"Indien", "Orient"

mit Bezug zu: Hans Reisiger (Anmerkungen 1-7), "Warenform", Anaïs Nin: "Diaries" (Hermann Hesse, Henry Miller), Kurt Wagenseil (James Laughlin), Alastair, James Knapp Fisher (London: Sidgwick & Jackson), Paul Gauguin ("Tahiti"), "Nominalismusproblem", 1932ff.: "Japan-China", New York: Alfred Knopf Inc., Amsterdam: Querido-Verlag (Thomas Mann → Romantik), Fanal-Verlag und Kontext (Emma Goldman), Romain Rolland, Frantz Fanon (Frankfurt: Syndikat, Milano: Feltrinelli), Aragon, Rojava

In English: Short Introduction | En français: Brève introduction | Magyarul: rövid bevezető | På svenska: Kort introduktion | краткое введение | In italiano: Breve introduzione | En español: Breve introducción

 

Grenzbegriffe wie "Indien" oder "der Orient" haben in der Geschichte des europäischen Kolonialismus eine Entwicklung durchgemacht, die auch nach der militärisch durchgesetzten Zeit der Kronkolonie "Britisch-Indien" (1858-1947), dem Zerfall des Osmanischen Reiches 1922 usw. nachwirkt.

Liminal concepts such as "India" or "the Orient" have undergone a development in the history of European colonialism that continues to have an impact even after the militarily enforced period of the crown colony "British India" (1858-1947), the disintegration of the Ottoman Empire in 1922, etc.

 

(8.1) Spanien: "Plus Ultra", (8.2) Valentin Fricius: "beider Jndien", (8.3) Jean Bodin: "wider die Nature"; Johannes Scheffer: "mit Zauberey angefüllet", (8.4) Christian Conrad Wilhelm von Dohm: "alles Unbekannte Indien", (8.5) Projizierte "Uebereinstimmung indischer und egyptischer Lehrsätze", (8.6) Alles, was ich sehe, ist unbegreiflich", "von selber poetisch", (8.7) Antiimperialismus und nationale Souveränität, (8.8) Anarchosyndikalismus und Zionismus, (8.9) Arthur Koestler: "Letter to a Parent of a British Soldier in Palestine", 1947, (8.10) Hans Blumenberg: "Paradigmen zu einer Metaphorologie", 1960, (8.11) Frantz Fanon: "Les damnés de la terre", 1961, (8.12) "Pseudozivilisation des amerikanischen Kontinents" ⇆ "Erfahr[ung]" der "wirkliche[n] Welt" "in einer Bambushütte" (Wolfang Cordan: "Die Matte", 1964), (8.13) Gilles Deleuze & Felix Guattari: "Rhizom", Berlin: Merve 1977, (8.14) بعث (ba'th), (8.15) हिन्दुत्व (hindutva, 'Hindu-ness'), (8.16) Postcolonial Studies, (8.17) [07.10.2023], (8.X) Fortsetzung, continuation, suite: Anmerkungen. annotations. remarques

 

(1) "Plus ultra"

Dieter Wuttke: "Humanismus in den deutschsprachigen Ländern und Entdeckungsgeschichte 1493-1536", in: "Pirckheimer-Jahrbuch", Band 7 "Die Folgen der Entdeckungsreisen für Europa", 1992, S. 9-52, hier S. 22f.:

"Ab 1516 wählte der spätere Kaiser Karl V. als Herzog von Burgund und designierter spanischer König die Devise 'Plus Oultre', die er Ende 1517 auf spanische Initiative latinisiert als 'Plus ultra' fortsetzte. Vor 1516 ist diese Devise unbekannt, es liegt also eine bewußte Wahl Karls vor, die kaum ohne humanistischen Einfluss erfolgt sein dürfte. Die Devise heißt: 'Darüber hinaus!' oder in zeitgenössischem Deutsch 'Noch weiter!' Gemeint ist, über die Säulen des Hercules, also über die der Antike bekannte Welt hinaus. Damit ist die Vorstellung der Überbietung der Antike zur stolz-selbstbewußten Devise de späteren Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation geworden. Da in 'Outre', 'ultra' ein alter Pilger- und Kreuzfahrerruf weiterlebt, hat diese Devise durchaus nicht nur eine machtpolitische, sondern ebenso eine christlich-missionarische Bedeutung".

(2) "beider Jndien"

Valentin Fricius: "Jndianischer Religionstandt der gantzen newen Welt/ beider Jndien [d.i. 'Ostindien', das heutige Asien und Ozeanien; und 'Westindien', das heutige Nord-, Mittel- und Südamerika] gegen Auff vnd Nidergang der Sonnen", Ingolstadt: Wolfgang Eder 1588 [VD16 F 2735].

Abb. zeigt anonymen Druck einer spanischen Galleone des 16. Jahrhunderts, aus: "Naval Warfare. 1492-1792", Cambridge University Press 1999, Public Domain (modifiziert).

(3) "wider die Nature", "mit Zauberey angefüllet"

Jean Bodin: "Vom Außgelasnen Wütigen Teuffelsheer", übersetzt von Johann Fischart, Straßburg: Bernhard Jobin 1591 [VD16 B 6271], Vorrede, Randglosse Bl. [11]r: "Die Schiffahrt inn Americam vnd Indien geschieht wider die Nature".

Johannes Scheffer: "Lappland/ Das ist: Neue und wahrhafftige Beschreibung von Lappland und dessen Einwohnern / worin viel bißhero unbekandte Sachen von der L[...] Ankunfft/ Aberglauben/ Zauberkünsten/ Nahrung/ Kleidern/ Geschäfften/ wie auch von den Thieren und Metallen so es in ihrem Lande giebet/ erzählet/ und mit unterschiedlichen Figuren fürgestellet worden", [Königsberg] : Hallervord, 1675 [VD17 39:131070U, digi.ub.uni-heidelberg.de], Register, S. 69: "America und Asia mit Zauberey****/9 angefüllt".

(4) "alles Unbekannte Indien"

Louis Armand de Lom d'Arce de Lahontan: "Des berühmten Herrn Baron De Lahontan Neueste Reisen Nach Nord-Indien [d.i. das heutige Kanada], Oder dem Mitternächtischen America [...]. Aus dem Französischen übersetzet Von M. Vischer", Hamburg [u.a.] : Reumann 1709 [digitale-sammlungen.de].

Christian Conrad Wilhelm von Dohm: "Geschichte des fünften Welttheils im Kleinen", in: Deutsches Museum [ds.ub.uni-bielefeld.de], I, 1776, Heft 1.4, S. 49-62 [Teil 1], Zitat S. 58: "Hier ergrief ihn [Binot Paulmier de Gonneville, im Jahr 1504] ein schrecklicher Sturm, der ihn in ein ganz unbekanntes Meer warf, als bald hernach an eine Küste brachte, deren Namen er auf keiner Karte fand, und die er daher Südindien (les Indes meridionales) nannte, nach der Gewohnheit dieser und auch schon älterer Zeiten, alles Unbekannte Indien zu nennen".

Friedrich Ludwig Walther: "Erdbeschreibung des freundschaftlichen Inselmeeres in Südindien oder dem fünften Welttheile [d.i. das heutige Australien]", Bayreuth / Leipzig: Lübeck 1786 [digital.slub-dresden.de].

Kanon und Route - Organisation von Reisebeschreibungssammlungen: Reihe von Theodor de Bry (Leben 1528-1598) und seinen Söhnen, Gebrüder Bry, Forts. durch Matthäus Merian (Erscheinen 1590-1634)

Dreizehn Teile orientalische Indien (1. Kongo [!], 2. Kongo, China, Indien, Japan, 3. Goa, Sumatra, Azoren, 4. Mauritius, 5. Java, Molukken, 6. Guinea, 7. Pegu, 8. Indonesien mit Anhang zu Madagaskar, 9. Mauritius, 10. Spitzbergen, Grönland, Novaja Semblja mit Anhängen zu Polynesien sowie Sibirien und Mongolei, 11. zwei der Schifffahrten des Vespucci, 12. "Königreich Indostan/ oder deß grossen Mogols/ das Königreich China/ Persien/ die Bandamischen Insuln", 13. Wilhelm Fitzer: "Schiffahrten und Reysen").

Vierzehn Teile occidentalische Indien (1. Peru, Karibik, 2. Florida, 3. Brasilien, 4.-6. Benzoni-Fortsetzung Peru, Karibik, Vom Wüten der Spanier, Pizarros Sieg, 7. Argentinien, Paraguay, Bolivien, 8. Guinea [!] mit Anhängen zur Freibeuterei der Karibik, 9. Feuerland, Molukken, Indonesien, 10. die übrigen Schifffahrten des Vespucci, Virginia, Neuengland, 11. Südsee, Patagonien, Tonga, Java, 12. Antonio de Herrera y Tordesillas: "Descripcion de las Indias occidentales", 13. "Beschreibung deß Newen Engellandts", "Landschafften Virginia, Brasilia, Guiana, Bermuda", 14. "New Mexico, Cibola, Cinaloa, Quiuira", "Jucatan, Guatimala, Foduras, und Panama").

Abb. Ulrich Schmidel (1510-1579): "Das VII. Theil America. Warhafftige und liebliche Beschreibung/ etlicher fürnemmen Indianischen Landschafften und Insulen/ die vormals in keiner Chronicken gedacht/ und erstlich in der Schiffahrt Ulrici Schmidts von Straubingen/ mit grosser Gefahr erkündigt/ und von ihm selber ... beschrieben ... / Und an Tag gebracht durch Dieterich von Bry", Oppenheim: Johann Theodor de Bry; Oppenheim: Hieronymus Galler 1617 (VD17 1:671867H).

(5) Projizierte "Uebereinstimmung indischer und egyptischer Lehrsätze"

August Hennings: "Versuch einer Ostindischen Litteratur-Geschichte. Nebst einer kritischen Beurtheilung der Aechtheit der Zend-Bücher", Band 2, Hamburg / Kiel: Bohn 1786 [books.google.com], S. 374: "Aus einer Uebereinstimmung indischer und egyptischer Lehrsätze wird [irrtümlich im Herausgeber­kommentar von De Sainte Croix Guillaume Emmanuel Joseph: 'L'Ezour Vedam. Ou ancien commentaire du Vedam, contenant l'exposition des opinions religieuses et philosophiques des Indiens. Traduit du Samscretan par un Brame', Yverdon: dans l'imprimerie de M. De Felice 1778] geschlossen, daß Indien sechszehn­hundert Jahre vor Christi Geburt, unter Ammophis, dem Tyrannen, von Egyptern bevölkert sey".

(6) "Alles, was ich sehe, ist unbegreiflich", "von selber poetisch"

Karl Philipp Moritz: "Die Leiden der Poesie", in: "Magazin zur Erfahrungsseelenkunde", Band VIII, 1791, Heft 3, S. 108-125, Zitat S. 112, auch in: "Anton Reiser. Ein psychologischer Roman" [EA Berlin: Maurer 1785-1790, deutschestextarchiv.de: Bd. 1, Bd. 2, Bd. 3, Bd. 4], Frankfurt a.M.: Insel 1979, 4. Band, S. 410: "[E]in drittes schlimmes Zeichen ist [neben einer Wahl bestimmter Gegenstände der Dichtung wie dem Einsiedler oder dem Schrecklichen und neben einer Hoffnung auf Belohung und Ehre], wenn junge Dichter ihren Stoff sehr gerne aus dem Entfernten und Unbekannten nehmen, wenn sie gern morgenländische Vorstellungsarten und dergleichen bearbeiten, wo alles von den Scenen des gewöhnlichen nächsten Lebens der Menschen ganz verschieden ist; und wo also auch der Stoff schon von selber poetisch wird."

André Breton: "Souvenir du Mexique", in: "Minotaure" Revue, n. 12-13, 1939, S. 31-48, insb. S. 41: "Les routes mexicaines s'engouffrent dans les zones mêmes où se complait l'écriture automatique [...]"; "Die Straßen Mexikos münden unmittelbar in jene Zonen, wo die écriture automatique [die surrealistische Methode des automatischen Schreibens] beheimatet ist".

Egon Erwin Kisch: "Entdeckungen in Mexiko" [EA Mexico City: El Libro Libre 1945], Kapitel "Landschaft, geschaffen um des Silbers willen", Neuss: Null Papier Verlag 2019, S. 155: "Bin ich in einer chinesischen Landschaft? In einem von Jules Verne erdachten Land im Innern der Erde? Bei der Wasserpantomime eines komischen Zirkus? Alles, was ich sehe, ist unbegreiflich und wird noch unbegreiflicher, da ich zu begreifen beginne".

(7) Antiimperialismus und nationale Souveränität

"Das Flammenzeichen vom Palais Egmont. Offizielles Protokoll des Kongresses gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus, Brüssel, 10.-15. Februar 1927", hrsg. von der Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit, Vorwort von L. Gibarti, Berlin: Neuer Deutscher Verlag 1927.

I. "Eröffnung des Kongresses" mit "S. O. Davies, England", "Henri Barbusse, Frankreich", "Dr. A Marteaux, Belgien",
II. "Der Freiheitskampf des chinesischen Volkes",
III. "Der britische Imperialismus in Indien [noch einschließlich Pakistan], Persien [Iran] und Mesopotamien [Irak]",
IV. "Der nordamerikanische Imperialismus und die von ihm bedrohten Völker" mit Vertretenden aus Porto Rico, Venezuela, Mexiko, U.S.A.,
V. Der Freiheitskampf Ägyptens und der arabischen Völker mit Vertretern aus Ägypten, Syrien und "Izchaki, Palästina" [Völkerbundmandat Frankreichs für Syrien und Libanon, Ägypten als Protektorat Englands, Völkerbundmandat Englands für Palästina und Transjordanien]
VI. "Der Kampf Afrikas um seine Befreiung" mit a) "Südafrika" und b) "Nordafrika", VII. "Der Freiheitskampf der N[...]",
VIII. "Der Kampf um Indonesiens Unabhängigkeit" ["Niederländisch-Indien"], IX. "Der Freiheitskampf des indo-chinesischen Volkes" [Vietnam, "Französisch-Indochina"],
X. "Der Kampf des koreanischen Volkes gegen Japan",
XI. "Der italienische Faschismus eine Ausdrucksform des Imperialismus", XII. "Der Kolonialhunger des neuen deutschen Imperialismus",
XIII. "Die Verbindung der nationalrevolutionären Bewegung mit dem proletischen Klassenkampf" mit "Prof. Alfons Goldschmidt, Deutschland",
XIV. "Die Taktik des proletarischen Klassenkampfes zur Unterstützung des kolonialen Freiheitskampfes" mit "Georg Ledebour, Deutschland" und "Edo Fimmen, Holland",
XV. "Der Freiheitskampf der unterdrückten Völker und die Gewerkschaften",
XVI. "Die 'Kulturmission' der abendländischen Völker" mit "Prof. Dr. Theodor Lessing, Deutschland",
XVII. "Die Gründung der Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit".

(8) Anarchosyndikalismus und Zionismus

Emma Goldman: "On Zionism", Brief vom 26. August 1938, in: "British Imperialism & The Palestine Crisis. Selections from the Anarchist Journal 'Freedom' 1938-1948", London: Freedom Press, 1989, S. 24-27:

"Perhaps my revolutionary education has been sadly neglected, but I have been taught that the land should belong to those who till the soil. With all of his deep-seated sympathies with the Arabs, our comrade cannot possibly deny that the Jews in Palestine have tilled the soil. Tens of thousands of them, young and deeply devout idealists, have flocked to Palestine, there to till the soil under the most trying pioneer conditions. They have reclaimed wastelands and have turned them into fertile fields and blooming gardens. Now I do not say that therefore Jews are entitled to more rights than the Arabs, but for an ardent socialist to say that the Jews have no business in Palestine seems to me rather a strange kind of socialism.

Moreover, Reginald Reynolds not only denies the Jews the right to asylum in Palestine, but he also insists that Australia, Madagascar and East Africa would be justified in closing their ports against the Jews. If all these countries are in their right, why not the Nazis in Germany or Austria? In fact, all countries. Unfortunately, our comrade does not suggest a single place where the Jews might find peace and security.

[...] In conclusion, I wish to say that my attitude to the whole tragic question is not dictated by my Jewish antecedents. It is motivated by my abhorrence of injustice, and man's inhumanity to man. It is because of this that I have fought all my life for anarchism which alone will do away with the horrors of the capitalist régime and place all races and peoples, including the Jews, on a free and equal basis. Until then I consider it highly inconsistent for socialists and anarchists to discriminate in any shape or form against the Jews".

"Vielleicht habe ich meine revolutionäre Erziehung sträflich vernachlässigt, aber man hat mich gelehrt, dass das Land denen gehören sollte, die den Boden bestellen. Bei all seinen tiefsitzenden Sympathien für die Araber kann unser Genosse unmöglich leugnen, dass die Juden in Palästina den Boden bestellt haben. Zehntausende von ihnen, junge und tiefgläubige Idealisten, sind nach Palästina geströmt, um dort unter den schwierigsten Pionierbedingungen den Boden zu bestellen. Sie haben Brachland urbar gemacht und es in fruchtbare Felder und blühende Gärten verwandelt. Nun behaupte ich nicht, dass die Juden deshalb mehr Rechte haben als die Araber, aber wenn ein glühender Sozialist sagt, dass die Juden in Palästina nichts zu suchen haben, dann scheint mir das eine recht seltsame Art von Sozialismus zu sein.

Darüber hinaus spricht Reginald Reynolds den Juden nicht nur das Recht auf Asyl in Palästina ab, sondern er besteht auch darauf, dass Australien, Madagaskar und Ostafrika berechtigt wären, ihre Häfen gegen die Juden zu schließen. Wenn all diese Länder im Recht sind, warum nicht auch die Nazis in Deutschland oder Österreich? In der Tat, alle Länder. Leider schlägt unser Genosse nicht einen einzigen Ort vor, an dem die Juden Frieden und Sicherheit finden könnten.

[...] Abschließend möchte ich sagen, dass meine Haltung zu der ganzen tragischen Frage nicht durch meine jüdische Herkunft bestimmt wird. Sie ist motiviert durch meine Abscheu vor der Ungerechtigkeit und der Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen. Aus diesem Grund habe ich mein ganzes Leben lang für den Anarchismus gekämpft, der allein die Schrecken des kapitalistischen Regimes beseitigen und alle Rassen und Völker, einschließlich der Juden, auf eine freie und gleiche Grundlage stellen wird. Bis dahin halte ich es für höchst inkonsequent, wenn Sozialisten und Anarchisten die Juden in irgendeiner Form diskriminieren".

Abb. Briefmarke, 1934, "Left Paole Zion". Jordon Kutzik, forward.com, June 3, 2020, "This 'antifa' group was also Zionist, pro-Palestinian and Yiddish-speaking - and it's trending": "The group's members were Jews ... and Arabs. But they were also Zionists - the Arabs, too. And although the official Palestinian leadership sided with the Germans in an effort to end the British mandate, the Palestinian members of this group sided with the allies" (Hinweis von Elisa Aseva, Instagram).

(9) Arthur Koestler: "Letter to a Parent of a British Soldier in Palestine", in: "The New Statesman and Nation", Vol. 34, Issue 858, Saturday, 16. August 1947, S. 126f.

"[...] In fact the situation between Jew and Arab in Palestine is much the same as between Moslem and Hindu in India. [...] As there is no hope of reconciling these for a considerable time, the inevitable solution is to partition the country [...]".

(10) Hans Blumenberg: "Paradigms for a Metaphorology" [EA "Paradigmen zu einer Metaphorologie", in: "Archiv für Begriffsgeschichte", Band 6, 1960, S. 5-142], translated by Robert Savage, Ithaca: Cornell University Press 2010, chapter "Metaphorics of the 'Naked' Truth", S. 41: "[T]his metaphor does not mean to bring anything into the concept of truth; [...] nakedness likewise splits into unmasking, into the uncovering of deception, on the one hand, and shameless unveiling, the violation of a sacred mystery, on the other [...]. An agressive aphorism from Franz Werfel's 'Theologumena' [erschienen in: 'Between Heaven and Earth', New York: Viking Press 1944] will perhaps make clearer what is intended here: 'The naked truth, the nuda veritas****/10, is the wh[*]rish bride of the barbarian. Culture begins at the exact moment when something is to be hidden, in other words, with an awareness of original sin (Adam's fig leaf is the first document of culture). Regression into barbarism, however, begins at the exact moment when what is hidden begins to be uncovered, that is to say, with psychology'".

Franz Werfel: "Theologumena", Aphorismus 71, in: "Zwischen oben und unten. Prosa, Tagebücher, Aphorismen, literarische Nachträge", hrsg. von Adolf D. Klarmann, München: Langen-Müller 1975, S. 174: "Die nackte Wahrheit, die 'nuda veritas', ist die H[*]renbraut des Barbaren. Die Kultur beginnt genau damit, dass man etwas zu verstecken hat, das heißt mit dem Bewußtwerden der Erbsünde. (Adams Feigenblatt ist das erste Kulturdokument). Der Rückfall in die Barbarei beginnt genau damit, daß man das Versteckte wieder zu entdecken beginnt, das heißt mit der Psychologie".

(11) Frantz Fanon: "Die Verdammten dieser Erde" [EA "Les damnés de la terre", Paris: François Maspero Editeur 1961], Vorwort von Jean-Paul Sartre, Frankfurt: Suhrkamp 2018, S. 42: "Man sieht also, daß der ursprüngliche Manichäismus, der die Kolonialgesellschaft beherrschte, in der Dekolonisationsperiode intakt geblieben ist. Und zwar deshalb, weil der Kolonialherr nie aufhört, der Feind, der Antagonist zu sein, mit einem Wort: der Mann, den es zu töten gilt. Der Unterdrücker ruft in seiner Zone die Bewegung hervor: eine Bewegung der Herrschaft, der Ausbeutung, der Plünderung. In der anderen Zone nährt das zusammengekauerte, geplünderte kolonisierte Ding nach Kräften diese selbe Bewegung, die von den Küsten des Landes aus unmittelbar bis in die Paläste und Docks des 'Mutterlandes' reicht. In dieser erstarrten Zone ist die Oberfläche unbeweglich, die Palme wiegt sich vor den Wolken, die Wellen des Meeres brechen sich an den Kieselsteinen, die Rohstoffe kommen und gehen und rechtfertigen die Anwesenheit des Kolonialherren, während sich der Kolonisierte, hingekauert, mehr tot als lebendig, im immergleichen Traum verewigt. Der Kolonialherr macht die Geschichte. Sein Leben ist ein Epos, eine Odyssee".

S. 67: "Der Kapitalismus sieht also ein, daß seine militärische Strategie ausgespielt hat, wenn sich die nationalen Befreiungskriege ausbreiten. Deshalb müssen im Rahmen der friedlichen Koexistenz alle Kolonien verschwinden, und der Kapitalismus muß im äußersten Fall auch den Neutralismus respektieren".

S. 69: "Der Neutralismus, diese Schöpfung des Kalten Krieges, erlaubt den unterentwickelten Ländern zwar, Wirtschaftshilfe von beiden Seiten zu empfangen, aber dafür erlaubt er keiner der beiden Seiten, den unterentwickelten Gebieten so zu helfen, wie es nötig wäre".

S. 264ff.: "Der Okzident hat ein Abenteuer des Geistes sein wollen. Im Namen des Geistes, des europäischen Geistes, versteht sich, hat Europa seine Verbrechen gerechtfertigt und die Versklavung legitimiert, welcher es vier Fünftel der Menschheit unterworfen hatte. [...] Alle Elemente einer Lösung der großen Probleme der Menschheit sind zu verschiedenen Zeiten im Denken Europas aufgetaucht. Aber in seinem Handeln hat der europäische Mensch die ihm zugefallene Mission nicht erfüllt: mit aller Gewalt auf diese Elemente zu setzen, ihre Anordnung, ihr Sein zu modifizieren, sie zu verändern und schließlich das Problem des Menschen auf eine unvergleichlich höhere Stufe zu heben. Heute erleben wir eine Stagnation Europas. Fliehen wir, Genossen, diese unbewegliche Bewegung, in der die Dialektik sich ganz allmählich zu einer Logik des Gleichgewichts gemausert hat. Nehmen wir die Frage des Menschen wieder auf. Nehmen wir die Frage nach der Realität des Gehirns, der Gehirnmasse der gesamten Menschheit wieder auf, deren Strukturen differenziert und deren Botschaften vermenschlicht werden müssen. [...] Die Dritte Welt [der Globale Süden] steht heute als eine kolossale Masse Europa gegenüber; ihr Ziel muß es sein, die Probleme zu lösen, die dieses Europa nicht hat lösen können. Aber dann darf sie auf keinen Fall von Ertrag, von Intensivierung, von Rhythmus sprechen. Nein, es handelt sich nicht um eine Rückkehr zur Natur".

Abb. "Palme auf Rarotonga" von Isderion unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0 DE (modifiziert).

(12) "Pseudozivilisation des amerikanischen Kontinents""Erfahr[ung]" der "wirkliche[n] Welt" "in einer Bambushütte"

Wolfgang Cordan: "Die Matte. Autobiografische Aufzeichnungen" [geschrieben 1964], hrsg. von Manfred Herzer, Bibliothek Rosa Winkel Band 33, Hamburg: MännerschwarmSkript Verlag 2003, S. 322: "Mein Freund [Klaus Mann, siehe Querido-Verlag] hatte sein Leben weggeworfen, weil niemand ihm gesagt hatte, dass die weiße Welt nicht die Welt ist. Ich hatte es ihm nicht sagen können, weil ich es damals nicht wusste. Was ich nun lernte, war, dass man in einer Bambushütte die wirkliche Welt erfahren kann. Dass man dem Differentialsystem einer hochgetriebenen Zivilisation mit all deren Problematik entraten und einsehen kann, dass die Welt im Grunde sehr einfach ist. Und dass der Mensch, wie es Rousseau****/11 ahnte, im Wesen gut ist. Um bei den Fundamenten der abendländischen Kultur zu bleiben: Aristoteles hatte schon eingesehen, dass eine Gemeinschaft, die eine Polis übersteigt, unlebbar ist. [...] Die Mayas sind die Erfinder der Null und der Positionswerte. Sie sind auch die Erfinder - soweit wir historisch sehen - eines Kulturbundes ohne Kriege. Nach heutiger Einsicht haben sie zweitausend Jahre Frieden gekannt. Und noch immer leben sie friedlich, solange sie nicht die Pseudozivilisation des amerikanischen Kontinents bedrängt, um sie 'kulturell zu integrieren', das heißt zu verderben. Muss ich noch sagen, dass ich ihnen Waffen und manchmal vergiftete Pfeile der Verteidigung liefere?".

(13) Gilles Deleuze & Felix Guattari: "Rhizom", Berlin: Merve 1977, S. 20f.: "Wir sagen, daß genetische Achse und Tiefenstruktur in erster Linie Prinzipien der Kopie sind und deshalb unendlich reproduzierbar. Die ganze Logik des Baumes ist eine Logik der Kopie und der Reproduktion [...] Ihr Ziel ist die Beschreibung eines status quo, der Ausgleichsprozesse in intersubjektiven Beziehungen, oder die Erforschung eines bereits vorhandenen Unbewußten, das man in die dunkeln Winkel der Erinnerung und der Sprache verbannt hat. Sie beschränkt sich darauf, was je schon gegeben ist, von einer überkodierenden Struktur oder stützenden Achse aus zu kopieren. Der Baum artikuliert und hierarchisiert die Kopien, die Kopien sind sozusagen Blätter des Baumes. Ganz anders das Rhizom: es ist Karte und nicht Kopie"; S. 29f.: "Es geht darum, Unbewußtes zu produzieren und mit ihm neue Aussagen, andere Wünsche: das Rhizom ist gerade diese Produktion des Unbewußten. [...] Der Orient zeigt ein anderes Muster: [...] eine Knollenkultur, die durch Teilung der Einzelorganismen verfährt; [...]. Ist nicht der Orient, besonders Ozeanien, ein rhizomatisches Modell, das in jeder Hinsicht dem abendländischen Baummodell entgegengesetzt ist?"; S. 31: "Einen besonderen Ort müßte man Amerika einräumen. Sicher, es ist nicht frei von der Vorherrschaft der Bäume und der Wurzelsuche. [...] Und in Amerika gibt es nicht nur eine Richtung: im Osten findet die Baumsuche****/12 und Rückkehr zur Alten Welt statt. Aber der Westen ist rhizomatisch, mit seinen I[...] ohne Herkunft, seinem immer fliehenden Horizont, seinen beweglichen und verschobenen Grenzen".

(14) بعث (ba'th)

a) John K. Colley: "Conflict within the Iraqi Left", in: "Problems of Communism", hrsg. von Paul A. Smith junior, Vol. XXIX, Heft 1 (Jan-Feb), Washington D.C.: Documentary Studies Section, International Information Administration 1980, S. 87-93, Zitate S. 87 u. 90: "Iraq in energing as a major Arab power. Not only has it invested its oil revenues in both development and arms (the latter bought mainly from the Soviet Union and France), but since the March 29, 1979, peace agreement between Egypt and Israel, the Iraqi strongmen Saddam Hussayn al-Takriti, while increasing trade and technology transfers from the Western world and keeping a healthy distance from the USSR, has tried to make Iraq's ruling Baath (Arab Socialist Resurrection) party into a vanguard of militant Arabism. [...] The real breakdown in Soviet-Iraqi relations, and consequently in the coalition between the Baath and the ICP [Iraqi Communist Party], began in 1978. Its first sign was the Iraqi request to the Soviet embassy in Baghdad to move. [...] Thus the 1978 crisis in Iraqi-Soviet relations also provoked a major crisis within the Arab Left in Iraq. While, by some accounts, Soviet secret police (KGB) agents helped Iraqi Communists to flee abroad, [...], the friction between the Baathist regime and the Soviets surfaced in some rather esoteric ways. On May 24, 1978, the official Iraqi newspaper Al Jumhuriya for the first time attacked a Soviet ally, Poland, for 'complacency' toward Israel".

b) Anmerkungen zu "Ba'th-Partei", "Baathismus" (حزب البعث العربي الإشتراكي, 'Arabische Sozialistische Partei der Wiedererweckung', aus arab. Ba'th, بعث, 'Wiedergeburt, Auferstehung, Erneuerung, Erweckung', Flagge in den panarabischen Farben weiß, schwarz, grün und rot, ein rotes Dreieck reicht ein Drittel in die Flagge hinein, auch Symbol der arabischen Nationalbewegung seit 1917, Flagge des Königreichs Hedschra 1920-1926 [seit 1932 Teil Saudi-Arabiens], von 1921-1928 die Flagge Transjordaniens, seit 1948 die Flagge der palästinensischen Bewegung sowie die der Arabischen Föderation, einem fünfmonatigen Zusammenschluss der Königreiche Irak und Jordanien vom 14. Februar bis zum 15. Juli 1958):

Gegründet 1947 von Michel Aflaq und Salah ad-Din al-Bitar in Syrien, 1963 Macht in Syrien und Irak, zwischen maoistisch inspiriertem Sozialismus und panarabischen Nationalismus. Ende des Baath-Regimes im Irak 2003 nach Irakkrieg mit drei Besatzungszonen von USA, England und Polen 2003-2011. Das auf vergleichbarer Ideologie aufbauende Regime in Libyen - siehe Muammar al-Gaddafi: "The Green Book" [EA الكتاب الأخضر, al-Kitāb al-achdar, 1975], Libya: People's Committee 1976, London: Martin, Brian & O'Keeffe 1976 - endete in Bürgerkrieg ab 2011, in 2011 von einem internationalen Militäreinsatz begleitet. Bürgerkrieg in Syrien von 2011-2020, ausgehend von Regierung versus Opposition versus dschihadistische Milizen von "al-Quaida" und "Islamischer Staat", dann mit internationaler Einflussnahme einer westlichen Koalition versus Iran, Hisbollah, Russland zuzüglich verdeckter türkischer Waffenlieferungen. "Am 9. Oktober 2019 kam es nach dem überraschenden Abzug der USA aus dem Kurdengebiet nahe der türkischen Grenze zur Türkischen Offensive in Nordsyrien. [...] Amerikanische Truppen verblieben lediglich im Umfeld der syrischen Ölfelder in der Deir el-Zour-Region" (WP 2023).

c) Michel Aflaq "in an election manifesto [...] as a candidate for parliament from Damascus in July 1943": "We represent the Arab spirit against materialistic communism. This is why the party has always been engaged in a war against communism which stranlges both the human being's freedom and his ethical values" (zitiert nach Tareq Y. Ismael: "The Arab Left", Syracuse, NY: Syracuse University Press 1976, S. 22, historischer Kontext nach Gordon H. Torrey & John F. Devlin: "Arab Socialism", in: "Modernization of the Arab World", hrsg. von Jack Howell Thompson und Robert Danton Reinschauer, New York / Toronto / London: D. Van Nostrand 1966, S. 178-197, Zitat S. 184, ebenda S. 184f.: "Perhaps most signifikant to Aflaq, and to his nationalist, anti-colonial supporters, communism is deceitful because it seeks to tie 'the Arab destiny to the destiny of another state, namely Russia' [...]. Independence and unity are pre-requisites for the socialist society he believes the Arabs must build. The theme is constant in Alfaq's own writings, in the columns of the Party newspaper, in the stream of statements").

d) Jeffrey M. Bale: "Ba'thism", in: "World Fascism. A Historical Encyclopedia", hrsg. von Cyprus Blamires und Paul Jackson, London: Bloomsbury Publishing 2006, S. 83f.: "The above summary suggests that Ba'thism may have been a Middle Eastern variant of fascism, even though 'Aflaq and other Bath leaders critized particular fascist ideas and practices. The Ba'th movement undoubtly shared certain characteristic features of European fascism - the attempt to synthesize radical, illiberal nationalism and non-Marxist socialism, a romantic, mythopoetic, and elitist 'revolutionary' vision, the desire to create a 'new man' and restore past greatness, a centralised authoritarian party divided into 'right-wing' and 'left-wing' factions and so forth; several close associates later admitted that Aflaq had been directly inspired by certain fascist and Nazi theorists".

e) Mary Darwich: "Threats and Alliances in the Middle East. Saudi and Syrian Policies in a Turbulent Region", Cambridge: Cambridge University Press 2019, S. 147: "I argue that Syria's physical insecurity and its regional isolation dominated the reime's threat perception. This perception led the secular Ba'ath regime to support Hamas' Islamic narrative [...]. To avoid imminent ontological insecurity, the regime maintained an extensive pan-Arab discourse that includes support for any other group engaged in a struggle against Israel, regardless of its secular or Islamic nature. In other words, the al-Assad regime maintained the same discourse that emerged during the 2006 Lebanon War".

حماس Ḥamās, 'Begeisterung', 'Eifer', 'Kampfgeist', zugleich Akronym aus حركة المقاومة الإسلامية Ḥarakah al-Muqāwamah al-ʾIslāmiyyah, "Islamische Widerstandsbewegung", 1987 u.a. von Ahmad Yasin als Zweig der 1928 in Ägypten gegründeten panislamistischen Muslimbruderschaft, الإخوان المسلمون al-Ichwān al-Muslimūn, ausgerufen, Logo mit integrierter palästinensischer Flagge. "Gründungscharta" vom 18. August 1988 mit Bezugnahme auf antisemitische Verschwörungslegende der gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion" (älteste Fassung in neun Folgen vom 26. August bis zum 7. September 1903, Sankt Petersburger Zeitung Snamja, 'Das Banner', unter dem Titel 'Das jüdische Programm zur Welteroberung').

Eva Horn: "Das Gespenst der Arkana. Verschwörungsfiktion und Textstruktur der 'Protokolle der Weisen von Zion'", in: "Die Fiktion von der jüdischen Weltverschwörung. Zu Text und Kontext der 'Protokolle der Weisen von Zion'", hrsg. von Eva Horn und Michael Hagemeister, Göttingen: Wallstein 2012 [e-bookshelf.de], 1-25, Zitat S. 4: "Die fatale Verbreitungs- und Rezeptionsgeschichte der Protokolle, so meine These, hat nicht trotz dieser seltsamen Bruchstückhaftigkeit stattgefunden, sondern verdankt sich ihr gerade. Sie ist es, die die Rezeption ohne Lektüre überhaupt erst ermöglicht hat. Aber diese Rezeption wäre nicht möglich ohne die Art und Weise, wie der Text von seinen Paratexten gerahmt und in Szene gesetzt worden ist. Die Paratexte - angefangen vom Titel, den Publikumskontexten, Herausgebervorworten und Ankündigungen bis hin zu den Zwischentiteln - sind es, die die fatale Rezeption des Textes steuern. Sie erzeugen einen Erwartungsraum, in den der Text dann stoßen kann und in dem er seine Bedeutung überhaupt erst entfaltet, auch wenn er sie gar nicht enthält".

Abb. "Downtown Baghdad monument of Saddam Hussein vandalized by Iraqis shortly after the Occupation of Coalition Forces", vor 2007, von Chitrapa, Public Domain (Auschnitt, modifiziert).

(15) हिन्दुत्व (hindutva, 'Hindu-ness')

a) Clemens Jürgenmeyer: "Auf dem Weg zu einem fundamentalistischen Hindustaat? Hindu, Hindusthan, Hindutva. Die Politik des Hindunationalismus im heutigen Indien", in: Zeitschrift "Indien", Heft 1/1998, S. 46-53, Zitate S. 49 und 53:

"Die Hindutva-Ideologie wurde bereits 1923 in klassischer Form von V[inayak] D[amodar] Savarkar formuliert ["Hindutva. Who is a Hindu?", New Delhi: Bharati Sahitya Sadan 1989, Erstauflage Nagpur: V. V. Kalkar 1923]. Es ist die Gemeinsamkeit des bewohnten Landes (rashtra), der Abstammung (jati) und der Kultur (sanskriti), die das Indertum kennzeichnen und die Hindus in einer Nation zusammenfinden lassen (Savarkar 1989, S. 116). In dieser Definition werden Muslime und Christen ausgeschlossen, da diese zwar Indien als ihr Vaterland, nicht aber als ihr heiliges Land, als Land, in dem man religiöses Verdienst erwirbt (punyabhu), betrachten. So wird die Nation hinduisiert und der Hinduismus nationalisiert. [...] So erweist sich die Hindutva-Ideologie und -Politik als eine Spielart des integralen Nationalismus, der von oben her einen Wertekonsens erschaffen möchte. Für die drängenden Probleme des heutigen Indien bietet dieser Nationalismus keine adäquate Lösung, und ein nachhaltiger Erfolg der nach Uniformität strebenden Hindutva-Bewegung wäre nur dann zu erwarten, wenn es ihr gelänge, die vielfältigen Lebensformen und religiös-kulturellen Identitäten der indischen Bevölkerung zu homogenisieren, ein Vorhaben, das einer Art Kulturrevolution in der auf Jahrtausende zurückreichenden Hindutradition gleichkäme. [...] John Galbraith, der ehemalige Botschafter der USA in Indien und Harvardökonom, hat Indien einst als 'funktionierende Anarchie' beschrieben ['Rival economic theories in India', in: 'Foreign Affairs', Nr. 36.4, 1958, S. 587-596]".

b) Shriman Narayan, Mahatma Gandhi, Jawaharlal Nehru, Vinobā (d.i. Vinayak Narahari Bhave): "Letters from Gandhi, Nehru, Vinoba", compiled by Shriman Narayan, Bombay / London / New York: Asia Publishing House 1968, S. 89.

Brief vom Jawaharlal Nehru an Shriman Narayan, "New Delhi[.] July 23, 1958": "I wonder if you have seen an article by Professor Galbraith of Harvard University, U.S.A., which appeared in Foreign Affairs".

Brief von Shriman Narayan an Jawaharlal Nehru, "New Delhi[.] Juli 29, 1958": "My dear Panditji [Jawaharlal Nehru], I am grateful to you for your letter of July 23rd, together with a copy of an article by Professor Galbraith [...] It is, however, difficult to agree with Professor Galbraith that India is 'the world's greatest example of functioning anarchy'".

(16) Postcolonial Studies

a) Edward Said: "Orientalismus" [EA "Orientalism", New York: Pantheon Books = Kurt Wolff 1978], Berlin: Ullstein 1981, S. 10: "Kurz, der Orientalismus ist ein westlicher Stil der Herrschaft, Umstrukturierung und des Autoritätsbesitzes über den Orient".

b) "Selected Subaltern Studies" [EA 1982ff.], edited by Ranajit Guha & Gayatri Chakravorty Spivak, Oxford / New York: Oxford University Press 1988, S. 35: "The aim of the present collection of essays, the first of a series, is to promote a systematic and informed discussion of subaltern themes in the field of South Asian studies, and thus help to rectify the elitist bias characteristic of much research and academic work in this particular area. The word 'subaltern' in the title stands for the meaning as given in the Concise Oxford Dictionary, that is, 'of inferior rank'. It will be used in these pages as a name for the general attribute of subordination in South Asian society whether this is expressed in terms of class, caste, age, gender and office or in any other way. The words 'history and society' in the subtitle are meant to serve as a shorthand for all that is involved in the subaltern condition. As such there is nothing in the material and spiritual aspects of that condition, past or present, which does not interest us. It will be idle of us, of course, to hope that the range of contributions to this series may even remotely match the six-point project envisaged by Antonio Gramsci in his 'Notes on Italian History' [geschrieben 1935, EA ital. 1948-51; 'Selections From The Prison Notebooks', edited and translated by Quentin Hoare and Goeffrey Nowell Smith, New York: International Publishers, London: Lawrence & Wishart 1971, S. 44-120]. However, within the limitations of the present state of research and our own resources we expect to publish well-written essays on subaltern themes from scholars working in the humanities and social sciences. There will be much in these pages which should relate to the history, politics, economics and sociology of subalternity as well as to the attitudes, ideologies and belief systems-in short, the culture informing that condition".

Bild "Rom, Elefant mit Obelisk auf dem Piazza della Minerva" von Berthold Werner 2007, Public Domain (modifiziert).

c) Philip Almond: "The British Discovery of Buddhism", Cambridge: University Press 1988, S. 12f.: "The first of these conincided with the first four decades of the ninetenth century. During this period, Buddhism was an object which was instenced and manifested 'out there' in the Orient [...]. Buddhism as a taxoconomic object organized that which the Westerner confronted in an alien space [...]. The locus of Buddhism was the Orient. This would subtly change in the first twenty-five years of the Victorian period. [...] Buddhism, by 1860, had come to exist, not in the Orient, but in the Oriental libraries and institutes of the West [...]".

Brian Pennington: "Was Hinduism Invented? Britons, Indians and the Colonial Construction of Religion", Oxford: University Press 2005, S. 3: "With the development of the modern colonial state, however, the representation of Hinduism evolved as an act of political and religious significance previously unprecedented among Indians or those who ruled them. While the British proposed and debated the unity, character and content of Indian religion, hindus responded with apologetic, correction, and reconstruction of the coherence and nobility of their traditions".

Tomoko Masuzawa: "The Invention of World Religions. Or, How European Universalism Was Preserved in the Language of Pluralism", Chicago: CUP 2005, S. ix (Preface): "A few steps around the corner from the Pantheon, in the heart of Rome, one comes upon a small square, typically crowded with parked cars during the day. At the center of Piazza Minerva stands a curious monument, a charming stone statue of a smiling elephant carrying an obelisk on its back, tilting its head to the side and playfully lifting its trunk, as if in greeting. As with all the pagan relics of conspicuous size erected in the city, the obelisk - not a very tall one by comparison - is crowned with a cross, and in this fashion the monument graces the approach to the church of Santa Maria Sopra Minerva, or as one local guidebook translates it, Our Lady on Top of Minerva. The church, indeed, was originally built in the eighth century on the ruins of a temple of Minerva, and the obelisk, which was discovered in 1665 in the garden of the Dominican monastery attached to the church, is said to have belonged to a temple of Isis that once stood nearby. The elephant, a somewhat diminutive creature with demure aspect, smaller ears, and stubby tusks, suggests that it could be of an Asian variety, and its ornate saddle reminds one of a royal howdah from India. To be sure, what the image of an elephant conveyed or what 'India' meant to the contemporary observer when the monument was erected in 1667 could not have been quite the same as what such things signify to us today. Nor is it likely - given that this was nearly two centuries before Champollion deciphered the Egyptian hieroglyphics - that either the artist, Gian Lorenzo Bernini, or Pope Alexander VII, who commissioned the work, knew what the inscription on the obelisk had to relate, namely, certain exploits of Apries (known in the Hebrew Bible as Hophrah), a pharaoh in the sixth century BCE and an ally of Zedekiah, king of Judah, against Nebuchadnezzar. Today, all this intelligence is readily available to anyone who consults the Blue Guide, the vade mecum of post-Victorian British travelers, and still the tour book of choice for the learned. For this, we owe much to the scholars of the nineteenth century,1 as well as to their contemporaries' sudden passion for travel and sightseeing, [...]".

d) Silvia Federici: "Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation", Wien: Mandelbaum 2012, S. 12f.: "Erstens ist da der Wunsch, die Entwicklung des Kapitalismus aus feministischer Perspektive neu zu reflektieren, allerdings unter Vermeidung der Beschränkungen einer 'Frauengeschichte', die sich von der Geschichte des männlichen Teils der Arbeiterklasse absetzt. Der Titel, Caliban und die Hexe, der von Shakespeares Sturm inspiriert ist, drückt dieses Bemühen aus. In meiner Interpretation steht Caliban jedoch nicht für den antikolonialen Rebellen, dessen Kampf noch in der zeitgenössischen karibischen Literatur nachhallt, sondern er ist Symbol des Weltproletariats, genauer: des proletarischen Körpers als Terrain und Mittel des Widerstands gegen die Logik des Kapitalismus. Am wichtigsten ist, dass die Figur der Hexe, die im Sturm weit in den Hintergrund gedrängt wird, im vorliegenden Band im Mittelpunkt steht. Sie verkörpert einen Kosmos weiblicher Subjekte, den der Kapitalismus zerstören musste: die Ketzerin, die Heilerin, die ungehorsame Ehefrau, die Frau, die allein zu leben wagte, die Obeah-Frau, die die Speisen des Herren vergiftete und die SklavInnen zum Aufstand anstiftete. Die zweite Motivation für die Niederschrift dieses Bandes ist die weltweite, mit der globalen Ausbreitung kapitalistischer Verhältnisse einhergehende Wiederkehr einer Reihe von Erscheinungen, die gemeinhin mit der Genese des Kapitalismus in Verbindung gebracht werden. Dazu gehören eine neue Runde von 'Einhegungen', durch die Millionen von landwirtschaftlichen Produzentinnen ihres Bodens beraubt worden sind, und die massenhafte Pauperisierung und Kriminalisierung von Arbeitern vermittels einer Politik der Masseninhaftierung [...]".

e) Faisal Darraj: "The Peculiar Destinies of Arab Modernity. Arab Art Histories: The Khalid Shoman Collection", translated from the Arabic by Anna Swank, Jordanien: daratalfunun.org 2013: "In contrast to the advocates of this 'a-historical Islam' [the Islam of the traditionalists] - who saw no difference between the age of the Prophet and the age of the steam engine - the Arab intellectuals of the Enlightenment recognized a universal human culture, to which Islamic culture had contributed, and thus opened up to the European culture that had facilitated the rise of the West. Consequently, they branched out into different European schools of thought, unveiling new horizons for Arab society: Taha Hussein [1889-1973] was influenced by the French philosopher René Descartes [1596-1650]; Egyptian writer Salama Moussa [1887-1958] became an enthusiastic advocate of [Charles] Darwin [1809-1882]; Egyptian writer Muhammad Hussein Haykal [1888-1956] translated the works of Jean-Jacques Rousseau [1712-1778]; and Sheikh Rafa'a al Tahtawi [1801-1873] - who was sent on a scholarly delegation to France in the 1820s by Egyptian governor Muhammad Ali - discovered the political philosophy of [Charles de Secondat, Baron de] Montesquieu [1689-1755], just as fifty years later the mufti of Al Azhar, Muhammad 'Abdu [1849-1905], would discover the ideas of evolutionist English philosopher [Herbert] Spencer [1820-1903]".

f) Muhamed Amjahid: "Unter Weißen. Was es heißt, privilegiert zu sein", Berlin: Hanser 2017, S. 63: "Das Wesen der freien Welt besteht letztlich in der Bewegungsfreiheit ihrer Bürger, Reisefreiheit ist für viele eine Selbstverständlichkeit, ein Thema ist sie aber vor allem für diejenigen, die das Privileg selbstbestimmter Mobilität nicht genießen"; S. 70: "Der 'mächtigste' Pass weltweit ist rot und mit einem goldenen Bundesadler geschmückt".

g) Tupoka Ogette: "Exit Racism. Rassismukritisch denken lernen" [EA 2017], Münster: Unrast 2020, S. 21f.: "Happyland ist eine Welt, in der Rassismus das Vergehen der Anderen ist. In Happyland wissen alle Bewohner*innen, dass Rassismus etwas Grundschlechtes ist. Etwas, das es zu verachten gilt. [...] Damit man etwas rassistisch nennen kann, muss es mit Absicht gesagt oder getan worden sein. [...] Auch Absicht und Wirkung bilden in Happyland keine kausale Kette und haben - wenn überhaupt - nur sehr wenig miteinander zu tun. Die*der Happyländer*in entscheidet, wann und wie das Gesagte beim Empfangenden ankommt, wie es sich anfühlt und anzufühlen hat. 'Ich habe es nicht so gemeint, also musst du nicht so beleidigt tun.'".

h) Sabar Nur-Sheema und Meron Mendel: "Postkoloniale Theoretiker. Leerstelle Antisemitismus", in: taz.de, 25.04.2020, unter Bezugnahme auf die "Causa [Achille] Mbembe", z.B. dessen "Preface", in: "Apartheid Israel. the politics of an analogy", hrsg. von Jon Soske und Sean Jacobs, Chicago: Haymarket 2015, aber auch Gayatri Spivak und Edward Said: "Eine manichäische Spaltung der Welt in einen 'globalen Norden' und einen 'globalen Süden', in Unterdrücker und Unterdrückte, reduziert die komplexe Weltlage auf einfache binäre Widersprüche, in denen es nichts Drittes, nichts Ambivalentes geben darf. Israel wird dabei umstandslos den Unterdrückern zugeschlagen; nicht ein Gedanke wird darauf verwendet, dass die Gründung des Staates auf jahrhundertelange Verfolgung, von den Pogromen in Russland und Polen bis zur Schoah zurückzuführen ist. Jüdische Flüchtlinge und Überlebende steigen in dieser Lesart zu mächtigen Kolonialherren auf; die Gründung des Staats wird als Geburtsstunde der 'neokolonialen Ära' verstanden". Es ist kein Zufall, dass im Intersektionalitätskonzept der Postcolonial Studies Antisemitismus oft nur als eine Unterform des Rassismus gilt".

i) Teju Cole: "Black Paper. Schreiben in dunkler Zeit" ["Black Paper. Writing in a Dark Time", Chicago: University of Chicago Press 2021], übers. von Anna Jäger und Uda Strätling, Berlin: Claassen 2023, S. 91f.: "Palästina hat Edward Said nie losgelassen. Der Antrieb für all sein Schaffen war die Sehnsucht nach seinem Geburtsort Jerusalem und nach Gaza, dem Westjordanland, den '48ern' und ganz Palästina. Er konnte die klügsten und feinsinnigsten Deutungen von Gérald de Nerval oder Richard Wagner vortragen oder an der libanesischen Grenze Steine auf ein israelisches Wachhäuschen werfen [...]. Bei all dem war es Palästina, für das sein Herz schlug. Da er eine Sprache dafür fand und ungebrochene Entschlossenheit zeigte, hat er vielen von uns, die nicht qua Geburt, Stammbaum oder Wohnort palästinensisch sind, die Augen geöffnet. [...] Ich habe diese Passagen [in Teju Coles Roman 'Open City', übers. von Christine Richter-Nilsson, Berlin: Suhrkamp 2014, S. 158f.] nicht geschrieben, um eine bestimmte politische Einstellung zu verfechten [...]. Ich wollte die einfache und akzeptierte liberale Position herausfordern und wiedergeben, was ich in meinem Umfeld [...] tatsächlich hörte. An einer Stelle erklärt Farouq: 'das ist etwas, das du verstehen solltest: In meinen Augen ist die Palästina-Frage die zentrale Frage unserer Zeit'".

Teju Cole: "Open City" [EA 2011], übers. von Christine Richter-Nilsson, Berlin: Suhrkamp 2014, S. 159f.: "Dann verschwammen Farouqs Gesichtszüge - ganz plötzlich, so schien es, aber ich musste es unterbewusst bereits wahrgenommen haben - und eine erstaunliche Ähnlichkeit trat zutage: Er war das Ebenbild von Robert De Niro, vor allem in der Rolle des jungen Vito Corleone in Der Pate II [1974, imdb tt0071562]. [...] Doch was bedeutete De Niros Lächeln? De Niro lächtete, aber niemand hatte eine Ahnung, worüber eigentlich. Vielleicht hatte mich deshalb die erste Begegnung mit Farouq so verwirrt, weil ich ohne es zu merken, sein Lächeln überinterpretiert und sein Gesicht mit einem anderen in Verbindung gebracht hatte, das mir zwar sympathisch erschien, aber auch Angst machte. Ich hatte, aus dem banalsten aller denkbaren Gründe, in seinem Gesicht den jungen De Niro gesehen, einen charmanten Psychopathen. Und dieses Gesicht, das gar nicht so unergründlich war wie zuerst befürchtet, sprach jetzt weiter: Für uns ist Amerika eine Variante von Al-Quaida".

S. 167-169: "[Farouq:] Du weißt bestimmt, was Paul de Man über Erkenntnis und Blindheit sagt [Paul de Man: 'Blindness and Insight. Essays in the Rhetoric of Contemporary Criticism', Oxford: Oxford University Press 1971]. Er geht davon aus, dass eine Erkenntnis auch andere Dinge verhüllen kann, dass Erkenntnis auch Blindheit sein kann. Und umgekehrt, dass vermeintliche Blindheit neue Möglichkeiten eröffnen kann. Wenn ich über Erkenntnis, als eine Form von Blindheit nachdenke, dann fällt mir Rationalität ein, Rationalismus, der für Gott blind ist und für die Dinge, die Gott den Menschen bietet. Darin liegt das Scheitern der Aufklärung. Rein zufällig war De Man Student an derselben Universität hier in Brüssel, an der ich anfing, als ich vor sieben Jahren nach Belgien kam. Ich wollte einen Magister in kritischer Theorie machen, weil das Institut dafür bekannt war. Das war mein Traum, mit zwanzig hat man ja präzise Träume. Ich wollte der nächste Edward Said werden! [...] Dann schrieb ich meine Magisterarbeit über Gaston Bachelards Poetik des Raumes [EA 'La Poétique de l'Espace', Paris: Les Presses universitaires de France 1957]. Und das Institut lehnte sie ab! Mit welcher Begründung? Verdacht auf ein Plagiat. Das war alles, was ich erfuhr. [...] Meine Magisterkommission war am 20. September 2001 zusammengekommen, und vor dem Hintergrund der Schlagzeilen war ich für sie jetzt nur noch ein Marokkaner, der über Differenz und Offenbarung schrieb. In dem Jahr verlor ich alle Illusionen über Europa. [...] Ich war enttäuscht".

j) Daniel Loick und Vanessa E. Thompson: "Was ist Abolitionismus?", in: "Abolitionismus. Ein Reader", hrsg. von Daniel Loick und Vanessa E. Thomson, Frankfurt: Suhrkamp 2022, S. 7: "Die Demonstrationen und Rebellionen für schwarze Leben im Sommer 2020 stellten die größte politische Bewegung in der Geschichte der USA dar. Dabei war die Black-Lives-Matter-Bewegung nicht auf Nordamerika beschränkt, sondern reichte auch nach Lateinamerika, Europa, Australien und mehrere Länder Afrikas und mobilisierte damit auch weltweit die größten antirassistischen Proteste aller Zeiten. Im Zuge dieser globalen Aufstände wurden einer breiteren Öffentlichkeit Forderungen zugänglich gemacht, die aus dem theoretischen und praktischen Kontext des Abolitionismus stammen. Einer der weltweit resonierenden Slogans war Defund the Police: die Forderung, Ressourcen von der Polizei abzuziehen und diese in Strukturen der radikalen sozialen Gerechtigkeit (Wohnen, Gesundheitsversorgung, Bildung und Strukturen der Unterstützung) zu reinvestieren. Ebenso fordern Aktivist:innen die Entkriminalisierung von Armut, Migration oder Drogenkonsum als Teil eines breiteren Kampfes um das Zurückdrängen und Abbauen von Strafregimen und Kontrollinstitutionen wie Gefängnissen, Lagern, Polizeien und anderen Institutionen staatlicher Gewalt".

S. 8f.: "Abolitionismus meint wörtlich Abschaffung und geht als soziale Bewegung und theoretische Perspektive historisch sehr weit zurück. Die Anfänge der Bewegung liegen bereits in den Kämpfen gegen die Versklavung in den USA und der Karibik im 19. Jahrhundert. Die Geschichte des Abolitionismus als spezifischer politischer Ansatz ist allerdings selbst umstritten. In den dominanten Narrativen werden hier oft die weißen liberalen Bewegungen gegen die Versklavung aus dem 18. Jahrhundert in Großbritannien und den USA angeführt, die, im Anschluss an die Quäker:innen, Versklavung nicht mehr aus religiösen Gründen, sondern aufgrund aufklärerischer Ideale ablehnten. In dieser gängigen Erzählung wird der Abolitionismus als die historisch erste transnationale soziale Bewegung dargestellt, deren Ziel die Abschaffung der Versklavung aus Afrika deportierter Menschen in den Kolonien Amerikas beziehungsweise des transatlantischen Versklavungshandels war. Unter Rückgriff auf herausragende Einzelpersonen wird Abolitionismus dabei als ein moralischer Fortschritt der Menschheit dargestellt, der insbesondere von weißen Männern wie Abraham Lincoln in den USA oder Victor Schoelcher in Frankreich und ihren liberalen Idealen vorangetrieben wurde. Obschon einige solcher Darstellungen auch ehemals versklavte Menschen wie etwa Frederick Douglass oder Sojourner Truth mit Bezug auf die USA oder Olaudah Equiano mit Bezug auf Großbritannien erwähnen und einbeziehen, zeichnen sie Abolitionismus vor allem als eine weiße aufklärerische Bewegung. Gegenüber dieser Geschichtsschreibung verweisen die Wissensbestände der 'Black Radical Tradition' darauf, dass Abolitionismus vor allem eine Bewegung und Perspektive der schwarzen Massenwiderstände gegen den Plantagenkapitalismus war. [...] Solche abolitionistischen Praktiken umfassten historisch vor allem zwei Prinzipien: Erstens die Abwehr, den Entzug oder die Flucht (fugitivity) aus den Ökonomien der rassifizierten Überausbeutung, die stets mit struktureller Gewalt und frühzeitigem Tod einherging, sowie zweitens die Bildung von neuen Verhältnissen, Rationalitäten, Beziehungs- und Produktionsweisen".

Abb. Plakat "Defund the Police" auf Fotografie "Demonstrator at a George Floyd protest holding up a Defund the Police sign on June 5 2020", von Taymaz Valley, unter Creative-Commons-Lizenz CC BY 2.0 (modified). "Die Tötung von George Floyd ereignete sich am 25. Mai 2020 in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota[.] Der weiße Polizeibeamte Derek Chauvin tötete bei der Festnahme den am Boden liegenden 46-jährigen Afroamerikaner George Perry Floyd, indem er neun Minuten und 29 Sekunden lang mit einem Teil seines Körpergewichts auf seinem Hals kniete und ihm trotz zahlreicher Bitten Floyds und umstehender Zeugen bis zu seinem Sterben die Atemwege abdrückte" (WP, 2023).

(17) [07.10.2023]

Ivo Bozic, Facebook, 09.10.2023: "Das Massaker palästinensischer Terroristen gleicht in seiner Bestialität und Menschenverachtung dem Terror des Islamischen Staats [sog. 'Kalifat' unter Abū Bakr al-Baghdādī in Gebieten Iraks und Syriens 2014-2019, Genozid an der nichtmuslimischen Minderheit der Jesiden / Yeziden / Êzîdî; 'Islamischer Staat' oder 'Daesh', داعش ist auch Bezeichnung für die dschihadistische Bewegung seiner Anhänger*innen, Anm.]. Trotzdem kann man es sich kaum vorstellen: Raketenangriffe explizit auf Zivilisten, Abschlachten von hunderten Menschen, einschließlich Kindern und Alten in ihren Häusern, Schussfeuer in Menschenmengen, durchgeschnittene Hälse, Massenmord an Teilnehmern eines Raves mit allein dort über 260 Toten, Mörder im Blutrausch, öffentliche Schändung von Frauen, von Leichen, Verschleppung, Geiselnahme von Babys, Kindern, jungen Frauen und Greisen, hinter denen sich die Terroristen nun auch noch feige verstecken. Das ist so unfassbar niederträchtig, so menschenfeindlich, nicht in Worte zu fassen. Wer auch nur einen Atemzug zur Relativierung dieses Horrors verschwendet, wer auch nur einen Gedanken äußern zu müssen meint, inwiefern womöglich irgendwelche Umstände oder gar die Juden Schuld seien, stellt sich außerhalb jeder humanistischen Konvention.

'...Unterdessen konnte der Weltsicherheitsrat sich nicht auf eine einstimmige Verurteilung der Hamas einigen.'".

Ramona Ambs: "Scherbenhaufen", hagalil.com, 11.10.2023: "Der Überfall der Hamas in den frühen Morgenstunden des 7. Oktober hat uns in genau diesen Zustand gebracht. Schockstarre. Der massive Raketenbeschuss, die Überfälle auf die Kibbuzim, das Musikfestival - wir Juden in Deutschland haben das ja nicht Samstagabend abstrakt in den Nachrichten gesehen, sondern es kam pling pling pling über die sozialen Netzwerke in unser Zuhause. Es waren Familienmitglieder, Freunde und Freunde von Freunden in Israel, die anfingen, verzweifelt nach ihren Töchtern, Söhnen, Eltern, Neffen, Nichten, Partnern, Enkeln zu suchen... Fotos und Standorte wurden mitgeteilt und mit jedem pling gabs eine Ungewissheit mehr. Mit jedem pling eine weitere große Sorge.

Nach einigen Stunden trafen die ersten Videos von Verschleppten per Messengerdiensten ein: eine offensichtlich vergewaltigte Frau wird in ein Auto gezerrt... pling... gefesselte Menschen werden geschlagen... pling... ein Mann wird vor den Augen seiner Frau erschossen... pling... Hamasterroristen drangsalieren eine alte jüdische Frau im Rollstuhl [...].

In mehreren Städten feiern Hamas-Sympathisanten das Oktoberpogrom, sie feiern, verteilen Süßigkeiten und die Polizei steht daneben und schaut zu. Politiker fordern im TV, dass sowas nicht sein darf und sichern Israel die volle Solidarität zu, - die Linken mit dem Nebensatz, dass man aber weiterhin Israel kritisieren dürfen sollen können muss; und die Rechten mit dem Nebensatz, dass die vielen Migranten hier das eigentliche Problem sind. Aber immerhin: das Brandenburger Tor hat mal kurz nen neuen blau-weißen Look! - und einige FB-Postings geben einem durchaus das warme Gefühl, dass auch nichtjüdische Deutsche verstanden haben, was da grade zerbrochen ist... - aber am Abend wird dann die AFD bei den Landtagswahlen die zweitstärkste Kraft, - also die Partei, bei der Antisemitismus zum 'programmatischen Kern' gehört und mir wird plötzlich klar, dass die Schockstarre der letzten Tage wohl ein Dauerzustand bleiben wird. Dass es sich im Grunde nicht lohnt, die zersplitterte Seele zusammen zu setzen, dass man sich besser an den neschumigen Scherbenhaufen gewöhnt.

Es wird keine Routine mehr geben. In Israel sowieso nicht - aber hier auch nicht. Es gibt nach diesem Oktoberpogrom nämlich auch keine Rückversicherung mehr für uns Juden in Deutschland. Kein: im Notfall haben wir einen jüdischen Staat, da ist es halbwegs sicher. Denn genau da wurden ja nun soviele Juden auf einmal ermordet wie seit der Shoa nicht mehr. Und auch wenn sich Israel nun verteidigen wird, bleibt klar: Es gibt keinen sicheren Platz für uns. Nirgends".

Max Czollek, Instagram, 20.10.2023: "Es geht gerade richtig viel durcheinander. Einiges ist einfach falsch. Die eine Seite schreibt mir beispielsweise, die Angst von Juden*Jüdinnen vor Angriffen letzten Freitag ('Tag der Wut'[,] den die Hamas ausgerufen hatte) sei bloß eingebildet und irgendwie rassistisch. Ich finde, das ist gaslighting, bei de[m] man dem Opfer einredet, seine Wahrnehmung sei gar nicht real. Die Eingriffe auf jüdische Einrichtungen letzte Nacht in Berlin haben einmal mehr gezeigt, dass es sich um eine reale Bedrohung handelt. Die andere Seite nimmt die aktuelle Zuspitzung zum Anlass, alle Muslim*innen für antisemitische Angriffe oder sogar Antisemitismus im Allgemeinen verantwortlich zu machen. [...] Und die AfD läuft gerade auf 25 Prozent Wähler*innenzustimmung zu".

Hengameh Yaghoobifarah, 02.10.2023, in: "Antizionismus gibt ein Gefühl von Widerstand", Interview von Stefan Lauer und Nicolas Potter mit Hengameh Yaghoobifarah und Rosa Jellinek, belltower.news: "Viel Wissen aus Social Media zu beziehen, führt in der jüngeren, aber nicht ausschließlich jüngeren Generation von Linken dazu, dass sie kein großes Theoriewissen haben und deswegen eine bestimmte Art, Antisemitismus zu analysieren, einfach nicht drin ist. Der Wissensbezug aus Social Media statt aus linker Theorie hat fundamentalen Einfluss darauf, dass gewisse Basics nicht mehr vorhanden sind".

Yashar Ali, X ehem. Twitter, 03.11.2023: "I'm not kidding when I say that Hizbollah leader Hassan Nasrallah's speech today was less inflammatory than some of those made on US college campuses in the past few weeks" (Hinweis von Elisa Aseva, Instagram, s.a. Elisa Aseva: "Über Stunden. Posts", Berlin: Weissbooks 2021).

Veronika Kracher, Instagram, 08.02.2024: "Nachtrag [...]: @x[...] hatte zurecht kritisiert, dass meine Literaturtipps primär aus einem eurozentrischen Kontext stammen. Sie hat ein paar Bücher von Autor*innen aus dem nahen und mittleren Osten empfohlen, die sich mit Islamismus und Antisemitismus befassen: Nadia Murad: Ich bin eure Stimme ['Das Mädchen, das dem Islamischen Staat entkam und gegen Gewalt und Versklavung kämpft', zus. mit Jenna Krajeski, München: Knaur 2017, 'The Last Girl. My Story of Captivity, and My Fight Against the Islamic State', London: Virago 2017], Ariel Sabar: My father's paradise ['A Son's Search for His Jewish Past in Kurdish Iraq', Chapel Hill: Algonquin Books 2008], Najem Wali: Reise ins Herz des Feindes ['Ein Iraker in Israel', übersetzt aus dem Arabischen von Imke Ahlf, München: Hanser 2009]".

Abb. nach Scherenschnitt von Jeanette Kuvin Oren, 2023, Public Domain.

 

[ Fortsetzung, continuation, suite: Anmerkungen. annotations. remarques ]

1. "Open Road", 3. "College Girls", 4. "Robinson Crusoe", 6. Herbartianismus, 8. Grenzbegriffe wie "Indien" oder "der Orient", 9. "Magie", 10. "nuda veritas", 11. Jean-Jacques Rosseau, 12. "The Smith and the Devil", 13. "Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosphie", 14. Alfred Dreyfus und die "Intellektuellen", 15. Dürrenmatts Komödie und Jaspers' "Nurtragisches", 16. "Was ist Antisemitismus?"

****/9 Ähnlich hat das Konzept der "Magie" mit den Eroberungen sogenannter "neuer Welten" und der Rekonstruktion antiker Philologien Transformationen ("Verlassenheit", "Möglichkeit") durchlaufen:

"Claviculae Salomonis Et Theosophia Pneumatica, Das ist / Die wahrhafftige Erkänntnüß Gottes / und seiner sichtigen und unsichtigen Geschöpffen / Die Heil. Geist=Kunst genannt. / Darinnen der gründliche einfältige Weg angezeiget wird / wie man zu der rechten wahren Erkänntnüß Gottes / auch aller sichtigen und unsichtigen Geschöpffen / aller Künsten / Wissenschafften und Handwercken kommen soll" [Vorlagen "Magical treatise of Solomon", Ἀρχὴ τῆς ἀποτελεσματικῆς πραγματείας, London, British Library, Harley MS 5596, 15. Jh., S. 397-434; "The Clavicle of Solomon, revealed by Ptolomy the Grecian", British Library, Sloane MS 3847, 1572; "Clavicula Salomonis", Oxford, Bodleian Library, Michael MS 276, um 1600], Wesel / Duisburg & Frankfurt/M.: Andreas Luppius 1686 [VD 17 3:307814Z].

Bl. Aijv-Aiijv: "Durch die Unterweisung hat Adam die vollkommene Erkänntnüß Gottes und aller göttlichen Geister / alle himmlische und göttliche Dinge gründlich gewusst / [...] Daher siehet man / daß Niemand seines Beruffs einigen wahren Grund hat noch weiß / die Schrifften sind aus Hoffart / Abgötterey und heydnischer Teuscherey [!] verfälscht / die Handwercks-Kunst samt allen anderen Wissenschaften sind zu Grunde gangen / denn weil die Menschen den rechten Lehrmeister und sein Wort verlassen / und sich allein auff ihre erdichtete Weißheit verlassen und gehenget haben / so hat sie GOtt der HErr auch verlassen / und in ihren Eigenthumen auch lassen zu Schanden werden".

"Arbatel of Magic", Aphorism 20, in: Pseudo-Agrippa von Nettesheim: "Fourth book of occult philosophy and geomancy. Magical elements of Peter de Abano. Astronomical geomancy. The nature of spirits. And Arbatel of magick" [EA "Liber Quartus ... Cui accesserunt, Elementa Magica Petri de Abano", Marburg: Andreas Kolbe 1559, VD16 A 1185; mit weiteren Anhängen, "Lugduni Beringer Fratres" = eigentlich Peter Perna, ca. 1567-68, univ-tours.fr; "Arbatel. De magia veterum. Summum Sapientiae studium", Basel: Peter Perna 1575, VD16 ZV 22511, in Kombination mit: "Semiphoras Und Schemhamphoras Salomonis Regis", Wesel / Duißburg / Franckfurth: Andreas Luppius 1686, VD17 39:120304N], engl. Übersetzung von Robert Turner, London: J.C. for John Harrison 1655, Neudruck "And reprinted with great improvements" [London] 1783 [welcomecollection.org].

S. 285: "All things are possible to them that believe them, and are willing to receive them, but to the incredulous and unwilling, all things are unpossible: there is no greater hindrance than wavering mind, levity, unconstancy, foolish babbling, drunkenness, lust and disobedience to the word of God."

 

****/10 Die Metapher der "nuda veritas" in der (westl.) lat. Tradition, mit durchgehender (1, 4-6) und unterbrochener Überlieferung (2,3), in Rezeption durch darstellende Kunst während der Renaissance ab dem 15. Jh. (7), im Konfessionalismus des Barock (8, 10-12), als Ressentiment gegen die Moderne (13) und ironisch bei Shakespeare (9):

(1) Horaz: "Carmen saeculare" I, 24 [23 v. chr. Z.], in: Otto Keller und A. Holder: "Q. Horati Flacci opera. Carminum libri 4", Band 1, Leipzig: Teubner 1864 [books.google.com], S. 40: "Ergo Quintilium perpetuus sopor / urget? Cui Pudor et Iustitiae soror, / incorrupta Fides, nudaque Veritas / quando ullum inueniet parem?".

"Andauernder Schlaf bedrängt Quintilius also? / Wann wird die Scheu und die / Schwester der Gerechtigkeit, die / unbestechliche Treue, und die nackte / Wahrheit irgendeinen ihm Gleichen finden?" (übersetzt von Moritz Becker, lateinoase.de).

Horaz bezeichnete sich selbst als einen Schüler Epikurs (Epicuri de grege porcum - "ein Schwein aus der Herde des Epikur", Hor. epist. 1, 4, 16).

(2) Lucian [around 120 until ca. 180]: "Calumniae non temere credendum" ["On Slander"], in: "Lucian", translated by A.M. Harmon, vol. 1, Cambridge: Harvard University Press 1979, S. 365ff.: "On the right of it sits Midas with very large ears, extending his hand to Slander while she is still at some distance from him. Near him, on one side, stand two women - Ignorance and Suspicion. On the other side, Slander is coming up, a woman beautiful beyond measure, but full of malignant passion and excitement, evincing as she does fury and wrath by carrying in her left hand a blazing torch and with the other dragging by the hair a young man who stretches out his hands to heaven and calls the gods to witness his innocence. She is conducted by a pale ugly man who has a piercing eye and looks as if he had wasted away in long illness; he represents envy. There are two women in attendance to Slander, one is Fraud and the other Conspiracy. They are followed by a woman dressed in deep mourning, with black clothes all in tatters - she is Repentance. At all events, she is turning back with tears in her eyes and casting a stealthy glance, full of shame, at Truth, who is slowly approaching".

Lukian [um 120 bis ca. 180]: "Calumniae non temere credendum" ["Gegen die Verleumdung"], in: "Lucian's Werke", übersetzt von August Friedrich Pauly, Zwölftes Bändchen, Stuttgart: Metzler 1831, S. 1443f.: "Auf der rechten Seite sitzt ein Mann mit langen Ohren, denen wenig fehlt, um für Midasohren gelten zu können: seine Hand ist nach der von ferne auf ihn zukommenden Verläumdung ausgestreckt. Neben ihm stehen zwei weibliche Gestalten, die ich für die Unwissenheit und das Mißtrauen halte. Von der linken Seite her nähert sich ihm die Verläumdung in Gestalt eines ungemein reizenden, aber erhitzten und aufgeregten Mädchens, deren Züge und Geberden Wuth und Zorn verrathen: in der linken hält sie eine brennende Fackel; mit der rechten schleppt sie einen jungen Mann bei den Haaren herbei, der die Hände gen Himmel emporhält und die Götter zu Zeugen anruft. Vor ihr her geht ein bleicher, häßlicher Mann mit scharfem Blicke, der ganz aussieht, als ob ihn eine lange Krankheit abgezehrt hätte, und den wohl Jeder für den Neid erkennen wird. Hinter her gehen zwei weibliche Gestalten, welche der Verläumdung zuzusprechen, und sie herauszuputzen und zu schmücken scheinen: diese sind, wie mir der Ausleger des Gemäldes sagte, die Arglist und die Täuschung. Ganz hinten folgt eine trauernde Gestalt in schwarzem zerrissenem Gewande, die Reue nämlich, die sich weinend rückwärts wendet, und verschämte Blicke auf die herannahende Wahrheit wirft. So hat Apelles seine eigene mißliche Erfahrung auf dem Gemälde dargestellt".

(3) Diogenes Laertius [180-240]: "Lives of Eminent Philosophers", IX.72, Volume II: Books 6-10, translated by R. D. Hicks, Loeb Classical Library 185, Cambridge, MA: Harvard University Press 1925, S. 485 über Demokrit: "Of a truth we know nothing, for truth is in a well."

Ebenda, S. 484: "ἐτεῇ δὲ οὐδὲν ἴδμεν: ἐν βυθῷ γὰρ ἡ ἀλήθεια."

MEW 40, Karl Marx: Dissertation "Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosphie nebst einem Anhange" [geschrieben 1840 bis März 1841, Erstdruck in "Gesammelte Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels 1841-1850", Band 1: "Von März 1841 bis März 1844", hrsg. von Franz Mehring, Stuttgart: J. H. W. Dietz Nachf. 1902], "Erster Teil. Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosphie im allgemeinen"****/13, "III. Schwierigkeiten hinsichtlich der Identität demokritischer und epikureischer Naturphilosophie", Berlin: Dietz 1968, S. 270f.: "Diogenes Laertius aber berichtet, man habe Demokrit zu den Skeptikern gezählt. Es wird sein Spruch angeführt: 'In Wahrheit wissen wir nichts, denn im Abgrund des Brunnens liegt die Wahrheit'".

(4) Laktanz: "Institutiones Divinae" [geschrieben zwischen 303 und 311], liber tertiae: "But since God has willed this to be the nature of the case, that simple and undisguised truth should be more clear, because it has sufficient ornament of itself, and on this account it is cor­rupted when embellished with adornings from without, but that falsehood should please by means of a splendor not its own, because being corrupt of itself it vanishes and melts away, unless it is set off and polished with decoration sought from an­other source" (zitiert nach Blumenberg, a.a.O., 2010, S. 40).

Laktanz: "Lucii Caecilii Firmiani Lactantii opera omnia præcedunt S. Marcellini Papæ, S. Marcelli Papæ, S. Eusebii Papæ, S. Melchiadis Papæ, anonymi, Celsi, omnia quæ exstant fragmenta. 1", Reihe "Patrologiae" [Kirchenväter], Series Prima, Tomus VI, Paris: Sirou 1844 [books.google.com], S. 349: "Sed quoniam Deus hanc voluit rei esse naturam, ut simplex et nuda veritas esset luculentior, quia satis ornata per se est, ideoque ornamentis extrinsecus additis fucata corrumpitur, mendacium vero specie placeret aliena, quia per se corruptum vanescit ac diffluit, nisi ornatu aliunde quaesito circumlitum fuerit ac politum: aequo animo fero, ingenium mihi mediocre fuisse concessum".

(5) Martianus Capella [5./6. Jh.]: "De nuptiis", 222: "Let us tell no lies and yet let the Arts be clothed. Surely you will not give the band of sisters naked to the bridal couple?" (zitiert nach Wiebke Denecke: "Classical World Literatures. Sino-Japanese and Greco-Roman Comparisons", Oxford: Oxford University Press 2014, S. 261).

(6) Johannes Tauler: Predigt Nr. 60 [EA Handschriften 14 Jh., Drucke ab ca. 1500, EA lat. Köln: Ioannis Quentel 1548], in: "The Following of Christ", translated by J. R. Morell, London / Leipzig: T. Fisher Unwin 1910, S. 73 [books.google.com]: "He who understandeth the naked truth needeth not a parable".

(7) Erster Druck "Laertii Diogenis Vitae et sententiae eorum qui in philosophia probati fuerunt" ["Lives of Eminent Philosophers", eine der erhaltenen älteren Handschriften: Codex Borbonicus, National Library of Naples, 12. Jh.], übersetzt von Ambrogio Traversari für Cosimo de Medici 1433, Romae: Giorgo Lauer 1472.

Lukian wird seit ca. 1400 in Handschriften wieder im lateinischen westlichen Europa verfügbar, erster Druck als Lucianus Samosatensis: "Vera historia", übersetzt ins Lateinische von Lilius (Tifernas) Castellanus, mit den Anhängen: "De asino aureo. Philosophorum vitae. Scipio. Tyrannus. Scaphidium (Dialogus de funerali pompa). Palinurus. Charon. Diogenes. Terpsion. Hercules. Virtus dea. In amorem. Timon. Sermo de calumnia. Laus muscae", Venice: Simon Bevilaqua for Benedetto Bordon, 25 Aug. 1494 [ISTC il00439000].

Abb. oben: Sandro Boticelli, "Die Verleumdung des Apelles" ("La Calunnia di Apelle"), 1494-95 (kurz bevor er sich 1498 der Bewegung um Girolamo Savonarola anschloss), nach der Beschreibung eines Bildes des Malers Apelles durch Lukian, Public Domain (modifiziert).

Abb. rechts: Annibale Carracci, "An Allegory of Truth and Time", 1584, London, Royal Collection, Accession number RCIN 404770, Public Domain (modifiziert). Das Bild zeigt "Wahrheit" und "Zeit" über einem Brunnen, vgl. Howard Oakley: "Painting Truth: When did she emerge from a well?", 19. July 2018, [eclecticlight.co].

(8) Alexander Montgomerie: "The Cherrie and the Slae" [geschrieben 1584, EA Edinburgh: "Prented be Robert Waldegrave, prenter to the Kings Majestie" 1597], Edinburgh: "Printed for Robert Jamieson" 1779 [books.google.com], LXII., S. 42: "Which thou must, tho' it grieve thee, grant / I ne[v]er deceived [trumped a] man. / But truely told the naked trueth, / To such as mell'd with me, / For neither rigour, nor for ruth, / But only loath to lie: / To some yet, to come yet / The succour will be flight, / Which I then, must try then / And register aright".

(9) William Shakespeare: "Love's Labour's Lost", London: W.W. for Cutbert Burby 1598, in: "Shakespere's[!] Werke", herausgegeben und erklärt von Nicolaus Delius, Fünfter Band, Elberfeld: R.L. Friderichs 1858, S. 90 [books.google.com]: "The naked truth of it is, I have no shirt; / I go woolward for penance".

Eine Oper "Love's Labour's Lost" ist auch Adrian Leverkühns erste Zwölfton-Komposition in Thomas Manns "Doktor Faustus". Theodor W. Adorno hatte im amerikanischen Exil Mann das Manuskript "Schönberg und der Fortschritt", geschrieben 1940/41 [EA "Philosophie der neuen Musik", Tübingen: Mohr Siebeck 1949] zur Verfügung gestellt, mit seiner Erlaubnis übernimmt Mann für den Teufel im Dialog mit Adrian im XXV. Kapitel Passagen aus dem Essay.

(10) "Simplex & nuda Veritas. Das ist: Ein Philosophischer Discurs, und ausführliche Beschreibunge des trockenen Particular-Weges oder Augmenti perpetui. Wie dann auch Des Nassen Univelsal-Weges der Uhr-Alten/ Alten und Neuen Philosophen/ wie sie ihren Lapidem Philosophorum Naturgemäß angefangen und glücklich vollendet haben. Worbey auch Ein Send-Brieff/ darinne die generatio Metallorum und fundamentum Artis & Naturae ausführlich beschrieben [...] / Durch D. B. C. Philo-Chimicum, und Liebhabern der Warheit/ Allen Filiis doctrinae Hermeticae zu besonderem Nutzen und Gefallen wohlmeinend geschrieben und an Tag gegeben/ ex monte Parnaso", Halberstadt: Kolwald, 1660 [VD17 39:116827Y].

(11) "Nuda Veritas, das ist/ Kurtze jedoch gründliche Demonstration, Was sonderlich die am Rheinstromb befindliche Reichs-Ständte zu befahren gehabt hätten/ fals man sich der Assistenz der Republiq, der vereinigten Niederlanden/ gegen die Cron Franckreich/ nicht angenommen hätte", [S.l.], [ca. 1674] [VD17 14:077787D].

(12) [Herbert Croft]: "The naked truth, or, The true state of the primitive church by an humble moderator", [London: s.n.], 1675, "The Second Edition", London: "Printed by T.R. and are to be sold by Benj. Tooke at the Ship in St. Paul's church yard" 1676 [books.google.com].

(13) Jean-Léon Gérôme: "La Vérité sortant du puits armée de son martinet pour châtier l'humanité" ("Die Wahrheit steigt aus dem Brunnen, mit ihrer Peitsche bewaffnet, um die Menschheit zu züchtigen"), allegorisches Gemälde, Titel ursprünglich nur "La Verité", 1896 [wikipedia.org]****/14.

Gérômes Gemälde "Le charmeur de serpents" ("Der Schlangenbeschwörer") von ca. 1879 wurde von Edward Said als Cover für die Erstausgabe von "Orientalism" 1978 ausgewählt.

 

****/11 Jean-Jacques Rousseau wird die Erfindung des Ausspruches "Eat the Rich" zugeschrieben. Nach dem Historiker Adolphe Thiers ("Histoire de la Révolution Française", Paris: Lecointe et Durey 1823-27, Tome 5 [gutenberg.org], sagte Pierre Gaspard Chaumette, Präsident der Pariser Kommune bei einer Rede am 14 Oktober 1793 während der Herrschaft des Terror, "Rousseau était peuple aussi, et il disait: Quand le peuple n'aura plus rien à manger, il mangera le riche" ("Rousseau war auch einer von denen, die sagten: Wenn die Menschen nichts mehr zu essen haben sollten, dann werden sie die Reichen essen"). In "Les Confessions" [Buch I-VI wurden zwischen 1765 und 1767 geschrieben, EA 1782], in: "Œuvres complètes", Tome 1, Paris: Furne 1844 [books.google.com], S. 140, findet sich außerdem eine andere bekannte Redewendung: "Enfin je me rappelai le pis-aller d'une grande princesse à qui l'on disait que les paysans n'avaient pas de pain, et qui répondit: Qu'ils mangent de la brioche" ("Endlich erinnerte ich mich des Auskunftsmittels einer großen Prinzessin, der man sagte, die Bauern hätten kein Brot, und die antwortete: Sie können ja Kuchen essen", "Bekenntnisse", übersetzt von Hermann Denhardt, Altenmünster: Jazzybee 2016, S. 212). Nur ihm zugeschrieben ist "Retour à la nature!" ("Zurück zur Natur!"). In "Émile oder über die Erziehung" [EA 1762] heißt es aber: "Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt, alles entartet unter den Händen des Menschen" (übersetzt von Ludwig Schmidt, UTB Nr. 115, Paderborn: Schöningh 1998, S. 9); "Halten wir unerschütterlich daran fest, daß die ersten Regungen der Natur immer richtig sind. Es gibt keine Ur-Verderbtheit des Herzens" (S. 71).

Abb. Jean-Jacques Rousseau: "Les Confessions", Paris: Launette 1889, Tome 2, S. 13, illustriert von Maurice Leloir (1851-1940), Public Domain (modifiziert).

 

****/12 Sara Graça da Silva & Jamshid J. Tehrani: "Comparative phylogenetic analyses uncover the ancient roots of Indo-European folktales", in: "Royal Society Open Science", Nr. 3 (1): 150645, 20. Januar 2016 [ncbi.nlm.nih.gov]: "[W]e were able to trace the inheritance of several tales deep into Indo-European prehistory, securely reconstructing them in the tale corpora of Proto-Italo-Celtic ([Aarne-Thompson-Uther-Index = Hans-Jörg Uther: 'The types of international folktales : a classification and bibliography, based on the system of Antti Aarne and Stith Thompson', Helsinki: Suomalainen Tiedeakatemia, Academia Scientiarum Fennica 2004] ATU 328 ['The Boy Steals Ogre's Treasure'], ATU 330 ['The Smith and the Devil'], ATU 402 ['The Animal Bride'] and ATU 554 ['The Grateful Animals']). [...] Our findings regarding the origins of ATU 330 'The Smith and the Devil' are a case in point. The basic plot of this tale - which is stable throughout the Indo-European speaking world, from India to Scandinavia - concerns a blacksmith who strikes a deal with a malevolent supernatural being (e.g. the Devil, Death, a jinn, etc.). The smith exchanges his soul for the power to weld any materials together, which he then uses to stick the villain to an immovable object (e.g. a tree) to renege on his side of the bargain. The likely presence of this tale in the last common ancestor of Indo-European-speaking cultures resonates strongly with wider debates in Indo-European prehistory, since it implies the existence of metallurgy in Proto-Indo-European society".

 

****/13 Karl Marx: Dissertation, a.a.O., S. 266: "Hätte es nicht in Beziehung auf dies Verhältnis wenigstens zur Nachforschung anreizen müssen, die griechische Philosophie mit zwei verschiedenen Gruppen eklektischer Systeme, deren eine der Zyklus der epikureischen, stoischen und skeptischen Philosophie, die andere unter dem Namen der alexandrinischen Spekulation zusammengefaßt ist, enden zu sehen? Ist es ferner nicht ein merkwürdiges Phänomen, daß nach den platonischen und aristotelischen, zur Totalität sich ausdehnenden Philosophien neue Systeme auftreten, die nicht an diese reichen Geistesgestalten sich anlehnen, sondern, weiter rückblickend, zu den einfachsten Schulen - was die Physik angeht, zu den Naturphilosophen, was die Ethik betrifft, zu der sokratischen Schule - sich hinwenden?"

S. 270: "Außer den historischen Zeugnissen spricht vieles für die Identität demokritischer und epikureischer Physik. Die Prinzipien - Atome und Leere - sind unstreitig dieselben. Nur in einzelnen Bestimmungen scheint willkürliche, daher unwesentliche Verschiedenheit zu herrschen. Allein so bleibt ein sonderbares, nicht zu lösendes Rätsel. Zwei Philosophen lehren ganz dieselbe Wissenschaft, ganz auf dieselbe Weise; aber - wie inkonsequent! - in allem stehen sie sich diametral entgegen, was Wahrheit, Gewißheit, Anwendung dieser Wissenschaft, was das Verhältnis von Gedanken und Wirklichkeit überhaupt betrifft. Ich sage, sie stehen sich diametral entgegen, und werde es jetzt zu beweisen suchen.

A. [...]".

S. 271: "B. Diese Differenz in den theoretischen Urteilen des Demokrit und des Epikur über Sicherheit der Wissenschaft und Wahrheit ihrer Objekte verwirklicht sich in der disparaten wissenschaftlichen Energie und Praxis dieser Männer."

Abb. Hendrick ter Brugghen: "Demokrit", Utrecht 1628, Rijksmuseum, Saal 2.1, Inventarnummer SK-A-2783, Public Domain (modifiziert). Gegenstück zu SK-A-2784, d.i. Hendrick ter Brugghen: "Heraklit", Utrecht 1628. Die Gegenüberstellung eines lachenden Demokrit und eines weinenden Heraklit, aber auch als allegorische Figuren für Komödie und Tragödie, ist eine ikonographische Tradition****/15.

S. 271-276: "Demokrit, dem das Prinzip nicht in die Erscheinung tritt, ohne Wirklichkeit und Existenz bleibt, hat dagegen als reale und inhaltsvolle Welt die Welt der sinnlichen Wahrnehmung sich gegenüber. Sie ist zwar subjektiver Schein, allein eben dadurch vom Prinzip losgerissen, in ihrer selbständigen Wirklichkeit belassen; zugleich einziges reales Objekt, hat sie als solche Wert und Bedeutung. Demokrit wird daher in empirische Beobachtung getrieben. In der Philosophie unbefriedigt, wirft er sich dem positiven Wissen in die Arme. [...] In der Physik, Ethik, Mathematik, in den enzyklischen Disziplinen, in jeder Kunst ist er bewandert. Schon der Bücherkatalog bei Diogenes Laertius zeugt für seine Gelehrsamkeit. Wie es aber der Charakter der Gelehrsamkeit ist, in die Breite zu gehen und zu sammeln und von außen zu suchen: so sehen wir den Demokrit die halbe Welt durchwandern, um Erfahrungen, Kenntnisse, Beobachtungen einzutauschen. 'Ich', rühmt er von sich selbst, 'habe von meinen Zeitgenossen den größten Teil der Erde durchirrt, das Entlegenste durchforschend; und die meisten Himmelsstriche und Lande sah ich, und die meisten gelehrten Männer hörte ich; und in der Linienkomposition mit Beweis übertraf mich niemand, [...].'

Demetrius in den homônymois und Antisthenes in den diadochais erzählen, daß er gewandert sei nach Ägypten zu den Priestern, um Geometrie zu lernen, und zu den Chaldäern nach Persien und daß er gekommen zum Roten Meere. Einige behaupten, er sei auch zusammengetroffen mit den Gymnosophisten in Indien und habe Äthiopien betreten. Es ist einerseits die Wissenslust, die ihm keine Ruhe läßt; es ist aber zugleich die Nichtbefriedigung im wahren, d.i. philosophischen Wissen, die ihn in die Weite treibt. Das Wissen, das er für wahr hält, ist inhaltslos; das Wissen, das ihm Inhalt gibt, ist ohne Wahrheit. Mag sie eine Fabel sein, aber eine wahre Fabel, weil sie das Widersprechende seines Wesens schildert, ist die Anekdote der Alten. Sich selbst habe Demokrit geblendet, damit das sinnliche Augenlicht nicht die Geistesschärfe verdunkle. Es ist derselbe Mann, der, wie Cicero sagt, die halbe Welt [A18: 'halbe Welt' von Marx korrigiert aus: 'ganze Unendlichkeit'] durchwandert. Aber er hatte nicht gefunden, was er suchte.

Eine entgegengesetzte Gestalt erscheint uns in Epikur.

Epikur ist befriedigt und selig in der Philosophie. 'Der Philosophie', sagt er, 'mußt du dienen, damit dir die wahre Freiheit zufalle. Nicht zu harren braucht der, der sich ihr unterwarf und übergab; sogleich wird er emanzipiert. Denn dies selbst, der Philosophie dienen, ist Freiheit.' 'Weder der Jüngling', lehrt er daher, 'zögere zu philosophieren, noch lasse ab der Greis vom Philosophieren. Denn keiner ist zu unreif, keiner zu überreif, um an der Seele zu gesunden. Wer aber sagt, entweder noch nicht da sei die Zeit des Philosophierens oder vorübergegangen sei sie, der ist ähnlich dem, der behauptet, zur Glückseligkeit sei noch nicht die Stunde, oder sie sei nicht mehr.' Während Demokrit, von der Philosophie unbefriedigt, sich dem empirischen Wissen in die Arme wirft, verachtet Epikur die positiven Wissenschaften; denn nichts trügen sie bei zur wahren Vollendung. Ein Feind der Wissenschaft, ein Verächter der Grammatik wird er genannt. Unwissenheit selbst wird ihm vorgeworfen; 'aber', sagt ein Epikureer bei Cicero, 'nicht Epikur war ohne Erudition, sondern diejenigen [sind] ungelehrt, die glauben, was dem Knaben Schande macht, nicht zu wissen, sei noch vom Greise herzusagen.'

Während aber Demokrit von ägyptischen Priestern, persischen Chaldäern und indischen Gymnosophisten zu lernen sucht, rühmt Epikur von sich, er habe keinen Lehrer gehabt, er sei Autodidakt. Einige, sagt er nach Seneca, ringen nach Wahrheit ohne jegliche Beihilfe. Unter diesen habe er sich selbst den Weg gebahnt. Und sie, die Autodidakten, lobt er am meisten. Die andern seien Köpfe zweiten Ranges. Während es den Demokrit in alle Weltgegenden treibt, verläßt Epikur kaum zwei- oder dreimal seinen Garten zu Athen und reist nach Jonien, nicht um Forschungen anzustellen, sondern um Freunde zu besuchen. Während endlich [A19: nach 'endlich' von Marx gestrichen: 'der vielgewanderte'] Demokrit, am Wissen verzweifelnd, sich selbst blendet, steigt Epikur, als er die Stunde des Todesnahen fühlt, in ein warmes Bad und begehrt reinen Wein und empfiehlt seinen Freunden, der Philosophie treu zu sein.

C. Die eben entwickelten Unterschiede sind nicht der zufälligen Individualität beider Philosophen zuzuschreiben; es sind zwei entgegengesetzte Richtungen, die sich verkörpern. Wir sehen als Differenz der praktischen Energie, was oben als Unterschied des theoretischen Bewußtseins sich ausdrückt.

Wir betrachten endlich die Reflexionsform, die die Beziehung des Gedankens auf das Sein, das Verhältnis derselben darstellt. In dem allgemeinen Verhältnisse, das der Philosoph der Welt und dem Gedanken zueinander gibt, verobjektiviert er sich nur, wie sein besonderes Bewußtsein sich zur realen Welt verhält. Demokrit nun wendet als Reflexionsform der Wirklichkeit die Notwendigkeit an. Aristoteles sagt von ihm, er führe alles auf Notwendigkeit zurück. Diogenes Laertius berichtet, der Wirbel der Atome, aus dem alles entstehe, sei die demokritische Notwendigkeit. Genügender spricht hierüber der Auctor De placitis philosophorum: Die Notwendigkeit sei nach Demokrit das Schicksal und das Recht und die Vorsehung und Weltschöpferin. Die Substanz aber dieser Notwendigkeit sei die Antitypie und die Bewegung und der Schlag der Materie. [...]

Dagegen [A20: von Marx korrigiert aus: 'Hören wir dagegen den'] Epikur:

'Die Notwendigkeit, die von einigen als die Allherrscherin eingeführt [A21: von Marx korrigiert aus: 'aufgeführt'] ist, ist nicht, sondern einiges ist zufällig, anderes hängt von unserer Willkür ab. Die Notwendigkeit ist nicht zu überreden, der Zufall dagegen unstet. Es wäre besser, dem Mythos über die Götter zu folgen, als Knecht zu sein der heimarmenê der Physiker. Denn jener läßt Hoffnung der Erbarmung wegen der Ehre der Götter, diese aber die unerbittliche Notwendigkeit. Der Zufall aber, nicht Gott, wie die Menge glaubt, ist anzunehmen.' 'Es ist ein Unglück, in der Notwendigkeit zu leben, aber in der Notwendigkeit zu leben, ist keine Notwendigkeit. Offen stehen überall zur Freiheit die Wege, viele, kurze, leichte. Danken wir daher Gott, daß niemand im Leben festgehalten werden kann. Zu bändigen die Notwendigkeit selbst, ist gestattet.' [...]

Soviel ist also historisch sicher, Demokrit wendet die Notwendigkeit, Epikur den Zufall an; und zwar verwirft jeder die entgegengesetzte Ansicht mit polemischer Gereiztheit.

Die Hauptkonsequenz dieses Unterschiedes erscheint in der Erklärungsweise der einzelnen physischen Phänomene. Die Notwendigkeit erscheint nämlich in der endlichen Natur als relative Notwendigkeit, als Determinismus. Die relative Notwendigkeit kann nur deduziert werden aus der realen Möglichkeit, d.h. es ist ein Umkreis von Bedingungen, Ursachen, Gründen usw., durch welche sich jene Notwendigkeit vermittelt. Die reale Möglichkeit ist [A22: nach 'ist' von Marx gestrichen: gleichsam] die Explikation der relativen Notwendigkeit. Und sie finden wir vom Demokrit angewandt. [...] Epikur steht dem Demokrit wiederum direkt gegenüber. Der Zufall ist eine Wirklichkeit, welche nur den Wert der Möglichkeit hat. Die abstrakte Möglichkeit aber ist gerade der Antipode der realen. Die letztere ist beschränkt in scharfen Grenzen, wie der Verstand; die erste schrankenlos, wie die Phantasie. Die reale Möglichkeit sucht die Notwendigkeit und Wirklichkeit ihres Objektes zu begründen; der abstrakten ist es nicht um das Objekt zu tun, das erklärt wird, sondern um das Subjekt, das erklärt. Es soll der Gegenstand nur möglich, denkbar sein. Was abstrakt möglich ist, was gedacht werden kann, das steht dem denkenden Subjekt nicht im Wege, ist ihm keine Grenze, kein Stein des Anstoßes. Ob diese Möglichkeit nun auch wirklich sei, ist gleichgiltig, denn das Interesse erstreckt sich hier nicht auf den Gegenstand als Gegenstand.

Epikur verfährt daher mit einer grenzenlosen Nonchalance in der Erklärung der einzelnen physischen Phänomene. [...]

Man sieht, es ist kein Interesse vorhanden, die Realgründe der Objekte zu untersuchen: Es handelt sich bloß um eine Beruhigung des erklärenden Subjekts. Indem alles Mögliche als möglich zugelassen wird, was dem Charakter der abstrakten Möglichkeit entspricht, wird offenbar der Zufall des Seins nur in den Zufall des Denkens übersetzt. Die einzige Regel, die Epikur vorschreibt, 'nicht widersprechen dürfe die Erklärung der sinnlichen Wahrnehmung', versteht sich von selbst; denn das Abstrakt-Mögliche besteht eben darin, frei vom Widerspruch zu sein, der also zu verhüten ist. Endlich gesteht Epikur, daß seine Erklärungsweise nur die Ataraxie [Unerschütterlichkeit, Gleichmut, Seelenruhe] des Selbstbewußtseins bezwecke, nicht die Naturerkenntnis an und für sich.

Wie ganz entgegengesetzt er sich also auch hier zu Demokrit verhalte, bedarf wohl keiner Ausführung mehr.

Wir sehen also beide Männer sich Schritt für Schritt entgegenstehn. Der eine ist Skeptiker, der andere Dogmatiker; der eine hält die sinnliche Welt für subjektiven Schein, der andere für objektive Erscheinung. Derjenige, der die sinnliche Welt für subjektiven Schein hält, legt sich auf empirische Naturwissenschaft und positive Kenntnisse und stellt die Unruhe der experimentierenden, überall lernenden, in die Weite schweifenden Beobachtung dar. Der andere, der die erscheinende Welt für real hält, verachtet die Empirie; die Ruhe des in sich befriedigten Denkens, die Selbständigkeit, die ex principio interno [lat. 'aus innerem Prinzip'] ihr Wissen schöpft, sind in ihm verkörpert. Aber noch höher steigt der Widerspruch. Der Skeptiker und Empiriker, der die sinnliche Natur für subjektiven Schein hält, betrachtet sie unter dem Gesichtspunkte der Notwendigkeit und sucht die reale Existenz der Dinge zu erklären und zu fassen. Der Philosoph und Dogmatiker dagegen, der die Erscheinung für real hält, sieht überall nur Zufall; und seine Erklärungsweise geht vielmehr dahin, alle objektive Realität der Natur aufzuheben. Es scheint eine gewisse Verkehrtheit in diesen Gegensätzen zu liegen.

Kaum aber kann man noch vermuten, daß diese Männer, in allem sich widersprechend, einer und derselben Lehre anhangen werden. Und doch scheinen sie aneinander gekettet.

Ihr Verhältnis im allgemeinen zu fassen, ist die Aufgabe des nächsten Abschnitts [A25: die im Inhaltsverzeichnis aufgeführten Kapitel IV und V sind in der vorliegenden Kopie nicht erhalten]."

 

****/14 Es wurde angenommen, dass beide Gemälde, "La Vérité sortant du puits armée de son martinet pour châtier l'humanité", 1896, und "Mendacibus et histrionibus occisa in puteo jacet alma Veritas" (lat.: "Von Lügnern und Schauspielern getötet, liegt die Seele der Wahrheit einem Brunnen"), 1895, wie ein ähnliches, späteres Werk von Edouard Debate-Ponsan, "La Vérité sortant du Puits", "Die Wahrheit steigt aus dem Brunnen", 1898, Kommentare zur sogenannten Dreyfus-Affäre waren (François Pouillon: "Dictionnaire des orientalistes de langue française", Paris: Karthala Editions 2012, S. 466), aber andere wie der Kunsthistoriker Bernard Tillier argumentieren, Gérômes Bilder der Wahrheit und des Brunnens seien Teil seiner anhaltenden Fehde gegen den Impressionismus (Bertrand Tillier: "Gérôme et la vérité en peinture, Autour de La Vérité sortant du puits... Regarder Gérôme", Paris: Musée d'Orsay 2010, shs.hal.science).

Abb. "Agglutinée devant l'École militaire, la foule assiste à la dégradation du capitaine Dreyfus", "Die vor der Militärschule versammelte Menschenmenge wird Zeuge der Erniedrigung von Hauptmann Dreyfus", "Le Monde Illustré", 12 janvier 1895, gallica.bnf.fr, Public Domain.

Der Begriff des "Intellektuellen" in seiner modernen Bedeutung wurde im Zuge der antisemitischen Hetzkampagne gegen Alfred Dreyfus geprägt: "Als erster benutzte Henri de Saint-Simon in seinem Buch 'Du système industriel' [Paris: Antoine-Augustin Renouard] 1821 [gallica.bnf.fr] das Wort, wobei er 'intellectuels' und 'intellectuels positifs' unterschied. Die 'normalen' Intellektuellen waren die alten Schichten, bestehend aus Adel, Klerus, Juristen und müßigen Eigentümern. Die progressiven Intellektuellen hingegen verkörperten das Neue. Sie sollten die Fähigkeit haben, gegen Vorurteile anzukämpfen, und gemeinsam mit den Industriellen das alte Regime ablösen. [...] Seine aktuelle Bedeutung jedoch erhielt der Begriff erst im Zuge der Dreyfus-Affäre (Dietz Bering: 'Die Epoche der Intellektuellen: 1898-2001. Geburt - Begriff - Grabmal', Berlin: University Press, Imprint von Verlagshaus Römerweg 2010, S. 24ff.; Alexander Bogner: 'Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet', Leipzig: Reclam 2021, S. 87)"; "[a]ntisemitische, klerikale und monarchistische Zeitungen und Politiker hetzten Teile der Bevölkerung auf, während Menschen, die Dreyfus zu Hilfe kommen wollten, ihrerseits bedroht, verurteilt oder aus der Armee entlassen wurden"; "[d]er Begriff 'Intellektueller' wurde Georges Clemenceau durch Maurice Barrès zugeschrieben. Zwar kennzeichnet Clemenceau 1898 in einem Artikel die prominenten Unterstützer von Alfred Dreyfus, darunter Émile Zola, damit als Gruppe, tatsächlich aber benutzte er den Begriff nicht als Erster und auch nicht übermäßig häufig. Es kann vielmehr vermutet werden, dass der Begriff von den nationalistischen Gegnern der Dreyfusunterstützer als Erstes in diesem Zusammenhang gebraucht und - zunächst jedenfalls - mit abwertender Konnotation für Personen verwendet wurde, die der eigenen Nation illoyal gegenüberstanden. Aber die Dreyfusards übernahmen diese Kampfvokabel um sie im Sinne ihres politischen Selbstverständnisses als Anwälte von Gerechtigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz umzudeuten [...] (Caspar Hirschi: 'Skandalexperten, Expertenskandale. Zur Geschichte eines Gegenwartsproblems', Berlin: Matthes und Seitz 2018, S. 197ff.; Alexander Bogner, a.a.O., S. 88f.)" (WP, 2023).

****/15 Friedrich Dürrenmatt: "Theaterprobleme", Zürich: Verlag der Arche 1955, S. 34f.: "Die heutige Welt, wie sie uns erscheint, lässt sich dagegen schwerlich in der Form des geschichtlichen Dramas Schillers bewältigen, allein aus dem Grunde, weil wir keine tragischen Helden, sondern nur Tragödien vorfinden, die von Weltmetzgern inszeniert und von Hackmaschinen ausgeführt werden. Aus Hitler und Stalin lassen sich keine Wallensteine [Friedrich Schiller: "Wallenstein. Ein dramatisches Gedicht. Erster Theil", Tübingen: Cotta 1800, 2. Auflage in digitale-sammlungen.de: 1. Teil, 2. Teil] mehr machen. Ihre Macht ist so riesenhaft, dass sie selber nur noch zufällige, äußere Ausdrucksformen dieser Macht sind, beliebig zu ersetzen, und das Unglück, das man besonders mit dem ersten und ziemlich mit dem zweiten verbindet, ist zu weitverzweigt, zu verworren, zu grausam, zu mechanisch geworden und oft einfach auch allzu sinnlos. Die Macht Wallensteins ist eine noch sichtbare Macht, die heutige Macht ist nur zum kleinsten Teil sichtbar, wie bei einem Eisberg ist der größte Teil im Gesichtslosen, Abstrakten****/16 versunken. [...I]n diesem Kehraus der weißen Rasse, gibt es keine Schuldigen und auch keine Verantwortlichen mehr. Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt. Es geht wirklich ohne jeden. Alles wird mitgerissen und bleibt in irgendeinem Rechen hängen. Wir sind zu kollektiv schuldig, zu kollektiv gebettet in die Sünden unserer Väter und Vorväter. Wir sind nur noch Kindeskinder. Das ist unser Pech, nicht unsere Schuld: Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat. Uns kommt nur noch die Komödie bei."

In Kurt Wagenseils Bibliothek vorhanden ist Karl Jaspers: "Über das Tragische", München: Piper 1952, S. 18f.: "Es gibt keine transzendenzlose Tragik. Noch im Trotz bloßer Selbstbehauptung im Untergang gegen Götter und Schicksal ist ein Transzendieren: zum Sein, das der Mensch eigentlich ist und im Untergang als sich selbst erfährt. [...] In der ursprünglichen Anschauung geht das Tragische mit der Befreiung von ihm zusammen. Wird das Tragische seines Gegenpols beraubt, in sich isoliert, als ein Nurtragisches, so ist eine Bodenlosigkeit erreicht, die in einer keiner der großen klassischen Dichtungen zugrunde liegt. Das Nurtragische ist geeignet, zur Verschleierung des Nichts zu dienen, wo Glaubenslosigkeit sich Gestalt geben möchte. Der Hochmut des nihilistischen Menschen erhebt sich an tragischer Größe zur Pathetik heroischen Selbstbewußtseins".

****/16 Samuel Salzborn: "Was ist moderner Antisemitismus?", in: bpb.de, 30.04.2020: "Moishe Postone ['Antisemitismus und Nationalsozialismus', in: 'Autonomie', Nr. 14, 1979; 'Die Logik des Antisemitismus', in: 'Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken', Heft 1, 1982, S. 13-25] hat betont, dass bestimmte Aspekte der Ausrottung des europäischen Judentums so lange unerklärlich bleiben müssten, wie der Antisemitismus als bloßes Beispiel für Vorurteile, Fremdenhass und Rassismus im Allgemeinen behandelt werde - also so lange, wie der Glaube fortbesteht, dass Antisemitismus lediglich ein Beispiel für Sündenbockstrategien sei, deren Opfer auch Mitglieder irgendeiner anderen Gruppe hätten gewesen sein können. Doch da die phantasierte Macht im Antisemitismus keinen identifizierbaren Träger hat, wird sie als wurzellos, ungeheuer groß und unkontrollierbar, vor allem aber als hinter der Erscheinung stehend und somit konspirativ, unfassbar empfunden - eben als abstrakt".

 

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Personenregister (Übersetzungen etc.)
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