neu, neu ist der Kontext. Gewandelt haben sich die Bezugspunkte, und es treten neue Akteure auf. Wer das vermeintlich Neue am Antisemitismus erkennen will, muss den alten, d. h. den sogenannten modernen Antisemitismus begreifen. Nötig sind Aufklärung und historische Kritik. Wie der in der Résistance aktive französisch-jüdische Historiker Marc Bloch in seinen letzten Notizen zur Arbeit an der Geschichte - bevor er von der Gestapo verhaften und erschossen wurde - notierte, führt 'die Unkenntnis der Vergangenheit [...] zwangsläufig zu einem mangelnden Verständnis der Gegenwart'".

 

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